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DIE ANDERE MEINUNGder Freitodhilfe ist komplizierter als dasbeihilfe unter Umständen sogar einGebot der Fürsorge zu sein. Auf der anderen Seite sollte auchdas Selbstbestimmungsprinzipnicht überzogen und verabsolutiertwerden. Die Urteilsfähigkeit derMenschen mit Suizidabsichten kanneingeschränkt sein. Dann fehlt zurSelbstbestimmung die Fähigkeit,sich Ziele zu setzen und diese zuverfolgen. Grundsätzlich müsstedas Konzept der Selbstbestimmungkonkretisiert werden in Richtungrationale Selbstbestim mung. Dennich gehe davon aus, dass der Einzelnenicht nur selbstbestimmt handelnwill, sondern auch rational; d. h.,dass er sein Handeln vor sich selbstund anderen begründen kann. Suizidbeihilfedürfte folglich nur bei rationalerSelbstbestimmung geleistetwerden. Dabei muss unterschiedenwerden zwischen theoretischer undpraktischer Rationalität: Die theoretischebezieht sich auf Meinungen,die dem Suizidwunsch zugrundeliegen. In Frage kommen also Meinungenüber sich selbst, über die eigeneLebenssituation und Zukunftsperspektive.So kann sich jemandüber seinen Gesundheitszustandtäuschen, weil er sich einbildet, anKrebs erkrankt zu sein. Wünscht jemandSuizidbeihilfe aufgrund einerKrankheit, wären daher zwei unabhängigeärztliche Gutachten einzuholen.Und die praktische beziehtsich als prudentielle Rationa litätauf das persönliche Wohl ergehender suizidalen Person oder aberals moralische Rationalität auf dasWohlergehen aller vom Suizid Betroffenen.Bezüglich der prudentiellen Rationalitätkann man sich darüberirren, dass ein glückliches Lebennicht mehr möglich ist. Oft entscheidetsich jemand für den Tod,weil er glaubt, wichtige Lebenszielenicht erfüllen zu können, ohne dieer nicht glücklich werden kann.Man denke an einen Wissenschaft-ler, der seine Denkkraft verliert,nicht mehr forschen kann, oder aneinen Konzertpianisten, der seinLeben der Musik verschrieben hatund infolge Unfalls nicht mehr Klavierspielen kann. Vielleicht blendetein verzweifelter Mensch abermögliche positive Handlungszieleaus (typischer Tunnel-Blick von Depressiven)oder übersieht, dass dieanvisierten Lebensziele gar nicht sozentral sind. Man rekurriert dann inder Philosophie gern auf die Figurdes neutralen Beobachters, der diegesamte Lebenssituation überblicktund über viel Lebenserfahrungverfügt, sodass er Vergleiche mitMenschen in ähnlichen Lebenssituationenanstellen kann. Bezüglichdes verunfallten Pianisten könnteer auf Robert Schumann verweisen,der in ähnlicher Situation sein Interesseam Klavierspielen auf eingrundlegenderes an der Musik zurückführteund als Komponist seinGlück machte.Eindeutig rational und gut begründeterscheint ein Suizidentschlusshingegen in einer hoffnungslosenausweglosen Situation.In einer Lebenssituation, die sichauch vom neutralen Standpunkt ausgesehen in sämtlichen Lebensbereichenunaufhaltsam und irreversibelverengt und einen auch langfristignicht stillbaren, physischenSchmerz oder psychischen Leidensdruckerzeugt. Sie dürfte in vielenFällen einer schweren, unheilbarenphysischen oder psychischen Erkrankungvorliegen.Hinsichtlich moralischer Rationalitätwäre ein Suizid verwerflich,wenn er gegen das ethische Prinzipgegenseitiger Rücksichtnahme verstösst.Man müsste also die Konsequenzenseines Suizids für alleBetroffenen bedacht haben. Dazuzählen psychische Nachteile wieSchmerzen oder Schuldgefühle,aber auch praktische wie materielleNot. Besonders schwerwiegend istder Verstoss gegen soziale Pflichten,zum Beispiel die Fürsorgepflicht derEltern gegenüber Kindern. In einersorgfältigen Güterabwägung müssteder eigene Leidensdruck gegendie Nachteile der Hinterbliebenengeprüft werden.* * *Grenzt man die Prinzipien Selbst bestimmungund Fürsorge der gestaltein, erweisen sich die auf den erstenBlick kontradiktorischen Positionenals vermittelbar. Anstelle einfacherGebote oder Ver bote gestaltetsich eine ethische Bewertung desEinzelfalls allerdings komplizierter:Suizidbeihilfe wäre ethischlegitim, wo ein gut durchdachter,rationaler Suizidwunsch vorliegtund die Probleme des suizidalenMenschen durch medizinische undpsycho-soziale Hilfe nicht gelöstwerden können. Gegen die ethischeund rechtliche Legalisierung derSuizidbeihilfe führt man zwar immerwieder die Missbrauchsgefahr(«Geschäft mit dem Tod»), die Gefahrdes sozialen Drucks auf Ältereund Behinderte oder auf Ausweitungan (erst nur in Ausnahmefällenbei Schwerstkranken, dann beipsychisch Kranken, Behinderten,Alten). Solche Argumente stellenaber keine prinzipiellen Einwändegegen Suizidbeihilfe dar, sondernnur gegen eine un kontrollierte undwillkürliche Praxis.Es müsste daher gelingen, dankstaatlicher Kontrolle die benanntenGefahren zu bannen. Zu prüfenwäre der Ausschluss eigennützigerMotive und die Wahrung höchsterSorgfaltspflicht bei der Abklärung,ob der Suizidentscheid rational undmitmenschliche Hilfe ausgeschlossenist. Gleichzeitig wäre in öffentlichenDiskussionen Toleranz undSolidarität gegenüber denjenigen zufördern, die trotz widriger Lebensumständeweiterleben möchten.EXIT 4/2008 13

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