Heimat – Wir suchen nochvon Katrin Göring-Eckardt»kebab connection«Heimat sei eine Utopie, sagte Ernst Bloch und mit ihm Bernhard Schlink. Der marxisti-sche Philosoph Georg Luckács hat die Situa-tion des Menschen in der Welt sogar als »transzendentale Obdachlosigkeit» bezeich-net. (...) Heimat versteht sich für den Menschen nicht von selbst, er muss sie – im Gegensatz <strong>zu</strong>m Tier, das immer schon eine Umwelt hat, in die es passt und hineingehört – erst suchen und schaffen. Das ist alles richtig, aus einer philosophischen und anthropologischen Sicht. Gleichzeitig ist Heimat etwas völlig Selbst-verständliches. Würde ich die Menschen fra-gen »Was ist Ihre Heimat?«, wer würde wohl antworten, sie wüsste nicht, wo ihre Heimat ist, er sei eigentlich heimatlos, man fühle sich verloren in der Welt und sei noch auf der Suche ... Nein, wir bekämen Antworten wie: »Heimat, das ist der Ort, wo ich meine Freunde habe.« Oder Sätze wie: »Heimat ist für mich der Geruch des Pflaumenkuchens meiner Mutter«. Oder einfach: »Heimat ist, wo ich mich wohl fühle, wo man mich kennt, wo ich sein kann wie ich bin.« Dabei ist es nicht egal, ob jemand auf dem Dorf oder in der Stadt aufwächst. Es ist nicht gleichgültig, mit welchen Menschen er oder sie Begeg-nungen hatte, es ist von Belang, welche Bücher im Regal standen, ob die Kirchen-glocken <strong>zu</strong> hören waren oder der Muezzin rief. Heimat ist so auch immer ein Ort des Dafür-‐ oder Dagegenseins. Es ist der Ort, an dem wir wurden, wer wir sind oder es ist der fehlende Ort, an dem wir nicht werden konn-ten, wer wir werden wollten. Dabei ist Hei-mat eben selbstverständlich da. So selbstver-ständlich, dass wir sie nicht einmal mögen müssen. (...) Heimat ist nicht nur ein privates Gefühl ist, sondern wirft entscheidende politische Fra-gen auf: Wie wollen wir leben? Was bedeutet gutes Leben für uns? Wie muss unsere Um-‐ welt beschaffen sein, damit wir uns wohl und <strong>zu</strong>hause fühlen? Welche Institutionen wollen wir bewahren, welche auf jeden Fall abschaf-fen? (...) Selbst die »heimatlichste« Heimat, das Dorf in der Provinz, ist also mehr als nur ein Ort der Stabilität und der Selbstvergewisserung. Heimat hat einen Erlebniswert: Es ist ein Ort, wo andere Menschen sind, die man sich so nicht aussuchen konnte. Ein Ort, der sich verändert. Ein Ort, wo Differenz und Vielfalt erfahrbar sind. Der gängige Vorbehalt gegen den Begriff Heimat, dass er geschlossen sei, abgedichtet gegen andere Kulturen, stimmt demnach nicht so ganz. Denn die Erfahrung von Differenz und Abweichung, des »Wild-fremden«, gehört <strong>zu</strong>r Heimat da<strong>zu</strong>. Deshalb ist auch der ideologische Gegensatz »Hei-mat« versus »multikulturelle Gesellschaft « aus meiner Sicht ein falscher. Er wurde auch nur von denen aufgemacht, die ihre Heimat offenbar nicht so schön fanden, dass sie Lust auf viel Hin<strong>zu</strong>ziehende gehabt hätten. Denn dass ich starke Heimatgefühle habe, heißt ja nicht, dass ich andere aus meiner Heimat ausschließe. Gemeinsam kann dann etwas Neues aus dem Ort gestaltet werden, ohne Altes <strong>zu</strong> verdammen. Mit anderen Worten: Heimatgefühl und Weltoffenheit sind keine Widersprüche. Jede »Blut und Boden«-‐Ideologie ist schlicht Rassismus und hat mit positiven Heimatgefühlen nichts <strong>zu</strong> tun. Und in einer multi-‐kulturellen und multireligiö-sen Heimat <strong>zu</strong> leben, ist erst einmal mehr, als in der Gleichförmigkeit und Enge von ausschließlich Ähnlichem. (...) Damit will ich keineswegs sagen, dass die multi-‐kulturelle Gesellschaft ohne Konflikte ist und Migration, wenn sie erzwungen ist, nicht für viele Menschen sehr viel Leid be-deuten kann. Was ich sagen will ist, dass der positive Be<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>m eigenen Lebensort eine Gesellschaft offener und lebendiger machen kann. (...) aus: Inter:Kultur, herausgegeben vom Deutschen Kulturrat, Nov 2009 28
»kebab connection«Interviews mit jungen Erwachsenen 2Was bedeutet für dich Heimat? Gina, 24 Hauptsächlich sich wohlfühlen, sich geborgen fühlen, Zuhause sein. »Heimat« ist eher ein Gefühl als ein Ort. Ich fühle mich an mehreren Orten <strong>zu</strong>hause oder heimatlich. Ikra, 18 Heimat ist für mich definitiv Berlin, nicht Deutschland, sondern wirklich nur Berlin. Also Heimat ist: wo du eigentlich herkommst, und ich bin zwar in Deutschland geboren, aber mein Vater ist Pakistaner. Ich fühl mich überhaupt nicht als Pakistanerin komischerweise, eher als Türkin, weil ich mit einem Türken aufgewachsen bin. Ich verbinde schon sehr viel mit der Türkei, das ist schon auch eine Heimat für mich. Nancy, 16 Für mich ist Heimat, wenn ich mich wohlfühle, wenn die Umgebung stimmt. Ich bin am liebsten Zuhause, in meinem Zimmer Zuhause, und im Badezimmer. Für mich gibt es nur eine Heimat. Das ist wirklich da, wo ich mich gut mit den Leuten verstehe, ich mich wohlfühle. Luisa, 14 Heimat ist ein Ort, wo man sich wohl fühlt und geborgen, wo man sich wie ein kleines Kind fühlt. Svetlana, 27 Die Heimat verbinde ich mit Sehnsucht. Heimat ist nie da, wo man grade ist. Es ist etwas Fernes, das man vermisst. Das hängt für mich auch sehr mit Kindheitserinnerungen <strong>zu</strong>sammen. Cindy, 18 Heimat ist in meinem Fall der Gegensatz von Zuhause. Die Heimat – das ist mein Herkunftsland und Zuhause ist der Lebensmittelpunkt, die Gegenwart. Selen 17 Leute, die sehr an der alten Heimat hängen, können sich nicht an ihre neue Umgebung gewöhnen und sich eine neue Heimat schaffen. Wasifa, 18 Heimat ist dort, wo ich meine Augen schließen und sagen kann: Ja, hier gehöre her, das ist meins. Heimat ist dort, wo ich Gerüche, Bilder, Menschen, Töne wahrnehme, die mir ein gutes Gefühl geben und mich in meinem Dasein bestätigen. Juri, 22 Heimat ist für mich das Gefühl der Geborgenheit. Heimat ist dort, wo man gelernt hat die klein-sten Dinge <strong>zu</strong> lieben. Die Interviews führten Annika Westphal und Maria Dubova, Hospitanz und FsJ Kultur am <strong>GRIPS</strong> <strong>Theater</strong>. 29