02.12.2012 Aufrufe

Kommunikationsprozesse - Studienkreis Rundfunk und Geschichte

Kommunikationsprozesse - Studienkreis Rundfunk und Geschichte

Kommunikationsprozesse - Studienkreis Rundfunk und Geschichte

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Lüthje <strong>und</strong> Pater: Chancen für die historische Rezeptionsforschung<br />

Ausbildung einer eigenen, jugendlichen Identität. Im<br />

gemeinsamen Hören angesichts der väterlichen Autorität<br />

bei der Programmwahl konnte dies nicht zum<br />

Tragen kommen. Im Gegensatz dazu bot Schallplattenhören<br />

diese Möglichkeit, wenn die Jugendlichen<br />

über eigenes Geld verfügten. 23<br />

Durch die offene Diskussionssituation, die im besten<br />

Fall einem lockeren <strong>und</strong> privaten Gespräch gleicht,<br />

wird eine Archäologie verschütteter Erinnerungen<br />

befördert. Zudem regen sich die TeilnehmerInnen an<br />

<strong>und</strong> korrigieren sich bei Bedarf gegenseitig. Durch<br />

diese Methode können latente, feldinterne Informationen<br />

erhoben werden, die zum Teil auch Überraschungen<br />

für die Forschenden beinhalten, weil sie<br />

außerhalb von deren Erfahrungshorizont liegen. Viele<br />

der Diskutanten haben die tatsächliche Bedeutung<br />

des Radios erst in dem Gespräch selbst entdeckt.<br />

Dies zeigt die selbstverständliche Einbettung<br />

des Mediums in den Alltag. Durch Gewöhnung <strong>und</strong><br />

Veralltäglichung verschwindet der Gegenstand in<br />

eine eher unbewusste Wahrnehmung, deshalb wird<br />

ihm Bedeutung abgesprochen. In den Diskussionen<br />

kam es durch den Austausch von Erinnerungen zu<br />

einer Art Bewusstwerdungsprozess. 24<br />

Diese Methode hat aber auch Nachteile. Bedeutung<br />

kann auch im Diskursprozess selbst generiert werden.<br />

Nicht nur individuelle Erinnerungen unterliegen<br />

einem Akkumulationsprozess <strong>und</strong> damit einer Transformation,<br />

sondern auch kollektive Erinnerungen, bei<br />

denen gesellschaftlicher Wandel wirksam wird. Zudem<br />

kann es bei der Archäologie von Erinnerungen<br />

gerade in Gesprächen von Menschen der gleichen<br />

Generation zu einer nostalgischen Verklärung kommen.<br />

Um diesen Gefahren entgegenzuwirken, können<br />

verschiedene Strategien angewendet werden.<br />

Zunächst sollten die Diskussionsergebnisse konsequent<br />

kontextualisiert werden. Eine weitere Abhilfe<br />

kann die Einbeziehung von Kontrollgruppen in<br />

das Forschungsdesign sein – hier: Diskussionsgruppen<br />

mit Vertretern der damaligen Elterngeneration<br />

– sowie eine Einbettung von Gruppendiskussionen<br />

in einen Methodenmix zum Beispiel mit standardisierter<br />

Befragung <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>äranalyse. Auch der<br />

Vergleich von verschiedenen Gruppen dient der Untermauerung<br />

von Informationen. Wenn diese Einschränkungen<br />

bedacht werden, können Gruppendiskussionen<br />

in der dokumentarischen Methode<br />

eine Bereicherung für das methodische Instrumentarium<br />

der historischen Rezeptionsforschung darstellen.<br />

Diese Methode respektiert die Erfahrungen<br />

von Zeitzeugen <strong>und</strong> erlaubt es ihnen, in ihrer eigenen<br />

Sprache zu sprechen. Gleichzeitig kann sie auch einen<br />

Beitrag zur Verständigung zwischen den Generationen<br />

liefern. Das zeigten die Feedbacks der Studierenden,<br />

die zunächst wenig begeistert von der<br />

15<br />

Aussicht waren, ihr Forschungsprojekt mit älteren<br />

Menschen durchzuführen, die aber nach Abschluss<br />

des Projekts von bereichernden, neuen Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> einer neuen Perspektive auf Senioren geradezu<br />

schwärmten.<br />

23 Nicht nur Sinngebungsprozesse auf Seiten der Rezipienten lassen<br />

sich mit Gruppendiskussionen erforschen. Auch Medienproduzenten<br />

sind eine interessante Zielgruppe. So ließen sich Produktionsbedingungen<br />

von Radioprogrammen in den 1950er Jahren durch<br />

Diskussionen mit Radiojournalisten, aber auch Technikern <strong>und</strong> Entscheidungsträgern<br />

rekonstruieren.<br />

24 Die Zuverlässigkeit dieses Vorgehens ist erkennbar an der hohen<br />

Übereinstimmung mit den Ergebnissen der anderen oben zitierten<br />

Studien, die eine andere Herangehensweise <strong>und</strong> andere Quellen benutzt<br />

haben.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!