Vorlesen in Familien - elementargermanistik.uni-bremen.de ...
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Franziska ist vorsichtig und nicht beson<strong>de</strong>rs mutig. Sie<br />
streichelt ke<strong>in</strong>e frem<strong>de</strong>n Hun<strong>de</strong> und spr<strong>in</strong>gt nicht über<br />
tiefe Gräben. Doch als beim K<strong>in</strong><strong>de</strong>rgartenausflug plötzlich<br />
alle weg s<strong>in</strong>d, ist sie auf e<strong>in</strong>mal ganz alle<strong>in</strong> im<br />
Wald. Statt <strong>de</strong>n Weg zurück f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sie e<strong>in</strong> Ru<strong>de</strong>l Wölfe.<br />
Und hier kippt die Geschichte: Angst spielt auf e<strong>in</strong>mal<br />
ke<strong>in</strong>e Rolle mehr für sie. Furchtlos geht sie auf die<br />
Wölfe zu, spielt Verstecken mit ihnen, kocht für sie,<br />
s<strong>in</strong>gt ihnen Schlaflie<strong>de</strong>r vor.<br />
Am Morgen, als es langsam hell wird, wacht Franziska<br />
auf, Alle<strong>in</strong> macht sie sich auf <strong>de</strong>n Weg, aber die Wölfe<br />
holen sie am Waldrand doch noch e<strong>in</strong>. „Kommst du<br />
irgendwann mal wie<strong>de</strong>r?“. Fragen sie beim Abschied.<br />
Zwei Jungen (Brü<strong>de</strong>r?) abends nebene<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r im Bett,<br />
auf <strong>de</strong>n ersten Blick als „echte Kerle“ kenntlich. Sie<br />
unterhalten sich, <strong>in</strong> knappen Sätzen, über Mädchen.<br />
Voll langweilig s<strong>in</strong>d die, kämmen <strong>de</strong>n ganzen Tag ihre<br />
Puppen, machen sich vor Angst <strong>in</strong> die Hosen beziehungsweise<br />
<strong>in</strong>s Nachthemd. Und glauben doch tatsächlich<br />
an Gespenster!!! So was Blö<strong>de</strong>s, die gibt‘s<br />
doch gar nicht! O<strong>de</strong>r?<br />
Die Geister, die sie mit <strong>de</strong>m Wort „Gespenster“ <strong>in</strong> ihre<br />
Phantasie riefen, wer<strong>de</strong>n die bei<strong>de</strong>n nicht mehr los.<br />
Sche<strong>in</strong>bar müssen sie dr<strong>in</strong>gend Pipi machen. Und<br />
danach f<strong>in</strong><strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Leser die bei<strong>de</strong>n bei e<strong>in</strong>em Mäd-<br />
Josef<strong>in</strong>e ist schlecht<br />
gelaunt. Das kennt<br />
je<strong>de</strong>s K<strong>in</strong>d von sich.<br />
Aber Josef<strong>in</strong>e geht<br />
noch e<strong>in</strong>en Schritt<br />
weiter. Sie sagt ungeheuerliche<br />
D<strong>in</strong>ge zu<br />
ihrer Mama wie „du<br />
bist doof“, und „ich will<br />
nicht mehr bei dir wohnen“.<br />
Und die Mama ärgert<br />
sich über Josef<strong>in</strong>e. So<br />
Dem Papagei Doktor Dodo wird es langweilig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Käfig. Also beschließt er, e<strong>in</strong>e Weltreise zu machen.<br />
Und dabei verwan<strong>de</strong>lt sich das heimische<br />
Wohnzimmer <strong>in</strong> kaum bezw<strong>in</strong>gbare Berggipfel (Kommo<strong>de</strong>),<br />
Wüste (Teppich) und Urwald (Topfblume), <strong>in</strong><br />
<strong>de</strong>m unablässig wil<strong>de</strong> Tiere (Teddybär) lauern. Am<br />
En<strong>de</strong> läuft Dodo e<strong>in</strong>em ungeheuerlichen Schrecken<br />
direkt <strong>in</strong> die Arme. Als er <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Spiegel schaut, sieht<br />
er sich <strong>de</strong>m schrecklichen Schneemenschen gegen-<br />
Pija L<strong>in</strong><strong>de</strong>nbaum: Franziska und die Wölfe 50<br />
„Vielleicht“, antwortet Franziska und macht sich auf<br />
<strong>de</strong>nn Weg <strong>in</strong> <strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>rgarten.<br />
Die durchaus gruseligen Bil<strong>de</strong>r werfen die Frage auf,<br />
<strong>in</strong>wieweit die LeserInnen die Geschichte emotional<br />
aushalten. Fraglich auch, <strong>in</strong>wieweit Franziska als<br />
„Angsthase“ zu Beg<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Geschichte bei <strong>de</strong>n LeserInnen<br />
noch I<strong>de</strong>ntifikation zulässt o<strong>de</strong>r nicht. Damit<br />
zusammenhängend: Aus e<strong>in</strong>em Angsthasen verwan<strong>de</strong>lt<br />
Franziska sich (nach <strong>de</strong>m Wen<strong>de</strong>punkt) im zweiten<br />
Teil <strong>de</strong>r Geschichte <strong>in</strong> e<strong>in</strong> mutiges („taffes“) Mädchen.<br />
Wie <strong>in</strong>terpretiert <strong>de</strong>s K<strong>in</strong>d diese „wen<strong>de</strong>“ (Leerstelle).<br />
Manuela Olten: Echte Kerle 51<br />
chen im Bett (<strong>de</strong>m Schwesterchen?), wo sie dann,<br />
Puppen im Arm, angstfrei e<strong>in</strong>schlafen können.<br />
E<strong>in</strong> Buch, das klischeehaftes Denken und Rollenstereotype<br />
witzig vorführt und entlarvt. Das for<strong>de</strong>rt natürlich<br />
die Rollenvorstellungen <strong>de</strong>r LeserInnen heraus.<br />
Wie gehen beispielsweise die Jungen mit dieser Dissonanz<br />
um?<br />
Tove Appelgren, Salla Savola<strong>in</strong>en: Josef<strong>in</strong>e f<strong>in</strong><strong>de</strong>t heute alles doof 52<br />
entsteht e<strong>in</strong> Streit, <strong>de</strong>r sich immer weiter hochschaukelt.<br />
E<strong>in</strong>e Alltagsgeschichte für Mütter und Töchter<br />
bzw. K<strong>in</strong><strong>de</strong>r.<br />
Das Buch bietet e<strong>in</strong>e gute Diskussionsgrundlage für<br />
bei<strong>de</strong> Parteien. K<strong>in</strong><strong>de</strong>r dürfen ihren Unmut leben,<br />
können sauer se<strong>in</strong> wie Josef<strong>in</strong>e. Und die Mütter müssen<br />
nicht immer perfekt und ke<strong>in</strong>esfalls pädagogisch<br />
se<strong>in</strong>, Hauptsache, man hat sich am En<strong>de</strong>, trotz Streit,<br />
wie<strong>de</strong>r lieb.<br />
E<strong>in</strong>e Geschichte, die vor allem dazu anregt, über ähnliche<br />
Erfahrungen und eigene Gefühle zu sprechen,<br />
Konfliktsituationen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r eigenen Familie zu über<strong>de</strong>nken.<br />
Bild 15: Josef<strong>in</strong>e f<strong>in</strong><strong>de</strong>t heute alles doof<br />
Ole Könnecke: Doktor Dodos Weltreise 53<br />
über. So macht Doktor Dodo, wie viele Reisen<strong>de</strong> vor<br />
ihm, die Erfahrung, dass <strong>de</strong>r Rückweg (<strong>in</strong> <strong>de</strong>n sicheren<br />
Käfig) oft viel schneller zurückgelegt wird als <strong>de</strong>r H<strong>in</strong>weg.<br />
E<strong>in</strong> Buch, dass die k<strong>in</strong>dliche Fähigkeit zur fantastischem<br />
Verwandlung <strong>de</strong>r Welt <strong>in</strong>s Bild setzt, <strong>de</strong>n Lesern<br />
dabei die Möglichkeit gibt, das Fantastische als<br />
Konstruktion zu durchschauen. Der sachlich abgefasste<br />
Text steht <strong>in</strong> ironischem Verhältnis zu <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn.<br />
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