Marc Aurel: Selbstbetrachtungen (Viertes & Neuntes Buch)
Marc Aurel: Selbstbetrachtungen (Viertes & Neuntes Buch)
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17.<br />
Tue nicht, als wenn du Tausende von Jahren zu leben hättest. Der Tod schwebt über deinem<br />
Haupte. Der Mensch kann jeden Augenblick ein Opfer des Todes werden. Solange du noch<br />
lebst, solange du noch kannst, sei ein rechtschaffener Mensch.<br />
18.<br />
Wieviel Muße gewinnt der, der nicht darauf, was sein Nächster spricht oder tut oder denkt,<br />
sondern nur auf das sieht, was er selbst tut, daß es gerecht und heilig sei; sieh nicht, sagt<br />
Agathon, Agathon, ein Athener, Dichter vieler Tragödien, † um 400 v. Chr. die schlechten<br />
Sitten um dich her, sondern wandle auf gerader Linie deinen Pfad, ohne dich irremachen zu<br />
lassen.<br />
19.<br />
Wen der Glanz des Nachruhms blendet, erwägt nicht, daß jeder von denen, die seiner<br />
gedenken, bald selbst sterben wird, und so hinwiederum jegliches folgende Geschlecht, bis<br />
endlich dieser ganze Ruhm, nachdem er durch einige sterbliche Wesen fortgepflanzt worden<br />
ist, mit diesen selbst stirbt. Aber gesetzt auch, daß die, die deiner gedenken werden,<br />
unsterblich wären und unsterblich deines Namens Gedächtnis, welchen Wert hat denn das für<br />
dich, wenn du tot bist, oder sagen wir, selbst wenn du noch lebst? Was frommt das Lob, außer<br />
eben in Verbindung mit gewissen zeitlichen Vorteilen? Laß daher beizeiten jenes aufblähende<br />
Geschenk fahren, das ja nur von fremdem Gerede abhängt.<br />
20.<br />
Alles Schöne, von welcher Art es auch sein mag, ist an und für sich schön, es ist in sich selbst<br />
vollendet, und das Lob bildet keinen Bestandteil seines Wesens. Das Lob macht einen<br />
Gegenstand weder schlechter noch besser. Das Gesagte gilt von allem, was man im gemeinen<br />
Leben schön nennt, wie zum Beispiel von den Erzeugnissen der Natur und der Kunst. Was<br />
wahrhaft schön ist, bedarf keines Lobes, ebensowenig wie das Gesetz, ebensowenig wie die<br />
Wahrheit, ebensowenig wie das Wohlwollen, wie die Sittsamkeit. Wie könnte das durch Lob<br />
erst gut oder durch Tadel schlecht werden? Verliert der Smaragd an seinem Werte, wenn er<br />
nicht gelobt wird? Und ebenso das Gold, das Elfenbein, der Purpur, eine Leier, ein Degen,<br />
eine Blume, ein Strauch?<br />
21.<br />
Wenn die Seelen fortdauern, wie kann der Luftraum sie von Ewigkeit her alle fassen? – Aber<br />
enthält denn nicht die Erde die Körper derjenigen, die seit ebenso vielen Jahrhunderten<br />
begraben wurden? Gleich wie diese hier nach einiger Zeit des Aufenthalts infolge ihrer<br />
Verwandlung und Auflösung anderen Toten Platz machen, ebenso dauern auch die in den<br />
Luftraum versetzten Seelen dort eine Weile noch fort, Über die Unsterblichkeit der Seele<br />
waren die Ansichten der Stoiker verschieden. Nach einigen lebten nur die Seelen der<br />
Gerechten nach dem Tode fort; andere glaubten an die Fortdauer aller Seelen ohne<br />
Unterschied. werden dann verwandelt, zerstreut, geläutert, in den Grundstoff des Alls<br />
aufgenommen und machen auf diese Art den Nachkommenden Platz. Dies etwa könnte man<br />
auf die Frage nach der Fortdauer der Seelen antworten. Und hierbei muß man außer der<br />
Menge der also beerdigten Menschenleiber auch noch diejenigen der Tiere hinzurechnen, die<br />
täglich von uns und anderen Tieren verzehrt werden. Denn welch eine große Anzahl<br />
derselben wird nicht verbraucht, die gleichsam in den Leibern derjenigen begraben sind, die<br />
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