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Hans Josephsohn - Zeit Kunstverlag

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sich der junge Bildhauer langsam absetzt. In der zweiten Hälfteder 1940er Jahre reduziert er die Figur, bis sie geometrischeFormen annimmt, im Extremfall zur kantigen Stele wird und wieeine Reaktion auf die Durchsetzung der Abstraktion als universalerKunstsprache des Westens erscheint. Die behutsame,über viele Jahre andauernde Entwicklung zeigt jedoch, dassdieser Eindruck trügt. Die merkwürdige Mischung aus Geometrisierungder Volumen und Vermeidung einer korrekten Geometriezielt auf eine Zusammenfassung des Körpers, auf eine Konzentration,die, wenn überhaupt, einen Nachhall auf diefrühägyptische Skulptur in sich trägt.Reduzierte FigurViel näher als den Wendungen der internationalen Kunstentwicklungsteht die Reduktion der Figur dagegen den Reliefs, mitdenen <strong>Josephsohn</strong> ganz aus dem zeitgenössischen Kunstkontextheraustritt. Eine Sitzende liest ein Buch oder hält ein Kindauf dem Schoss. Mal befindet sich die Figur alleine im Reliefraum,mal hat sie Kommode und Spiegel als Gegenüber. Oderein Paar sitzt in prekärer Gemeinsamkeit an einem Tisch. Essind schlichte zwischenmenschliche Szenen, die durch die Reduktionder Gestaltung ihre Intensität gewinnen. Flächen werdenmit den Figuren in dialogische Verhältnisse und Balancengebracht. Eine Gruppe von teilweise sehr grossen Reliefs gibtmit Chiffren für Häuser, Vögel, Gefahrenpfeile und (teilweise tote)Menschen der allgemein spürbaren Angst vor einem Übergreifendes Koreakriegs auf Westeuropa sowie dem Aufatmennach dessen Beendigung Ausdruck und stellt eine singuläre Reaktiondes Bildhauers auf ein zeitgeschichliches Ereignis dar.Mit ihr kommt die Phase der Reduktion 1953 zu ihrem Ende.Bevor die gefundene Bildsprache ins Dekorative abrutscht undendlos vervielfältigbar wird, wendet <strong>Hans</strong> <strong>Josephsohn</strong> sich erneutder vollen Plastizität zu und schafft eine Reihe von bekleidetenFiguren. Zu ihnen zählt die überlebensgrosse Skulpturnach einem Arbeiter in zerbeulten Hosen, die einen Typus desgelassen und still Vereinzelten schafft, der ganz ohne existentialistischesPathos auskommt. 1959 beginnt <strong>Josephsohn</strong> damit,gestalterische Entwicklungen, die er in der freistehenden Plastikvollzogen hat, ins Relief umzusetzen.Dabei entwickelt <strong>Hans</strong> <strong>Josephsohn</strong> eine räumliche Bildspracheaus möglichst einfachen Elementen. Eine kleinere Figur ist unwichtigerals eine, die mehr Raum beansprucht, oder sie ist innerhalbeiner anderen Figur situiert; eine Person kann im selbenRelief mehrere Positionen einnehmen, ein Sockel erhöht jemanden,wie es auch der Volksmund weiss. Die Platte des Reliefssetzt die Grenzen der jeweiligen Welt, die gelegentlich überschrittenwerden. Wie die Akteure im Raum positioniert sind,formuliert ihr Verhältnis zueinander. Wer also näher beieinanderist, hat mehr miteinander zu tun; wer sich auf Augenhöhe befindet,tritt dem anderen auch so gegenüber; wer allein steht, istoder fühlt sich isoliert. Eine Figur, die angeschnitten am Randsteht, ist nicht ganz präsent, physisch und in ihrer Wirkung. Werwegschaut, wendet sich ab; es gibt Figuren, die handeln, solche,die schauen, und solche, die auf einem Relief beide Haltungeneinnehmen; ein Kopf am unteren Rand ist fast immer einBeobachter, der sich gerade noch in Bezug zum Geschehenbefindet. Eine Figur, die auf dem Kopf steht, hat getäuscht. Hatjemand wenig Platz, so ist sein Spielraum beengt, vielleichtdurch die Situation, weil architektonische Elemente, insbesonderehorizontale oder vertikale Balken, einen Gutteil der Flächein Anspruch nehmen, vielleicht von Figuren, die grösser sindoder den Raum abschneiden. Und wenn es ganz eng wird, kannschon einmal eine quaderähnliche Form oder eine Art Pfeil aufjemandem lasten, wie er zuerst in den flachen Reliefs aus der<strong>Zeit</strong> des Koreakriegs Verwendung fand, oder eine Person kannsich unterhalb eines Balkens befinden, auf dem eine grosse Figursteht, wie auf einem ungegossenen Relief aus den spätensechziger Jahren. Allein eine solche Aufteilung des Raumsmacht die Last physisch spürbar, die der unten trägt, die Enge,die Luftnot, unter der er leidet, wie in einem Verliess, dessenDecke sich langsam herabsenkt. Wenn bei einer anderen Variantedieser Anordnung unten nurmehr der Kopf als runde Formzu sehen ist, hört man fast schon den Schädel splittern, wennein grosser Block sich auf die Liegende herabsenkt, die ihrerseitsauf diesem Kopfrund aufliegt. In einer Reihe kleinerer Formateerprobt <strong>Josephsohn</strong> ab 2002 das räumliche Vokabular ineinem Dialog aus Kreuz und einer Figur. In den Reliefs der letztenJahre gewinnen die Formen eine zunehmend massigere,fast barocke Dynamik.Prekäre BeziehungenÄhnlich wie die Elemente kehren auch die Themen dieser Reliefswieder und geben Gelegenheit zu vielfältiger Variation,nicht nur weil der Anspruch des eigenen Erlebens dem BildhauerGrenzen setzt, sondern weil die Möglichkeiten plastischerGestaltung am besten am überschaubaren Material verdeutlichtwerden können. Waren es bei den Relieffriesen der Assyrer undder Griechen die immer gleichen Sujets des Herrscherlobs undder Mythologie, so sind es nun die Situationen privater Begegnung.Badezimmerszenen kehren über die Jahrzehnte immerwieder, jedesmal mit anderem Gehalt, in anderer plastischerGestalt. Da steht eine Figur im Bad, eine andere zieht sichzurück, weil ihr die, die den Raum besetzt hält, zu gross ist, undeine dritte wendet sich ab, vielleicht weil sie diese Verdrängungnicht mit ansehen möchte, aus Schuldbewusstsein, aus Mitgefühl,aus Ratlosigkeit. Motive und somit Geschichten sind gera-6

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