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Kommunikationsprozesse - Studienkreis Rundfunk und Geschichte

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onale Sprache zu gebrauchen. 65 Die »Bremer Nachrichten«<br />

nannten verschiedene Gründe, warum sich<br />

Esperanto besonders gut eigne: »Das Lateinische<br />

wird bei den Hauptkulturvölkern verschieden ausgesprochen,<br />

ihm fehlen auch die Ausdrücke des modernen<br />

Lebens, zudem ist es schwer erlernbar. Es<br />

bleibt also nur die Annahme einer neutralen Hilfssprache.<br />

Eine solche besitzen wir glücklicherweise<br />

im Esperanto, das sich seit Jahrzehnten auf allen<br />

Gebieten des internationalen Verkehrs glänzend bewährt<br />

hat <strong>und</strong> dauernd in raschem Wachstum ist.« 66<br />

Ob der Vorschlag, Esperanto in <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>sendungen<br />

anzuwenden, je umgesetzt wurde, war aus den<br />

Artikeln der »Bremer Nachrichten« nicht zu entnehmen.<br />

Weiter verfolgt wurde das Thema in der Tagespresse<br />

nicht.<br />

Politik <strong>und</strong> <strong>R<strong>und</strong>funk</strong><br />

Laut der offiziellen Satzung der Reichspost von 1922<br />

war Politik kein Gegenstand des Unterhaltungsr<strong>und</strong>funks.<br />

67 Doch das hieß keineswegs, dass die Wortprogramme<br />

nie politischen Inhalt besaßen. Denn an<br />

den von der Reichspost vorgegebenen Gr<strong>und</strong>satz<br />

haben sich die Sendegesellschaften nie ganz gehalten.<br />

In den ersten Jahren nach Programmstart fanden<br />

sich einige, wenige politische Äußerungen im<br />

<strong>R<strong>und</strong>funk</strong>, auf die auch die Tagespresse näher einging.<br />

Dennoch ist der geringe Anteil an Zeitungsartikeln<br />

über Politik im <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> ein Beleg dafür,<br />

wie unpolitisch das Radio in seiner Anfangszeit war<br />

bzw. sein sollte. Dies war ein Phänomen, das in den<br />

1930er Jahren nach der Machtergreifung Hitlers mit<br />

der politischen Propaganda der Nationalsozialisten<br />

ins Gegenteil umschlug.<br />

Im Januar 1924 druckten die »Bremer Nachrichten«<br />

beispielsweise Auszüge aus politischen Reden verschiedener<br />

Reichsminister, die zuvor im <strong>R<strong>und</strong>funk</strong><br />

gehalten worden waren. 68 Im November 1925 nahmen<br />

die »Bremer Nachrichten« Bezug auf eine Rede<br />

über den Locarno-Vertrag des Reichsaußenministers<br />

Gustav Stresemann, der am Vorabend im Radio<br />

gesprochen hatte. 69 Die Rede sei vom Berliner<br />

<strong>R<strong>und</strong>funk</strong>sender verbreitet <strong>und</strong> in andere Regionalgesellschaften<br />

übertragen worden, hieß es dazu in<br />

einer Mitteilung. Der Vortrag des Reichsaußenministers<br />

sei damit in weiten Teilen Deutschlands <strong>und</strong> von<br />

einem sonst nur selten erreichten großen Hörerkreis<br />

wahrgenommen worden. 70 Die »Bremer Nachrichten«<br />

kritisierten die Aufnahme von politischen Beiträgen<br />

in das <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>-Programm nicht. Die Berichterstattung<br />

war stets sachlich <strong>und</strong> beschränkte sich<br />

auf die Wiedergabe von Fakten. Die Reichspost untersagte<br />

dem <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> jedoch eine politische Berichterstattung<br />

<strong>und</strong> verhinderte so, dass sich das<br />

Lipski: Anfänge des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s in der Tageszeitung 35<br />

Radio zu einem publizistischen <strong>und</strong> meinungsbildenden<br />

Medium entwickeln konnte. Die Nachrichtenübermittlung<br />

sollte bis auf Weiteres Aufgabe der<br />

Presse bleiben, <strong>und</strong> das blieb sie im Wesentlichen<br />

auch. Anhand einiger Äußerungen wird jedoch deutlich,<br />

dass man innerhalb der Sendegesellschaften<br />

anderer Meinung war. Die »Bremer Nachrichten« zitierten<br />

in diesem Zusammenhang die Auffassung<br />

des ranghöchsten NORAG-Mitarbeiters Hans Bodenstedt:<br />

»Direktor Bodenstedt glaubt fest an die<br />

Zukunft der ‚gesprochenen Zeitung‘ <strong>und</strong> sieht die<br />

Zeit gekommen, wo die Nachrichten im wesentlichen<br />

ausschließlich auf dem Wege der tönenden Wellen<br />

weit über die Lande verbreitet werden. Der gedruckten<br />

Zeitung, so wurde geschlussfolgert, falle dann<br />

wieder mehr die Aufgabe der Kommentierung <strong>und</strong><br />

politischen Stellungnahme zu. Als ursprünglicher<br />

Nachrichtenübermittler werde an die Stelle der Zeitung<br />

schon bald der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> getreten sein.« 71<br />

Mit dem Aufkommen des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s war der Medienmarkt<br />

in Bewegung. Die Alleinherrschaft der<br />

Zeitung schien ins Wanken zu geraten. Die »Bremer<br />

Nachrichten« bezweifelten diese Zukunftsbetrachtungen<br />

<strong>und</strong> fürchteten Konkurrenz, die nicht unbegründet<br />

war, sich aber letztendlich wegen der starken<br />

Reglementierung des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s nur marginal<br />

auswirkte. Die Tagespresse unterstrich daher: »Das<br />

Gebiet des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s wird in erster Linie die Unterhaltung<br />

<strong>und</strong> Belehrung sein; die Nachrichtenübermittlung<br />

wird auf die Dauer nur für bestimmte Sondergebiete<br />

von größerer Bedeutung sein können.« 72<br />

Wurde in den Monaten zuvor die Schnelligkeit des<br />

<strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s als neueste Errungenschaft gepriesen,<br />

mit der Nachrichten übermittelt werden konnten,<br />

bezogen die »Bremer Nachrichten« überraschend<br />

einen anderen Standpunkt: »Lieber wird man ein<br />

paar St<strong>und</strong>en warten, um in der altgewohnten Form<br />

die Tagesereignisse in übersichtlicher Zusammenstellung<br />

aus der gedruckten Zeitung zu erleben.« 73<br />

65 Vgl. o. V.: Esperanto als Radiosprache. In: Bremer Nachrichten,<br />

Nr. 76, 16.3.1924.<br />

66 O. V.: Esperanto <strong>und</strong> <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>. In: Bremer Nachrichten, Nr. 333,<br />

30.11.1924.<br />

67 Vgl. Amtsgericht Charlottenburg. Handelsregister. Abt. B 92 HRB<br />

25097/ 36. Zit. nach Lerg, 1980 (Anm. 49), S. 67 sowie S. 23–31.<br />

68 Vgl. o. V.: Der Jahrestag des Ruhreinbruchs – Radio-Ansprache<br />

des Ministers für die besetzten Gebiete. In: Bremer Nachrichten,<br />

Nr. 11, 11.1.1924 sowie Radio-Ansprache des Reichsfinanzministers.<br />

In: Bremer Nachrichten, Nr. 18, 18.1.1924.<br />

69 Reichsaußenminister Gustav Stresemann nahm an der Konferenz<br />

von Locarno (5.–16.10.1925) teil, auf der Verträge über ein Sicherheitssystem<br />

in Westeuropa ausgehandelt wurden (Locarnoverträge).<br />

70 Vgl. o. V.: Die <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>rede Dr. Stresemanns. In: Bremer Nachrichten,<br />

Nr. 306, 4.11.1925.<br />

71 Ebd.<br />

72 Vgl. ebd.<br />

73 Ebd.

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