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Andrej Bitovs Uroki Armenii - Sarah

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Die Atmosphäre in der russischen Heimat wirkte für Mandel’štam besonders<br />

erstickend. Seit dem Frühjahr 1925 hatte er keine Gedichte mehr verfasst, sondern<br />

nur noch Prosawerke, Übersetzungen und Kinderbücher. Die Reise nach Armenien<br />

sollte ihn zu einem lyrischen Armenienzyklus inspirieren. 75 Im Frühling 1930 kam die<br />

Reise in den Kaukasus für ihn und seine Frau dank der Fürsprache N.I. Bucharins<br />

zustande. 76 Während zweier Monate weilten sie in Suchumi, fuhren von dort aus<br />

nach Armenien und schliesslich nordwärts nach Tiflis. Sein Reisetext Putešestvie v<br />

Armeniju entstand erst nach der Rückkehr zwischen 1931 und 1932.<br />

Im Vergleich zu Belyjs einfach nachvollziehbarer Reisechronologie, stellen die acht<br />

Kapitel Mandel’štams eine fragmentarische und sprunghafte Sammlung einzelner<br />

Aufsätze dar. Episodenhafte und anekdotische Erzählmomente kontrastieren mit<br />

Ausschnitten aus Briefkorrespondenz und Schilderungen der eigenen Wahrnehmung.<br />

„Nur drei der acht Kapitel haben – territorial gesehen – Armenien zum Gegenstand<br />

(Kap. 1, 7 und 8), eines Abchasien (Kap. 4) und vier Moskau (Kap. 2, 3, 5, und 6).“ 77<br />

Dies scheint somit mehr „eine Reise zwischen grammatischen Formen, Bibliotheken,<br />

Worten und Zitaten“ als eine Reise durch ein Land zu schildern. 78<br />

Der Reisetext erschien 1933 in der Zeitschrift Zvezda. Er galt als derartige Pro-<br />

vokation, dass der verantwortliche Redakteur der Zeitschrift daraufhin seine Anstel-<br />

lung verlor. 79 Seit den frühen 30er Jahren war die sozialistische Gleichschaltung auf<br />

alle Kunstbereiche angewendet worden. Im Namen eines sozialistischen Realimus’<br />

wurden ideologisch positive Helden, welche kollektive Interessen vertraten, gefordert.<br />

Ein klarer objektiver Stil sollte zum Verständnis unter den Massen beitragen. 80 Man-<br />

del’štams Lyrik und Prosa entsprach diesen Anforderungen mitnichten.<br />

Mandel’štam schien, im Unterschied zu Belyj, dem „socialnyj zakaz“ stärkeren<br />

Widerstand zu leisten. Gemäss Dutli strahlt von dieser aufgezeichneten Reise eine<br />

„wissende Heiterkeit“ aus. Spürbar sei das Bewusstsein, „dass der einmal gewählte<br />

75Vgl. das Nachwort Ralph Dutlis Lichtgewinn, Luftgewinn: Die Reise an den Ursprung. In der<br />

eigenen Übersetzung: Mandelstam, Ossip: Die Reise nach Armenien. (5. Aufl.) Frankfurt a/M.<br />

1997, S. 129-138.<br />

76Vgl. hierzu Sippl, S. 187-188. Bucharin (1888-1938) war ein bedeutender Theoretiker des Bolschewismus<br />

und hatte verschiedene Parteiposten inne. 1938 fiel er jedoch ebenfalls dem stalinistischen<br />

Terror zum Opfer.<br />

77Ebd., S. 189-190.<br />

78Šklovskij, Viktor, 1933 (o.A.). Zit. nach: Dutli, 1997, S. 136.<br />

79Vgl. Sippl, S. 188.<br />

80Vgl. Chances, Ellen: Andrei Bitov. The ecology of inspiration. In: Cambridge studies in Russian<br />

literature. Cambridge 1993, S. 4.<br />

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