Kommunikationsprozesse - Studienkreis Rundfunk und Geschichte
Kommunikationsprozesse - Studienkreis Rundfunk und Geschichte
Kommunikationsprozesse - Studienkreis Rundfunk und Geschichte
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
den »Bremer Nachrichten«. 48 Zum Vergleich: Für die<br />
monatliche <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>gebühr von zwei Mark musste<br />
im darauffolgenden Jahr 1925 ein gelernter Arbeiter<br />
etwa zwei St<strong>und</strong>en, ein ungelernter Arbeiter r<strong>und</strong> vier<br />
St<strong>und</strong>en arbeiten. 49 Eine Wochenausgabe der Radioprogrammzeitschrift<br />
»Die Norag« kostete 1925 immerhin<br />
20 Goldpfennig. 50 In den folgenden Monaten<br />
häuften sich die Anfragen über die Art <strong>und</strong> Weise, in<br />
welcher Form die <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>gebühren zukünftig eingezogen<br />
werden sollten. Die »Bremer Nachrichten«<br />
gaben am 10. August 1924 bekannt, dass die Gebühren<br />
monatlich eingezogen würden, eine Vorauszahlung<br />
aber möglich sei. 51<br />
Radiohören ohne Gebühr<br />
Die »Schwarzhörer« entwickelten sich zu einem regelrechten<br />
Problem, das die Tagespresse in unregelmäßigen<br />
Abständen immer wieder aufgriff, um es<br />
somit zu bekämpfen. Viele »Teilnehmer am Unterhaltungsr<strong>und</strong>funk«,<br />
so die offizielle Bezeichnung, waren<br />
über die gesetzlichen Regelungen aufgebracht,<br />
da sie das <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>-Programm in ihren Haushalten<br />
nicht einwandfrei empfangen konnten. In Leserbriefen<br />
lehnten sie sich dagegen auf <strong>und</strong> verwiesen<br />
auf eine eigens zu diesem Zweck gesammelte Unterschriftenliste.<br />
52 »Selbstverständlich ist die ganze<br />
Sache noch im Auf- <strong>und</strong> Ausbau begriffen; aber das<br />
ist wirklich kein Gr<strong>und</strong>, um die vielen Störungen des<br />
Senders zu entschuldigen«, schrieben die empörten<br />
Hörer Ende des Jahres 1924.<br />
Inwieweit die Kritik der Hörer berechtigt war, lässt<br />
sich im Nachhinein nicht beurteilen. Sicher ist aber:<br />
Die Übertragungsqualität des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>-Programms<br />
hing von vielen Faktoren ab, beispielsweise auch von<br />
der technischen Leistung der eigenen Empfangsanlage.<br />
Möglicherweise konnten die Hörer ihre Geräte<br />
nicht richtig beurteilen <strong>und</strong> suchten die Gründe<br />
für die schlechte Übertragungsqualität beim Bremer<br />
Nebensender. Die Hörer versicherten allerdings in<br />
den Leserbriefen, dass keine »‚öffentliche Anklage‘<br />
gegen den Bremer Sender« gerichtet sei. 53 Der Ton<br />
der Leserbriefe glich einer solchen jedoch.<br />
Auffällig war die Kritik eines besonders engagierten<br />
Lesers, der in der Rolle des »Höronkels« auftrat. Am<br />
7. Januar 1925 richtete er in den »Bremer Nachrichten«<br />
einen offenen Brief an die NORAG: »Du selbst<br />
bist noch jung, <strong>und</strong> wir haben aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />
auch Nachsicht mit Dir, wenn Du uns z.B. gelegentlich<br />
recht mäßige Grammophonplatten vordudelst,<br />
trotzdem es für solche Zwecke bessere, z. B. Carusoplatten,<br />
gäbe. 54 Außerdem forderte der »Höronkel«<br />
die Aufnahme von »unabhängigen Nachrichten«<br />
ins <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>programm sowie die Einstellung der<br />
Lipski: Anfänge des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s in der Tageszeitung 33<br />
offenbar nicht beliebten Funkwerbung: »Also, mein<br />
liebes Norag-Kind, beherzige meine gutgemeinte<br />
Mahnung <strong>und</strong> gewöhne Dir schleunigst diese Untugend<br />
ab, damit wir Fre<strong>und</strong>e bleiben können«, schrieb<br />
er drohend. 55 Der »Höronkel« prangerte öffentlich<br />
vermeintliche Missstände bei der NORAG an <strong>und</strong><br />
schien die scheinbare Macht der Hörer demonstrieren<br />
zu wollen. Falls es zu keiner Änderung komme,<br />
verweigere er die Zahlung weiterer Gebühren, drohte<br />
sogar mit einer Kündigung seiner Radiolizenz.<br />
Die NORAG reagierte auf solche <strong>und</strong> andere Hörerbeschwerden<br />
in der Tagespresse nicht. Die Meinungsäußerung<br />
der Hörer war genauso einseitig, wie<br />
die Konzeption eines <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>-Programms nach<br />
Hörer-Interessen. Im <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> wurden Sendungen<br />
ausgestrahlt, ohne dass die Sendegesellschaft<br />
wusste, ob allen Hörern diese wirklich gefallen, oder<br />
ob sie jemals gehört würden. Sender <strong>und</strong> Empfänger<br />
standen in keinem Austausch miteinander. So<br />
schrieben auch die Hörer in den »Bremer Nachrichten«,<br />
ohne zu erfahren, ob ihre Forderungen <strong>und</strong> Vorschläge<br />
bei der NORAG ankamen <strong>und</strong> ernst genommen<br />
wurden.<br />
Mit dem Ausbau des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>netzes <strong>und</strong> einer<br />
hörbaren Verbesserung der Sendequalität wuchsen<br />
die Ansprüche der Hörer. Die <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>industrie<br />
versuchte diesem Bedürfnis durch stetige Weiterentwicklung<br />
der Geräte Rechnung zu tragen, auch<br />
aus wirtschaftlichen Interessen. Anfangs konnten<br />
die Hörer das <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>programm an ihren Radiogeräten<br />
mit Kopfhörern verfolgen. Fotografien aus<br />
der Pionierzeit zeigen den <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>empfänger auf<br />
dem Küchen- oder Wohnzimmertisch, wo er für den<br />
Empfang der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>sendung aufgebaut wurde.<br />
Die Familienmitglieder hatten sich um den Tisch versammelt.<br />
Jeder trug Kopfhörer, <strong>und</strong> war so mit dem<br />
Geschehen in einer »anderen Welt« verkabelt. 56 Das<br />
Hören einer <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>sendung besaß damit die Aura<br />
des Nicht-Alltäglichen. Auch die Kopfhörer wurden<br />
48 O. V.: Radio-Zaungäste. In: Bremer Nachrichten, Nr. 105,<br />
14.4.1924.<br />
49 Vgl. Winfried B. Lerg: <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>politik in der Weimarer Republik.<br />
München 1980 (= <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> in Deutschland; Bd. 1), S. 114.<br />
50 Vgl. o. V.: Die Norag, Nr. 19, 8.5.1925.<br />
51 Vgl. o. V.: Zahlung der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>gebühren. In: Bremer Nachrichten,<br />
Nr. 221, 10.8.1924.<br />
52 Vgl. o. V.: Sprechsaal – Der Bremer <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>sender wird offiziell<br />
eröffnet. In: Bremer Nachrichten, Nr. 344, 11.12.1924.<br />
53 O. V.: Sprechsaal – Der Bremer <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>sender. In: Bremer<br />
Nachrichten, Nr. 355, 22.12.1924.<br />
54 O. V.: Ein offener Brief an die Norag (Eingesandt.). In: Bremer<br />
Nachrichten, Nr. 7, 7.1.1925.<br />
55 Ebd.<br />
56 Vgl. Carsten Lenk: Die Erscheinung des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s, Einführung<br />
<strong>und</strong> Nutzung eines neuen Mediums 1923–1933, Opladen 1997, S. 107.