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Johannes C. Schmid<br />
Zu den vielen unternehmerischen Persönlichkeiten der Freien<br />
Hansestadt <strong>Bremen</strong> nimmt einer eine herausragende Stellung<br />
ein: Carl Philipp Cassel. Zweifellos war er einer der genialsten<br />
und schillerndsten Gestalten <strong>Bremen</strong>s. Ein Mann voller Visionen,<br />
Wagemut, Phantasie und Durchset<strong>zu</strong>ngskraft.<br />
Haus Landruh, 17. Oktober 1806<br />
Gewichtigen Schrittes, sich seines Standes als Hausdiener in der<br />
Villa Landruh des preußischen Konsuls Carl Philipp Cassel sichtlich<br />
bewusst, betrat Jan, vom Gesindehaus kommend, das prächtige<br />
Herrenhaus vom Gut Landruh.<br />
Aus dem Salon, in dem gewöhnlich Konsul Cassel <strong>zu</strong> frühstücken<br />
pflegte, klang helles Lachen. Sicher wieder eine neue Schöne<br />
vom Theater, schüttelte Jan unwillig den Kopf. Hoffentlich lässt<br />
der Konsul für diese im Park nicht auch noch ein steinernes<br />
Denkmal setzen, wie für die Ehemalige. Ein missbilligendes<br />
Lächeln kräuselt die Lippen des Dieners. Als überzeugtem, eingefleischtem<br />
Protestanten schien ihm die lockere Lebensweise<br />
seines Herrn, den er als weitgereisten tatkräftigen intelligenten<br />
Mann hochschätzte, wenig schicklich.<br />
Er klopfte dezent. Auf ein dröhnendes Ja betrat er den Salon.<br />
Sein distanzierter Blick bleibt sekundenlang auf dem reich<br />
gedeckten Frühstückstisch haften, richtet sich dann auf Cassel,<br />
der sichtlich <strong>zu</strong>frieden ein Croissant <strong>zu</strong>m Munde führt und ihn<br />
aus wachen Augen anblickt. <strong>Der</strong> Konsul, korpulent, mit rosiger<br />
frischer Gesichtsfarbe, verkörpert schon rein äußerlich Behaglichkeit,<br />
Wohlstand und Reichtum. Zu seiner Rechten am Tisch<br />
räkelt sich eine Schöne im Morgenmantel neuesten französischen<br />
Zuschnitts, die an einer Schokolade nippend amüsiert den<br />
Hausdiener betrachtet.<br />
„Die Kutsche ist vorgefahren, Herr Konsul“, meldet Jan. „Ja, ja<br />
schon gut, soll noch etwas warten, wir möchten uns an diesem<br />
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schönen Herbstmorgen noch etwas Zeit gönnen. Habe ohnehin<br />
schlecht geschlafen die letzten Nächte. Außerdem quälten mich<br />
düstere Träume. Nicht wahr, meine Liebe“, wendet er sich an<br />
seine reizende Gesellschaft, die ihn augenzwinkernd anlächelt.<br />
<strong>Der</strong> Hausdiener räuspert sich. „Da wäre noch etwas.“ „ Ja, Jan.“<br />
„<strong>Der</strong> Knecht, der jeden Morgen die Milch vom Bauern aus dem<br />
Dorf bringt, erzählt, heute Nacht seien Kuriere aus Hamburg<br />
gekommen, dem Bremer Senat Bericht <strong>zu</strong> erstatten. Im Dorf<br />
Sveechusen hätten sie kurz Rast gemacht. Man munkelt, der<br />
Franzosenkaiser habe die Preußen bei Jena vernichtend geschlagen.“<br />
Trotz der Ungeheuerlichkeit dieser Mitteilung war, wie bei allen<br />
Bediensteten, seine Stimme leidenschaftslos, ohne erkennbare<br />
innere Anteilnahme. Cassel schien, ob dieser niederschmetternden<br />
Nachricht nicht sonderlich überrascht im Gegensatz <strong>zu</strong> seiner<br />
Muse, die einen erschreckenden Stoßseufzer ausstieß. „Habe<br />
ich es doch geahnt“, poltert Cassel los. „Irgendetwas liegt in der<br />
Luft. Daher auch meine Unruhe. Früher auf See in den asiatischen<br />
Gewässern spürten wir Tage vorher bei strahlendem Sonnenschein<br />
aufkommende Unwetter. Seit der Korse den sogenannten<br />
Rheinbund <strong>zu</strong>sammengepresst hat, um sich geschickt neue<br />
Kontingente für seine Feldzüge <strong>zu</strong> sichern, war das ja <strong>zu</strong> erwarten.“<br />
Abrupt war er aufgestanden und schritt ausholend im Salon auf<br />
und ab. „Steht nicht vor Verden Oberst Clerment mit seinem<br />
Regiment? Dann haben wir die Franzosen bald wieder in der<br />
Stadt. Vielleicht wäre ein nordischer Bund, eine Konföderation<br />
mit Hamburg und Lübeck sinnvollerweise von den Preußen als<br />
Gegengewicht vorgeschlagen, eine nicht so absurde Idee gewesen.<br />
Aber die Herren Senatoren konnten sich ja mal wieder nicht<br />
einigen, hatten Bedenken, fürchteten Komplikationen.“ Er lacht<br />
schallend auf. „Nun jetzt haben sie genügend davon und <strong>Bremen</strong>s<br />
Neutralität ist dahin, aber die stand ja ohnehin nur auf<br />
dem Papier.“ Resigniert setzt er sich wieder. Frieda, das Dienst-