Beispielseiten - JOVIS VERLAG Architektur Fotografie Berlin
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nen verwies. Paul Klopfer versteht in diesem Rahmen<br />
sogar die Turbinenhalle der AEG von Behrens<br />
und Bernhard als gotisch: „Im höchsten Sinne ist diese<br />
Fabrik dem gotischen Dom verwandt. […] Der<br />
tiefe Unterschied liegt in der Art, wie der Zweck,<br />
die Aufgabe, die da und dort die gleiche, nämlich<br />
der Kampf und die Überwindung der Erdenkräfte<br />
ist, erreicht wird. Dies geschieht im gewaltigen Kirchenbau,<br />
indem der Baumeister all sein Schaffen<br />
auf das Jenseits (transzendent) einstellt – dadurch<br />
gewinnt er erst die gewaltige Schwungkraft, die wir<br />
heute in den Gewölben und Bogen der Dome anstaunen.“<br />
101 Auch wenn in der Zeit vor 1914 bereits<br />
in Industriebauten, wie beispielsweise denen von<br />
Hans Poelzig, eine Art „wesenhafte“ Beziehung zur<br />
Gotik hergestellt worden war, rekurrierten andere<br />
Architekten im Fabrikbau zunächst auf formale<br />
Bezugspunkte. Erst 1917 stellt Karl Scheffler einen<br />
deutlichen Zusammenhang zwischen der Gotik<br />
und dem Technischen, Wirtschaftlichen und Industriellen<br />
her. Er bezieht sich hierbei jedoch weniger<br />
auf Detailaspekte, sondern eher auf die Erscheinungsform<br />
des Gebäudes als Einheit: „Auch in der<br />
Baukunst ist dem Klassizismus und Renaissancesismus<br />
des neunzehnten Jahrhunderts eine neue<br />
Gotik gefolgt. Sie äußert sich in dem Interesse für<br />
großbegriffene und symbolhaft gesteigerte Zweckbauten,<br />
die den Zug zum Weltwirtschaftlichen, der<br />
unserer Zeit eigen ist, verkörpern; sie äußert sich<br />
in einer neuen Neigung zum Kolossalen, Konstruktiven<br />
und Naturalistischen, in der entschiedenen<br />
Betonung des Vertikalen und der ungebrochenen<br />
nackten Formen. Gotisch ist das Ingenieurhafte<br />
der neuen Baukunst. […] Die Linienempfindung<br />
weist unmittelbar oft hinüber zum Mittelalter und<br />
zum Barock, ohne daß man aber von Nachahmung<br />
oder nur von Wahltradition sprechen dürfte. Das<br />
am meisten Revolutionäre ist immer auch das am<br />
meisten Gotische. Und die profanen Zweckbauten<br />
nehmen, wo sie ins monumentale geraten, wie von<br />
selbst oft Formen an, daß man an Fortifikationsbauten<br />
des Mittelalters denkt. Ein unruhiger Drang<br />
nach Mächtigkeit […] gewinnt in den Speicherbauten,<br />
Geschäftshäusern und Wolkenkratzern, in<br />
den Industriebauten, Bahnhöfen und Brücken Gestalt;<br />
in den rauen Zweckformen ist das Pathos des<br />
Leidens, ist gotischer Geist.“ 102 Als maßgebende<br />
Beispiele führt er verschiedene Bauten an, darunter<br />
die Frankfurter Gaswerke, 1910 errichtet von<br />
Peter Behrens, die Chemische Fabrik in Luban von<br />
Hans Poelzig sowie die südamerikanischen und<br />
kanadischen Silobauten. Allen gemeinsam ist das<br />
Plastische, Modellierte, Monumentale und vertikal<br />
nach oben Strebende.<br />
Weiter ausdifferenziert wird die Auseinandersetzung<br />
mit der Gotik in den 1920er Jahren. Wieder<br />
war es zuerst Poelzig, der die Gotikeuphorie der<br />
frühen 1920er Jahre kritisch auf ihren Inhalt hinterfragte<br />
und damit auch eine ideengeschichtliche<br />
Verbindung. Schließlich revidierte er 1922 sein euphorisches<br />
Gotikbekenntnis der Vorkriegszeit: „Gewiß<br />
ist in der Gotik, soweit das überhaupt möglich<br />
ist, eine Verwandtschaft der Auffassung mit dem<br />
Eisenbau da, aber die Gotik ist eben schon in der<br />
Vergewaltigung des Steines, dem Formwillen zuliebe,<br />
so weit gegangen, daß ein weiterer Schritt nicht<br />
mehr möglich ist, sondern ästhetisch zur völligen<br />
Auflösung und Formvernichtung und konstruktiv<br />
zum Einsturz führt. […] Der Vergleich wird rein<br />
formalistisch von der Einzelform her ad absurdum<br />
führen, struktiv ist er nicht unberechtigt, eben gerade,<br />
weil die Gotik über die lagerhafte Natur des<br />
Steins kühn hinweggeschritten ist, und weil ein<br />
großer Reiz der gotischen Bauten in der märchenhaften<br />
Unwahrscheinlichkeit, in der scheinbaren<br />
Überwindung der Materie und der Schwere des<br />
Steines liegt.“ 103 Eine entgegengesetzte Position<br />
hierzu nahm bereits 1919 Ludwig Hilberseimer<br />
ein, der die Gotik vor allem als Ausdruck der Einheit<br />
von Kunst und Kultur verstand und als nahezu<br />
überzeitliche Logik definierte: „Die höchste Einheit<br />
verkörpert die Gotik in der Kathedrale: eine kristallisierte<br />
Idee von konsequenter Folgerichtigkeit.<br />
Alles irgendwie Dekorative unmöglich machend.<br />
Vehemente Entlastung seelischer Spannungen.<br />
Grandioses phantastisches Sichauftürmen. Innigstes<br />
Gefühl vergöttlicht, entmaterialisiert die Materie.<br />
Läßt alles Schwere vergessen.“ 104<br />
Wie gestaltete sich vor diesem Hintergrund in den<br />
1920er Jahren die praktische Auseinandersetzung<br />
mit dem „Geist der Gotik“ beim Bau von Elektrizitätszentralen?<br />
Erste Beispiele für eine mögliche<br />
Gotikrezeption bei Kraftwerken wurden in den<br />
1921 begonnenen Planungen zum Bau des Kraftwerkes<br />
Borken in Hessen sichtbar, das gleichzeitig<br />
auch klassizistische Tendenzen verarbeitete. Es<br />
wurde bis 1923 von der AEG in Zusammenarbeit<br />
mit Klingenberg und Issel realisiert. Das Maschinenhaus<br />
sowie der das Kesselhaus flankierende<br />
Arkadengang scheinen sich noch am ehesten an<br />
145<br />
Abb. 124<br />
Ansicht des<br />
Verwaltungsgebäudes<br />
und des<br />
Hilfsmaschinenhauses<br />
des Kraftwerkes<br />
Klingenberg, 1928