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Tino Sehgal im Kunstverein Hamburg - Das Magazin für Kunst ...

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FOTOS: © 1. GERD KUNIS, 2. GRAFIK INSA MÜLLER, 3.CHARLOTTE BRINKMANN<br />

<strong>Kunst</strong> mit<br />

glücklichen<br />

Schweinen<br />

WAS HAT DAS SCHWEIN IN DER KUNST ZU SUCHEN?<br />

CHARLOTTE BRINKMANN ÜBER DAS KUNST-SCHWEIN<br />

IM ALLGEMEINEN UND INSA WINKLERS<br />

„EICHELSCHWEIN“-PROJEKT IM BESONDEREN<br />

Glücksschweine sind derzeit hoch in<br />

Mode. Gerade zum Jahreswechsel wurden<br />

sie – oft aus rosa Marzipan – massenweise<br />

verschenkt. Der Ursprung dieser<br />

Sitte ist leicht herzuleiten: wer in<br />

bäuerlich Zeiten ein Schwein hatte, der<br />

hatte Glück, denn ein Schwein konnte<br />

die ganze Familie durch den Winter bringen.<br />

Und wessen Sau dann noch viel<br />

Nachwuchs warf, der hatte noch mehr<br />

Glück. Bis heute sind niedliche Ferkel<br />

und pralle Speckschweine ein Symbol<br />

<strong>für</strong> Glück und Wohlstand. So präsentierte<br />

Jeff Koons, der Meister der Kitsch-<br />

Grafik von Insa Winkler | Modell <strong>für</strong> das<br />

Eichelschwein-Kino<br />

<strong>Kunst</strong>, <strong>im</strong> vergangenen Jahr auf der Art Basel sein lebensgroßes, von<br />

Putten begleitetes rosarotes Holzschwein mit grüner Schleife: „Ushering<br />

in Banality“ (Einführung der Banalität). <strong>Das</strong> Schwein als Klischee<br />

der heilen Welt? Doch kein Schwein wird so heiß geliebt wie es gegessen<br />

wird. Darauf verweisen alltägliche Sch<strong>im</strong>pfworte wie „faules<br />

Schwein“, „Drecksau“ und „geiler Keiler“. Diagnose: ein äußerst ambivalentes<br />

Verhältnis gegenüber dem domestizierten Wildschwein.<br />

Tatsächlich lernen die meisten Menschen Schweine erstmals als<br />

Schnitzel kennen. Obwohl die Zeiten, als der reichliche Verzehr von<br />

Schweinefleisch als Anzeichen eines gehobenen Lebensstandards<br />

galt, vorbei sind, steigt der Trend zu Großmastbetrieben. Die „Produktion“<br />

von Schweinefleisch, wie es <strong>im</strong> Fachjargon heißt, gleicht einer<br />

hochtechnisierten Industrieanlage. Dieses denaturierte Verhältnis<br />

beschäftigte bereits 1997 zwei Künstler, die <strong>für</strong> die documenta X ein<br />

„Haus <strong>für</strong> Menschen und Schweine“ errichteten. Carsten Höller und<br />

Rosemarie Trockel machten uns in einem zweigeteilten Betonhaus<br />

mit Spiegelscheibe zu Zuschauern eines – <strong>für</strong> hundert Tage – selbstbest<strong>im</strong>mten<br />

Lebens einer Schweine-Großfamilie, vergleichbar einer<br />

Reality-Soap. Doch das glückliche Schweinetreiben in einer artgerechten<br />

Behausung löste größte Empörung aus.<br />

Künstlerportrait o.T. 9<br />

Gerade realisiert eine norddeutsche Landart-Künstlerin wieder ein<br />

Projekt zum Glück von Schweinen. Ganz nach Joseph Beuys Begriff der<br />

„Sozialen Plastik“ verfolgt Insa Winkler aus Hude (Oldenburg) mit der<br />

modellhaften Züchtung von „Eichelschweinen“ nichts weniger als ein<br />

breites Umdenken und die Förderung einer nachhaltig ökologischen<br />

und sozial verträglichen Landwirtschaft. Dazu gründete sie eine „Eichelschwein-Gemeinschaft“<br />

– angesichts <strong>im</strong>mer wiederkehrender<br />

Gammelfleischskandale kein größeres Problem –, kaufte mit deren<br />

Einlagen zehn Ferkel, viele Säcke Biogerste, mehrere Meter Zaun und<br />

suchte nach einer geeigneten Wiese unter Eichenbäumen. Bis ins<br />

19. Jahrhundert wurden hierzulande Schweine ganzjährig <strong>im</strong> Freiland<br />

gehalten. Im Frühjahr und Sommer weideten die Tiere in Feuchtgebieten,<br />

<strong>im</strong> Herbst wurden sie<br />

von Hirten zur wertvollen<br />

Eichelmast in sogenannte<br />

Hutewälder („hüten“)<br />

getrieben. <strong>Das</strong> gab den<br />

besten Schinken. Unter<br />

Bezug auf die historische<br />

Schweinemast erhält Insa<br />

Winkler ideelle Unterstützung<br />

von Landschaftspflegern<br />

und modernen Agrarwirten,<br />

die ebenfalls erste<br />

Modellversuche in diese<br />

Film-Szene | Schwein <strong>im</strong> Eichelwald<br />

Richtung betreiben.<br />

Insa Winkler | Die Performance „<strong>Das</strong> Eichelschwein-Rennen“, November 2006<br />

Ihr Vorhaben war jedoch von Anbeginn als temporäres <strong>Kunst</strong>projekt<br />

angelegt, wie dies auch eine medienwirksame Performance <strong>im</strong> November<br />

2006 nahe legte: Zum Abschluss des glücklichen Jahres auf<br />

der Eichelschwein-Wiese durften sich die zehn Tiere in einem „Eichelschwein-Rennen“<br />

aneinander messen, waren künstlerisch dekoriert<br />

mit Eichenblatt-Flügeln. Nach der Aktion gingen die ersten fünf Tiere<br />

zur Schlachtung in einen Fachbetrieb und haben den Jahreswechsel<br />

bereits als tiefgefrorene Bio-Koteletts überstanden.<br />

Doch das Projekt wird noch lange nicht abgeschlossen sein. Im Moment<br />

bereitet Winkler ihr wanderndes „Eichelschwein-Kino“ vor, das<br />

bereits erste Einladungen erhalten hat und einen Film über Insa‘s<br />

Glücksschweine zeigen wird. Denn nur glückliche Schweine bringen<br />

Glück, das wusste auch die Nationalelf, die zur WM 2006 ein Bio-<br />

Schwein namens „Finale“ überreicht bekam.<br />

www.galerien-in-hamburg.de

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