12.07.2015 Aufrufe

Hans Josephsohn - Zeit Kunstverlag

Hans Josephsohn - Zeit Kunstverlag

Hans Josephsohn - Zeit Kunstverlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Hans</strong><strong>Josephsohn</strong>Dass dabei <strong>Josephsohn</strong>s Werk die Unruhe des Misslingens insich enthält, ist kaum verwunderlich. Der Bildhauer arbeitet ausdem grundlegenden Dilemma der Moderne: der Handlungsverhinderung,etwas zu wissen und es nicht zu tun, etwas zu wollenund es mit dem eigenen Handeln zu unterbinden. Er hat das gebrocheneBewusstsein der Moderne, die nicht schliessbare Kluftder Selbstentfremdung mit lapidaren Worten selbst formuliert:Sein Paradox als Bildhauer sei es, »einem geliebten Menschenin fünf Metern Entfernung gegenüberzustehen und nicht zu handeln,sondern Plastiken zu machen«. Kunst ist da dem Verzichtauf Leben abgerungen, sie nutzt es als Startrampe, um in ihreneigenen Bereich zu gelangen. Das Werk löst sich vom Leben ab,begibt sich in eine eigene, vielleicht parallele, vielleicht elliptischeUmlaufbahn, von der aus es nicht aufhören kann, über dasLeben zu sprechen.Diese Differenz lässt sich nur überbrücken in der fortgesetztenInteraktion einer Wahrnehmung. Dem Bildhauer wie dem Betrachterzeigt sich die Figur als eine Vielfalt aus Blickbeziehungen,aus Gleichgewichtsverschiebungen und prekären Balancen,als ein Versuch, den Fluss der Vorstellungen von Figur, denein Gegenüber auslöst, in die Form einer Skulptur zu bringenund dabei all das zu bewahren, was diese reale Begegnung ausmacht:das Vorläufige, Augenblickhafte, das ständige Wechselndes Fokus und der Randzonen des Blicks, die Bewegungen derAugen, die Gefühle, die sich mit jeder neuen Sicht verändern,differenzieren, präzisieren oder ermüden, die Assoziationen, diesie wachrufen und die sich ihrerseits mit Erinnerungen verbinden,welche wiederum ihre eigenen Stimmungen tragen. All dieseschnellen, leichten Bewegungen der Sinne und des Bewusstseinssuchen nach einem Ausdruck, nach einem Äquivalent inder scheinbar doch so statischen Skulptur. Jede von ihnenüberbrückt den Spalt im Bewusstsein und hält ihn zugleichwach. Versöhnung und Gefährdung geben sich gewissermassendie Hand. Jeder Blick ordnet diese irritierenden Volumen undOberflächen für sich neu, setzt andere Partien und Linien zueinanderin Bezug, gleicht Verschiebungen anders aus, findet weitereKorrespondenzen, die sich von früheren abheben, lässt einGesicht, einen Körper, eine Haltung noch einmal auf überraschendeWeise erstehen und zu uns sprechen.Je unendlicher diese Möglichkeiten sind, je unabschliessbarerdieser Vorgang des Sehens wird, desto mehr entziehen sichmerkwürdigerweise diese Figuren, desto mehr verdichten siesich, desto unnahbarer, geheimnisvoller werden sie. Sie verweigerneine schnelle Festlegung, je länger wir sie betrachten, destomehr fordern sie von uns Qualitäten wie Geduld, Sorgsamkeit,Unsicherheit, die wir ansonsten vielleicht nicht gern zeigen.In der Wahrnehmung dieser Menschenbilder können wir erfahren,wie wir einander auch noch wahrnehmen könnten. Es istnicht zuletzt diese Fragilität, diese Verweigerung von These undBelehrung, dieses Zurückverwiesensein auf die eigenen, endlichenFähigkeiten, das heute an diesem Werk fasziniert.Anmerkungen1 Alle Zitate stammen, soweit nicht anders gekennzeichnet,von <strong>Hans</strong> <strong>Josephsohn</strong>. Er hat siein Gesprächen geäussert, die der Verfasser mitdem Bildhauer geführt hat.2 <strong>Josephsohn</strong>, Monografie mit Aufnahmen vonJürg Hassler, ABC Verlag, Zürich 1981.3 Vgl. etwa Rosalind Krauss, die in diesem Zusammenhangin Passages in Modern Sculpture, NewYork 1977, die transitorischen Aspekte zwischenräumlicher und temporaler Dimension zum zentralenKriterium für die Skulptur der Moderne des20. Jahrhunderts macht. Oder im Hinblick aufdie verwendeten Materialien Monika Wagner,Das Material der Kunst. Eine andere Geschichteder Moderne, München 2001.4 Erich Brändle, „<strong>Hans</strong> <strong>Josephsohn</strong>. Bemerkungenzu seinem Werk“ in: <strong>Hans</strong> <strong>Josephsohn</strong>, KatalogHelmhaus Zürich, 1997.FotonachweisAbb. 15Alle anderen AbbildungenKunsthaus Aarau/Fotostudio Jörg MüllerGeorg GiselGerhard Mack, geboren 1956,Redakteur für Kunst und Architekturbei der NZZ am Sonntag,Zürich. Verschiedene Publikationenzu Architektur, Kunst, Literaturund Theater. Unter anderem:»Kunstmuseen: Auf dem Weg ins21. Jahrhundert«, Oeuvres complètesder Architekten Herzog &de Meuron, bisher 3 Bände, sowieMonografien zu <strong>Hans</strong> <strong>Josephsohn</strong>und Rémy Zaugg.11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!