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Kommunikationsprozesse - Studienkreis Rundfunk und Geschichte

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Mikrophon: ‚Halloh, Herr Harmstorf, sind Sie schon<br />

auf dem Meeresboden?‘ Einige Sek<strong>und</strong>en höchster<br />

Spannung, dann kommt klar <strong>und</strong> deutlich vernehmbar<br />

die Antwort vom Meeresgr<strong>und</strong>: ‚Jawohl ich bin<br />

zwanzig Meter tief auf dem Boden, es ist ganz w<strong>und</strong>ervoll<br />

hier.‘ [...] Herr Harmstorf berichtet getreulich<br />

seine Eindrücke: ‚Meine Lampe leuchtet circa zwanzig<br />

Meter im Umkreis, die Fische werden von ihr aufgescheucht<br />

<strong>und</strong> angezogen. Eben schießt ein See-<br />

Aal herbei, er ist etwa ein Meter lang, jetzt erschrickt<br />

er <strong>und</strong> flüchtet wieder ins Dunkel zurück. Da kommt<br />

auch ein Hummer, er ist ganz nahe, ich will ihn fangen.<br />

Au, au, der kneift ja. Nun ist er davon.‘« 90<br />

Der Autor des Berichts erläuterte voller Faszination,<br />

er müsse sich immer vergegenwärtigen, nur an einen<br />

Radio-Empfänger angeschlossen zu sein <strong>und</strong><br />

den Sender Hamburg zu hören. Er müsse sich in<br />

Erinnerung rufen, dass sich der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>-Reporter<br />

tief unten auf dem Meeresboden befand <strong>und</strong> nicht<br />

er selbst. Der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> galt ihm als Vermittler von<br />

Eindrücken aus »einer anderen Welt«. Die subjektiven<br />

<strong>und</strong> spontanen Schilderungen des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>-<br />

Reporters ließen die Hörer an dem Ereignis partizipieren,<br />

suggerierten sie ihnen doch, mit dabei zu<br />

sein. Von den Hörern wurde die technisch erzeugte<br />

Unmittelbarkeit der Direktübertragung als Ersatz für<br />

die physische Anwesenheit am Schauplatz oder in<br />

der Nähe des Schauplatzes akzeptiert. 91 Die NORAG<br />

hatte mit dieser Aktion sogar Vorbildfunktion für ausländische<br />

Sendegesellschaften. Am 17. März 1926<br />

war in den »Bremer Nachrichten« zu lesen, dass in<br />

Kürze ein englischer Taucher der BBC vom Gr<strong>und</strong><br />

der Themse seine Erfahrungen schildern wolle. Jedoch<br />

beschränkte sich die Zeitung auf eine Programmankündigung.<br />

Der Bericht »Der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> auf<br />

dem Meeresgr<strong>und</strong>« war der letzte große Artikel in<br />

den »Bremer Nachrichten« über die Programmtätigkeit<br />

des deutschen <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s bis 1926. 92<br />

Rubriken <strong>und</strong> Sendungsformen waren entwickelt<br />

<strong>und</strong> hatten sich etabliert, so dass sie in der Tagespresse<br />

nicht mehr publik gemacht werden mussten.<br />

Der Bericht über die <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>reportage belegt die<br />

lang anhaltende Faszination der Menschen von der<br />

<strong>R<strong>und</strong>funk</strong>technik. Aber er zeigt auch, dass sich Ende<br />

1925 die Bew<strong>und</strong>erung der »drahtlosen Telephonie«<br />

mehr <strong>und</strong> mehr auf die Inhalte des Programms verlagerte.<br />

Schließlich wurden einzelne Programmpunkte<br />

nicht mehr in Artikeln thematisiert, sondern nur<br />

noch in Form von Meldungen. Diese Meldungen hatten<br />

den Charakter von Programmhinweisen, eine<br />

detaillierte Berichterstattung über die Sendungen<br />

spielte sich fortan in den sendereigenen Radioprogrammzeitschriften,<br />

zum Beispiel in der Zeitschrift<br />

»Die Norag«, ab. Die Radioprogrammzeitschriften<br />

besaßen das Monopol, lieferten Programmfahnen<br />

Lipski: Anfänge des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s in der Tageszeitung 39<br />

<strong>und</strong> durften darüber verfügen, welche Informationen<br />

an die Tagespresse weitergegeben werden sollten<br />

<strong>und</strong> welche nicht. In den »Bremer Nachrichten«<br />

erschienen in dieser Zeit vermehrt Meldungen über<br />

die Konstituierung der Kontrollgremien des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s.<br />

Erste Auswirkungen der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>reform von<br />

1926 bahnten sich an. Zugleich gaben sie einen Hinweis<br />

auf die politische Abhängigkeit <strong>und</strong> die wirtschaftliche<br />

Orientierung des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s in der Weimarer<br />

Republik.<br />

Der Neuigkeitswert des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s schien aus Sicht<br />

der »Bremer Nachrichten« abgenutzt, das Radio<br />

hatte sich etabliert <strong>und</strong> als unterhaltendes Medium<br />

einen Platz im Alltag gef<strong>und</strong>en. Die Programmangebote<br />

wurden von den Menschen gezielt genutzt.<br />

Die Tagespresse sah ihre Informationspflicht erfüllt,<br />

so dass sie über das Radio nicht mehr ausführlich<br />

berichten musste. Diese Ereignisbezogenheit ist typisch<br />

für das Wesen eines aktuellen, regionalen Mediums.<br />

Bald erfolgte die nüchterne Versachlichung<br />

des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s als Ware. Diese Tendenz hat auch<br />

Herbert Lothar Walther in seiner Untersuchung der<br />

bürgerlichen Presse in Berlin festgestellt. Er deutet<br />

die Ereignisbezogenheit in der Berichterstattung sogar<br />

als Charakteristikum der regionalen Tagespresse.<br />

93<br />

Voller Stolz, Freude <strong>und</strong> Erwartungen hatte man in<br />

der Weimarer Republik dem neuen Medium »<strong>R<strong>und</strong>funk</strong>«<br />

entgegengesehen. Anfangs galt der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong><br />

in den Augen vieler Reporter noch als ein »W<strong>und</strong>er«,<br />

als etwas Besonderes, dass es nun möglich war,<br />

Sprache <strong>und</strong> Töne aller Art drahtlos zu übertragen.<br />

Diese Bew<strong>und</strong>erung spiegelt sich nicht nur in Artikeln<br />

der »Bremer Nachrichten« wider, sondern auch<br />

in denen anderer regionalen Zeitungen, wie Daniela<br />

Tosch für die Münchner Tagespresse nachweisen<br />

konnte. 94 Die Berichterstattung der regionalen Zeitungen<br />

über den <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> – ob in Berlin, München<br />

oder Bremen – gleicht sich im Wesentlichen. Alle<br />

bislang untersuchten regionalen Zeitungen schlagen<br />

ähnliche Töne an. Auffällig ist in Bremen jedoch,<br />

dass sich in der Berichterstattung ein zunehmendes<br />

Konkurrenz-Denken in Bezug auf die Vorgänge im<br />

Hauptsender der NORAG in Hamburg abzeichnet.<br />

90 O. V.: Der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> auf dem Meeresgr<strong>und</strong>e. In: Bremer Nachrichten,<br />

Nr. 285, 14.10.1925; vgl. auch Kap. 1.2 Das Programm der<br />

Norag; sowie o. V.: Walther Fitze: Fünf Jahre Arbeit.1924–1928. In:<br />

Norag. Das fünfte Jahr. Hamburg 1928, S. 9.<br />

91 Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit.<br />

Frankfurt am Main 2001, S. 92.<br />

92 Vgl. o. V.: In den Spuren der Norag. In: Bremer Nachrichten,<br />

Nr. 75, 17.3.1926.<br />

93 Vgl. Walther, 1979 (Anm. 1), S. 105.<br />

94 Tosch, 1986 (Anm. 2), S. 243.

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