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HSW - Das Hochschulwesen

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L o v e L e t t e r s t o<br />

H i g h e r E d u c a t i o n<br />

DDaaggmmaarr FFrreeiisstt<br />

Geben die Universitäten die Hoheit darüber aus der<br />

Hand, was exzellente Bildung ist und wie sie<br />

erreicht werden kann?<br />

Die Bedeutung der Hochschuldidaktik für die Hochschulentwicklung<br />

Angesichts der Inflation von betriebswirtschaftlichen Maßstäben<br />

im „Unternehmen Hochschule“ droht verloren zu<br />

gehen, wofür Universitäten da sind – ihre zentrale Aufgabe<br />

besteht darin, außer dem Erkenntnisgewinn in der Forschung<br />

für den individuellen, subjektiven Erkenntnisgewinn<br />

im Studium zu sorgen – und das auf gleichem fachlichen Niveau<br />

verbunden mit Handlungs-, Sozial- und Selbstkompetenzen.<br />

Die deutschen Universitäten haben Phasen grundlegenden<br />

Umbruchs und der Modernisierung nicht erst mit<br />

den Humboldtschen Reformen erlebt, sondern schon vor<br />

500 Jahren. Die Argumente scheinen vertraut. <strong>Das</strong> Engagement<br />

für die Verbesserung der Lehre an den Universitäten<br />

hat Geschichte. In seiner Wittenberger Antrittsvorlesung im<br />

Jahre 1518 hat Philipp Melanchthon, der „Praeceptor Germaniae“,<br />

seine Ausführungen unter das Thema gestellt: „De<br />

corrigendis adolescentiae studiis“.<br />

Melanchthon machte sich zum Verfechter der unverfälschten<br />

Wissenschaften und forderte, im Rahmen des Triviums<br />

Sprachstudien anhand von unverfälschten Texten antiker<br />

Autoren in der Originalsprache zu studieren. Ziel seiner Forderungen<br />

war nicht, die Bedeutung unterschiedlicher<br />

Fächer und Lehrinhalte gegeneinander auszuspielen, sondern<br />

es ging ihm um das Ziel der Ausbildung - die Befähigung<br />

der Jugend, sich an der „fruchtbaren Auseinandersetzung<br />

der Wissenschaften zu beteiligen" (S. 43) - und um<br />

den Weg dorthin - die Art des wissenschaftlichen Arbeitens.<br />

Und hier setzte Melanchthons Kritik an. Er warf den<br />

deutschen Universitäten in scharfem Ton vor, sich Neuerungen<br />

gegenüber zu versperren und an Gewohntem aus Fachegoismus<br />

und persönlichen Eitelkeiten, vielleicht auch aus<br />

Bequemlichkeit festzuhalten. Er dagegen habe für die unverfälschten<br />

Wissenschaften Partei ergriffen, formulierte er,<br />

„um sie gegen diejenigen in Schutz zu nehmen, die, als Barbaren<br />

mit barbarischen Machenschaften, das heißt mit Gewalt<br />

und Betrug, sich in den Schulen Titel und Vorrechte<br />

von Gelehrten angemaßt haben und die Menschen fast bis<br />

in jüngste Zeit mit boshaften Einfällen davon abhalten,<br />

neue Wege einzuschlagen." (S. 42 f.) Die Studierenden, so<br />

Melanchthon, müssten unterschiedliche wissenschaftliche<br />

Arbeitsweisen kennen lernen, um selbständig entscheiden<br />

zu können, „welche... wegen des größeren Nutzens bei geringerer<br />

Unsicherheit" (S. 44) der Vorzug zu geben sei. Und<br />

der „Praeceptor Germaniae“ folgert: „Insofern wird es das<br />

Hauptanliegen meiner ganzen Rede sein, euch den Ausblick<br />

auf eine erlesene Bildung zu öffnen." (S. 44)<br />

In einer inneruniversitären Perspektive, aus der Praxis von<br />

Wissenschaft und Forschung heraus, könnte kaum eine Formulierung<br />

prägnanter wiedergeben, was das eigentliche<br />

44<br />

<strong>HSW</strong><br />

Dagmar Freist<br />

The Love Letters to Higher Education column introduced<br />

in the last issue has met a varied reception: predominantly<br />

approval, but also shock (combined with approval);<br />

rejection was nowhere to be found. In this<br />

issue, Dagmar Freist, Professor of Modern History at<br />

the University of Oldenburg, cautions universities<br />

against surrendering responsibility for the content of<br />

studies when implementing the Bologna Process. Being<br />

an expert in her field, she embeds her warning in the<br />

question: Are Universities Abdicating Sovereignty Over<br />

What Constitutes Excellent Education and How to<br />

Achieve it? – The Importance of Principles of Higher<br />

Education Teaching in Higher Education Development.<br />

Ziel der aktuellen Debatten über Bildungsreformen sein<br />

sollte, das seit Pisa und angesichts wachsenden Konkurrenzdrucks<br />

unter den Universitäten durch Aktionismus<br />

verloren zu gehen scheint: den Ausblick auf eine erlesene<br />

Bildung zu öffnen. Folgt man der öffentlichen Debatte, so<br />

steht es mit der Lehre an deutschen Universitäten schlecht.<br />

Hohe Abbrecherquoten und lange Studienzeiten werden<br />

verzeichnet. Vor allem den Geisteswissenschaften wird vorgeworfen,<br />

Inselwissen zu vermitteln und - was verwundert<br />

angesichts der eigentlichen Bedeutung der Geisteswissenschaften,<br />

die in der öffentlichen Wahrnehmung verloren zu<br />

gehen scheint - keine praxisbezogene Ausbildung anzubieten.<br />

Die Reaktionen aus den Hochschulen sind bekannt -<br />

und sie sind in großen Teilen nachvollziehbar - auf den<br />

Punkt gebracht: Der Gegenvorwurf der schlechten Rahmenbedingungen,<br />

Unkenntnis über einzelne Fachkulturen,<br />

die zu falschen politischen Urteilen führen und der Reduktion<br />

der Bildungsdebatte auf ihren materiell messbaren<br />

„output“. Welcher Hochschullehrer oder welche Hochschullehrerin<br />

an deutschen Universitäten ärgert sich nicht,<br />

wenn wohlmeinende Interviews mit Studierenden in<br />

großen Tageszeitungen abgedruckt werden, in denen davon<br />

geschwärmt wird, dass in niederländischen oder englischen<br />

Universitäten die Dozenten die Studierenden noch mit<br />

Namen anreden und man in Seminaren zu acht betreut wird<br />

- während man in Deutschland in einer anonymen Masse<br />

untergeht. Darunter leiden in Deutschland Lehrende ebenso<br />

wie Studierende - das braucht kaum erwähnt zu werden.<br />

Dennoch, mit der Lehre an deutschen Universitäten steht<br />

es im internationalen Vergleich nicht gut - fast jeder, der im<br />

Ausland studiert oder promoviert hat, wird dies bestätigen.<br />

Die genannten Gründe wirken nicht entlastend, und sie<br />

dürfen vor allem den Blick nicht verstellen vor der Tatsache,<br />

dass ungeachtet schlechter Rahmenbedingungen eine kriti-<br />

<strong>HSW</strong> 2/2006

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