Studium und Arbeitstechniken der Politikwissenschaft
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663 Was sind politikwissenschaftliche Probleme?Als letztes Beispiel in diesem Feld mag die Umweltpolitologie, <strong>der</strong>en Vertreterdas Interesse an <strong>der</strong> Sicherung <strong>der</strong> für Menschen erträglichenUmweltbedingungen teilen, aber unterschiedliche Wege dorthin vorschlagen.Auch hier werden Expertisen, wie z. B. dem Klimawandel effektiv zu begegnensei, von Politikern aufgegriffen <strong>und</strong> in Politik umgewandelt. Erst in einigenDekaden werden wir sehen, ob die CO 2 -Reduktion ausreicht o<strong>der</strong> großeInvestitionen in die Speicherung von CO 2 sinnvoll waren <strong>und</strong> insgesamt das Zieleiner nachhaltigen Politik erreicht wurde (s. Simonis 2009).Ziele <strong>der</strong> ForschungAn den vorgebrachten Beispielen zeigt sich auch, dass <strong>Politikwissenschaft</strong>lerunterschiedliche Forschungsinteressen haben, nicht nur thematisch, son<strong>der</strong>n auchdamit, was sie mit ihrer Forschung erreichen möchten. Das Erklären <strong>und</strong>Verstehen von Politik, also das akademische Interesse, die wissenschaftlicheNeugier, schreiben wir den <strong>Politikwissenschaft</strong>lern als Gr<strong>und</strong>lage zu. Aber:Reicht das, o<strong>der</strong> gibt es nicht weitere Interessen? Dies kann, wie bei <strong>der</strong>Grün<strong>der</strong>generation <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esdeutschen <strong>Politikwissenschaft</strong> in den 1950er Jahren,die kritisch-wissenschaftliche 18 Begleitung <strong>und</strong> Unterstützung eines gewünschtenPolitikprozesses, einer politischen Organisation wie dem Staat o<strong>der</strong> einer Parteio<strong>der</strong> politischer Programme sein (hier: <strong>der</strong> Durchsetzung demokratischerStrukturen in Deutschland). Eine zweite Möglichkeit ist, herrschende politischeVerhältnisse zu kritisieren <strong>und</strong> eine verän<strong>der</strong>te Politik o<strong>der</strong> sogar ein an<strong>der</strong>espolitisches System zu for<strong>der</strong>n, wie dies Wissenschaftlern aus <strong>der</strong> Dritten Weltwährend <strong>der</strong> Unabhängigkeitsbestrebungen taten. Sie wurden zum größten Teil inden Kolonialstaaten geschult, <strong>und</strong> ihnen wurde dabei die Unausweichlichkeitdieser Situation beigebracht. Davon emanzipierten sie sich, <strong>und</strong> sie entwickelteneigene Modelle, die auch politisch wirksam wurden <strong>und</strong> zur Unabhängigkeit ihrerLän<strong>der</strong> führten.Diese bedeutsame Frage stellt sich schon Studierenden: Was wollen Sie als<strong>Politikwissenschaft</strong>ler erreichen? Ist es für Sie ein Brotberuf wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e?Reicht es Ihnen, Politik verstehen <strong>und</strong> erklären zu können? O<strong>der</strong> möchten Siemitgestalten o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>n? Es ist eine Aufgabe <strong>der</strong> Studierenden <strong>der</strong><strong>Politikwissenschaft</strong> zu lernen, sich in dem Geflecht von theoretischen Positionen,den untersuchten Interessenlagen <strong>der</strong> Politik sowie <strong>der</strong>en Einwirkung auf dieEntwicklung <strong>der</strong> <strong>Politikwissenschaft</strong> orientieren zu können. Voraussetzung dafürist, dass die Studierenden sich ihrer eigenen politischen <strong>und</strong> politikwissenschaftlichenInteressen bewusst werden. Das <strong>Studium</strong> <strong>der</strong> <strong>Politikwissenschaft</strong>ist ohne Selbstaufklärung kaum möglich <strong>und</strong> verlangt die Entwicklungeiner eigenen politikwissenschaftlichen Position, die ihrerseits ohne eine reflektiertepolitische Position nicht zu gewinnen ist. Sie dürfen sich nicht <strong>der</strong> Illusionhingeben, dass das von <strong>der</strong> <strong>Politikwissenschaft</strong> erarbeitete Wissen, das Ihnen vonden Lehrenden didaktisch aufbereitet <strong>und</strong> versachlicht dargeboten wird, objektiver18 Die Begriffswahl orientiert sich an Habermas 1978: 155 ff.