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Marc Aurel: Selbstbetrachtungen (Viertes & Neuntes Buch)

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28.<br />

Es gibt einen schwarzen Charakter, einen weibischen Charakter, einen halsstarrigen, einen<br />

tierischen, viehischen, kindischen, dummen, zweideutigen, geckenhaften, treulosen,<br />

tyrannischen Charakter.<br />

29.<br />

Wenn derjenige ein Fremdling in der Welt zu nennen ist, der nicht weiß, was in ihr vorhanden<br />

ist, so ist der nicht weniger ein Fremdling, der nicht weiß, was in ihr geschieht. Ein Flüchtling<br />

ist, wer sich den Staatsgesetzen entzieht; ein Blinder, wer das Geistesauge verschließt; ein<br />

Bettler, wer eines andern bedarf und das, was zum Leben nötig ist, nicht selbst besitzt; eine<br />

Geschwulst am Weltkörper derjenige, der vom Grundgesetz der Allnatur sich dadurch trennt<br />

und lossagt, daß ihm die Ereignisse in derselben mißfallen, denn sie führt alles herbei und hat<br />

auch dich hervorgebracht; ein Abtrünniger vom Staat ist, wer seine eigene Seele der allen<br />

Vernunftwesen gemeinschaftlichen Seele abtrünnig macht. Die Welt wird nach den Stoikern<br />

von einer einzigen Seele bewegt, von der jede einzelne Seele ein Teil ist.<br />

30.<br />

Hier ist einer Philosoph ohne Rock, Zyniker. dort ein anderer ohne <strong>Buch</strong>, ein dritter halb<br />

nackt. Brot habe ich nicht, sagt er, und halte doch meine Lehre aufrecht. Auch mir gewähren<br />

die Wissenschaften keinen Unterhalt, und ich bleibe ihnen doch ergeben.<br />

31.<br />

Die Kunst, die du gelernt hast, sei dir lieb; da mußt du verweilen. Den Rest deines Lebens<br />

verbringe als ein Mensch, der alle seine Angelegenheiten von ganzer Seele den Göttern<br />

überlassen hat und sich weder zu irgendeines Menschen Tyrannen noch Sklaven macht.<br />

32.<br />

Betrachte einmal zum Beispiel die Zeiten unter Vespasian, und du wirst alles finden wie jetzt:<br />

Menschen, die freien, die Kinder erziehen, Kranke und Sterbende, Kriegsleute und<br />

Festfeiernde, Handeltreibende, Ackerbauer, Schmeichler, Anmaßende, Argwöhnische,<br />

Gottlose, solche, die den Tod dieses oder jenes herbeiwünschen, über die Gegenwart murren,<br />

verliebt sind, Schätze sammeln, Konsulate, Königskronen begehren. Nun, sie sind nicht mehr,<br />

sie haben aufgehört zu leben. Gehe dann zu den Zeiten Trajans über. Abermals ganz dasselbe.<br />

Auch dieses Lebensalter ist ausgestorben. Betrachte gleichfalls die anderen Abschnitte von<br />

Zeiten und ganzen Völkern und siehe, wie viele, die Großes geleistet, bald dahinsanken und in<br />

die Grundstoffe aufgelöst wurden. Besonders aber rufe in dein Gedächtnis diejenigen zurück,<br />

die du persönlich gekannt hast, wie sie über dem Haschen nach eiteln Dingen<br />

vernachlässigten, das zu tun, was der eigentümlichen Beschaffenheit ihres Wesens gemäß<br />

war, daran unablässig festzuhalten und hierauf ihre Wünsche zu beschränken. Hier mußt du<br />

auch noch eingedenk sein, daß die auf jedes Geschäft verwandte Sorgfalt zu seiner<br />

Wichtigkeit im rechten Maß und Verhältnis stehen muß. Denn dann wirst du keinen Unmut<br />

empfinden, wenn du dich nicht mehr, als sich's gebührt, mit Kleinigkeiten beschäftigst.<br />

33.<br />

Einst gebräuchliche Worte sind jetzt unverständliche Ausdrücke. So geht es auch mit den<br />

Namen ehemals hochgepriesener Männer, wie Camillus, Rettete Rom von den Galliern. Käso,<br />

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