Thomas Myrach: Ich weiss, dass ihr bezüglichder Abwicklung des Billettverkaufs für dieZukunft ehrgeizige technische Ziele habt.Wie ich gelesen habe, spielt dabei ein Projektnamens «ETIK-BIBO» eine wichtige Rolle.Was wird mit diesem Projekt angestrebt?Peter Kummer: ETIK steht für elektronisches Ticketsystem,BIBO für «Be in and be out» – es geht dabeium unser zentrales Zukunftsprojekt für hürdenfreiesReisen mit Chipkarte. In einem ersten Schritt istmittelfristig die Einführung einer Karte für denöffentlichen Verkehr sowie deren elektronischeKontrolle geplant. Wir wollen damit Preise differenzierterhandhaben können. In einem zweiten Schrittmüssen, neben unserer eigenen Flotte, auch dieanderen Transportunternehmen des öffentlichenVerkehrs mit dem BIBOSystem ausgerüstet werden.Das «Check in check out»System setzt eine aktiveRegistrierung des Kunden via Chipkarte oder Handyvoraus – BIBO geht noch einen Schritt weiter undregistriert den Reiseverlauf des Kunden automatisch:Die Kunden werden mittels Chip erfasst, sobald siein einen Zug oder Bus einsteigen. Die bezogenenLeistungen und die Qualität der Leistungen, je nachArt des Transportmittels, werden automatisch abgerechnet.Thomas Myrach: Wie ist der geplanteZeithorizont dieses Projekts?Peter Kummer: Wir rechnen damit, dass BIBO innertrund acht bis zehn Jahren realisiert werden kann.Thomas Myrach: Vor einigen Monaten ist euerWeb-System unvermittelt zusammengebrochen,ein kritisches Ereignis! Was bedeutet das fürdie zuständigen Mitarbeiter und für dich alsChef? Wie geht ihr mit so einem Fall um?Peter Kummer: Eine fehlerhafte Konfiguration hatgegen Ende 2010 zu Fahrplanstörungen geführt:Abfragen mobiler Geräte haben bei ohnehin hoherAuslastung des Systems einen Stau verursacht, sodass schlussendlich keine Kommunikation mehrmöglich war. Angesichts der Bedeutung vonwww.sbb.ch als eine der meistbesuchten Webseitender Schweiz ist das natürlich erstens für die Kundinnenund Kunden sehr ärgerlich und zweitens auchfür uns als Unternehmen. Wir haben sofort eineTaskforce einberufen: Unsere Spezialisten kümmertensich zusammen mit Providern und involviertenStellen rasch und umfassend um das Problem. Ichpersönlich wurde täglich informiert und habe auchregelmässig die Konzernleitung ins Bild gesetzt.Zudem informierten wir immer transparent gegenaussen, ohne zu beschönigen.«Gute Anwender sind nicht unbedingtgute Auftraggeber.»Copyright: Daniel Brühlmann, tntgraphicsThomas Myrach: Wie stellt ihr generell sicher,dass eure Systeme zuverlässig und störungsfreilaufen?Peter Kummer: Dies ist gerade im Bahngeschäftabsolut zentral, denn von uns wird, zu Recht,äusserst hohe Verfügbarkeit erwartet. Wir haben mitallen Providern entsprechende Service Level Agreementsvereinbart: Diese SLA legen für jedes System,je nach seiner Bedeutung für den Bahnbetrieb, fest,wie hoch die Ausfallzeit sein darf und wie raschFehler behoben werden müssen. Auch messen wirregelmässig, wie gut unsere Systeme laufen.Wir arbeiten dabei mit zwei Messgrössen: den UserAusfallminuten und dem BusinessImpact. Ersteresbeschreibt die Anzahl Minuten, während denen einMitarbeitender der SBB nicht mit einem System arbeitenkonnte; das zweite ist eine Messgrösse, welche16 <strong>BeWL</strong> 16/2011 Praxis
die Auswirkungen einer Störung auf den Bahnkundenbeschreibt. Diese Messgrössen sind in den Jahreszielendes CIO und einzelner Mitarbeiterinnen undMitarbeiter festgehalten – ein wichtiger Anreiz also,den Betrieb bestmöglich sicherzustellen.Thomas Myrach: Was wünscht du dir aus derSicht der IT-Abteilung eines grossen SchweizerUnternehmens, was die Benutzer und Kundenin den Fachabteilungen bezüglich Informatikverstehen sollten?Peter Kummer: Die IT Landschaft ist immer einAbbild der Geschäftsprozesse im Unternehmen.Sind die Geschäftsprozesse komplex und nichtstandardisiert, gilt dasselbe auch für die Informatiklandschaft.Das heisst: klare Anforderungen,Abstimmung über die Bereichsgrenzen hinweg undStandardisierung der Geschäftsprozesse. Wenn dasdie Fachabteilungen verstehen, wird alles einfacher.Thomas Myrach: Jetzt einmal aus der Wartevon IT-Spezialisten, von Informatikern undWirtschaftsinformatikern: Wenn man diePresse liest und sich in einschlägigen Fachkreisenherum hört, ist viel von einem Mangelan qualifizierten IT-Personal die Rede. Ist dasauch für die SBB ein Thema?Peter Kummer: Tatsächlich ist es zurzeit nichteinfach, qualifiziertes ITPersonal zu rekrutieren.Dieser Mangel wird sich ohne Gegenmassnahmein naher Zukunft noch akzentuieren. Da wir aberweiterhin gut ausgebildete Informatikerinnen undInformatiker benötigen, investiert die SBB Informatikviel in die Ausbildung von ITLernenden und bietetauch Traineeprogramme für Hochschulabsolventinnenund absolventen an. Die SBB Informatik ist in derglücklichen Lage, dass sie von InformatikStudentinnenund Studenten zu den zehn populärstenArbeitgebern der Schweizer gezählt wird.Thomas Myrach: Als Praktiker und Führungskraft:Welche Vorteile und Chancen desBerufsbildes gibt es zu betonen? Wie wichtigist es, dass auch das Business etwas von ITund ihrer Anwendung versteht?Peter Kummer: In vielen Positionen im Business istes wichtig, dass zumindest Grundkenntnisse der ITvorhanden sind. Dadurch werden erst qualifiziertereDiskussionen über Lösungsansätze möglich. ITund Business sind heute nicht mehr getrennt zubetrachten. IT ist kein Selbstzweck. In vielen Bereichenhaben neue ITMöglichkeiten entscheidendeVeränderungen herbeigeführt. Als Wirtschaftsinformatikersteht man oft an der Schnittstellezwischen IT und Business. Das bedingt einen gutenEinblick in beide Bereiche, was die Arbeit abwechslungsreichmacht. Durch den breiten Überblick deneine Position an dieser Schnittstelle bringt, ergebensich interessante Entwicklungsmöglichkeiten entwedermehr in die technische IT oder eher in dieBusinessWelt. Wirtschaftsinformatik ist eine idealeGrundlage für eine ManagementKarriere. AnalytischeKompetenzen und Kenntnisse der IT sind heutein einer Unternehmensleitung unentbehrlich.Thomas Myrach: Du hast an der Universität<strong>Bern</strong> Betriebswirtschaftslehre mit einemSchwerpunkt – damals hiess das noch Fachprogramm– in Wirtschaftsinformatik studiert.Was hast du aus dem Studium für deinenberuflichen Werdegang mitgenommen?Peter Kummer: Das Studium hat mich gelehrt, michin neue unbekannte Themen einzuarbeiten, Thesenzu hinterfragen und sie im grossen Zusammenhangzu betrachten. Auch die Arbeitsweise im Teamwar etwas, wovon ich im Studium sehr profitierenkonnte.«Wirtschaftsinformatik ist eine idealeGrundlage für eine Management-Karriere.»Thomas Myrach: Peter, ich danke dir, dass dudir für uns und unsere Fragen Zeit genommenhast.Peter Kummer: Es war mir ein Vergnügen.Lebenslauf von Peter KummerNach dem Studium der Betriebswirtschafslehre mitSchwerpunkt Wirtschaftsinformatik an der Universität<strong>Bern</strong>, war Peter Kummer als ITArchitekt,Projektleiter und Consultant bei verschiedenenFirmen tätig. Von 2000 bis 2006 hat er als ChefArchitekt den Bereich Unternehmensarchitektur beider Schweizerischen Mobiliar geführt. 2007 ist erdann bei der SBB eingestiegen. Zuerst war er ChiefArchitect im Bereich «Architecture & Quality» undin dieser Funktion verantwortlich für Architekturleistungen,das Engineering der ITPlattformen, daszentrale Qualitätsmanagement und die zentraleTestfactory. Seit 2010 leitet Peter Kummer als CIOdie gesamte Informatikorganisation der SBB undrapportiert direkt an den CEO, Andreas Meyer.<strong>BeWL</strong> 16/2011 Praxis<strong>17</strong>