Marc Aurel: Selbstbetrachtungen (Viertes & Neuntes Buch)
Marc Aurel: Selbstbetrachtungen (Viertes & Neuntes Buch)
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25.<br />
Untersuche die Beschaffenheit der ursächlichen Kraft jedes Gegenstandes, denke ihn bei<br />
deiner Betrachtung von seinem Stoffe getrennt und bestimme dann die längste Zeit, die er bei<br />
seiner eigentümlichen Beschaffenheit vielleicht bestehen kann.<br />
26.<br />
Du hast viel Not und Schmerz ertragen müssen, weil es dir nicht genügte, daß deine Vernunft<br />
ihrer Beschaffenheit gemäß handeln sollte. Nun genug hiervon; mißbrauche sie nicht mehr.<br />
27.<br />
Wenn dich jemand schmäht oder haßt oder man aus solch einem Grunde allerlei Gerüchte von<br />
dir aussprengt, so tritt den Seelen dieser Leute näher, dringe in ihr Inneres ein und sieh, wie<br />
sie geartet sind, und du wirst finden, daß du dich nicht zu beunruhigen brauchst, wenn solche<br />
Leute so von dir urteilen. Dennoch aber bist du ihnen Wohlwollen schuldig; denn von Natur<br />
sind sie deine Freunde und Nächsten, und auch die Götter sind ihnen in allerlei Weise, zum<br />
Beispiel durch Träume Es war ein Aberglaube der Heiden, daß ihnen bei Krankheiten die<br />
Götter im Traume ein Heilmittel offenbarten. und durch Orakelsprüche, zu dem behilflich,<br />
woran ihnen so viel gelegen ist.<br />
28.<br />
Aufwärts, niederwärts, alles in der Welt ist in demselben Kreislauf von Jahrhundert zu<br />
Jahrhundert. Entweder ist nun die Vernunft des Weltganzen bei jeder Veränderung wirksam,<br />
und wenn sie dies ist, so sei dir, was sie hervortreibt, willkommen, oder sie hat sich nur ein<br />
für allemal schöpferisch erzeigt, das übrige aber ist, nach einer notwendigen Aufeinanderfolge<br />
gewissermaßen eines in dem andern begründet und enthalten; oder das Ganze ist nur ein<br />
Gewirr von Atomen oder unteilbaren Teilchen. Kurz, gibt es einen Gott, so steht alles gut;<br />
herrscht aber das Ungefähr, so folge du doch keinem blinden Ungefähr. Bald wird die Erde<br />
uns alle bedecken; hierauf wird auch sie selbst sich verwandeln und so fort bis ins<br />
Unendliche. Denn wer diese übereinander wogenden Fluten von Verwandlungen und<br />
Veränderungen mit ihrer reißenden Schnelligkeit erwägt, der wird alles Sterbliche gering<br />
achten.<br />
29.<br />
Die Urkraft des Weltganzen ist wie ein gewaltiger Strom, der alles mit sich fortreißt. Wie<br />
unbedeutend sind selbst diejenigen Staatsmänner, die die Geschäfte nach den Regeln der<br />
Weltweisheit zu lenken wähnen! O Eitelkeit! Was willst du, Mensch? Tue doch, was gerade<br />
jetzt die Natur von dir fordert. Wirke, solange du kannst, und blicke nicht um dich, ob's einer<br />
auch erfahren wird. Hoffe auch nicht auf einen platonischen Staat, Platos Republik. Dieser<br />
Idealstaat sollte die vollkommenste Vereinigung der Menschen unter dem Gesetze der<br />
Vernunft sein, worin Sittlichkeit und Glückseligkeit in der vollkommensten Harmonie<br />
angetroffen würden. sondern sei zufrieden, wenn es auch nur ein klein wenig vorwärts geht,<br />
und halte auch einen solchen kleinen Fortschritt nicht für unbedeutend. Denn wer kann die<br />
Grundsätze der Leute ändern? Was ist aber ohne eine Änderung der Grundsätze anders zu<br />
erwarten als ein Knechtsdienst unter Seufzen, ein erheuchelter Gehorsam? Und nun komm<br />
und sprich mir von einem Alexander, Philipp Philipp von Mazedonien. und Demetrius von<br />
Phalerum. Demetrius, geb. 345, ausgezeichnet als Redner, Staatsmann und Philosoph, eine<br />
Zeitlang der Abgott der wankelmütigen Athener. Wie steht's damit, ob sie den Willen der<br />
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