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hier der Typ eines schornsteinlosen Kraftwerkes errichtet werden sollte. Das Bauensemble erhob sich über einem Grundriss, der sich aus den Gegebenheiten der Bauparzelle sowie gleichermaßen aus dem offensichtlichen Streben nach einer das Stadtbild bestimmenden Monumentalität ergab, was technisch sicher nicht unproblematisch gewesen wäre. Dabei wurde das mittig zur Straße hin liegende Maschinenhaus von zwei Seitenflügeln flankiert, in denen unter anderem die Verwaltung untergebracht werden sollte. Das Kesselhaus mit den integrierten drei Schornsteinen war hinter dem Maschinenhaus angeordnet. Der Kohlenbunker lag schräg hinter dem Kesselhaus. Aus dieser Anordnung ergab sich ein nach Volumen symmetrisch gestaffelter Baukomplex. Dabei überragten die ummantelten Schornsteinessen das Ensemble und markierten die zentrale vertikale Achse. Architektonisch gesehen, reihte sich das Gebäude in das neo-klassizistische Repertoire des NS-Regimes ein. Lediglich die durch Pfeiler strukturierten Fassaden verwiesen auf die industrielle Bestimmung des Gebäudes. Durch die auf der Zeichnung dargestellte Straßensituation wurde zudem die Maßstablosigkeit deutlich. Zwei weitere Entwurfszeichnungen von Issel aus dem Jahre 1935 sowie vermutlich aus den frühen 1940er Jahren zeigen ebenfalls vergleichbare Ansätze (Abb. 164, 165). Dass die Wahl für die Errichtung des Wilmersdorfer Kraftwerkes auf Werner Issel gefallen war, war kein Zufall. Immerhin baute er mit seinem Büro, das 1937 von <strong>Berlin</strong> ins anhaltische Ballenstedt verlegt wurde, für zahlreiche strategisch wichtige Industriebetriebe der Flugzeug- und Mineralölindustrie in Dessau, Bernburg, Schönebeck, Magdeburg, Pölitz und Brüx. 186 Außerdem schlug Albert Speer Werner Issel in dieser Zeit für die Fassadengestaltung von Verwaltungsbauten großer Industriekonzerne wie die der AEG oder der Maggi-Gesellschaft vor. 187 Sie sollten im Rahmen der Bebauungen der sogenannten Nord- Süd-Achse in <strong>Berlin</strong> errichtet werden (Abb. 166). Für den damaligen Kraftwerksbau konnten bislang nur wenige weitere Kraftwerksentwürfe gefunden werden, deren <strong>Architektur</strong> sich eines vergleichbaren nationalsozialistischen, neo-klassizistischen Habitus bediente. Es existiert beispielsweise ein anonymes Projekt für ein schornsteinloses Kraftwerk, das der Ingenieur Karl Schröder 1942 in der Zeitschrift des Verbandes Deutscher Ingenieure publizierte. Der Au- tor dieser Entwurfszeichnungen konnte nicht ermittelt werden. Zu dieser Art <strong>Architektur</strong> hieß es: „Die mit Absicht dem Nüchternen, ‚Industriebaumäßigen‘ abgewandte <strong>Architektur</strong> soll symbolisch die letzten Endes aus der Sonne geborenen Kräfte aus dem Rationalen ins Erhabene steigern.“ 188 Es zeigt sich demnach, dass die nationalsozialistische <strong>Architektur</strong>vorstellung, die vornehmlich im Bereich der öffentlichen oder Staatsbauten zum Ausdruck kam, auch im Kraftwerksbau umgesetzt wurde. Allerdings darf man feststellen, dass die in neo-klassizistischen Formen entworfenen Kraftwerksbauten die Ausnahme blieben. Sie entstanden zudem meist nur auf dem Papier, wie beispielsweise auch ein Entwurf für ein schornsteinloses Kraftwerk in <strong>Berlin</strong>-Schöneberg zeigt (Abb. 167). Eher setzte sich das Formenvokabular der späten 1920er Jahre durch, das allerdings kombiniert wurde mit Dimensionen, die den Maßstab Mensch nicht mehr berücksichtigten und auch sonst die Konzepte der Moderne nicht integrierten. 189 Abb. 162 Kraftwerk des Hydrierwerkes Gelsenkirchen, Ende 1930er Jahre Abb. 163 Entwurfszeichnung für das Kraftwerk <strong>Berlin</strong>-Wilmersdorf, Ring III/ Mecklenburgische Straße, 1942