HSW - Das Hochschulwesen
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Hochschulforschung <strong>HSW</strong><br />
• die weltweite Attraktivität und „Wettbewerbsfähigkeit“<br />
europäischer Universitäten zu erhöhen,<br />
• die studentische Mobilität innerhalb Europas zu erleichtern,<br />
• insgesamt ein differenziertes, flexibles und transparentes<br />
System von Studienangeboten zu sichern, wobei Studiengänge<br />
von kürzerer Dauer sicherlich an Attraktivität<br />
gewinnen sollen,<br />
• curriculare Reformen auszulösen, wobei insbesondere<br />
„arbeitsmarktrelevante“ Qualifikationen der Studierenden<br />
stärker gefördert werden und bei der Gestaltung<br />
universitärer Bachelor-Studiengänge besondere Beachtung<br />
finden sollen.<br />
In den zentralen Dokumenten des Bologna-Prozesses wird<br />
immer wieder hervorgehoben, dass im Jahre 2010 ein „Europäischer<br />
Hochschulraum“ verwirklicht sein soll. Hochschulpolitische<br />
Bemühungen sind darauf gerichtet, bis zu<br />
diesem Zeitpunkt eine konvergente Struktur von Studiengängen<br />
und -abschlüssen vollständig zu etablieren und<br />
auch andere begleitende Maßnahmen zu verwirklichen.<br />
Somit war 2005 der Zeitpunkt für eine „Halbzeit“-Zwischenbilanz<br />
gekommen:<br />
• Stand der Implementation: Wie weit sind die operativen<br />
Reformintentionen – insbesondere ein gestuftes System<br />
von Studiengängen und -abschlüssen – Gegenstand offener<br />
und möglicherweise kontroverser hochschulpolitischer<br />
Diskussion bzw. wie weit sind sie mehrheitlich von<br />
den zentralen Akteuren des Hochschulsystems akzeptiert?<br />
Wie weit ist ein gestuftes System von Studiengängen<br />
und -abschlüssen tatsächlich eingeführt? Wie weit<br />
haben sich die verschiedenen begleitenden Maßnahmen<br />
durchgesetzt?<br />
• Verwirklichung bzw. Modifikation des Reformprogramms:<br />
Wie weit sind die operativen Ziele im Implementationsprozess<br />
stabil geblieben, präzisiert oder verändert<br />
worden? Wie einheitlich bzw. wie variantenreich<br />
entwickelt sich insbesondere die Struktur der Studiengänge<br />
und Abschlüsse in den einzelnen Ländern?<br />
Wie weit entwickelt sich in Europa eine Einheitlichkeit,<br />
„Konvergenz“ oder gar Heterogenität der Studiengangsund<br />
Studienabschluss-Strukturen? Was schält sich als<br />
Bild von akzeptabler Vielfalt auf dem Wege zu einem<br />
konvergenten System heraus, und was liegt außerhalb?<br />
Wie einheitlich bzw. vielfältig werden die begleitenden<br />
Maßnahmen verwirklicht?<br />
• Wirkungen des Reformprogramms: Wie weit erfüllen sich<br />
die Erwartungen, die mit der Einführung der gestuften<br />
Struktur von Studiengängen und -abschlüssen vor allem<br />
verbunden sind, so insbesondere eine Erleichterung der<br />
innereuropäischen studentischen Mobilität, eine wachsende<br />
weltweite Attraktivität europäischer Hochschulen,<br />
eine erhöhte Transparenz, Flexibilität und Effizienz im<br />
Hinblick auf die Studienwege und ein Voranschreiten<br />
curricularer Reformen, die arbeitsmarktrelevante Qualifikationen<br />
der Absolventen stärken? Welche unerwarteten<br />
Wirkungen treten im Veränderungsprozess auf?<br />
Inzwischen gibt es zahlreiche systematische Analysen zum<br />
Bologna-Prozess. Noch zahlreicher sind die Versuche einzelner<br />
Akteure und Experten, ihre Impressionen zu diesem<br />
Thema zu resümieren. Im Jahre 2005 ragen jedoch insbe-<br />
58<br />
sondere zwei systematische Studien heraus, auf deren Basis<br />
sich eine solche Zwischenbilanz ziehen lässt:<br />
• In der Studie „Trends IV: European Universities Implementing<br />
Bologna“ ziehen Sybille Reichert und Christian<br />
Tauch (2005) im Auftrag der European University Association<br />
– des Verbandes der Universitäten und der nationalen<br />
Rektorenkonferenzen in Europa – eine Bilanz. Neben<br />
der Analyse verschiedener Berichte, einer Umfrage bei<br />
nationalen Rektorenkonferenzen und neben der Kommunikation<br />
mit vielen Experten stützt sich der Bericht vor<br />
allem auf Fallstudien von 62 Universitäten, deren Reformen<br />
bei Besuchen in Augenschein genommen wurden.<br />
Die Studie setzt die Reihe der zentralen Bestandsaufnahmen<br />
fort, die in Absprache zwischen den Europäischen<br />
Bildungsministern, den Hochschulrepräsentanten und der<br />
Europäischen Kommission, dem Financier der Studie,<br />
durchgeführt werden (Haug, Kirstein/ Knudsen 1999;<br />
Haug/ Tauch 2001; Reichert/ Tauch 2003); dabei wurde<br />
in „Trends III“ ein quantitative Bilanz zum Einführungsprozess<br />
bis zum Jahre 2002 gezogen.<br />
• Mitglieder des Kasseler Wissenschaftlichen Zentrums für<br />
Berufs- und Hochschulforschung der Universität Kassel<br />
untersuchten die Einführung von Bachelor- und Master-<br />
Studiengängen in ausgewählten europäischen Ländern<br />
(Alesi, Bürger, Kehm/ Teichler 2005). In dieser vom Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung geförderten,<br />
ländervergleichenden Studie untersuchten sie in Zusammenarbeit<br />
mit nationalen Experten die Entwicklungen in<br />
Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Österreich<br />
und Ungarn im Vergleich zu Deutschland und darüber<br />
hinaus auch die Verarbeitung dieses europäischen Reformprozesses<br />
in Großbritannien, wo bereits zuvor Bachelor-<br />
und Master-Studiengänge bestanden. Dabei wurden<br />
Dokumente analysiert sowie Experten und Akteure interviewt.<br />
Dieser Studie war zwei Jahre zuvor eine ebenfalls<br />
vom Bundesministerium geförderte quantitative Bilanz<br />
zum Einführungsprozess in Deutschland vorangegangen<br />
(Schwarz-Hahn/ Rehburg 2004).<br />
Hier soll der Versuch unternommen werden, vor allem mit<br />
Hilfe dieser beiden Zwischenbilanzen, ihrer Vorgänger-Studien<br />
und weiterer Studien der Autoren zur strukturellen<br />
Differenzierung der Hochschulsysteme (Teichler 2005a,<br />
2005b) einzuschätzen, wieweit der Bologna-Prozess vorangeschritten<br />
ist und welche Wirkungen zu erkennen sind.<br />
Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, die Entwicklungen<br />
in Deutschland vergleichend einzuordnen.<br />
2. Stand der Akzeptanz und der Einführung<br />
2.1 <strong>Das</strong> Reform-Klima<br />
In dem Trends III-Bericht von 2003 hieß es, die Bologna-<br />
Reformen „have yet to reach the majority of higher education<br />
grass-route representatives who are supposed to implement<br />
them and to give them concrete meaning“ (Reichert/<br />
Tauch 2003, S. 7). Bei Regierungen, Hochschulpolitikern<br />
und bei den Hochschulleitungen schien sich zwar auch<br />
damals schon die Idee weitgehend durchgesetzt zu haben,<br />
dass in Europa ein System ähnlicher, gestufter Studiengänge<br />
und -abschlüsse eingeführt werden sollte; bei den Verantwortlichen<br />
für Forschung und Lehre, bei den Studierenden<br />
<strong>HSW</strong> 2/2006