CAMPUSKleiner Bahnhof, ganz großIllustration: istockphoto.com – LeonturaDer Industriepfad in Düsseldorf-Gerresheim,ein Museumsprojekt und ein StipendiatenbesuchVON ROLF WILLHARDTIm historischen Bahnhof Düsseldorf-Gerresheim, direktneben dem Gelände <strong>der</strong> 2005 geschlossenen berühmtenGlashütte, soll das Mobilitätsmuseum Düsseldorf entstehen.Es bildet neben den Resten einer Ziegelei an <strong>der</strong> BergischenLandstraße die Ankerpunkte des „IndustriepfadsDüsseldorf“. Einer <strong>der</strong> Initiatoren und Ideengeber des Projektesist <strong>der</strong> Historiker Dr. Peter Henkel.„Man muss sich das einmal vorstellen: Um 1900 war Düsseldorfdie boomende Stadt im Deutschen Reich schlechthin.Durch die Industrialisierung strömten Menschen aus allenRegionen ins Rheinland und nach Düsseldorf. Um 1905 warenvon <strong>der</strong> Bevölkerung hier über 70 Prozent nicht mehr in<strong>der</strong> Stadt geboren.“Dr. Peter Henkel (37) ist Landeshistoriker und Hochschuldozent.Er studierte Neue Geschichte, Osteuropäische Geschichteund Politikwissenschaften an <strong>der</strong> Heinrich-Heine-Universität,wo er auch den Doktorgrad erwarb. Ermöglicht wurde seinPromotionsstudium durch die „Grün<strong>der</strong>stiftung“, doch dazuspäter mehr. 2006 stellte Henkel die Idee eines „Industriepfades“in Gerresheim erstmals <strong>der</strong> Öffentlichkeit vor. DieSchließung <strong>der</strong> Gerresheimer Glashütte – ehemals <strong>der</strong> weltgrößteFlaschenproduzent – und <strong>der</strong> drohende Abriss desletzten Düsseldorfer Ringofens (in Düsseldorf gab es um 1900über 40 große und 300 kleine Ziegeleien!) waren Anlässe,dass sich die Gerresheimer für ihre Geschichte mobilisierenließen.Bald fanden sich Interessierte, die sich 2008 zu einem För<strong>der</strong>kreis„Industriepfad“ zusammenschlossen. Vorsitzen<strong>der</strong> istbis heute <strong>der</strong> bekannte Schweizer Architekt (unter an<strong>der</strong>emRheinuferpromenade) und bekennende Wahl-GerresheimerNiklaus Fritschi. Das Konzept: 20 Stationen mit Informations-Stelen erinnern an die wechselvolle Geschichte des Stadtteils.Zentrale Themen sind natürlich die Industrie, die Fabriken, dieGlashütte, die Drahtziehereien, die Ziegeleien und die Seidenweberei.Gerresheim galt als <strong>der</strong> Düsseldorfer Arbeiterstadtteilschlechthin. Mit entsprechenden politischen Begleiterscheinungen:Gerresheim war traditionell „rot“, eine Hochburg <strong>der</strong>Sozialdemokratie, später dann <strong>der</strong> Kommunisten.Die Glashütte stellte ihren Arbeitern, den Krupps in Essenvergleichbar, ein umfangreiches soziales Fürsorgesystem zurVerfügung: ein Altersversorgungswerk, preiswerte Einkaufsmöglichkeiten,eine Badeanstalt und vor allem preiswerteWerkswohnungen mit Möglichkeiten zur Kleinviehhaltung.Die alten Siedlungshäuschen, zum Großteil liebevoll renoviert,sind als „Arbeitersiedlung Neustadt“ eine <strong>der</strong> Pfadstationen.For<strong>der</strong>ten die Arbeiter indes mehr Lohn und wurdeWirtschaftsgeschichte ist auchimmer Sozialgeschichtegestreikt, kannten die Fabrikanten wenig Mitleid: Als seineGlashüttenarbeiter 1901 die Arbeit nie<strong>der</strong>legten, engagierteHermann Heye kurzerhand Streikbrecher aus dem ukrainischenOdessa. Den Deutschen wurde gekündigt, sie musstendie Wohnungen verlassen und standen mit ihren Familienzu Hun<strong>der</strong>ten auf <strong>der</strong> Straße, erzählt Henkel. Wirtschaftsgeschichteist auch immer Sozialgeschichte.Das Interesse <strong>der</strong> Bevölkerung am Industriepfad ist groß.Zum letzten „Tag des offenen Denkmals“ kamen 500 Besucherin den Bahnhof; als die Sanierung <strong>der</strong> Ringofenanlage <strong>der</strong> Ziegeleibesichtigt werden konnte, wurden an einem Tag über600 Geschichtsinteressierte gezählt. Das von Peter Henkelherausgegebene, höchst lesenswerte Buch über den Indus-14 Magazin 4 | 2012
CAMPUSFoto: Mahn- und Gedenkstätte <strong>der</strong> Landeshauptstadt DüsseldorfEine selbstbewusste Arbeiterbewegung war inGerresheim immer präsent. Das Bild zeigt einenUmzug von Arbeitersportlern in den 20er Jahrendes 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Gerresheim war im DrittenReich ein Zentrum des kommunistischen Wi<strong>der</strong>standes.„Mobilität“ als Gesellschaftsgeschichtetriepfad, 2009 im Düsseldorfer Droste-Verlag erschienen, istlängst ausverkauft.Untergebracht im – zusammen mit Erkrath – ältesten BahnhofWestdeutschlands an <strong>der</strong> ältesten Eisenbahnstrecke imWesten (1838, Düsseldorf – Elberfeld) steht beim GerresheimerKulturbahnhof das Thema „Mobilität“ als Grundmerkmalfür eine mo<strong>der</strong>ne, dynamische Gesellschaft. Dabei sollMobilität nicht als Verkehrsgeschichte, son<strong>der</strong>n als Gesellschaftsgeschichteverstanden werden. Wann kamen bestimmtePersonengruppen nach Düsseldorf? Warum wurde die Stadtein attraktiver Standort für bestimmte Unternehmen? Wiewirkte sich die Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>tsauf die Entwicklung von Stadt und Region aus? Wiewurde aus dem verschlafenen Provinzstädtcheneine Indus triemetropole und <strong>der</strong> „Schreibtisch desRuhrgebiets“?Zusammen mit Studierenden <strong>der</strong> HHU entwickeltHenkel <strong>der</strong>zeit in einem Praxisseminar eineinhaltliche Konzeption des künftigen Museums.Schwerpunktthema: Migration. Eine <strong>der</strong> Leitfragenist zum Beispiel: Wie nimmt man das Fremde wahr?Foto: Jana BauchAm Schluss, so <strong>der</strong> Historiker, soll ein Sammelband mit deneinzelnen Arbeitsergebnissen stehen. Henkel und sein „kleiner,großer Bahnhof“, eine architektonische Seltenheit von1838. Eigentlich sollte er abgerissen werden, <strong>der</strong> För<strong>der</strong>kreisverhin<strong>der</strong>te dies erfolgreich, jetzt steht das Gebäude unterDenkmalschutz. Noch ist es eine Baustelle, aber die altenRaumkonturen werden schon wie<strong>der</strong> sichtbar. Und nun kommtwie<strong>der</strong> die „Grün<strong>der</strong>stiftung zur För<strong>der</strong>ung von Forschungund wissenschaftlichem Nachwuchs an <strong>der</strong> Heinrich-Heine-Universität“ (so <strong>der</strong> vollständige Name) ins Spiel.Am 26. Oktober gab es einen „Ortstermin“: Zusammen mitihren Stipendiaten besuchten PD Dr. Hannelore Riesner undProf. Dr. Detlev Riesner Bahnhof und Industriepfad und ließensich von ihrem ehemaligen Stipendiaten über das spannendeProjekt des Mobilitätsmuseums informieren.Infos: www.industriepfad-gerresheim.deStipendiaten <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>stiftung, Rektor Prof. Dr. Dr. H. MichaelPiper, die Stifter – das Ehepaar PD Dr. Hannelore und Prof. Dr.Detlev Riesner, das die „Grün<strong>der</strong>stiftung“ ins Leben gerufen hat –Dr. Peter Henkel und weitere Mäzene an <strong>der</strong> Info-Stele in <strong>der</strong> „ArbeitersiedlungNeustadt“, wenige Gehminuten vom Kulturbahnhof.Das Programm „Chancen nutzen“ för<strong>der</strong>t in diesem Jahr schon zumvierten Mal beson<strong>der</strong>s talentierte Studierende <strong>der</strong> HHU.Magazin 4 | 201215