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Hans Josephsohn - Zeit Kunstverlag

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Martin SchneiderANLÄUTEN – Aus Telefongesprächen mit <strong>Hans</strong> <strong>Josephsohn</strong>Kindermädchen und KakteenMartin Schneider: Wie und wann ist eigentlich Ihre Liebe zurKunst und zur Bildhauerei geweckt worden?<strong>Hans</strong> <strong>Josephsohn</strong>: Als mein Bruder auf die Welt gekommen ist,haben meine Eltern ein Kindermädchen engagiert, das hat sichmit dem Kleinen, dem Säugling, beschäftigt. Ich sehe mich nochauf dem Sofa hin- und herhüpfen, wie einen Ball rauf und runterund höre mich schreien, dass ich mich langweile. In Wirklichkeitwar ich natürlich eifersüchtig. Das Kindermädchen hat mir dannPlastilin gebracht und seitdem ist Friede eingekehrt.M. S.: Wie alt waren sie damals?H. J.: Vier. Und dann hab ich Kakteen modelliert.M. S.: Was haben Sie modelliert?H. J.: Kakteen! Es gibt doch Kakteen, die solche Flächen haben.Später, weil ich immer in den Zoo gegangen bin, Elefanten. Diehatten so schöne dicke Beine, da hab ich kein Gerüst gebraucht,die sind einfach so stehen geblieben. Schließlich habeich einen ganzen Zoo modelliert und später, bei meinem preußischenPatriotismus, Soldaten und den Hindenburg und, zumEntsetzen meines Vaters, den Hitler, als er an die Macht gekommenist, weil ich den in der <strong>Zeit</strong>ung gesehen hab. So ist das weitergegangen.M. S.: Wann hat sich das bei Ihnen verfestigt?H. J.: Wahrscheinlich hängt das schon auch mit der ganzen Nazigeschichtezusammen, wenigstens auf indirekte Weise, halteich das für gut möglich. Ich konnte ja nicht nach außen gehendamals und mich wehren. Vielleicht habe ich deshalb, weil ichnicht zuschlagen konnte, alles nach Innen nehmen und den Widerstandinnen aufbauen müssen.Immer das SchlimmsteH. J.: Ich stell mir immer das Schlimmste vor. In jeder Situationkomm ich immer auf das Unbequemste oder Schlimmste unddenke nicht, es wird schon gehen.M. S.: Wie kommt das?H. J.: Entweder ist das einfach so von Natur aus, vererbt, oder,das nehme ich an, es kommt vom Abstieg meiner Familie in derNazizeit. Der soziale Abstieg war für einen jungen Mann fast unerträglich.Immer noch ein Zimmer mehr musste vermietet werden– und noch ein Zimmer.M. S.: Die Eltern hatten ein Haus?H. J.: Nein, eine große Wohnung mit sechs Zimmern und amSchluss sind alle im Schlafzimmer gehockt. Da bin ich dannnach Florenz gegangen. Das war natürlich eine wahnsinnige Befreiungaus dieser Situation. Vor allem die Hilflosigkeit meiner Eltern,das ist ganz schlimm gewesen, ganz schlimm.M. S.: Das haben Sie noch gar nicht erzählt.H. J.: Das ist losgegangen 1932/33. Fünf Jahre lang hab ich dasmit angesehen. Mein Vater hat einfach keine Ware zum Verkaufenmehr zugeteilt bekommen. Es gab immer scheinbar solchkleine Lichtblicke, und die erloschen dann gerade wieder. Dashat mich sicher weitgehend geprägt. Die Hilflosigkeit der Leutedurch den sozialen Abstieg und der moralische Zusammenbruch,der damit einherging, das war schlimm.Ich erinnere mich, als die Deportationen waren, hab ich gedacht:Wenn ich einmal umgebracht werden sollte, will ich wenigstenswissen warum. Die Leute sind damals in Deutschland, soweitich das gesehen habe, einfach von Unglück zu Unglück gestoßenworden und haben gar nicht versucht, diesen Vorgangzu kapieren. Damals hab ich mir geschworen, dass ich wenigstensein bisschen um mich schau.ItalienH. J.: Loro Ciuffenna in der Toskana, wo ich im Sommer 1938drei Monate war, empfinde ich heute noch mehr als meine Heimatals Königsberg. Da war ich eben einfach daheim, da war ichglücklich. Ich wurde sehr freundlich angeschaut, und es gab garkeine Unterschiede, wenigstens so weit ich es verstanden habe.M. S.: Wann ist es mit der Bildhauerei ernst geworden?H. J.: Erst, als ich hier in Zürich zu Otto Müller gekommen bin,dem hab ich das schon zu verdanken. Ich hab damals immergeschrieben, Gedichte im Stil Stefan Georges. UnglaublichesZeugs. Ich hab das alles vernichtet. Dann bin ich zu Müller gekommen,und der hat lange <strong>Zeit</strong> erzählt, wie ich erschienen binmit einer Bäckerhose, das war damals modern, schwarz-weißgestreift und mich tief verbeugt habe, so wie wir das in Deutschlandgelernt haben, und ihm irgendein Empfehlungsschreibenüberreicht habe. Kurze <strong>Zeit</strong> später hätte ich eigentlich ein Stipendiumnach Paris gehabt. Ich hab in Paris weitermachen wollen.Aber das Visum ist nicht rechtzeitig angekommen vorKriegsausbruch. Wenn der Krieg einen Monat später ausgebrochenwäre, wäre ich nach Paris gegangen. Dann habe ich für einenVerein, nach einem Foto in einem Buch, überlebensgroßden Kopf von Augustin Keller machen müssen, einem Mann, derbei der Judenemanzipation eine Rolle gespielt hat. Und bei dieserArbeit hat Otto Müller plötzlich gesagt: Hören Sie zu, werdenSie Bildhauer. Es war einer der großen Momente in meiner Jugend,dass einer so eindeutig so was gesagt hat.Man hat unbemerkt Vorbilder gehabt, die man geschätzt hat. Beimir war es vor allem Maillol, der französische Bildhauer. Der hathier in der Schweiz eine große Bedeutung gehabt, sicher auchnoch der Deutsche Lehmbruck und einige andere, vor allem aberMaillol. Es war damals einfach so: Wenn eine Frau üppig war,war sie ein gutes Modell. Das ist natürlich Unsinn. Es kommt aufdie Maße an und eine schlanke Frau kann genauso interessantsein für einen Bildhauer. Ich habe mir dann archäologischeSammlungen angeschaut, habe viel probiert, viel gezeichnet.Das ist ein ganz langsamer Prozess gewesen. Aber es geht nurdurch die Arbeit selber. Von außen kann man gar nichts machen.14

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