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hohenzollerische heimat w 3828 fx - Hohenzollerischer ...

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HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Zustand des Fürst-Carl-Landesspitals im Jahr 1897<br />

Hcrauogcgcbcn oom<br />

W <strong>3828</strong> FX<br />

Hohcnzollcrifchcn Gcfchlchteocrcln<br />

29. Jahrgang Nr. t/ Mär: 1979<br />

Hauptgebäude, begonnen 1844. Rechts angebaut der Josefsbau, dahinter die »Engelsburg', rechts unten im Garten »Maria-<br />

Hilftr. Links vom Hauptgebäude St. Johann, oben dasVinzentius-Haus. (Bild a. d. Festschrift 1897)<br />

JOSEF MÜHLEBACH<br />

Zur Geschichte des FürsivCarl^Landeskrankenhauses Sigmaringen<br />

Doctor Franz Xaver Mezler, Fürstlich Hohenzollern-<br />

Sigmaringenscher Geheimer Medizinalrat, Leibarzt des<br />

Fürsten und Mitglied mehrerer Gelehrtengesellschaften,<br />

beleuchtet in seiner Schrift »Versuch einer medizinischen<br />

Topographie der Stadt Sigmaringen« (1822) die Mängel<br />

und Unzulänglichkeiten im Gesundheitswesen und in der<br />

ärztlichen Versorgung der Kranken der Stadt Sigmaringen.<br />

Was Mezler für die Stadt Sigmaringen aussagte,<br />

galt in gleicher Weise für den ganzen Bereich des Fürstentums<br />

Hohenzollern-Sigmaringen mit der damals<br />

zu Sigmaringen gehörenden Herrschaft Haigerloch. Hier<br />

stellt sich gleich die Frage, wie war die Entwicklung der<br />

Verhältnisse im Gesundheitswesen in früheren Jahrhunderten,<br />

wie haben sich das Gesundheitswesen und die<br />

Fürsorge für die Kranken und Unfallverletzten in Stadt<br />

und Land seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts weiter<br />

entwickelt.<br />

Das Gesundheitswesen in Sigmaringen<br />

vor der Gründung des Landesspitals<br />

Am Anfang des Gesundheitswesens für den Bereich der<br />

Stadt Sigmaringen standen die klösterlichen Niederlassungen<br />

Gorheim, Hedingen, Inzigkofen, Laiz. Diese Einrichtungen<br />

haben sich sicher, wie gleichartige Gründungen<br />

anderwärts auch, um Hilfeleistungen für Kranke<br />

durch Anwendung von Heilkräutern bemüht. Damit war<br />

der Ansatz zur Kranken- und Siechenpflege gegeben.<br />

Das Seelbuch der Beginenklause Gorheim vom Jahre<br />

1350 - die Klause bestand seit 1303 - gibt uns Kunde<br />

von dem Bestehen eines Siechenhauses bei Gorheim. 1426<br />

wird erstmals für Sigmaringen das Spital erwähnt. Das<br />

Spital war aber kein Krankenhaus im heutigen Sinn,<br />

vielmehr ein Pfründnerhaus, in dem zunächst ärmere,<br />

dann aber auch wohlhabendere Personen ihren Lebens-


abend verbringen konnten. Dieses Spital stand neben<br />

dem Mühltor, das Hedinger oder Untere Tor genannt,<br />

also in der Nähe des Ow'schen Hauses Schwabstraße 1.<br />

Graf Karl von Zollern-Sigmaringen verlegte gegen<br />

Ende des 16. Jahrhunderts das Spital wegen Unzulänglichkeit<br />

in das aufgehobene Dominikanerinnen-Kloster<br />

Hedingen. Als 1624 das Klostergebäude den Franziskanern<br />

zur Verfügung gestellt wurde, erwarb die Stadt das<br />

alte Pfarrhaus, das heutige Haus Gauggel-Niklas an der<br />

Fürst-Wilhelm-Straße 24 im Innern der Stadt, als neue<br />

Heimstätte des Spitals. Das Haus war jedoch so stark reparaturbedürftig<br />

und baufällig, daß sich eine Instandsetzung,<br />

die sich sehr bald als dringend notwendig herausgestellt<br />

hat, der hohen Kosten wegen nicht durchführen<br />

ließ. Die Stadt erwarb dann 1717 im Tauschweg das<br />

Haus der Apollonia Hafnerin in der Vorstadt Nr. 18 und<br />

richtete dort das Spital ein. Mit der Zeit wurde das<br />

Haus so ausgebaut, daß Einzelzimmer eingerichtet wurden<br />

und kranke Dienstboten und fremde Personen aufgenommen<br />

werden konnten. So wurde aus dem Pfründnerheim<br />

ein Pflegehaus für kranke Dienstboten und Herberge<br />

für Durchreisende. Als nach einiger Zeit auch dieses<br />

Haus wegen wachsender Bedürfnisse zu klein und zu<br />

beengt war, erwarb die Stadt im Jahre 1832 das Areal<br />

außerhalb der Stadt in den sog. Frühmeßgärten für ein<br />

städtisches Spital. Das auf dem Platz erstellte neue Gebäude,<br />

heute Brenzkoferstraße 1, konnte 1834 belegt<br />

werden. Eine Zeitlang diente das Haus als Spital, von<br />

1860-1870 als Lehrer-Präparandenanstalt, anschließend<br />

als Wohnung für Dienstkräfte der Regierung und andere<br />

Privatpersonen.<br />

Diese kurze Schau auf die geschichtliche Entwicklung<br />

des städtischen Spitals läßt leicht erkennen, daß für die<br />

Kranken der Stadt und des Umlandes völlig unzulänglich<br />

gesorgt war. Wohl war für das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />

ein öffentlicher Gesundheitsdienst<br />

eingerichtet. Zu seinen Aufgaben gehörte die Zulassung<br />

und Bestallung von Ärzten und Naturheilkundigen, die<br />

Überwachung des Arzneimittelwesens, hier im besonderen<br />

die Lizenz von Apotheken, dann die Überwachung<br />

des Verkehrs mit Heilmitteln und Giften und das Hebammenwesen.<br />

An der Spitze des gesamten öffentlichen<br />

Gesundheitsdienstes im Fürstentum stand der Medizinalrat<br />

oder Medizinalreferent der Landesregierung. Es<br />

gab auch den Oberamtswundarzt, die Wundärzte und<br />

den Bader. Letzterer ließ zur Ader und setzte Schröpfköpfe<br />

an. Er übte einfache Wundbehandlung, schnitt<br />

auch die Haare und durfte Zähne ziehen. Diese Skizzierung<br />

kann die Medizinalverhältnisse des Fürstentums nur<br />

andeuten, viel weniger beschreiben.<br />

Die Gründung der Stiftung »Landesspital« Sigmaringen<br />

Die bis dahin unzulänglichen Verhältnisse im Gesundheitswesen<br />

und in der Versorgung der Kranken nahm<br />

das Fürstliche Haus zum Anlaß, hier durch eine großzügige<br />

Tat Abhilfe und Besserung zu schaffen. Der erste<br />

Schritt zur Behebung der Mängel war, daß Erbprinz<br />

Carl von Hohenzollern Sigmaringen am 20. Februar<br />

1828 ein Kapital von 10 000 Gulden für die Erstellung<br />

eines allgemeinen Krankenhauses gestiftet hat. Fürst Anton<br />

Alois, der Vater des Stifters, hat den so gegründeten<br />

Spitalfond am 29. März des gleichen Jahres eine weitere<br />

Kapitalsumme von 20 000 Gulden zugewendet und dabei<br />

bestimmt, daß der Landesspitalstiftung der Genuß der<br />

Vorrechte milder Stiftungen zukommen soll. Unter Festlegung<br />

weiterer Einzelheiten wurde durch die Fürstliche<br />

Verordnung vom 29. März 1828 als Zweck der Stiftung<br />

bestimmt:<br />

2<br />

a Die Aufnahme gefährlicher und heilbarer Irrer, da die<br />

Irrenanstalt in Hornstein aufhören und mit dem Landesspital<br />

vereint werden wird,<br />

b Die Aufnahme von ekelhaften und ansteckenden<br />

Kranken, deren Unterbringung in den Ortschaften<br />

oder ihren Familien nach der Natur des Lebens nicht<br />

oder nur mit größten Belästigungen stattfinden kann,<br />

c Die Aufnahme von armen Kranken, welche sich beschwerlichen<br />

Operationen unterziehen müssen,<br />

d Die Aufnahme fremder Kranken, welche nicht sogleich<br />

in ihr Heimwesen zurückzubringen, sondern auf<br />

Kosten der Gemeinde oder Stiftungen zu verpflegen<br />

sind.<br />

Man muß sich hier daran erinnern, daß damals Geisteskranke<br />

in der Regel in einer das Entweichen verhindernden<br />

Weise untergebracht wurden. Im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />

diente zu diesem Zweck die<br />

Strafanstalt Hornstein.<br />

Das Stiftungskapital konnte im Laufe der nächsten Jahre<br />

durch weitere Zuwendungen des Fürstenhauses, von<br />

Gemeinden, Pfarrämtern und Privatpersonen soweit aufgestockt<br />

werden, daß schon mit der Erstellung des<br />

Hauptgebäudes im Jahre 1844 begonnen werden konnte.<br />

Der Baustil, vor allem die Vorderfront entsprach dem<br />

Typ der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erstellten<br />

Krankenanstalten. 1847 konnte das Gebäude in Betrieb<br />

genommen werden. Erbauer war Baumeister Krämer<br />

aus Würzburg. Die Stiftung hatte folgende Benennungen:<br />

1847 Landesspital, 1857 Fürst-Carl-Landesspital, 1928<br />

Landeskrankenhaus (Fürst-Carl-Landesspital), 1936<br />

Fürst-Carl-Landeskrankenhaus. Die Verwaltung lag ursprünglich<br />

bei der Fürstlich-Hohenzollernschen Landesregierung,<br />

ab 1850 bei der Königlich Preußischen Regierung<br />

Sigmaringen, ab 1875 beim Landeskommunalverband<br />

der Hohenzollerischen Lande, ab 1963 beim Landkreis<br />

Sigmaringen.<br />

Die organisatorische und bauliche Entwicklung von 1850<br />

bis zum Ersten Weltkrieg<br />

Schon im Herbst 1852 wurde durch Verordnung der Königlich-Preußischen<br />

Regierung im Landesspital eine Hebammenlehranstalt<br />

gegründet. Die Unterrichtskurse für<br />

die Hebammenschülerinnen fanden jeweils in der Zeit<br />

vom 1. November bis Ende März des folgenden Jahres<br />

statt. Frauen, die sich in dieser Zeit zur Entbindung ins<br />

Spital aufnehmen ließen, fanden unentgeltliche Aufnahme.<br />

Die Hebammenschule bestand bis März 1865. Auf<br />

Grund einer Verordnung der Regierung mußte von da<br />

an die Ausbildung der Hebammen aus Hohenzollern an<br />

der Hebammenschule in Stuttgart erfolgen. Dagegen<br />

wurde im gleichen Jahr eine Lehranstalt für Mädchen<br />

eingerichtet, die gegen eine ganz geringe Vergütung im<br />

Kochen und in den Hausarbeiten gründlich ausgebildet<br />

wurden. Die Mädchen konnten sich auch auf Wunsch in<br />

der Krankenpflege ausbilden lassen.<br />

Schon nach einem Jahrzehnt des Bestehens des Spitals ergab<br />

sich wegen der sich langsam steigernden Belegung die<br />

Notwendigkeit, durch zusätzliche Bauten der Raumnot<br />

abzuhelfen und Unterkunft und Einrichtungen vor allem<br />

für Geisteskranke entsprechend den neuen Bedürfnissen<br />

zu schaffen. So wurden von 1857 an folgende Einzelgebäude<br />

erstellt:<br />

1857 das Isoliergebäude für unruhige Männer, das<br />

sogenannte Rote Haus, später umbenannt in<br />

»St. Johann«, erweitert 1897<br />

1868/69 das Josefshaus, erweitert 1876<br />

1888/89 die Engelsburg als Einzelgebäude für unruhige<br />

Frauen.


1895/96 das Vinzentiushaus als Isoliergebäude für ruhige<br />

geisteskranke Männer.<br />

1896 das chirurgische Nebengebäude (Chirurgische<br />

Baracke), seit 1931 Kinderabteilung Maria<br />

Hilf.<br />

1901/02 das Wirtschaftsgebäude mit Kochküche, Backküche,<br />

Heizräumen und Desinfektionsraum.<br />

1906/07 das Annahaus als Isoliergebäude für ruhige<br />

geisteskranke Frauen.<br />

1906/07 das Einzelgebäude St. Anton für Infektionskranke.<br />

Die Entwicklung der Chirurgie<br />

Aus dieser Obersicht über die bauliche Entwicklung läßt<br />

sich leicht ablesen, daß bis in die Zeit vor dem Ersten<br />

Weltkrieg im Landesspital der Unterbringung und Pflege<br />

der Geisteskranken besonderes Gewicht zukam. Die Chirurgie<br />

mußte sich ihren Weg zur vollen Entfaltung recht<br />

mühsam erkämpfen. Noch in der Festschrift »Zur Jubelfeier<br />

des Fürst-Karl-Landesspitals 1847-1897 in Sigmaringen«<br />

hat der damalige ärztliche Direktor Dr. Alfons<br />

Bilharz eine Arbeit »Ober die Natur und die Entstehung<br />

der Geisteskrankheiten« veröffentlicht, die in der ärztlichen<br />

Welt große Beachtung und hohe Anerkennung gefunden<br />

hat, die aber auch den damaligen Vorrang der<br />

Psychiatrie vor der Chirurgie im Landesspital dokumentierte.<br />

Nun aber war die Zeit gekommen, in der die Chirurgie<br />

erfolgreich vorwärts drängte und sich im Gesundheitswesen<br />

einen gleichwertigen Platz eroberte. Ein erstes<br />

deutliches Zeichen für diese Entwicklung war, daß 1896<br />

die Chirurgische Baracke erstellt wurde. Hier zeigt sich<br />

beispielhaft, wie grundlegend sich die ärztlichen Behandlungsmethoden<br />

in diesem Zeitraum geändert und verbessert<br />

haben.<br />

Durch Verordnung der Fürstlich Hohenzollernschen<br />

Landesregierung vom 5. Mai 1847 wurde der jeweilige<br />

Physikus der Landesregierung zum ärztlichen Direktor<br />

des Spitals und gleichzeitig zum Leiter der »Chirurgischen<br />

Abteilung« bestellt, während diese dem Oberamtswundarzt<br />

übertragen wurde. Diese Ärzte hatten laut Beschluß<br />

der Geheimen Konferenz der Fürstlichen Regierung<br />

vom 14. Mai 1847 ihre Tätigkeit unentgeltlich auszuüben.<br />

Chirurgische Eingriffe wurden schon von der<br />

Eröffnung der Anstalt an ausgeführt, doch hatten diese<br />

mit der Tätigkeit eines modernen Chirurgen noch wenig<br />

zu tun.<br />

Die Sterblichkeit nach Operationen war damals noch erschreckend<br />

hoch, und es war auch an großen Kliniken<br />

keine Seltenheit, daß von zehn Amputierten neun starben.<br />

Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Tätigkeit<br />

der Wundärzte damals nicht in hohem Ansehen<br />

stand. Drei Fertigkeiten fehlten ihnen, die heute als<br />

selbstverständlich angenommen werden: die Kunst,<br />

schmerzlos zu operieren, die Kunst, die Blutung zu beherrschen<br />

und die Kunst, die Wundeiterung zu verhindern.<br />

Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts<br />

hat die ärztliche Wissenschaft diese Probleme gelöst.<br />

So finden wir auch in der Geschichte des ersten halben<br />

Jahrhunderts des Fürst-Carl-Landesspitals nur ganz vereinzelte<br />

Hinweise auf chirurgische Tätigkeit, und auch<br />

vom Oberamtswundarzt ist später nicht mehr die Rede.<br />

Im Jahr 1880 wird als besonderes Ereignis die erfolgreiche<br />

Amputation eines Oberschenkels erwähnt. Die Tatsache<br />

aber, daß, wie bereits oben angeführt, im Jahr 1896<br />

die so genannte Chirurgische Baracke erbaut wurde, beweist,<br />

daß auch der damalige ärztliche Direktor, Geheimer<br />

Sanitätsrat Dr. Alfons Bilharz, der sich sehr der<br />

Psychiatrie verbunden fühlte, die Fortschritte der chirur-<br />

gischen Forschung mit Interesse verfolgte. Die Einrichtung<br />

dieses Baues schaffte die Möglichkeit, die Erkenntnisse<br />

der Asepsis und Antisepsis zu verwerten. Zu einer<br />

chirurgischen Tätigkeit auf breiterer Basis kam es jedoch<br />

zunächst noch nicht. Das lag wohl daran, daß das<br />

Hauptinteresse der damaligen Anstaltsleiter mehr auf<br />

dem Gebiet der Geisteskrankheiten und der inneren Medizin<br />

lag und daß es bei dem damals bestehenden Ärztemangel<br />

nicht gelang, einen entsprechend vorgebildeten<br />

Assistenzarzt zu bekommen.<br />

1914-1918 war das Landesspital wie auch im Zweiten<br />

Weltkrieg Reservelazarett. 1915 begann Dr. Friedrich<br />

End seine Tätigkeit als Arzt im Krankenhaus. 1919 wurde<br />

er zum ärztlichen Direktor bestellt. Mit ihm übernahm<br />

erstmals ein Chirurg die Direktion der Anstalt.<br />

Jetzt erst hielt eigentlich die Chirurgie ihren Einzug. Im<br />

Jahr 1920 wurden schon 70 Operationen ausgeführt.<br />

Diese Zahl wurde auch in den nächsten Jahren erreicht,<br />

eine Leistung, die nur dann richtig gewertet werden<br />

kann, wenn man bedenkt, daß der damalige Anstaltsleiter<br />

außerdem die Betreuung der Geisteskranken, der innern<br />

Kranken und der Pfründner oblag.<br />

Der Aushau 1929/1939<br />

Die von Dr. Friedrich End eingeleitete Entwicklung auf<br />

dem Gebiet der Chirurgie fand im Krankenhaus erfolgreiche<br />

Fortsetzung, als Dr. Hermann Lieb 1942 als<br />

Nachfolger von Dr. End zum ärztlichen Direktor berufen<br />

und bald darauf als Facharzt für Chirurgie anerkannt<br />

wurde. Den großen Schritt nach vorn brachte<br />

dann der Umbau des Hauptgebäudes 1929/1930. Er war<br />

den damaligen Verhältnissen entsprechend sehr großzügig<br />

und sehr fortschrittlich. Durch die Verlegung der<br />

Pfründner in das 1928 vom Landkreis Sigmaringen neu<br />

erstellte Altersheim in Gammertingen, heute Kreisaltersheim,<br />

wurde für eigentliche Krankenhauszwecke viel<br />

Raum gewonnen. Mit dem Ausbau des Hauptgebäudes<br />

wurden die Erstellung eines Verbindungsbaues zum Josefshaus<br />

und der Umbau des Josefshauses verbunden. Im<br />

Zuge dieser Baumaßnahme sind neue Operationsräume,<br />

ein Röntgenraum und eine Frauenabteilung mit Entbindungsraum<br />

eingerichtet worden. Gleichzeitig schuf man<br />

neue Räume für die Ambulanz und im Kellergeschoß<br />

Therapie- und Baderäume. Auch das Wirtschaftsgebäude<br />

fand bei diesen Baumaßnahmen, in die auch die Erstellung<br />

einer neuen Heizanlage einbezogen wurde, eine<br />

zweckmäßige Neugestaltung.<br />

Ausweitung des ärztlichen Aufgabenbereiches<br />

Die Schau auf die Entwicklung des gesamtärztlichen Bereiches<br />

kann sich nicht auf die Entwicklung der Chirurgie<br />

beschränken. Gerechterweise muß diese Schau auf<br />

andere Gebiete der Medizin ausgeweitet werden. Die zunehmenden<br />

Verkehrsunfälle nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

machten neue spezifische Behandlungsmethoden<br />

notwendig. Erkrankungen des Magens, der Leber, der<br />

Gallenblase, des Darmes und der Harnorgane stellten<br />

den Arzt täglich vor Fragen, die über Leben und Tod<br />

entschieden. Schon in der Diagnosestellung haben sich<br />

verfeinerte Methoden entwickelt, die auf allen Gebieten<br />

der Medizin zu einer Spezialisierung der Behandlungsmethoden<br />

führten. Die Zeit war gekommen, in der verschiedene<br />

Fachabteilungen eingerichtet werden mußten.<br />

Am Anfang dieser Entwicklung stand, nachdem ein<br />

Facharzt für Chirurgie bestellt war, die Anstellung eines<br />

Facharztes für Psychiatrie für die Nervenabteilung, die<br />

erstmals 1932 mit Dr. med. Hans Hüetlin einen fachärztlichen<br />

Leiter erhielt. Es folgte die Einrichtung der<br />

inneren Abteilung, deren Leitung 1946 dem Facharzt für<br />

3


innere Krankheiten, Dr. med. habil. Hans Robbers, übertragen<br />

wurde. Der Nachfolger von Dr. Hermann Lieb<br />

als ärztlicher Direktor war wieder ein Facharzt für Chirurgie,<br />

Dr. med. Rudolf Eisele (1965-1976).<br />

In die Chronik des Krankenhauses ist auch ein recht betrübliches<br />

und düsteres Ereignis, das vor allem die Nervenabteilung<br />

betroffen hat, eingegangen: Am 12. Dezember<br />

1940 und an einem Märztag 1941 sind von einer<br />

nationalsozialistischen Organisation unter dem ominösen<br />

Stichwort »Euthanasie« annähernd 80-100 sogenannte<br />

unheilbare Geisteskranke nach Grafeneck und Weinsberg<br />

verlegt worden.<br />

Der Schwesterndienst und die Krankenpflegeschule<br />

Schon 1847 ist von der Fürstlich-Hohenzollernschen<br />

Landesregierung und dem Mutterhaus der Kongregation<br />

der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von<br />

Paul in Straßburg ein Vertrag abgeschlossen worden,<br />

nach dem die Kongegration dem Landesspital drei<br />

Schwestern für den Krankenpflegedienst und die Hauswirtschaft<br />

zur Verfügung stehen. Schon bald nach der<br />

Eröffnung des Spitals hat sich ein verstärkter Bedarf an<br />

Schwestern ergeben. Nach entsprechenden Änderungen<br />

des Vertrages waren es 1854 fünf Schwestern, 1897 siebzehn<br />

und später bis zu 40 Schwestern, die von der Kongregation<br />

im Landesspital eingesetzt wurden. Später trat<br />

an die Stelle des letzten Vertrags im Jahre 1859 ein solcher<br />

mit dem Mutterhaus in Heppenheim an der Bergstraße<br />

von 1927. Das Mutterhaus in Heppenheim ist,<br />

nachdem Straßburg - mit Elsaß-Lothringen - nach<br />

dem Ersten Weltkrieg französisch wurde, 1927 für das<br />

deutsche Gebiet der Kongregation neu errichtet worden.<br />

Nach dem alten wie nach dem neuen Vertrag wurden<br />

die Pflegedienste wie die Arbeiten in der Hauswirtschaft<br />

überwiegend von den Kongregationsschwestern besorgt.<br />

Einige Zeit später gelang es den Organen des Landeskommunalverbandes<br />

und des Landeskrankenhauses -<br />

unter Abwendung der Gefahr der Zuweisung sogenannter<br />

Brauner Schwestern - im Oktober 1938 Schwestern<br />

vom Deutschen Roten Kreuz, Mutterhaus Stuttgart, für<br />

das Krankenhaus zu gewinnen. Als nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg der Schwesternnachwuchs auch beim Roten<br />

Kreuz zurückging wurden die Lücken im Pflegedienst<br />

mit freien Schwestern und mit männlichen Pflegekräften<br />

- von diesen letzteren waren schon immer<br />

Hilfskräfte vorhanden - ausgefüllt. Eine Erleichterung<br />

in der Gewinnung von Pflegekräften brachte die 1938<br />

mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde errichtete Krankenpflegeschule.<br />

Nach erfolgreichem dreijährigen Besuch<br />

der Krankenpflegeschule und nach Ablegung der Abschlußprüfung<br />

entschlossen sich doch immer wieder Absolventen<br />

der Schule, als Pflegekräfte im Landeskrankenhaus<br />

zu bleiben.<br />

Mit der Eröffnung des neuen Kreiskrankenhauses im Februar<br />

1979 hat der Einsatz der Kongregationsschwestern<br />

ganz aufgehört. Gerade die selbstlose, opfervolle und unermüdliche<br />

Tätigkeit dieser Schwestern vom frühen<br />

Morgen bis späten Abend oft ein ganzes Leben lang sichert<br />

ihnen die Dankbarkeit unzähliger Patienten.<br />

Die ärztlichen Direktoren<br />

Im Verlauf der 130jährigen Geschichte des Landeskrankenhauses<br />

ist dieses Bild im wesentlichen von den jeweiligen<br />

ärztlichen Direktoren geformt und geprägt worden.<br />

Gerade die Schau auf die Reihe der Direktoren bietet<br />

wertvolle Erkenntnisse über die Entwicklung der Anstalt.<br />

Als ärztliche Direktoren haben seit dem Bestehen<br />

der Anstalt gewirkt:<br />

Dr. Franz Xaver Alt, Physikus, 1847-1850<br />

4<br />

Dr. Heinrich Rappold, prakt. Arzt und Sanitätsrat,<br />

1851-1856<br />

Dr. Oskar Schwarz, Medizinalrat, 1856 bis 1870<br />

Dr. Karl Friedrich von Massenbach, Regierungs- und<br />

Medizinalrat, 1871 bis 1879<br />

Dr. Theodor Hafner, praktischer Arzt, 1879 bis 1882<br />

Schanz, Oberamtsphysikus, vertretungsweise ärztlicher<br />

Direktor 1882<br />

Dr. Alfons Bilharz, praktischer Arzt, »Arzt und Philosoph«,<br />

1882 bis 1907<br />

Dr. Johannes Longard, Gerichtsarzt a. D., praktischer<br />

Arzt, 1907 bis 1914<br />

Dr. Friedrich End, praktischer Arzt, 1914 bis 1942<br />

Dr. Hermann Lieb, Facharzt für Chirurgie, 1943 bis<br />

1963, von 1945 bis 1948 vertreten von Dr. med. Hans<br />

Hüetlin<br />

Dr. med. habil. Hans Robbers, Facharzt für innere<br />

Krankheiten, 1963 bis 1965<br />

Dr. med. Rudolf Eisele, Facharzt für Chirurgie, 1965 bis<br />

Ende März 1976<br />

Dr. Gebhard Amann, Facharzt für innere Krankheiten,<br />

ab 1976 kommissarischer, ab Februar 1979 endgültig<br />

ärztlicher Direktor<br />

Der letzte Abschnitt der Ära<br />

»Fürst-Carl-Landeskrankenhaus«<br />

Einige vergleichende Angaben über den Stand des Landeskrankenhauses<br />

am Ende des vorstehend dargelegten<br />

Zeitraumes mögen das geschichtliche Bild der Anstalt ergänzen<br />

und den übergroßen Fortschritt von 1847-1979<br />

aufzeigen. Schon oben ist ausgeführt, daß in den ersten<br />

Jahren des Bestehens das Krankenhauses der ärztliche<br />

Dienst von den Medizinalbeamten der Regierung unentgeltlich<br />

wahrgenommen werden mußte. Zwar folgte bald<br />

der hauptamtliche Direktor, doch war diesem nur eine<br />

einzige Hilfskraft, ein Assistenzarzt, zugeteilt, und es<br />

dauerte noch einige Jahrzehnte, bis ein Medizinalpraktikant<br />

zusätzlich beschäftigt werden durfte. Immer wieder<br />

klagen die Ärzte jener Zeit, es sei sehr schwer, einen geeigneten<br />

Assistenzarzt zu bekommen. Andererseits war es<br />

dem sehr geringen Kostenaufwand für die ärztlichen<br />

Dienstkräfte, wie auch dem für die Kongregationsschwestern,<br />

zu danken, daß bis zum Ersten Weltkrieg der Tagessatz<br />

für Geisteskranke auf nur 3.50 Mark und der für<br />

körperlich Kranke und Pfründner auf 2.50 Mark festgelegt<br />

werden konnte. Zuletzt betrug der Tagessatz für<br />

körperlich Kranke 156 DM.<br />

Zu Beginn dieses Jahrhunderts setzte dann eine starke<br />

Ausweitung des ärztlichen Dienstes ein, die schließlich<br />

zur Einrichtung von Fachabteilungen führte. Der erstmaligen<br />

Bestellung eines Facharztes für Chirurgie und<br />

eines solchen für Psychiatrie und Neurologie folgte die<br />

Bildung von weiteren Fachabteilungen, und zwar für innere<br />

Krankheiten, für Gynäkologie mit Geburtshilfe, für<br />

Urologie, für Anästhesie, für Intensivpflege, für Hals-,<br />

Nasen- und Ohren- Kranke, für Radiologie. Für die<br />

Wahrnehmung der gesamten ärztlichen Dienste standen<br />

zuletzt 8 Chefärzte, 10 Oberärzte, 29 Assistenzärzte und<br />

mehrere Medizinalpraktikanten zur Verfügung. Im<br />

Durchschnitt werden jetzt im Krankenhaus jährlich<br />

etwa 3200 operative Eingriffe ausgeführt.<br />

Mit zu den wichtigsten Neuerungen zum Wohle der<br />

Kranken und Unfallverletzten gehört auch die Einrichtung<br />

eines Flugrettungsdienstes mit Hilfe von Hubschraubern.<br />

Dieser wird teils von Privatunternehmen,<br />

teils von einer Dienststelle der Bundeswehr wahrgenommen.<br />

Der Hubschrauberdienst bringt Schwerstkranke und<br />

-Unfallverletzte auf schnellstem Weg zur Spezialbehandlung<br />

in die Kliniken in Tübingen, Freiburg oder Ulm.


Die »Ära Fürst-Carl-Landeskrankenhaus« ist zu Ende<br />

gegangen. Am 2. Februar 1979 wurde in einem feierlichen<br />

Akt das neue Kreiskrankenhaus auf dem Dettinger<br />

Berg bei Sigmaringen eröffnet. Der Beginn des Betriebes<br />

des neuen Krankenhauses erfolgte am 15. Februar. Damit<br />

hat in der Geschichte des Gesundheitswesens im<br />

Landkreis Sigmaringen ein neuer Abschnitt begonnen.<br />

Schrifttum:<br />

1 M. Schaitel, Geschichte des Gesundheitswesens der Stadt<br />

Sigmaringen; Schwäbische Zeitung Sigmaringen 1959<br />

Nr. 37, 39-41, 43 und 46.<br />

JOSEF GRONER<br />

2 Festschrift zur Jubelfeier des Fürst-Carl-Landesspitals in<br />

Sigmaringen 1847-1897.<br />

3 Martin Oswald, Chronik des Fürst-Carl-Landeskrankenhau-<br />

ses 1847-1947.<br />

4 Sammlung der Gesetze und Verordnungen für das Fürstentum<br />

Hohenzollern-Sigmaringen 1828 S. 63.<br />

5 Dr. Longard, »Fürst-Carl-Landesspital in Sigmaringen«: Aus<br />

dem Illustrationswerk: »Deutsche Krankenanstalten für<br />

körperlich Kranke«. Carl Machold Verlagsbuchhandlung in<br />

Halle a. S. 1914.<br />

6 Schwäbische Zeitung Sigmaringen vom 18. 7. 1947<br />

Die Freiherren von Sdiellenberg in der Reidisstadt Pfullendorf<br />

Bis zum 2. Weltkrieg war der älteren Generation in<br />

Pfullendorf der Name »Schellenberger Hof« für das<br />

Gremlich-Haus beim Oberen Tor eine durchaus noch geläufige<br />

Bezeichnung, wenngleich sich unter »Schellenberg«<br />

niemand etwas Genaueres vorstellen konnte. Auch<br />

der Chronist der ehemals Freien Reichsstadt, Franz Andreas<br />

Rogg, spricht von jenem Gebäude unter dem Titel<br />

»Schellenberger Hof«, und doch lebte zur Zeit, als er<br />

seine Aufzeichnungen machte (1774), schon lange kein<br />

Schellenberger mehr dort oben. Die Ära dieses Geschlechts<br />

in Pfullendorf war nur von episodenhaft kurzer<br />

Dauer, allein sie machte offenbar einen derartig starken<br />

Eindruck auf die Leute, daß sich der Name »Schellenberger<br />

Hof« geheimnisvoll noch lange über seine Existenz<br />

hinaus erhalten konnte.<br />

Wer sind nun diese Schellenberger, woher kommen sie,<br />

wo trifft man sie an, warum verirrten sie sich nach Pfullendorf,<br />

wie führten sie sich da auf, und was haben sie<br />

hinterlassen?<br />

Das Geschlecht der Ritter von Scbellenberg stammt ursprünglich<br />

von der Burg Schellenberg an der oberen Isar<br />

(gegenüber von Lenggries). Wahrscheinlich zur Zeit<br />

Friedrich Barbarossas, also um die Mitte des 12. Jahrhunderts,<br />

kamen sie, wie zahlreiche andere ihrer Standesgenossen,<br />

zur Sicherung der Ostalpenpässe in den nördlichen<br />

Zipfel des heutigen Liechtenstein. So entstand dort<br />

auf dem Eschnerberg zwischen Rhein und III ebenfalls<br />

eine Burg Schellenberg (im Appenzeller Krieg 1405 zerstört).<br />

Die kleine Herrschaft konnte sich jedoch nicht<br />

lange halten, schon 1317 geriet sie an den Grafen von<br />

Werdenberg-Heiligenberg zu Bludenz, 1412 wurde sie an<br />

den Grafen von Montfort-Tettnang verkauft und 1434<br />

durch Kaiser Sigismund dem Freiherrn von Brandis,<br />

Herrn zu Vaduz, zugesprochen. Von da an blieb das<br />

Schellenberger Ländchen immer bei den Inhabern der<br />

Grafschaft Vaduz, so unter den Grafen zu Sulz, den<br />

Nachfolgern der Brandis, und den Grafen von Hohenems<br />

(von 1613 an). Unter den Hohenemsern geriet Schellenberg-Vaduz<br />

in eine so maßlose Verschuldung, daß die<br />

Grafschaft zum Verkauf ausgeschrieben werden mußte.<br />

Diese Gelegenheit ließ sich der wohlhabende österreichische<br />

Fürst Hans Adam von Liechtenstein 1 nicht entgehen,<br />

der schon lange ein geeignetes Territorium als Basis<br />

für den Aufstieg zur Reichsfürstenbank im deutschen<br />

Reichstag zu Regensburg suchte. Tatsächlich kam der<br />

Kauf der beiden Herrschaftsteile 1699 und 1712 zustan-<br />

Freiherr Sigmund Regnatus v. Schellenberg (Heimatmuseum<br />

Bräunlingen). Foto: Grill, Donaueschingen<br />

de. Damit (und noch mit etwas Geld) erhielt der Liechtensteiner<br />

zwar Sitz und Stimme auf der Fürstenbank im<br />

schwäbischen Kreis (Schellenberg hatte schon immer<br />

zum schwäbischen Kreis gehört), doch der Weg nach Regensburg<br />

war damit noch nicht geschafft. Dies gelang<br />

erst dem nachfolgenden Chef des Hauses, dem Fürsten<br />

Anton Florian, zunächst zwar nur für sich persönlich<br />

(1713), mit der Erhebung von Schellenberg-Vaduz zum<br />

erblichen Reichsfürstentum am 23. Januar 1719 durch<br />

Kaiser Karl VI. jedoch auch für sein Haus. Von diesem<br />

Tag an beginnt die Geschichte des heutigen Fürstentums<br />

Liechtenstein, zugleich aber verschwand damit dort für<br />

immer der alte Name »von Schellenberg«.<br />

5


Vom alten Stammsitz auf dem Eschnerberg waren die<br />

Schellenberger freilich, wie erwähnt, schon 1317 verschwunden.<br />

Einige Mitglieder der Familie hatten allerdings<br />

bereits Jahrzehnte zuvor die Heimat verlassen und<br />

es verstanden, sich durch Heiraten, Käufe und Lehensnahmen<br />

weit im Schwäbischen herum Macht und Ansehen<br />

zu verschaffen. So kamen um 1270 die Herrschaft<br />

Kißlegg i. Allg. (St. Gallisches Lehen) umd 1280 Wasserburg<br />

a. B. in die Hände der Schellenberger, und in Kißlegg<br />

blieben sie mit wechselnden Geschicken - wirtschaftlich<br />

ruiniert im 30jährigen Krieg, nicht zuletzt<br />

auch durch die teuere Erhebung in den Freiherrenstand<br />

1637 durch Ferdinand III. -, bis sie dort 1708 im Mannesstamm<br />

ausstarben. Durch Heirat der Erbtochter Maria<br />

Anna wechselten ihre Güter dann zu den heute noch<br />

lebenden Grafen (Fürsten) von Waldburg-Wolfegg über.<br />

Für die Geschichte des Gremlich-Hauses sollte ein Berthold<br />

(Benz) von Schellenberg bedeutsam werden. Durch<br />

Heirat mit Guta von Blumberg 1381 kam sein Geschlecht<br />

in die badische Baar, und über seine Frau gelangte<br />

er in den Besitz seines kinderlosen Schwagers und<br />

wurde somit Herr von Bräunlingen und Hüfingen 2 . Aus<br />

den Nachkommen des Berthold bildete sich im Lauf der<br />

Zeit die Landstrost-Bräunlinger Linie der Schellenberger<br />

heraus 3 , als deren unmittelbarer Ahnherr Wolfgang von<br />

Schellenberg (1563-1596) auftritt.<br />

Typen der Baarer Schellenberger<br />

In dieser Geschlechterreihe finden wir, vornehm ausgedrückt,<br />

eine Anzahl höchst eigenwilliger Persönlichkeiten.<br />

Wolfgangs Vater Arbogast (1521-1605) war schon<br />

eine recht auffallende Gestalt, ein Mann, ebenso tüchtig<br />

wie gewalttätig. Ringsum riß er Streitereien vom Zaun,<br />

sowohl in seinem Herrschaftsgebiet Hüfingen-Bräunlingen<br />

als auch mit seinen Lehensherren, den Grafen von<br />

Heiligenberg-Fürstenberg, und nicht weniger mit den<br />

Bräunlingern, deren Bürgermeister er war, bis sie ihm<br />

wegen Unverträglichkeit nach ein paar Jahren den Laufpaß<br />

gaben. Noch als 80jähriger Greis geriet er mit dem<br />

Bischof von Konstanz ins Gehege, weil er ohne dessen<br />

Zustimmung die Pfarrei des ihm gehörenden Hausen vor<br />

Wald mit einem Geistlichen besetzt und eigenwillig über<br />

das dortige Kirchengut verfügt hatte. Mit 84 Jahren<br />

sank dieser echte Vertreter seines Jahrhunderts, in dem<br />

Grobianismus zum Lebensstil der »besseren Gesellschaft«<br />

gehörte, ins Grab. Ein Stein in der Hüfinger Kirche, der<br />

Grablege der Baarer Schellenberger, hält sein zweifelhaftes<br />

Andenken fest.<br />

Arbogasts Sohn Wolfgang, das 10. unter 11 Kindern 4 ,<br />

starb noch vor seinem Vater, und so kam sogleich der<br />

Enkel Johann Christoph an die Reihe, ein würdiger<br />

Nachfolger seines Großvaters. Schuldenmachen, Geldbetrügereien<br />

gegenüber groß und klein, der notgedrungene<br />

Verkauf von Hüfingen an Fürstenberg und schließlich<br />

der Bankrott seines Bräunlinger Vermögens zieren<br />

seinen Lebensweg. Es kam so schlimm, daß kurz vor seinem<br />

Tod sogar die Kleider seiner Frau verpfändet wurden.<br />

Und als er schließlich 1632 starb, hinterließ er 4<br />

Kinder, die nicht wußten, woher sie das tägliche Brot<br />

nehmen sollten. Sein Andenken verewigte er in der Kirche<br />

zu Offingen b. Günzburg 5 , die er in besseren Zeiten<br />

»Gott dem Allmächtigen zu Lob und dem hl. Ritter Georg<br />

zu Ehren« hatte erbauen lassen.<br />

Lawinenhaft scheint die Zügellosigkeit auf der Linie der<br />

Bräunlinger Schellenberger zu wachsen. Nächster Beweis<br />

dafür ist das Abenteurerleben von Johann Christophs<br />

Sohn Wolfgang Ferdinand (ca. 1613-1684). Seine Jugend<br />

fiel allerdings in die Zeit des 30jährigen Krieges,<br />

6<br />

und da ist es nicht verwunderlich, daß er mit den kaiserlichen<br />

Truppen nach Landsknechtsart und -unart herumzog,<br />

auch mit Gefängnis und Verbannung Bekanntschaft<br />

machte und im übrigen wie sein Vater Schulden auf<br />

Schulden häufte, was schließlich mit dem Verlust seines<br />

Vermögens in Bräunlingen sowie der Besitzungen in<br />

Landstrost und Offingen endete 6 . Nachdem er alles<br />

durchgebracht und verloren hatte und selbst der Kaiser<br />

auf seine Bitten hin nicht zu helfen wußte, verschwand<br />

Wolf Ferdinand aus seiner Heimat, um irgendwo im<br />

weiten Heiligen Römischen Reich unterzugehen (1684<br />

oder später).<br />

Sein Früchtchen Sigmund Regnatus hatte er allerdings<br />

zurückgelassen (etwa 1650 an unbekanntem Ort geboren).<br />

Mit ihm sollte die Schellenbergische Unrast und<br />

Hemmungslosigkeit ihren Höhepunkt erklimmen, aber<br />

auch zugleich erlöschen. Dieser Sigmund Regnat war es<br />

denn auch, der dem ehrwürdigen Pfullendorfer Gremlich-Hof<br />

den lange nachhallenden Namen derer von<br />

Schellenberg aufprägte.<br />

Sigmund Regnatus Freiherr von Schellenberg,<br />

der Begründer des »Schellenberger Hofes« in Pfullendorf<br />

Bevor sich Sigmund Regnatus jedoch für Pfullendorf interessierte,<br />

lockte ihn das standesgemäße Kriegshandwerk.<br />

Nach seinen eigenen Angaben diente er 16 Jahre<br />

lang in kaiserlichen und 3 Jahre in kurfürstlich-bayrischen<br />

Heeren. Sein Soldatenleben fällt also in die Regierungszeit<br />

des Kaisers Leopold I. (1658-1705) und des<br />

bayrischen Kurfürsten Ferdinand Maria (1651-1679),<br />

vielleicht auch noch in die Anfangsjahre von dessen<br />

Nachfolger, Max II. Emanuel (1679-1726), je nachdem,<br />

wann Sigmund Regnat tatsächlich geboren ist<br />

Die bayrischen Jahre waren sicher ruhig, denn Ferdinand<br />

Maria führte keinen Krieg, und auch sein Sohn<br />

mußte erst noch etwas auf eine Gelegenheit warten<br />

(Türkenkriege von 1683 an). Unter Leopold hingegen gab<br />

es einiges zu tun: im Nordischen Krieg, in dem sich der<br />

Kaiser mit Brandenburg und Polen gegen die Schweden<br />

verbündet hatte (1655-1660), in Siebenbürgen waren die<br />

Türken niederzuschlagen (1662-1664), in Ungarn, das<br />

sich gegen Leopolds Absolutismus erhob (Magnatenverschwörung<br />

1671) und 1678 im Aufstand Emmerich Tökölys<br />

rebellierte, mußte Ruhe erzwungen werden und<br />

schließlich galt es noch, im Holländischen Krieg<br />

(1672-1679), der sich auch in der oberrheinischen Tiefebene<br />

abspielte (Schlacht bei Sinsheim 1674 und Sasbach<br />

1675), den Großmachtsgelüsten Ludwigs XIV. von<br />

Frankreich entgegenzutreten.<br />

1680 scheint Sigmund Regnat seinen militärischen<br />

Dienst, ausgezeichnet mit dem Titel eines Obersten, quittiert<br />

zu haben, denn in diesem Jahr zog er bei seiner<br />

Tante Anna Barbara, der Schwester seines Vaters, im<br />

Schloß von Bräunlingen ein. Sogleich versuchte er, dieses<br />

ehemalige Familiengut, das sein verschuldeter Vater an<br />

die Konstanzer Familie Setteli verloren hatte, zurückzugewinnen,<br />

was ihm dank seiner geschäftlichen Fähigkeiten<br />

1681 auch gelang. Freilich hatte er inzwischen seine<br />

Finanzen aufgebessert, denn auf der Rückkehr aus<br />

Bayern oder Österreich nahm er, so muß man annehmen,<br />

seinen Weg über Pfullendorf, und hier fand er im altehrwürdigen<br />

Gremiichhof beim Oberen Tor die etwa<br />

gleichaltrige wohlhabende Elisabeth von Theuring zu<br />

Hohentann, als Frau des bisherigen Gremiichhofbesitzers<br />

Oberst Johann von Hafner kürzlich Witwe geworden,<br />

doch offenbar einer weiteren Verbindung nicht abgeneigt<br />

8 . Die Sache muß sich, falls sie nicht schon von<br />

langer Hand eingefädelt war, rasch abgewickelt haben,


denn die Reise ging, zusammen mit dem heranwachsenden<br />

Stiefsöhnchen Franz von Hafner, bald nach Bräunlingen<br />

weiter. In welchen Händen Gremiichhof zurückblieb,<br />

läßt sich nicht ausmachen 9 . Jedenfalls steht fest,<br />

daß Sigmund Regnat außer dem Anteil des Bräunlinger<br />

Schlosses und dem Gut Wülflingen (b. Riedlingen a. D.)<br />

auch den Gremiichhof samt dem dazugehörigen Bittelschieß<br />

kaufen konnte 10 . Die Besitzverhältnisse lassen<br />

sich freilich nicht klar durchschauen. Man weiß nicht,<br />

wem und was genau Sigmund Regnat abgekauft hat.<br />

1693 erscheint bereits sein Stiefsohn Franz von Hafner<br />

als »Besitzer des Hofes«, also zu einer Zeit, als unser<br />

Freiherr samt Angehörigen sicher noch in Pfullendorf<br />

saß. Wie dem auch sei, nach allem, was man zuverlässig<br />

weiß, kann man zusammenfassend und vorwegnehmend<br />

sagen: Sigmund Regnat kam 1680 oder etwas später<br />

durch Kauf ganz oder teilweise in den Besitz des Gremlichhofes,<br />

das Anwesen erhielt dadurch den Namen<br />

»Schellenberger Hof«, seine Frau gebar dort am 16. Februar<br />

1683 als einziges Kind die Tochter Maria Anna,<br />

diese wurde am 15. Juli 1687 in Pfullendorf gefirmt 11<br />

und war dort später mit einem Herrn von Kern verheiratet,<br />

ab 1697 lebte unser Freiherr mit seiner Frau ebenfalls<br />

im Schellenberger Hof, diese starb 1703 und wurde<br />

in der Stadtkirche begraben, vermutlich vor dem Gremlich-(Dreikönigs-)Altar<br />

an der Seite ihres ersten Mannes<br />

Johann v. Hafner 12 , einige Zeit danach verschwand<br />

Sigmund Regnat für immer aus der Stadt.<br />

Nun begann Sigmund Regnat in Bräunlingen sein Zivilleben,<br />

doch die Schatten seiner Soldatenzeit folgten ihm<br />

auf dem Fuße nach. Bald erschien nämlich ein bayrisches<br />

Mädchen auf Pfaffenhofen und verlangte von ihm Alimente<br />

für ihr Kind, das sie von ihm hatte (auch ihre<br />

Schwester war von ihm mit einem beschert worden). Sie<br />

beging allerdings die Unklugheit, ihre Ansprüche auf offener<br />

Straße an ihn zu stellen, was den erbosten Kindsvater<br />

so in Wut versetzte, daß er seine frühere Geliebte<br />

vor allen Leuten mit einem Stecken »erbärmlich traktierte«.<br />

Die peinliche Geschichte wurde schließlich bei<br />

der vorderösterreichischen Regierung in Freiburg ruchbar,<br />

und man versuchte, den Freiherrn zur Räson zu<br />

bringen. Doch in seinem Landsknechtsdeutsch gab er zurück,<br />

die Regierung habe da nichts hineinzureden, sie<br />

gebe ihm auch nichts zu fressen. Er habe das Mädchen ja<br />

nur im Krieg kennen gelernt und nachher wieder »abgeschafft«.<br />

Als die Verstoßene ihm einmal ein Regierungsschreiben<br />

ins Haus brachte, verprügelte er sie kurzerhand.<br />

Es sei dies die einzige Manier, wie man »als Kavalier«<br />

mit einem solchen Mensch umgehen könne, meinte<br />

er. Wie sich herausstellte, hatte der »Kavalier« die Arme<br />

damals völlig ohne Mittel fortgejagt, ja zu eigenen Gunsten<br />

noch ihre Kleider versetzt. Voll Verzweiflung<br />

brachte die Mutter ihr Kind einfach ins Schloß in die<br />

Wohnung von Sigmund Regnats Tante, als diese gerade<br />

nicht zu Hause war, und verschwand. Anna Barbara<br />

nahm sich des »Fundes« eine Zeitlang barmherzig an,<br />

doch bald erlahmte ihr Idealismus, und sie ließ das Kleine<br />

verkommen. Sein Schicksal ist nicht weiter bekannt.<br />

Die Geschichte mit dem Pfaffenhofer Mädchen war jedoch<br />

nicht die einzige Affäre, mit der Sigmund Regnat<br />

die Bräunlinger in Spannung hielt. 1683 sah sich der Rat<br />

der Stadt veranlaßt, durch den Stadtknecht (Ortspolizei)<br />

eine Magd aus dem Schloß herauszuholen und sie<br />

wegen unsittlichen Benehmens mit Geige und Strohkranz<br />

13 an den Pranger zu stellen, an den Herr »Kavalier«<br />

wagte man wegen seiner adligen Immunität nicht<br />

zu rühren. Später hielt sich Sigmund Regnat im 2. Stock<br />

seines Hauses, den er für sich reserviert hatte, während<br />

seine Frau ihre Zimmer darunter einnahm, eine weitere<br />

Mätresse. Wiederum schritt der Rat von Bräunlingen dazwischen<br />

und zwang den Freiherrn, das Frauenzimmer<br />

wegzuschicken, doch bald ließ er sie heimlich wieder zu<br />

sich schlüpfen. Und jetzt verteidigte er sein Liebesnest<br />

mit aller Entschlossenheit. Weder die Klage seiner Ehefrau<br />

beim Bischof von Konstanz noch die Vorstellung<br />

des Bräunlinger Rates brachten eine Änderung zustande.<br />

Schließlich ließ die österreichische Regierung Militär<br />

aufrücken. In der Frühe des 19. September 1691 beförderte<br />

ein Kommandant mit 6 Musketieren die Mätresse<br />

über die Donaueschinger Grenze. Die Unkosten von 520<br />

Gulden hatte der Freiherr zu bezahlen, und er bezahlte<br />

sie auch. Wie er die anderen »Folgen« beglich, die die<br />

gleichen wie bei seinen früheren Liebschaften waren,<br />

wissen wir nicht.<br />

Man sieht, die »gute alte Zeit« war auch nicht überall so<br />

»gut«, zumal bei der Herrenschicht, die sich in Puncto<br />

sexuelles Pläsier Dinge herausnehmen konnte, die dem<br />

gewöhnlichen Bürger vom Gewissen und der öffentlichen<br />

Ordnung verwehrt waren.<br />

Doch auch sonst machte Sigmund Regnat seinen Zeitgenossen<br />

mancherlei Beschwerden. Seine Vorfahren hatten<br />

ihm ihre Schellenbergische Händelsucht vererbt, und<br />

Sigmund Regnat machte tüchtig Gebrauch davon. Bevorzugtes<br />

Objekt war sein Hausgenosse, der Oberschultheiss<br />

Johann Konrad Gumpp, der den östlichen Flügel<br />

des Schlosses, ein österreichisches Lehen (mit lokaler Immunität)<br />

bewohnte. Die Sympathie für den Nachbarn war<br />

auch auf dieser Seite nicht sehr groß, denn Gumpp hätte<br />

gern auch noch den westlichen Teil des Schlosses erworben,<br />

allein Sigmund Regnat war ihm zuvorgekommen.<br />

Zusammen mit den Herren von Bodman führte der<br />

Freiherr einen endlosen Prozeß gegen den Schultheißen,<br />

der in letzter Instanz von Kaiser Leopold zugunsten<br />

Gumpps entschieden wurde. Um seinen Widersacher zu<br />

provozieren, setzte sich Sigmund Regnat auch einmal in<br />

Gumpps Kirchenstuhl, ein seltener Anlaß für ihn, die<br />

Kirche von innen anzusehen, er ging nämlich sonst nie<br />

hinein. Doch der Schultheiss machte kurze Sache, er<br />

warf den Freiherrn einfach hinaus 14 . Das Unglück<br />

wollte noch, daß die Gärten der beiden aneinanderstießen<br />

und sich so einmal ein schellenbergisches Huhn in<br />

Gumpps Revier verirrte. Dieses Federvieh gab sogleich<br />

den Anlaß für eine kräftige Auseinandersetzung zwischen<br />

den beiden Herren, an deren Ende der Oberst mit<br />

einer Axt herumfuchtelte, während der Schultheiss mit<br />

einem Rechenstiel in Abwehrstellung ging. Diese Sache<br />

war zu lachhaft, um ernst zu sein. Sigmund Regnat<br />

konnte jedoch auch bis zum Äußersten gehen, wie ein<br />

Degenduell mit dem Bruder des Schultheissen beweist.<br />

Auch vor massivem Schwindel schreckte unser Schellenberg<br />

nicht zurück. Um in den Besitz des Bräunlinger<br />

Zehntanteils seines Vetters Franz Sigmund zu gelangen,<br />

gab er für diesen einfach eine fälschliche Todeserklärung<br />

ab. Die Bräunlinger waren sicher froh, als der unruhige<br />

Freiherr seinen Schloßanteil - immerhin schuldenfrei -<br />

am 15. April 1697 verkaufte, um daraufhin höchstwahrscheinlich<br />

nach Pfullendorf wegzuziehen 15 . Der<br />

tiefere Grund hierfür war wohl die Kriminalgeschichte,<br />

die seine Tochter Maria Anna ihm einzubrocken begann.<br />

1 Die Liechtensteiner sind ein niederösterreichisches Herrengeschlecht<br />

(Stammburg Liechtenstein bei Mödling). Es verzweigte<br />

sich in eine mähr-ische und eine steirische Linie<br />

(diese 1619 erloschen). Die mährischen Liechtensteiner wurden<br />

1623 in den Reichsfürstenstand und ihre Besitzungen<br />

Kromnau und Ostrau 1633 zum Fürstentum erhoben.<br />

7


-Das fürstenbergische Bräunlingen ging 1305 nach einer<br />

Fehde des Grafen Heinrich von Fürstenberg mit König Albrecht<br />

I. an Österreich über und blieb österreichische Enklave<br />

im Fürstenbergischen, bis es 1805 aufgrund des<br />

Reichsdeputationshauptschlusses von Regensburg an das<br />

Haus Este-Modena, 1806 an Württemberg und einige Monate<br />

danach, am 12. September 1806, endgültig an Baden abgetreten<br />

wurde, nachdem die Fürstenbergischen Lande zwei<br />

Tage zuvor ebenfalls von Karlsruhe eingezogen worden waren.<br />

Balzer II, 20; 109 ff.<br />

' Schloß Landstrost bei Günzburg wurde 1599 von Arbogast<br />

von Schellcnberg käuflich erworben. Der »Schellenberg« bei<br />

Hiifingen hat zunächst nichts mit den Rittern von Schellenberg<br />

zu tun. Bis in die Neuzeit kommt »Schellenberg« als<br />

Bezeichnung jenes Berges überhaupt nicht vor, er hieß vielmehr<br />

»Eschinger Berg«. Erst später verdrängte der Name<br />

»Schellenberg« wegen der Schellenbergischen Besitzungen in<br />

jener Gegend das Wort »Eschinger Berg«. Eine Ansicht tritt<br />

auch dafür ein, den Ausdruck »Schellenberg« für den Berg<br />

bei Hüfingen vom Althochdcutschen schele = Zuchthengst<br />

herzuleiten, also Schellenberg = Hengst- oder Pferdeberg.<br />

Balzer I, 11 f.<br />

4<br />

Die Baarer Schellenberger fallen durch ihren großen Kinderreichtum<br />

auf. Dies und die Sitte, das Vermögen unter<br />

die Nachkommen aufzuteilen, führte u. a. rasch den wirtschaftlichen<br />

Ruin der Familie herbei und degradierte ihre<br />

Mitglieder zu mittellosen Landjunkern.<br />

5<br />

Von Arbogast von Schellenberg 1599 durch Kauf erworben.<br />

" 1654 kamen die Schellenbergischen Güter zu BräunÜngen<br />

in Konkurs. Die Familie verlor dabei u. a. auch den westlichen<br />

Teil des »Schloss« genannten Gebäudekomplexes. Der<br />

östliche Teil, das »Freiheitshaus« (mit lokaler Immunität),<br />

war mit den dazugehörigen Landgütern österreichisches Lehen<br />

und verblieb somit den Schellenbergern, bis er 1660 wegen<br />

Majestätsbeleidigung des Wolf Ferdinand ebenfalls verlustig<br />

ging. Dieser Hausteil wurde dann vom Bräunlinger<br />

Oberschultheissen Elias Gumpp erworben. Balzer II, 59 ff.<br />

7<br />

Wenn man die soldatische Laufbahn Sigmund Regnats<br />

1680, als er in Bräunlingen aufzog, für abgeschlossen und<br />

seine Angaben von 19 Jahren Soldatenleben für zuverlässig<br />

hält, müßte er seine Uniform 1661 angezogen haben. Sein<br />

von Balzer angenommenes Geburtsjahr »um 1650« wäre<br />

folglich etwa auf 1643 zurückzuverlegen. Man bekäme so<br />

ein Alter von 18 Jahren für den Eintritt in den Militärdienst.<br />

GEORG HÄMMERLE<br />

Am 25. März 1848 - Franzosen^Samstag in Saulgau<br />

Wie tief sich künstlich errichtete Verwaltungsgrenzen in<br />

gewachsenes Volkstum einschneiden und im Bewußtsein<br />

der Menschen verankern können, das zeigte sich in unserem<br />

Räume sehr deutlich, als mit der Kreisreform vor 6<br />

Jahren Schwaben mit angeblichen »Preußen« wieder in<br />

einen Topf geworfen wurden, wieder als zusammengehörig<br />

deklariert wurden, wie sie es bis vor reichlich einem<br />

Jahrhundert schon immer gewesen waren. Trotz des<br />

Wissens um die Unsinnigkeit dieser künstlichen Zweiteilung<br />

waren doch beiderseits Anstrengungen erforderlich,<br />

um eine zwar kaum definierbare, aber eben doch vorhandene<br />

Schranke zu überspringen. In solcher Situation<br />

mag es hilfreich sein, wenn geschichtliche Rückblicke gemeinsames<br />

Wachstum, gemeinsame Bemühungen, gemeinsame<br />

Erfolge oder Rückschläge die ursprüngliche Zusammengehörigkeit<br />

später getrennter Teile aufzeigen. Ein<br />

Beispiel gemeinsamer Aktivität - zu ihrer Zeit als ganz<br />

8<br />

8 Nach Schupp war Oberst v. Hafner 1680 gestorben, also<br />

im gleichen Jahr, in dem seine Witwe Maria Elisabeth mit<br />

ihrem neuen Mann Sigmund Regnat v. Schellenberg in<br />

Bräunlingen einzog (Balzer II, 84). Die Hochzeit der beiden<br />

muß darum ebenfalls in diesem Jahr stattgefunden haben.<br />

Der Nachweis der Daten ist freilich schwierig, da in den<br />

Pfullendorfer Pfarrbüchern weder der Todestag des Obersten<br />

zu finden ist (die Einträge von 1629-1686 sind verloren<br />

gegangen) noch das vollständig erhaltene Ehebuch eine<br />

Eheschließung zwischen der Wwe. Hafner und Sigmund<br />

Regnat erwähnt. Sicher ist, daß ihr Kind Maria Anna am<br />

16. Februar 1683 in Pfullendorf geboren und zwei Tage<br />

später getauft wurde (Taufbuch Pfullendorf). Als Taufpaten<br />

sind der Bischof von Konstanz Franz Johann von Prasberg<br />

und die Fürstin von Sigmaringen eingetragen. Man<br />

kann daher vermuten, daß die Eheschließung in einer dieser<br />

beiden Städte stattgefunden hat.<br />

9 Auch Schupp (Geschlechterbuch) vermag für die unmittelbare<br />

Zeit nach Hafners Tod keinen Besitzer des Hofes anzugeben.<br />

10 Balzer I, 83.<br />

11 Für Geburt und Taufe bürgt der Eintrag im Taufbuch<br />

Pfullendorf (vgl. Anm. 8). Maria Anna steht auch an der<br />

Spitze einer Firmliste, die im Totenbuch 1687-1807 verzeichnet<br />

ist. Leider hat der damalige Pfarrer Mautz als Datum<br />

nur den 16. Juli, jedoch keine Jahreszahl angegeben.<br />

Da er aber gleich anschließend mit den Toteneintragungen<br />

von 1687 weiterfährt (fragmentarisches Blatt mit Einträgen<br />

ab 7. Nov.), ist anzunehmen, daß die Firmung Anna Marias<br />

im Sommer dieses Jahres stattgefunden hat. Das kleine Freifräulein<br />

war in seiner frühen Jugendzeit anscheinend zumeist<br />

in Pfullendorf - im Taufbuch wird sein Heimatort<br />

(patria) mit »Pfullendorf« angegeben und seine Mutter<br />

war wohl immer dabei, nicht verwunderlich angesichts der<br />

Mätressenwirtschaft in Bräunlingen.<br />

lä Schupp, Geschlechterbuch. Totentafel nicht vorhanden.<br />

13 Die »Geige« war ein spätmittelalterliches Strafwerkzeug,<br />

aus Holz, in das Hals und Hände der Verurteilten eingespannt<br />

wurden.<br />

14 Ratsprotokoll Bräunlingen v. 25. Sept. 1685 (Balzer II, 62).<br />

15 Der Wegzug ist auch dadurch gesichert, daß Sigmund Regnat<br />

1697 »Abzug« an die Bräunlinger Stadtkasse bezahlen<br />

mußte (Balzer II, 24).<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

selbstverständlich angesehen - liefert der nachfolgende<br />

Beitrag, der eine Episode aus dem Auftakt der Revolution<br />

1848 zum Inhalt hat. Geschehnisse der nachfolgend<br />

geschilderten Art sollten nicht in Vergessenheit geraten,<br />

außerdem erachte ich es als gerechtfertigtes Verlangen,<br />

wenn der Versuch gemacht wird, sie von dem Ballast einer<br />

völlig falschen Bewertung, besser gesagt von einer<br />

gedankenlos nachgeschwatzten Lächerlichmachung befreit<br />

werden, mit der sie in den ihnen nachfolgenden Zeiten<br />

aus Gründen politischer Opportunität bedacht worden<br />

waren. Was hat es nun mit diesem Franzosen-Samstag<br />

auf sich?<br />

Daraufhin angesprochen, reagieren die meisten Saulgauer<br />

- ob das bei unsern Nachbarn ähnlich ist, müßte festgestellt<br />

werden - mit jener Amüsiertheit, die der Hinweis<br />

auf etwas Komisches, Spaßiges üblicherweise hervorbringt.<br />

Daß dies nicht erst heutzutage so ist, beweist eine


Festschrift zur Fastnacht 1896, die der Saulgauer Johann<br />

Hummler im Druck herausgebracht hat und die gewissermaßen<br />

eine Beschreibung der Festzugsgruppen im<br />

Fastnachtsumzug jenes Jahres darstellt. Bei der Gelegenheit<br />

wurden nämlich seltsamerweise Episoden aus der<br />

Stadtgeschichte dargeboten wie heutigentags anläßlich<br />

des Bechtlefestes. Eine der Gruppen stellte den Ausmarsch<br />

der Saulgauer Bürgerwehr am 25. 3. 1848 dar, eines<br />

wilden Haufens, ausgestattet mit Sensen, Mistgabeln,<br />

Dreschflegeln und irgendwelchen Spießen, und es hat sich<br />

sogar eine Fotographie der Gruppe erhalten. Die abwertende<br />

Einschätzung eines von den damals Betroffenen<br />

durchaus ernsthaft aufgenommenen Ereignisses kommt<br />

nicht nur durch die Kostümierung zum Ausdruck, sie<br />

wird noch verstärkt durch die Knüppelverse, die den<br />

Vorgang zu schildern vorgeben:<br />

1848<br />

Der Franzosen-Samstag.<br />

Polizeidiener ausrufend:<br />

Es wird hiemit Allen bekannt gemacht,<br />

Daß vierzigtausend Franzosen heut' über Nacht<br />

Den Rhein überschritten und sengen und brennen,<br />

Und rauben und stehlen, so viel als sie können;<br />

Bald werden sie auch unsere Stadt überraschen,<br />

Denn Offenburg liege schon gänzlich in Aschen!<br />

Die Einwohner werden nun aufgefordert -<br />

Und Junge und Alte auf's Rathaus beordert -<br />

Zum Landsturm zu rüsten sich alle Mannen<br />

Mit Flinten und Säbeln und Sensen und Fahnen,<br />

Vereint sollen Alle nach Mengen marschieren,<br />

Wenn zum Abmarsch der Hauptmann wird kommandieren!<br />

Ein Tambour:<br />

Die Stafetten melden zum Schrecken hier Allen,<br />

Daß die Franzosen schon in Meßkirch eingefallen!<br />

Der Hauptmann:<br />

Hurrah in den Kampf für das Vaterland!<br />

Die Franzosen sollen ziehen mit Spott und Schand!<br />

Die Liebe zum Vaterland soll uns entflammen,<br />

Wir hauen sie alle zu Brei zusammen! -<br />

Ein Soldat:<br />

O weh, die haben heute Patronen gemacht,<br />

Die gehen nicht los, kaum daß es kracht'<br />

O Gott, ich zitt're am ganzen Leib! -<br />

Behüt meine Kinder, mein armes Weib!<br />

Welch' Schrecken, Nachts neun Uhr zu wandern im<br />

Dunkeln,<br />

Und durch den Wald! - kein Sternlein will funkeln!<br />

Wenn d' Franzosen uns treffen auf solchen Wegen,<br />

Dann geh'n wir dem sicheren Tode entgegen!<br />

Seine Frau:<br />

Mein lieber Basti, behüt' dich Gott<br />

Er schütz' dich vor Unglück, vor Kugeln und Tod!<br />

Der Hauptmann:<br />

Vorwärts marsch!<br />

1. Frau:<br />

O weh, wenn d' Franzosen erscheinen vor unseren Thoren,<br />

Ist Saulgau mit Katze und Maus verloren!<br />

2. Frau:<br />

Ich hab' meine Wertsachen alle gerettet,<br />

3. Frau:<br />

Und ich hab mein Geld in den Brodteig geknettet,<br />

4. Frau:<br />

Und ich hab' vor den französischen Raben,<br />

Mein Schmuck und mein Geld in den Keller vergraben!<br />

5. Frau:<br />

Und ich hab - ich wußte sonst nirgends hinan -<br />

Meine Gimpenkapp, in den Gansstall gethan.<br />

Alle:<br />

Adieu, lebt wohl, auf Wiedersehen!<br />

Die Rückkehr.<br />

Der Stadt-Vorstand:<br />

Wir sind gekommen, euch hier zu empfangen,<br />

Erzählt nun, wie ist es im Krieg euch ergangen?<br />

Der Hauptmann erzählt:<br />

Nun als wir die Galgensteig hinaufmarschieren,<br />

Da that der Fähnrich den Adler verlieren.<br />

Dieß deuteten Viel als ein schlimmes Zeichen,<br />

Lind manche davon wollten schon wieder weichen.<br />

Doch kamen wir alle in Herbertingen an.<br />

Aber da regte sich keine Maus und kein Mann,<br />

Wir glaubten, die gingen mit uns, Schritt an Schritt,<br />

Doch wollte von Allen nicht einer mit! -<br />

»Weg den Franzosen«, so sagten sie unverhohlen,<br />

»Zerreißt von uns keiner kein paar Sohlen!«<br />

Wir kommen nach Mengen auf friedlichen Wegen,<br />

Doch da kam uns die Polizei schon entgegen!<br />

»Pst, pst«, riefen sie, »was macht ihr für Lärmen!<br />

Die Bürgerschaft schlaft ja, was wollt ihr sie härmen!«<br />

»Ja, sind denn wohl keine Franzosen dahier?!« -<br />

»Was fällt euch denn ein, sucht ruhig Quartier!«<br />

Juhe, hurra hoch! der Krieg ist schon aus!<br />

Jetzt zechen wir tüchtig, dann zieh'n wir nach Haus!<br />

Und nun war es aus mit der Mengener Ruh',<br />

Sie kamen in's Wirtshaus und tranken uns zu.<br />

»Stoßt an! Es lebe das Vaterland!«<br />

Und manche bekamen nen landsknecht'schen Brand.<br />

Bald hätte uns nochmals ein Unheil betroffen,<br />

Die Fahne wär bald verbrannt hinter dem Ofen.<br />

Nun gings aber rückwärts Arm in Arm, Hand in Hand,<br />

Sonst kam noch die ganze Compagnie schier in Brand.<br />

In Herbertingen kriegten wir Suppe mit Wein,<br />

Das sollte zur Stärkung auf d'Strapazen hin sein.<br />

Nachdem wir marschierten, so etlich drei Stunden,<br />

Da wurde der Reichsadler wieder gefunden,<br />

Und so sind wir unversehrt all' wieder hier,<br />

Und freuen uns über das hübsche Plaisir!<br />

Der Stadt-Vorstand:<br />

Ihr Bürger, ihr zeigtet euch mutig halt doch,<br />

Die Saulgauer Tapferkeit, sie lebe Hoch!!! -<br />

Wer den Ereignissen des Revolutionsjahres 1848 hierzulande<br />

auf den Grund geht, kommt unschwer zu dem Ergebnis,<br />

daß zwar die Tatsache des Ausmarsches richtig<br />

ist und daß die Saulgauer - sie auch - einer Falschmeldung<br />

aufgesessen sind. Falsch ist 1896 Verhalten<br />

und Ausrüstung der Akteure dargestellt, unangebracht<br />

die Drolligkeit der Verse und die allzu deutlich erkennbare<br />

Absicht des »Dichters«, das Gewicht des Jahres<br />

1848 dadurch aufzuheben, daß Ereignisse und Akteure<br />

desselben der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Nicht<br />

umsonst gab es ja noch in unserem Jahrhundert Leute,<br />

die vom »Rummel des Jahres 1848« gesprochen haben.<br />

Dem entgegenzuwirken ist zweite Absicht dieser Darstellung.<br />

Zunächst ein Wort zur damaligen Saulgauer Bürgerwehr.<br />

Sie war mitnichten ein so verlorener Haufen, wie oben<br />

dargestellt worden ist. Sie war vielmehr eine eben neu<br />

9


organisierte Truppe von 126 Mann, ordentlich mit Gewehr<br />

und Seitengewehr ausgestattet und kommandiert<br />

von einem Veteranen der Jahre 1809-1817, dem Stadtrat<br />

und Metzgermeister Mathäus Stützle. Er war als aktiver<br />

württembergischer Soldat sowohl auf französischer<br />

Seite ausgezeichnet worden - »Affaire bei Bautzen« am<br />

21. 5. 1813 - als auch seitens der nun gegen Napoleon<br />

Verbündeten für Kämpfe bei Brienne und Straßburg (silberne<br />

und goldene Militär-Verdienst-Medaille, österreichische<br />

goldene Tapferkeitsmedaille). Die von ihm 1823<br />

wieder ins Leben gerufene Saulgauer Bürgerwehr -<br />

1809, also im Jahre des Tiroler Aufstandes unter Andreas<br />

Hofer, hatte die gesamte Ausrüstung auf königlichen<br />

Befehl abgeliefert werden müssen - war in den Vierziger-Jahren<br />

tatsächlich in einen etwas desolaten Zustand<br />

abgerutscht, und seitens des Rates hatte man Überlegungen<br />

angestellt, wie dem Übel am besten abzuhelfen sei.<br />

Unerwartet schnell und auf ganz überraschende Weise<br />

brachte das Jahr 1847 die Lösung des Problems.<br />

Es ist ja bekannt, daß das Jahr 1847 sich auszeichnete<br />

durch eine Mißernte, die die Hungerjahre 1816/17 wieder<br />

im Bewußtsein der Menschen aufleben ließ. Es kam<br />

zu Hungerrevolten, Brotkrawallen, handgreiflichen Auseinandersetzungen<br />

auf Märkten und zu Überfällen auf<br />

Getreidetransporte. In vielen Gemeinden wurde amtlicherseits<br />

Getreide aufgekauft und an Bedürftige verteilt,<br />

die Getreidekäufe, Auswärtiger auf den Schrannen wurden<br />

kontingentiert, und es bestand ein landesweit wirksamer,<br />

zentral gelenkter Wohltätigkeitsverein, der Notspeisungen<br />

durchführte. Auch Handel und Handwerk<br />

waren in äußerster Bedrängnis. In der damaligen Saulgauer<br />

Lokalzeitung reißen die amtlichen Mitteilungen<br />

über Konkurse und Zwangsversteigerungen nicht ab (in<br />

und um Saulgau 67 Fälle für 1847, für Württemberg im<br />

1. Vierteljahr 1847 623 Fälle), dazu wird die Zahl der<br />

Auswanderer aus Württemberg seit 1842 jährlich mit<br />

10 000 angegeben. Die Unsicherheit auf den Straßen, die<br />

Gefahr auf Märkten und Schrannen war tatsächlich so<br />

groß geworden, daß auf königlichen Befehl vom<br />

13. 5. 1847 nicht nur die Bereitstellung aktiver Truppen<br />

zur Bereinigung solcher Vorfälle erfolgte, es sollten darüber<br />

hinaus in allen Städten und größeren Ortschaften<br />

Sicherheitswachen aufgestellt werden. Der Saulgauer Gemeinderat<br />

nutzte die Gunst der Stunde, erklärte die alte<br />

Bürgerwehr für aufgelöst, stellte sie gleichzeitig als Sicherheitswache<br />

wieder neu auf, rüstete sie mit Hilfe des<br />

königlichen Arsenals in Ludwigsburg neu aus und beließ<br />

sie unter dem Kommando ihres bisherigen Hauptmannes.<br />

So also sah die Truppe aus, die aufgrund des nachfolgenden<br />

Schreibens alarmiert wurde:<br />

»Nach einer zuverlässigen Nachricht sind die bei Wolfach<br />

eingedrungenen Franzosen mit Erfolg zurückgeschlagen<br />

worden, aber nun an der fürstlich Sigmaringenschen<br />

Grenze bei Haigerloch, 6000 Mann stark, eingebrochen<br />

und nehmen, wie die Anzeigen vermuten lassen,<br />

ihren verheerenden Zug durch das Lauchertal über Gammertingen<br />

und Sigmaringen in die hiesige Gegend.<br />

Wachsamkeit nicht nur, sondern schnelles Aufgebot tut<br />

not und zweckmäßig erscheint, daß sich die Wehrmannschaft<br />

aus hiesigem und dem Oberamtsbezirk Saulgau<br />

vorerst an die Militär- und Bürgerbewaffnung zu Sigmaringen<br />

anschließt.<br />

Ohne Verzug sind in jeder Gemeinde Wehrkompanien<br />

auszuziehen, und zwar die erste aus der waffenfähigen<br />

Klasse von 18-33 Jahren, soweit sie nicht schon in die<br />

Linie ausgehoben sind. Auf den ersten Ruf von hier oder<br />

Sigmaringen durch Estafette oder Sturmglocke hat diese<br />

Wehrmannschaft möglichst schnell, tunlichst auf Wagen,<br />

10<br />

hier oder da, wo sie hingerufen wird, pflichtmäßig und<br />

möglichst gut bewaffnet, sei es mit Flinten, Sensen oder<br />

Gabeln und Dreschflegeln, zu erscheinen.<br />

Die zweite Wehrklasse, bestehend aus dem Alter von<br />

33-55 Jahren, hat zunächst die Sicherheit des einzelnen<br />

Ortes zu handhaben und darum ebenfalls bewaffnet auf<br />

der Hut zu sein.<br />

Es wird ohne Zweifel dieser dringende Aufruf eine freiwillige<br />

Verteidigung nicht ausbleiben lassen, da es sich<br />

um Abwehr einer Horde Raubgesindels handelt.<br />

Mit der Sigmaringenschen Wehrmannschaft und dem<br />

dortigen Linienmilitär ist man über dieses Zusammenwirken<br />

verabredetermaßen im reinen. Die Einberufung<br />

wird ohne Zweifel heute abend noch erfolgen müssen.<br />

Mittags 12 Uhr<br />

Scheer, den 25. März 1848.<br />

Kgl. Fürstl. Amtsgericht und Bezirksamt<br />

Amtsrichter Amtmann<br />

Rom (?) für denselben Aktuar Dieterle«<br />

Auf der Rückseite des Schreibens sind auch die Schultheißenämter<br />

aufgezählt, die von der Stafette benachrichtigt<br />

werden sollten: Ennetach, Mengen, Beizkofen, ölkofen,<br />

Hohentengen, Eichen, Fulgenstadt, Bolstern, Wolfartsweiler,<br />

Friedberg, Günzkofen.<br />

Stadtschultheiß Kopp von Mengen versah das Schreiben<br />

mit einem Zusatz:<br />

»Den 25. 3. 1848 Mittags 1 Uhr.<br />

Ich sende dieses Schreiben unmittelbar an das K. Oberamt,<br />

um sogleich die Wehrmannschaft nach Mengen und<br />

Sigmaringen ausrücken zu lassen. Die Herbertinger und<br />

Mieterkinger wollen sogleich auf der Hut zum Abmarsch<br />

sein. Dieses nur schnell öffentlich zu verlesen<br />

und gleich weiter nach Saulgau zu befördern.<br />

Mengen, den 25. März 1848 mittags IV2 Uhr<br />

Stadtschultheißenamt<br />

Kopp.«<br />

Am 26. März erhielt Hauptmann Stützle vermutlich in<br />

Mengen eine Mitteilung des Scheerer Amtsrichters folgenden<br />

Inhalts:<br />

»Herr Hauptmann!<br />

Es ist im Augenblick keine Gefahr angezeigt, welche ein<br />

Zusammenbieten der Wehrmannschaft nötig machen<br />

sollte. Die Nachrichten von heute nachmittag lauten<br />

günstiger als von vormittag. Deshalb wurden die Mannschaften,<br />

die hierher kamen, entlassen, da ohnehin nur<br />

ein Parathalten auf ersten Wink, aber noch kein wirkliches<br />

Marschieren geboten war. Auch Sie können mit Ihrem<br />

Trupp vorerst zurück. Wenn der Ruf zum Einrükken<br />

hier herzu nötig wird, kommt eine Stafette an Sie.<br />

Übrigens ist zu empfehlen, stets wachsam zu sein, da das<br />

Gesindel unversehens da und dort einbrechen kann; namentlich<br />

halten Sie darauf, daß nächtliche Patroulle<br />

stattfindet, in und um Saulgau und jeden Ort.<br />

Ich danke Ihnen für ihre bereitwillige Hilfe.<br />

Scheer, den 26. März<br />

Namens des Amtes<br />

Amtsrichter Rom (?)«<br />

Den Schlußpunkt setzt eine vom Stadtschultheiß Kopp<br />

von Mengen beglaubigte Abschrift einer Mitteilung des<br />

Sigmaringer Oberamtes:


»Das Fürstl. Hohenzollersche Sigmaringensche Oberamt.<br />

Sigmaringen, den 26. März 1848<br />

nach 12 Uhr nachts.<br />

An das Kgl. Stadtschultheißenamt Mengen.<br />

Auf die gefällige Anfrage vom gestrigen beehrt man sich<br />

zu erwidern, daß auch hier sich gestern früh die Kunde<br />

verbreitet habe, daß das Oberamt Haigerloch von 6000<br />

Mann französischen Gesindels bedroht sei. Sogar amtlich<br />

kam diese Nachricht ein, es wurde um Hilfe gebeten. Allein<br />

die Sache scheint sich nicht zu bestätigen.<br />

MARC BUCKENMAIER<br />

Von alten zollerischen Wappen<br />

Im Münster zu Alpirsbach befindet sich unter andern<br />

Grabplatten ein schmuckloses Sandsteinepitaph, das weder<br />

Verzierungen noch Namen trägt, aber ein zollerisches<br />

Wappen aufweist. Der fast zwei Meter hohe Stein<br />

steht neben dem früheren Hochaltar im nördlichen Qua-<br />

Alpirsbach, Zoll. Epitaph Foto: Bessler, Alpirsbach<br />

Ein Bataillon Linientruppen wurde dahin abgesendet<br />

und voraus ging ein Kurier, allein der letztere wie die<br />

Bewohner jener Gegenden haben bis jetzt keine Hilfe<br />

mehr nachgesucht, woraus die größte Beruhigung hervorgeht.<br />

Wäre die Bedrohung ernstlicher gewesen, so hätte man<br />

gewiß weitere Hilfe gefordert.<br />

Die gewünschte öffentliche Beruhigung und Benachrichtigung<br />

wird erfolgen.<br />

Oberamtmann<br />

von Sallwirk.«<br />

(Fortsetzung folgt)<br />

drat des Querschiffes. Bevor das Münster errichtet wurde,<br />

befand sich an dieser Stelle eine Holzkapelle, die<br />

vom Bischof Gebhard III. von Konstanz am 16. Januar<br />

1095 geweiht wurde. Bei dieser Kapelle wurde von Benediktinermönchen<br />

aus dem Kloster St. Blasien die Abtei<br />

Alpirsbach gegründet. Den Grund und Boden zu dieser<br />

Gründung schenkten die Grafen von Calw. Sie hatten<br />

dort mit Ruotmann von Hausen (Neckarhausen), Adalbert<br />

von Zollern und Alwig von Sulz durch Erbschaft<br />

ein Hofgut bekommen, das nun der Grundstock für die<br />

zu errichtende Abtei werden sollte. Das heutige Münster<br />

dürfte um 1131 entstanden sein.<br />

Adalbert von Zollern, der Mitstifter von Kloster Alpirsbach,<br />

trat selbst in das Kloster ein und wurde auch dort<br />

bestattet.<br />

Wahrscheinlich ist dies die älteste Bestattung eines Zollergrafen,<br />

die bekannt ist und somit auch das älteste in<br />

Stein gehauene Wappen derer von Zollern.<br />

Weitere zollerische Wappen befinden sich als Schlußstein<br />

im Kreuzgang, auch über einem Portal, das in das Innere<br />

des Klosters führt. Letzteres Wappen ist in den zollerischen<br />

Farben gehalten. Auch an der Westseite des Klosters<br />

ist ein zollerisches Wappen in rotem Sandstein, wie<br />

er in der Gegend gefunden wird, angebracht. Diese verschiedenen<br />

Wappensteine weisen auf die Grafen von<br />

Zollern hin, die zeitweise die Schirmherrschaft als Vögte<br />

des Klosters Alpirsbach übernommen hatten.<br />

Weitere in Stein gemeißelte Wappen auf Epitaphien der<br />

Grafen von Zollern waren in dem um 1261 gegründeten<br />

Dominikanerinnenkloster zu Stetten im Gnadental (bei<br />

Hechingen) bis zur Aufhebung des zollerischen Hausklosters<br />

1802 vorhanden. Bei der Renovierung der Klosterkirche<br />

i. J. 1776 wurden die Steine verdeckt oder entfernt.<br />

Noch im Jahre 1835 wurden sie teilweise als Abdeckplatten<br />

auf dem Mühlkanal, der hinter der Kirche<br />

verlief, gefunden. Wenige Jahre später fanden diese Steine<br />

Verwendung beim Bau der Kaserne für das fürstlichhechingische<br />

Militär. Seit dem Brand des Klosters im<br />

Jahre 1898 sind auch diese Steine verschwunden, da<br />

Steine und Brandschutt verkauft wurden, teils an den<br />

Bauunternehmer, der die Klosterruinen beseitigte, der<br />

Brandschutt als Düngemittel teils an die Bauern des Ortes.<br />

11


JOHANN WANNENMACHER<br />

Von öllämpchen, vom Rapsanbau<br />

und alten Ölmühlen in Rangendingen<br />

Wenn man heute nach Eintritt der Dunkelheit durch das<br />

Dorf geht, und Straßen, Geschäfte und Wohnungen in<br />

beinahe tagehellem Lichte erstrahlen, so kann man hochbetagte<br />

Leute oft verwundert sagen hören: »O - wia<br />

ischt dees hell und wia hots friaher au ausgseah!« Ja, um<br />

die Jahrhundertwende und noch nahezu bis zu Beginn<br />

des 1. Weltkrieges gab es in Rangendingen noch zahlreiche<br />

Häuser, in denen das alte öllämpchen mit seinem<br />

Docht aus Wolle im Gebrauch war. In der Wohnstube<br />

stellte man es auf den »Liachtstock«, und um sein dürftiges<br />

Licht scharten sich am Abend die Hausbewohner.<br />

Der Vater las die Zeitung, die Schulkinder machten ihre<br />

Hausaufgaben, da sie tagsüber überall mitarbeiten mußten;<br />

die Frauen und Mädchen drehten das Spinnrad,<br />

strickten Strümpfe oder flickten Kleider und Wäsche.<br />

Und im »heimeligen« Dämmerschein dieser einfachen<br />

Lichtquelle versammelten sich an Winterabenden die<br />

»Liachtgänger«, erzählten von vergangenen guten und<br />

schlechten, Zeiten, wußten von Sagen und Geschichten<br />

aller Art, zauberten Schattenbilder an die weißgetünchten<br />

Wände oder sangen alte Volks- und Heimatlieder.<br />

So sah es damals noch in mancher Bauernstube aus.<br />

In der Küche wiederum war vielfach über dem Herd<br />

eine kleine Nische in die Wand eingelassen. Dort hinein<br />

legte man weit früher den Kienspan (harziges Holzstück),<br />

und später stellte man das öllämpchen an diesen<br />

Platz. Auch die Stallaterne wurde mit selbsterzeugtem<br />

öl gespeist, desgleichen diejenige des Fuhrmannes. Es<br />

war ein einfaches und nach unseren heutigen Begriffen<br />

ein ganz primitives Licht, das diese öllämpchen spendeten,<br />

aber auch ein sehr billiges Licht.<br />

Woher kam das öl für die öllämpchen, auch »Epale«<br />

(Ampeln) genannt. Nun - in der damaligen Zeit baute<br />

am Orte hier nahezu jeder Bauer noch Jahr für Jahr seine<br />

ein- bis zwei »Fendel« (je 10 ar) Raps an. Gleich im<br />

Herbst, wenn die Gerstenäcker abgeerntet waren, wurde<br />

er gesät. Der Raps kam ins Brachfeld. In früheren Zeiten<br />

baute man weit weniger Kartoffeln an als heute, und so<br />

blieben die besten Äcker frei für den Raps. Nach kräftiger<br />

Düngung wuchs er im Herbst rasch heran, und im<br />

Frühjahr schoß die Rapspflanze schnell in die Höhe<br />

Bald schimmerte das ganze Brachfeld in den gelben Farben<br />

der Rapsblüten. Jedem Bauersmann lachte das Herz,<br />

wenn er diese Pracht erblickte und den kommenden Segen<br />

ahnte! An warmen Tagen summten und surrten dann<br />

unzählige Bienen über den wohlig duftenden Rapsfeldern<br />

und holten den süßen Nektar, den gerade die Rapsblüten<br />

in so reichem Maße liefern. In den zahlreichen<br />

Schoten reiften dann die Rapskörner heran und zwischen<br />

Heuet und Getreideernte konnte die reife Frucht<br />

abgemäht und gedörrt werden. Die fetthaltigen Körner<br />

wurden darauf in der Scheune aus den Schoten gedroschen,<br />

das Ganze gereinigt und auf die Bühne (Speicher)<br />

gebracht. Je nach Bedarf holte man dann seinen Rapssack<br />

und die in jedem Hause vorhandene Ölkanne und<br />

brachte einen »Schlag« Raps in die Ölmühle. Dort kamen<br />

die Körner zunächst in die »Mahle« (Mahlwerk),<br />

wo sie zerrieben wurden, hernach in eine Trommel aus<br />

Kupferblech, die sich ständig über einem Feuer drehte.<br />

Wenn der Raps dann erwärmt und genügend weich geworden<br />

war, wurde er in eine Presse gebracht, die das<br />

12<br />

Öl aus den Körnern herausquetschte. Ein Schlag (etwa<br />

20 bis 22 Liter) Raps lieferte durchschnittlich vier bis<br />

fünf Liter gelbliches, schweres öl. Die ausgepreßten<br />

Körner bekam man in dem sogenannten Rapskuchen<br />

wieder zurück, der ein ausgezeichnetes Kraftfutter für<br />

das Vieh ergab. - Um die Jahrhundertwende gab es in<br />

Rangendingen noch zwei Ölmühlen. Die eine befand sich<br />

am Eingang zur Mühlgasse (Suppengasse) und war im<br />

Besitz von Sebastian Wannenmacher, im Volksmund<br />

kurz »ölerbäschel« genannt. Diese Ölmühle wurde im<br />

Jahre 1843 von Josef Wannenmacher erbaut. Urtümlich<br />

und einfach war ihre Einrichtung. Die Trommel zum Erwärmen<br />

und Aufweichen des Rapses wurde noch mit der<br />

Hand getrieben, die Mahle hingegen mittels Göpelbetrieb<br />

in Bewegung gesetzt. Den Göpel selbst zog ein<br />

Pferdchen, das mit verhüllten Augen innerhalb der Ölmühle<br />

im Kreise herumlief. Der düstere, verrußte Raum<br />

hatte für Kinder immer etwas Geheimnisvolles an sich,<br />

und wenn der öler am Werken war, versuchten sie stets<br />

so halb verstohlen in den Raum hinein zu schauen. Nach<br />

dem Tode von Sebastian Wannenmacher übernahm sein<br />

Sohn Josef Wannenmacher die Ölmühle, der sie noch bis<br />

kurz nach dem 1. Weltkrieg im Gange hielt. Hernach<br />

stellte dieser die Tätigkeit des »ölens« endgültig ein.<br />

Die zweite Ölmühle hatte der weitbekannte Gipsmüller<br />

Otto Dieringer in der Hechinger Straße zum Eigentum,<br />

dessen Vorfahren ebenfalls diesem Gewerbe oblagen.<br />

Otto Dieringer war ein markanter und geachteter Geschäftsmann.<br />

Seine Ölmühle wurde schon mit Wasserkraft<br />

betrieben. Sie ging dann im Jahre 1910 ein, als<br />

man die beiden Wehre in der Starzel entfernte und eine<br />

Umstellung und Modernisierung des Betriebes nicht vorgenommen<br />

wurde.<br />

Inzwischen war ein neues Zeitalter angebrochen. Das Petroleum<br />

(Erdöl) kam auf, das man überall in den örtlichen<br />

Geschäften zu annehmbaren Preis kaufen konnte.<br />

Es spendete ein helleres Licht als das Rapsöl und verdrängte<br />

daher schnell die alten öllämpchen. In den Jahren<br />

1911 und 1912 wurde dann noch die letzte große<br />

Errungenschaft - das »Elektrische« in Rangendingen<br />

eingerichtet. Eine neue Epoche der technischen Entwicklung<br />

setzte ein. Bald sah man in jedem Hause nur noch<br />

elektrisches Licht mit all seinen vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten.<br />

Das Rapsöl war als Ölquelle überflüssig<br />

geworden. Darauf ging der Rapsanbau rasch zurück.<br />

Er beträgt heute nur noch einen Bruchteil von<br />

dem, was von dieser Fruchtart ehemals auf unserer Gemarkung<br />

angepflanzt worden war. Der Gebrauch von<br />

Rapsöl aber war und ist noch nicht verschwunden. Wie<br />

eh und je wurde es noch ausgiebig zum Backen und Braten<br />

verwendet. Allerdings hat man zu diesem Zweck das<br />

schwere öl schon etwas verfeinert, indem man es in einem<br />

Topf oder Pfanne erhitzte, immer wieder umrührte,<br />

bis es hell war und gleichzeitig mit Schweineschmalz<br />

vermengte. Aber dann konnte man in dieser »abgelöschten«<br />

Mischung unter anderem Kirbe- oder Fastnachtsküchle<br />

backen, so fein und so knusperig, wie es eben<br />

nur die Schwaben können und die zu allen Zeiten so<br />

vortrefflich mundeten, daß sie sogar in Liedern und<br />

Sprüchen Verherrlichung fanden und auch im alten<br />

Brauchtum da und dort eine besondere Rolle spielten.<br />

Wir sehen, alles ist dem Wechsel und der Veränderung<br />

unterworfen. Aber es ist interessant und zugleich lehrreich,<br />

sich die Entwicklung der Dinge und ihrer Zusammenhänge<br />

auf Einzelgebieten da und dort gründlich vor<br />

Augen zu führen, um nach einem Dichterwort: »rückwärtsblickend<br />

vorwärts schauen« zu können.


Nochmals:<br />

Um ein Schillerdenkmal<br />

Der obengenannte Artikel in der Hohenz. Heimat Nr. 3<br />

Seite 42 bedarf einer Ergänzung bzw. Berichtigung.<br />

Vorab: Das Schillerdenkmal auf dem »Bürgle« in Jungingen<br />

steht auch heute noch und ist von seinem Platz<br />

nicht wegzudenken. In seiner zugegebenermaßen schlichten<br />

Art paßt es sicher besser in die Naturlandschaft als<br />

ein protziges Monument. Jedenfalls ist es weder von der<br />

Ausführung, noch vom Standort her von der Bevölkerung<br />

jemals in Frage gestellt worden. Auch die zitierten<br />

Verse von Casimir Bumiller sind wohl weniger als Kritiü<br />

aufzufassen. Sie mögen vielmehr seiner Freude am fabulieren<br />

und reimen und aus Spaß am »foppen« entstanden<br />

sein. Letzteres war ja schon immer eine Stärke der Junginger.<br />

Früher war im Killertal der Neckvers zu hören:<br />

Wer dur Schlatt goht augfroget<br />

dur Junginga augfoppet<br />

dur Hausa augspottet<br />

dur Burladinga augschlaga<br />

ka z' Gauselfinga vu Wunder saga<br />

Zurück zu unserem Denkmal, für das nebenstehendes<br />

Bild sprechen soll. Der »Marterpfahl« ist eine massive<br />

Eichen-Säule mit Kupferabdeckung, gekrönt von einer<br />

Schillerbüste, die einst nach einem Gipsmodell von Hofbildhauer<br />

Schädler aus Karlsruhe im Hüttenwerk Lauchertal<br />

gegossen wurde. Un die »Wüste öd und kahl«<br />

entpuppt sich als eine der schönsten Landschaften unserer<br />

engeren Heimat. Hier könnte unser »Casse«, inspiriert<br />

von seinem Landsmann Schiller sein Heimatlied geschrieben<br />

haben:<br />

Umkränzt von Berg und bunter Waldespracht<br />

birgt sich ein Tal noch kaum erschlossen<br />

in Wiesengrund manch schönes Dörflein lacht<br />

von klaren Starzelbach durchflössen . . .<br />

Das Denkmal stammt nicht, wie später irrtümlich angenommen,<br />

vom früheren Leseverein. Es wurde vielmehr<br />

von der hiesigen Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins<br />

zum 100. Todestag Friedrich Schillers am 9. Mai<br />

1905 errichtet.<br />

Der Chronist schildert das festliche Ereignis, das mit<br />

Böllerschüssen und Fackelzug, mit Musik und Gesang,<br />

Reden und Rezitationen und einem Höhenfeuer begangen<br />

wurde. Fürst Wilhelm von Hohenzollern hat zu diesem<br />

Anlaß sogar eine Hohenzollernflagge gestiftet. Der<br />

Bericht schließt mit der Feststellung: »So hat nun der<br />

große schwäbische Dichter in seinem 100. Todesjahr wenigstens<br />

auf einer Stelle in Hohenzollern wenn auch nur<br />

ein schlichtes so doch ehrendes Denkmal erhalten.«<br />

Der Schwäbische Albverein hat auch im Jahre 1959 aus<br />

Anlaß des 200. Geburtstages des Dichters die altersschwache<br />

Eichensäule erneuert. Dabei fand sich hinter<br />

dem Relief eine interessante Urkunde, die im Stil der damaligen<br />

Zeit über die Geschichte des Denkmals berichtet.<br />

Sie wurde mit einem Nachwort wieder in den neuen<br />

Stamm eingefügt.<br />

Abschließend könnte man feststellen, daß Schiller auch<br />

in den Herzen der Talbewohner sein Denkmal hat. Sind<br />

doch in den vergangenen Jahrzehnten die meisten seiner<br />

Dramen - einzelne sogar mehrfach - über die Bretter<br />

der hiesigen Laienbühnen gegangen und im Bewußtsein<br />

der Bevölkerung lebendig geblieben. JS<br />

Zum Tod von<br />

H. H. Pfarrer Albert Waldenspul<br />

Am Rosen-Montag nahm eine große Gemeinde in der<br />

Pfarrkirche Melchingen (Stadt Burladingen) Abschied<br />

von einem überaus beliebten Seelsorger, Pfarrer Albert<br />

Waldenspul. Er war im patriarchalischen Alter von fast<br />

94 Jahren am Donnerstag, den 22. Februar 1979, um<br />

4 Uhr im Kreiskrankenhaus Hechingen gestorben. Dekan<br />

Eugen Wessner von Jungingen zeichnete in seiner Totenpredigt<br />

das Bild des tüchtigen Priesters, Geschichts- und<br />

Kunstfreundes, der nicht nur an seinen Wirkungsorten<br />

hoch geschätzt und geehrt wurde, sondern auch landauf,<br />

landab durch seine zahlreichen Kunstvorträge bekannt<br />

war. Jedem, der ihm begegnen durfte, ist wohl sein edles<br />

Haupt mit dem wehenden silbernen Haar unvergeßlich,<br />

viele waren beeindruckt durch sein menschliches,<br />

humorvolles Wesen, seine Bescheidenheit trotz eines umfangreichen<br />

Wissens. Auch der Hohenz. Geschichtsverein,<br />

vertreten durch seinen Vorsitzenden, Staatsarchivdirektor<br />

Dr. Gregor Richter, ehrte die Verdienste und<br />

nahm Abschied von seinem Ehrenmitglied.<br />

Das umfangreiche schriftliche Werk des Verstorbenen an<br />

dieser Stelle zu würdigen, erübrigt sich. Es ist anläßlich<br />

seines 90. Geburtstages geschehen (HH 1975, 29). Erwähnt<br />

sei nochmals sein grundlegendes Werk, die Bearbeitung<br />

der Kunstdenkmäler des ehem. Oberamtes Haigerloch<br />

in dem von Walther Genzmer herausgegebenen<br />

Kunstdenkmälerband des Kreises Hechingen (Hechingen<br />

1939). Eine weitere Arbeit sei erwähnt, das schmale<br />

Bändchen »Die gotische Holzplastik des Laucherttales in<br />

Hohenzollern«, erschienen als zweites Heft der Forschungen<br />

zur Kunstgeschichte Schwabens und des Oberrheins<br />

- herausgegeben von Prof. Georg Weise in Tübingen<br />

1923. Wir danken dem Verstorbenen für alles Wissen<br />

und die Schönheit unserer Kunstwerke. H.<br />

13


WALTHER FRICK<br />

Ein Wunder namens ZIP<br />

Investitionsgelder retten <strong>heimat</strong>liche Kleinodien<br />

Was heute unter dem Namen ZIP - Zukunfts-Investitionsprogramm<br />

geschieht, im Verein mit ähnlichen Investitionen<br />

unter den Titeln „Dorf- und Stadtsanierung"<br />

und „Strukturverbesserung schwacher Räume", mutet<br />

wie ein Wunder an. Plötzlich ist Geld da und zwar in<br />

Fülle, um geradezu haufenweise Vorhaben zu verwirklichen,<br />

an denen Heimatfreunde und Denkmalspflege bisher<br />

schier verzweifelten. Es ist nämlich selbst den Lesern<br />

der Tageszeitungen bisher nur vereinzelt aufgegangen,<br />

daß unter diesen Titeln sich nicht nur „moderne" Projekte<br />

finden, also Kläranlagen, Ringsammler, Wasserversorgungen<br />

und dergleichen, sondern daß mit solchen<br />

Geldern „altes Glump" wieder hergestellt wird. Abbruchreife<br />

Häuser von wertvoller Bausubstanz, Hindernisse<br />

für den Straßenbau noch gestern, Innenstadt-Häuser<br />

ohne Wasserspülung und Bäder, jetzt stehen sie<br />

plötzlich ganz vorne in der Liste des Erhaltenswerten<br />

und zu Schützenden und es ist das Geld da, sie wirklich<br />

zu retten.<br />

Wir wollen die beiden Hauptgründe - oder was wir<br />

vielleicht irrtümlich dafür halten - nur streifen: der<br />

eine ist, daß endlich die Idee in die breite Öffentlichkeit<br />

gedrungen ist, daß man alte Häuser und ganze Ortsteile<br />

erhalten muß, wenn man das erhalten will, was man<br />

heute Lebensqualität nennt. Der zweite Grund aber ist<br />

eine weitgehende Sättigung des Baumarktes; vor allem<br />

gibt es kaum noch öffentliche Gebäude zu erstellen, bei<br />

gleichzeitig (noch!) vollen Kassen von Bund und Ländern.<br />

So sind diese Programme entstanden. Wir wollen<br />

im Nachfolgenden ein paar Beispiele erwähnen, die im<br />

heutigen - größeren - Kreis Sigmaringen die Aufmerksamkeit<br />

auf sich ziehen. Fangen wir mit Pfullendorf<br />

an. Dort ist vor kurzem der „Schellenberger Hof"<br />

zu einem Gymnasium umgestaltet worden. Dieser einstige<br />

Adelssitz, der in seiner frühesten Bausubstanz in die<br />

Stauferzeit zurückgeht, war zuletzt ein liederlich verkommenes<br />

Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert und gehörte<br />

einst dem bekannten Adelsgeschlecht der Schellenberg,<br />

das im Linzgau saß. Zugleich aber hat Pfullendorf<br />

zwei weitere historische Gebäude zu Gymnasien gemacht,<br />

das graue und das weiße Kloster. Das sind zwei<br />

einstige Frauenklöster, die ihren Namen der Farbe der<br />

Ordensgewänder verdanken: grau waren Tertiarinnen,<br />

weiß Dominikanerinnen. Natürlich hätte Pufllendorf irgendwo<br />

am Stadtrand ein modernes Allerweltsgebäude<br />

von neuem Gymnasium bauen können, aber Stadtrat und<br />

Lehrerschaft waren sich einig darin, die Unbequemlichkeit<br />

in Kauf zu nehmen, die die Entfernung mit sich<br />

bringt: die Klöster liegen nahe beisammen, aber zum naturwissenschaftlichen<br />

Unterricht müssen die Schüler 200<br />

Meter weit zum Schellenberger Hof gehen. - Ihm benachbart<br />

wird derzeit das Obere Tor renoviert, Prachtstück<br />

eines mittelalterlichen Tors, würdiger Schmuck einer<br />

gewesenen Reichsstadt. Das „Bindhaus" ist derzeit<br />

an der Reihe (so genannt, weil dort die Küfer arbeiteten),<br />

und ebenso entsteht aus einer alten Gred, einem<br />

Getreidemagazin, jetzt ein Bürgersaal.<br />

Ein Prachtstück in dieser Hinsicht ist bekanntlich<br />

Veringenstadt geworden. Eben jetzt hat der Kreis Sigmaringen<br />

zu den bisherigen staatlichen Investitionen<br />

noch einen Betrag gegeben zur Renovierung der Stadtmauer.<br />

In Veringenstadt kam der glückliche Umstand<br />

hinzu, daß der Lauchertal-Verkehr durch die Umge-<br />

14<br />

hungsstraße weggenommen wurde; das hat der Freude<br />

der Bürger mächtigen Auftrieb gegeben, ihre Häuser<br />

nach einem gemeinschaftlichen Fahrplan farbig zu malen.<br />

Auch sind ganze Häuser hinten abgebrochen - nur<br />

die Fassade an der Hauptstraße blieb stehen - und neu<br />

aufgeführt worden, natürlich in genau denselben Abmessungen<br />

und mit dem gleichen Dach. Veringenstadt gilt<br />

inzwischen landesweit als ein geglücktes Beispiel, eine<br />

wirkliche kleine Stadt wieder erstehen zu lassen, wie sie<br />

einmal war. Wenn diese Zeilen den Leser erreichen, wird<br />

in Veringenstadt-Hermentingen noch etwas ganz Neues<br />

hinzugekommen sein: eine Gedenkstätte für den Heiligen<br />

Gallus. Die Gallus-Quelle in Hermentingen soll der Legende<br />

nach ihren Namen davon haben, daß der erste<br />

Alemannen-Apostel hier eine Zeitlang gelebt haben soll,<br />

ehe er sich am Bodensee niederließ, wo aus seiner Klostergründung<br />

die heutige Stadt Sankt Gallen erstand.<br />

Die Gallusquelle versorgt heute Balingen, Bitz und andere<br />

hochgelegene Gemeinden auf der Zollernalb mit Wasser.<br />

Für die Gedenkstätte vorgesehen ist eine Statue des<br />

Heiligen und eine kleine Anlage; und weil es so geschickt<br />

daneben steht, wird auch ein altes Gemeindebackhaus<br />

gleich mit renoviert.<br />

Oder in Mengen, um ein Letztes zu nennen: 80 Prozent<br />

der Bausubstanz der Altstadt steht unter Denkmalsschutz,<br />

und was in den letzten Jahren geleistet wurde,<br />

sieht jeder, der durch die Hauptstraße und ihre Parallelstraßen<br />

fährt. Derzeit kommt eine einstige Kerzengießerei<br />

an die Reihe, eigentlich ein Gartenhaus von nur fünf<br />

mal fünf Metern Grundriß, zweistöckig. Auch dazu gibt<br />

der Landkreis einen Zuschuß. - Die Reihe könnte über<br />

Dörfer hinweg fortgesetzt werden, es ZIP-t überall, und<br />

immer mehr Bürgermeister begreifen die Chance, über<br />

Dorfsanierungs- und Investitionsmittel ihren Gemeinden<br />

nach jahrzehntelanger Neuerungssucht wieder zu ihrem<br />

wahren, gewachsenen Gesicht zu verhelfen.<br />

„Dr Semmris^Krätten"<br />

Meine Nachbarin stammt aus einem Dorf bei Tübingen<br />

und ist schon vielfache Großmutter, hat auch alle Hoffnung<br />

- denn sie ist erst um sechzig - auch noch Urenkel<br />

zu sehen. Und sie stammt aus ländlicher Umgebung;<br />

dies vorweg, weil diese Umstände ein wenig das Thema<br />

beleuchten. Sie kam dieser Tage zu mir, weil sie irgendwo<br />

gehört habe, in Ablach gäbe es einen Korbmacher,<br />

und ob das stimme, denn sie brauche einen Semmris-<br />

Krätten. - Immer auf dem Sprung, aus einem kaum<br />

oder nie gehörten schwäbischen Wort den Kern herauszuschälen,<br />

ließ ich mir erzählen: der Korb muß aus ungeschälten<br />

Weidenruten sein, wie einst ein Holzkorb fürs<br />

Brennholz, nur mit etwas größerem Durchmesser und<br />

dafür mit etwas weniger hohen Seitenwänden. Die Frau<br />

konnte mir nicht sagen, woher der Name kommt, aber<br />

ich meine, darin steckt nichts anders als der oder das<br />

Simmri, das uns so oft als Hohlmaß in alten Urkunden<br />

auch auf diesen Seiten begegnet. Wieviele Male hat Herr<br />

Pfarrer Kraus bisher schon dieses Wort zitiert, wenn irgend<br />

eine Abgabe in Naturalien in Simmri aufgezählt<br />

wurde, vor allem Getreide. Meine Nachbarin braucht<br />

keine Naturalabgaben zu bezahlen, selbstverständlich;<br />

sie will den Korb ihrem Sohn nach Berlin schicken, der<br />

hat darum gebeten: „Wisset Se, der sammlet halt au so<br />

alts Glump, dees machetem Fraid!" Wichtiger war mir,<br />

daß die Frau mir erzählte, daß noch in ihrer Jugend, in<br />

den zwanziger Jahren, in der Tübinger Gegend das<br />

Simmri - sie spricht es als Semmre oder Semmris aus -


noch durchaus gebräuchlich war; nach ihrer Angabe ist<br />

es etwa ein Viertelzentner, denn ein halber Zentner<br />

habe alleweil als zwei Semmris und umgekehrt gegolten.<br />

Das war in der Tübinger Gegend, wie erwähnt. Meine<br />

Frage zum Schluß an die Leser: 1. Wird in Hohenzollern,<br />

etwa im Unterland, das nicht so weit von Tübingen<br />

ist, das Simmri noch gebraucht? 2. Wenn ja, welches Gewicht<br />

(oder Hohlmaß) vertritt es heute? Und schließlich<br />

eine Frage an die Fachleute: Was wog das „klassische"<br />

Simmri, also in frühen Jahrhunderten, als dieses Maß<br />

gang und gäbe war? Walther Frick<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Ringinger Burgbewohner<br />

Wie anderwärts hat auch auf der Burg Ringingen immer<br />

wieder ein Wechsel der Familien stattgefunden, sei es<br />

durch Erbschaft oder durch Kauf. Manchmal dürften<br />

auch mehrere zugleich dort heimisch gewesen sein. Aus<br />

den Angaben des Hohenzollerischen Jahresheftes 1964,<br />

345 f., entnehmen wir zunächst:<br />

Im J. 1180 erscheint als erster: Ritter Dietrich von Ringingen.<br />

Vor 1200 dann derselbe mit einem nahen Verwandten<br />

Otto v. R. Jedoch 1277-92 finden wir eine<br />

andere Familie aus dem Geschlecht derer von Entringen:<br />

„Eberhard von Ringingen." Er war wohl der Letzte seines<br />

Stammes. Bis um diese Zeit bezeichnete das „von"<br />

tatsächlich den Wohnsitz, nicht einen starren Namen,<br />

wie später. Im J. 1342 nennt sich Konrad, Truchsess von<br />

Urach, „zu Ringingen gesessen", der dann zusammen mit<br />

einem gleichnamigen Sohn daselbst 1349 vorkommt, die<br />

sich ab 1351 „Truchsess von Ringingen" nennen. 1375<br />

finden wir den Ritter Kun(rad) Tr. v. Ringingen mit<br />

den Söhnen Konrad und Jörg 1 . Zum gleichen Jahr aber<br />

erwähnt Gabelkofer in seinen Collekten einen zu Ringingen<br />

wohnhaften Eberhard von Grafeneck mit einer<br />

angeblichen Schwelherin als Frau. Wohnten also zwei<br />

Familien da? Am 28. Juli 1383 wird in einer Urkunde<br />

des Burkart von Holnstein betr. Kl. Pfullingen auf einmal<br />

als O r t s h e r r (ob auch Burgherr?) Heinrich von<br />

Killer, genannt Affenschmalz, angeführt 2 , und zwar mit<br />

der Bestimmung: „dessen Eigentum Ringingen ist". Acht<br />

Jahre zuvor war er als „Affesmalz" ein päpstlicher<br />

Söldnerführer in Italien gewesen, wo er sich einen gewissen<br />

Wohlstand verdiente 3 . Noch im Jahr 1406 bei Stiftung<br />

seines Jahrtages ist er Ringinger Ortsherr, dagegen<br />

1390 am 16. Oktober wohnte noch Georg Truchsess von<br />

Ringingen auf der Burg, später jedoch nicht mehr".<br />

Heinrich Affenschmalz hieß 1392 „von Ringingen", im<br />

Siegel aber immer noch „von Killer". Im J. 1403 taucht<br />

eine neue Familie hier auf: indem am 1. Mai Hans<br />

Schwelher der ältere „zu Ringingen seßhaft" erwähnt<br />

wird, vermutlich zusammen mit seinen Brüdern Mettelhans<br />

und Kleinhans. Der Ortsherr war somit nicht identisch<br />

mit dem Burgherrn bzw. Burgbewohner! Einzelne<br />

Güter und leibeigene Leute gehörten wieder anderen<br />

Herren, die manchmal lebhaften Handel trieben.<br />

Kleinhans Schwelher scheint durch seine Frau Anna von<br />

Freyberg in Besitz der Ringinger Burg und einzelner<br />

Ortsteile gekommen zu sein. Obiger Eberhard von Grafeneck<br />

war 1387 Schloßherr zu Seeburg bei Urach. Nach<br />

Urkunden des Benediktinerinnenklosters Urspring bei<br />

Schelklingen 5 kommt er 1370 bis 1419 vor und besaß<br />

den Rittertitel. Seine urkundliche (zweite?) Frau hieß<br />

Anastasia von Sulmetingen. Die Familie war mit einer<br />

Reihe Kinder gesegnet: Katharina, Dorothea, Margare-<br />

tha, Ursula (alle Nonnen zu Urspring), Hans und Agnes<br />

oder Nesa (diese 1420). Diese war vermutlich verehelicht<br />

mit Konrad von Freyberg, des Burkarts Sohn zu Neusteußlingen.<br />

Konrad ist ausdrücklich Tochtermann der<br />

obigen Anastasia von Grafeneck-Sulmetinen geheißen<br />

Konrads und Agnesens Tochter scheint die Gattin des<br />

Kleinhans Schwelher geworden zu sein 7 . Sie dürfte von<br />

ihrem Vater Konrad v. F. bzw. dem Großvater Eberhard<br />

von Freyberg Ringinger Güter dem Schwelher zugebracht<br />

haben. Anteil an Ortsrechten und am Kirchensatz<br />

besaß um 1460 auch ein Hans von Westernach.<br />

Möglicherweise war seine Mutter eine Anastasia von<br />

Grafeneck, eine weitere Tochter obigen Eberhards. Sie<br />

erscheint 1443 als Witwe eines älteren Hans von Westernach<br />

8 , der 1417 zusammen mit Konrad von Freyberg<br />

(des verstorb. Burkarts Sohn) urkundlich erwähnt<br />

wird 9 . Hans d. j. von Westernach von 1460 möchte ich<br />

als seinen Sohn und Erben ansehen. Nach Kleinhans<br />

Schwelhers Tod um 1450 wohnte 1455 sein Tochtermann<br />

Friedrich von Ow zu Ringingen auf der Burg 10<br />

samt seiner Schwiegermutter Anna von Freyberg, die unsere<br />

Kapelle der hl. Gallus und Othmar mit einem Sechstel<br />

des Ringinger Zehnten beschenkte 11 . Anna erhält<br />

noch 1466 vom Bischof von Konstanz die Zelebrationserlaubnis<br />

bzw. Benützung eines Altarsteins für Exequien.<br />

Im gleichen Jahr 1466 ist dann die Burg Ringingen in<br />

der unheilvollen Fehde des Hans von Rechberg, der in<br />

Salmendingen begütert war, in Trümmer gesunken.<br />

Nach der Zimmerischen Chronik von ca. 1566 stand damals<br />

noch der meiste Teil der Mauern, und es sei ein<br />

schöner und ansehnlicher Edelmannssitz gewesen.<br />

Neuestens wurde der noch 12 m hohe Bergfried konserviert<br />

und am Fuß ein Eingang geschaffen, so daß man<br />

auf einer stabilen Holztreppe ihn besteigen kann.<br />

1 3<br />

Hohz. JHeft 1952, 95.<br />

Wie 1: 1954, 109.<br />

2 4<br />

Staatsarch. Stuttg. A 514, No. 92. HJH 1964, 348.<br />

3<br />

Geschichte und Regesten des Benediktinerinnenklosters Urspring<br />

bei Schelklingen (je 400 Seiten), bearb. von Immo<br />

Eberl, 1978, Verlag Müller u. Graf, Stuttgart, mit guten Registern.<br />

8<br />

Wie 5: U 284 u. 290.<br />

9<br />

Ebenda: U 369.<br />

7<br />

Hohenz. Heimat 1954, 14.<br />

10<br />

HJH 1964, 352.<br />

8<br />

Wie 5: U 446 " Hohenz. Heimat 1954, 14.<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Letzte Herren von Benzingen<br />

In der Hohenzollerischen Heimat 1974, 40, wurden die<br />

bis dahin bekannten Glieder des Adels von Benzingen<br />

zusammengestellt. Nun sind durch die neu erschlossene<br />

Geschichte des ehemaligen Benediktinerinnen-Klosters<br />

Urspring bei Schelklingen 1 weitere Vertreter der Familie<br />

„von Benzingen" zutage gekommen, die hier nachgetragen<br />

seien 2 .<br />

Eine Sophie von Benzingen war 1360 und 1362 Nonne<br />

zu Urspring. Sie starb an einem 12. Januar. Vielleicht sei<br />

sie die Schwester Konrads v. Benzingen (G 233). Am<br />

1. Mai 1346 setzte Albrecht von Benzingen, Sohn des<br />

verstorbenen Konrad v. Benzingen, seiner Ehefrau Anna,<br />

Tochter des Johannes Faurer, seinen Hof zu Niederhofen<br />

3 als Pfand kraft Heimsteuerrechts für 20 Mark<br />

Silber ein, die er ihr von ihrer Morgengabe noch schuldete<br />

(U 35). Derselbe Albrecht verkaufte am 17. Oktober<br />

1356 an das Kloster Urspring seinen Niederhofer<br />

Hof, den Heinz Ochs bebaut, um 282 Pfund Heller.<br />

15


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> Geschichtsverein<br />

Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />

W <strong>3828</strong> FX<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Albrechts Ehefrau Anna verzichtet auf ihre Ansprüche<br />

(U 166, 167). Im Jahre 1359 bestätigten Albrecht von<br />

Benzingen und Hotz Braunber dem Kloster die Jahrtagsstiftung<br />

Gutas von Benzingen, Albrechts Schwester,<br />

für sich und ihre Schwester Beta (Elisabeth) aus den Einkünften<br />

des Hofes zu Hausen ob Urspring, die jährlich<br />

11 Schilling Heller Zins und 11 Hühner umfaßten<br />

(U 171). Nonnen waren offenbar die beiden Schwestern<br />

nicht, im Gegensatz zu obiger Sophie. Wohl derselbe Albrecht<br />

Benzinger (ohne „von"!) ist am 14. August 1363<br />

Bürge für Hans von Ehestetten und Heinz von Muschwang<br />

(U 183, 184). Den zu Schelklingen wohnhaften<br />

Albert (= Albrecht) Benzinger finden wir am 15. Oktober<br />

1363 als Bürgen für den Urspringer Kaplan Konrad<br />

Swäbli (U 185). Albrecht von Benzingen wird am<br />

12. Oktober 1374 erwähnt als Oheim der Anna von<br />

Nusplingen und ihres Mannes Nikolaus Arnold von<br />

Rottweil (U 223). Der gestiftete Jahrtag der obigen Beta<br />

von Benzingen wird 1409 auf 28. März erwähnt, wohl<br />

ihrem Todestag (U 340). Des „Benzingers Hof" zu Hausen<br />

ob Urspring erscheint noch am 2. Februar 1412 in<br />

der Urkunde Nr. 361, ohne daß damit gesagt ist, dieser<br />

Albrecht Benzinger sei noch am Leben. Weiteres verlautet<br />

über die Familie nichts mehr.<br />

1 Geschichte und Regesten (je 400 Seiten) des Benediktinerinnenklosters<br />

Urspring bei Schelklingen 1127-1806, bearbeitet<br />

von Immo Erberl; Verlag Müller u. Graf, Stuttgart, 197S.<br />

Beide Bände mit guten Registern.<br />

2 U = Urkunde oder Regest; G = Geschichte.<br />

3 Gemeinde Allmendingen im Alb-Donau-Kreis.<br />

Register 1978 Seite<br />

Hettingen, Blick auf die Flurkarte<br />

Seite<br />

43<br />

Beuron, St. Mauruskapelle (Bild) 17 Hospach Hans, »Ein vergessener Prophet<br />

Beuron, Das ehemalige Chorherrenstift aus dem Killertal« 27<br />

1077-1977 1 Inneringen, Seelsorger 60<br />

Bienen gehen ins Haus 63 Jungingen, Familienbibel 44<br />

Bisingen, Bericht über das KZ 55 Jungingen, Um ein Schillerdenkmal 42<br />

Burladingen-Hausen, Römisches Kastell 50 Kay, Teil einer Burgbefestigung? 7<br />

Burladingen 1200 Jahre, Killer, Schwelherbesitz 1488 57<br />

Festvortrag von Dr. Rettich 37 Lenz, P. Desiderius,<br />

Burladingen-Ringingen, St. Veit 48 Gedenkwort zum 50. Todestag 18<br />

Engstlatt, Werden einer Markung 11 Lenz, P. Desiderius,<br />

Erzgewinnung, Uralte Erzgewinnung 26 Ausstellung in Haigerloch 13<br />

Feldhausen, St. Sebastianskapelle 14 Lokomotiven, Museumslokomotiven<br />

Fehla, das Rätsel (des Namens) 27 in Hohenzollern 28<br />

Frundspürglin und Eineck 21 Pfullendorf im Spanischen Erbfolgekrieg 23<br />

Gammertingen, 50 Jahre Kreisaltersheim 54 Rangendingen, Gipsbrüche und Gipsmühlen 29<br />

Gruol, Gründung des Klosters vor 500 Jahren 46 Ringingen, Seemühle 1685-1937 31<br />

Haigerloch - St. Märgen-Hohenheim 42 Sprache unserer Vorfahren (Hettingen) 26<br />

Hausen i. K., Die Steimer 61 Stein - Hechingen, Römischer Gutshof entdeckt 8<br />

Hechingen, eine versteckte Miniaturvedute Stoi schla (Volkskundliches) 63<br />

aus dem 16. Jahrhundert 22 Trillfingen, 200 Jahre Schäferzunft 58<br />

Henselmann, Prof. Josef Henselmann Thanheim, Seelsorger 32<br />

80 Jahre 34 Wildenstein, Die Burg 4<br />

Henselmann, Kriegerdenkmal in Laiz (Bild) 33 Zürn Martin, Anbetung der Hirten (Bild) 49<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. Geschichtsverein.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie<br />

will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut<br />

machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezungspreis: 6,00 DM jährlich.<br />

Konten der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

123 63-707 Postscheckamt Stuttgart<br />

Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />

KG, 7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

16<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Marc Buckenmaier<br />

Eichendorffstr. 6, 7703 Rielasingen<br />

Walther Frick, Journalist<br />

Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />

Prof. Dr. Josef Groner<br />

Adolf-Kolping-Str. 17, 7798 Pfullendorf<br />

Georg Hämmerle, Konrektor a. D.<br />

Lindenstr. 23, 7968 Saulgau<br />

Joh. Adam Kraus, Erzb. Archivar i. R.<br />

Badstr. 8, 7800 Freiburg/Br.<br />

Josef Mühlebach, Landesverw.-Rat a. D.<br />

Leopoldstr. 41, 7480 Sigmaringen<br />

Joh. Wannenmacher, Schulrat i. R.<br />

Goethestr. 19, 7487 Gammertingen<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen (Telefon 07574/329)<br />

Redaktionsausschuß:<br />

Walther Frick, Journalist,<br />

Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />

(Telefon 07571) 8341)<br />

Manfred Hermann, Pfarrer,<br />

7451 Neufra/Hohenz. (Tel. 07574/442)<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser<br />

wieder; diese zeichnen für den Inhalt der<br />

Beiträge verantwortlich. Mitteilungen der<br />

Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters<br />

oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HÖH ENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben oom<br />

W <strong>3828</strong> FX<br />

Hohenzollerifchen Gefchichtsoerein<br />

29. Jahrgang Nr. 2/Juni 1979<br />

Kloster Hedingen vor dem Umbau 1889. Lithographie von Anton Eitelberger, Meßkirch. Aus einem Sigmaringer Sammelbild.<br />

Arch. Sig. Frick, Sigmaringen.<br />

GREGOR RICHTER<br />

Kirchliche und reditliche Verhältnisse in Sigmaringen<br />

am Ausgang des Mittelalters<br />

Die Einteilung des deutschsprachigen Abendlandes in<br />

Diözesen erfolgte schon im frühen Mittelalter. Wenn<br />

man die Grenzziehung zwischen den Bistümern Augsburg<br />

und Konstanz einerseits sowie den nördlich daran<br />

anstoßenden Bistümern andererseits betrachtet, so werden<br />

die Rücksichten erkennbar, die man dabei auf die<br />

Stammeszugehörigkeit der Bewohner genommen hat.<br />

Ähnlich früh müssen die Landkapitel als Vorläufer der<br />

heutigen Dekanate und die sogenannten Urpfarreien entstanden<br />

sein. In aller Regel fehlen darüber umfassende<br />

Nachrichten. Häufig ist deshalb die Forschung auf zufällige<br />

Nennungen angewiesen, wenn sie nicht gar lediglich<br />

aus den Namen der Heiligen, denen eine Pfarrkirche<br />

geweiht ist, und den Modeströmungen in der Heiligen-<br />

verehrung Rückschlüsse auf das Alter einer Pfarrei ziehen<br />

muß.<br />

Für das Bistum Konstanz betritt man bezüglich der Pfarreien<br />

sicheren Boden mit dem Jahr 1275. Damals wurde<br />

von allen Geistlichen eine auf sechs Jahre beschränkte<br />

Sondersteuer zur Finanzierung eines weiteren Kreuzzuges<br />

erhoben. Freigestellt waren lediglich diejenigen geistlichen<br />

Orden, die selbst die Befreiung des Heiligen Landes<br />

betrieben oder, so die Dominikaner und Franziskaner,<br />

den Kreuzugsgedanken förderten bzw. wie die Zisterzienser<br />

Feldprediger im Kreuzzugsheer stellten. Den<br />

Einzug dieser Steuer hatte die bischöfliche Kurie zu bewerkstelligen.<br />

Damit nachgeprüft werden konnte, wer<br />

schon bezahlt hatte und wer nicht, legte man ein »Ver-


zeichnis des von dem Konstanzer Klerus zu leistenden<br />

Papstzehnten«, den sogenannten »Liber decimationis cleri<br />

Constanciensis pro Papa de anno 1275« an 1 . Darin<br />

nun sind alle Pfarreien samt deren Jahreseinkünften aufgeführt,<br />

die Stadt Sigmaringen aber sucht man darunter<br />

vergebens, eine Stadtpfarrei gab es 1275 nämlich noch<br />

nicht. Dies traf auch noch zwei Jahrhunderte später zu.<br />

Denn 1444 entstand in unserer Stadt eine neue Johanneskapelle,<br />

wohl am selben Platz wie ein gleichnamiger<br />

älterer Bau, der sich schon zum Jahr 1359 nachweisen<br />

läßt. Hier kommt es auf den Ausdruck Kapelle an, die<br />

Bezeichnung für ein Gotteshaus ohne pfarrliche Rechte.<br />

Denn die Sigmaringer Pfarrkirche war damals und noch<br />

für lange Zeit die Kirche in Laiz. Sie blieb es sogar, als<br />

der Pfarrer längst in der Stadt wohnte, als 1464 die<br />

Stadtherrschaft beim Bischof durchsetzen konnte, den<br />

Pfarrgottesdienst in der Stadt abzuhalten. Die Verselbständigung<br />

der Johannespfarrei gelang erst im 18. Jahrhundert.<br />

Wir haben es hier keineswegs mit einem Einzelfall zu<br />

tun. Vielmehr läßt sich des öfteren beobachten, daß später<br />

gegründete oder stark gewachsene und zu Städten erhobene<br />

Orte über keine eigene Pfarrei verfügten. Sie<br />

blieben vielmehr in denjenigen Pfarrverband eingebunden,<br />

zu dem sie schon früher gehört hatten, vielleicht sogar<br />

samt ihrer Markung, die erst später neu abgegrenzt<br />

worden sein konnte. Ein solcher Fall findet sich beispielsweise<br />

ganz in der Nähe von Sigmaringen nochmals<br />

in Veringenstadt. Dieses gehörte pfarrlich sogar bis ins<br />

19. Jahrhundert zu Veringendorf.<br />

Im langen Festhalten an der überkommenen Pfarrorganisation<br />

zeigt sich ein gewisser Konservatismus, der<br />

durch die rechtlichen Begleitumstände begünstigt wurde.<br />

Denn gestiftete Pfründ- oder Heiligenvermögen, Jahrtage<br />

und andere Verpflichtungen fußten nicht selten auf<br />

urkundlichen Festlegungen, die man lange respektierte.<br />

Die sprichwörtliche Redewendung, man möge die Kirche<br />

im Dorf lassen, ist Ausdruck der traditionellen Beibehaltung<br />

älterer Pfarreiverbände.<br />

Im Verhältnis zwischen Laiz und Sigmaringen bestand<br />

der angedeutete Respekt des alten Zustandes eher formal<br />

als konsequent. Denn, wie erwähnt, 1464 bekam die<br />

Stadtherrschaft die Erlaubnis, in Sigmaringen selbst<br />

Pfarrgottesdienste abzuhalten 2 . Auch wohnte der Pfarrer<br />

bald in der Stadt, nicht mehr in Laiz. Formal gelang<br />

die endgültige Lösung von der Pfarrei Laiz jedoch erst<br />

im 18. Jahrhundert, als die Stadtpfarrei für sich das<br />

Recht auf Beerdigungen erhielt und einen eigenen Friedhof<br />

anlegte. Denn Taufen, Trauungen und Bestattungen<br />

sind pfarrliche Rechte, die im Regelfall in der Pfarrkirche<br />

bzw. auf deren Friedhof vollzogen werden mußten.<br />

Zu den kirchlichen Verhältnissen zählen die Beziehungen<br />

zu den Klöstern. In Sigmaringen waren diese im Mittelalter<br />

eng, bestand doch in Gorheim ein Franziskanerinnenkloster<br />

und in Hedingen hatten Dominikanerinnen<br />

ihren Sitz 3 .<br />

Die Geschichte des mittelalterlichen Klosterwesens wäre<br />

ein Thema für eine gesonderte Abhandlung. Ist es doch<br />

interessant und aufschlußreich zu sehen, wie in den Orden<br />

und Kongregationen sowie in deren Niederlassungen<br />

bestimmte Frömmigkeitsideale ihren Niederschlag fanden,<br />

wie nicht selten spätere Ausformungen der ursprünglichen<br />

Ideen zu geänderten Richtungen führten.<br />

Die vielen Neugründungen von Klostergemeinschaften<br />

sind Ausdruck einer gewissen Abkehr von allen bisherigen<br />

Orden, ja die Absichten älterer Gründungen wurden<br />

geradezu abgelehnt. Die als Bettelorden gestifteten Franziskanischen<br />

Gemeinschaften oder die vornehmlich für<br />

die städtische Seelsorge gedachten Dominikanischen Nie-<br />

18<br />

derlassungen waren von ihrer Anlage her gezwungen, die<br />

Klostermauern und -wände zu verlassen und unter das<br />

Volk zu gehen, was eine radikale Abkehr etwa von dem<br />

benediktinischen Ideal der stabilitas loci, von der Verpflichtung,<br />

an einem bestimmten Ort zu bleiben und der<br />

Regel gemäß dort zu beten und zu arbeiten. Sieht man<br />

die Ordensgeschichte so, dann erhält man Einblicke in<br />

die mittelalterliche kirchliche Wirklichkeit, die geprägt<br />

war von einer auffallenden Vielfalt, ja nicht selten von<br />

einer streitbaren Gegensätzlichkeit. Hier sollte man sich<br />

klarmachen, daß dies nur möglich war, wenn die Kirche<br />

und vorab das Papsttum das Maß an Duldsamkeit aufbrachte,<br />

das man benötigte, um die unterschiedlichsten<br />

Richtungen unter einem Dach zu vereinen. Vielleicht<br />

sollte unsere Zeit etwas mehr davon haben, um die Pluralität<br />

der Frömmigkeitsideale zu respektieren, ohne sogleich<br />

das Entweder - Oder zu verlangen. Zur Geschichte<br />

des Klosterwesens gehörte natürlich auch, wie<br />

dieses nicht selten in den Sog politischer Macht geriet,<br />

sei es, daß einzelne Klöster oder von Klöstern ausgehende<br />

Bewegungen selbst zu Machtfaktoren wurden, wie es<br />

bei den mittelalterlichen Reichsprälaturen oder bei den<br />

großen Reformbewegungen wie etwa der Hirsauer Bewegung<br />

der Fall war, sei es, daß Kaiser und Territorialherren<br />

die Klöster als politische Faktoren einsetzten.<br />

In Hedingen und Gorheim bestanden vergleichsweise unbedeutende<br />

Niederlassungen. Wir dürfen es jedoch als<br />

bezeichnend ansehen, daß innerhalb weniger Jahre gleich<br />

zwei Klausen oder Klösterlein in unmittelbarer Nähe<br />

entstanden. Darin liegt ohne Zweifel ein Element der geschilderten<br />

unterschiedlichen Frömmigkeitsideale. Denn<br />

die Klause Gorheim, die nach einer durch Urkunden allerdings<br />

nicht belegbaren späteren Notiz 1303 entstanden<br />

sein soll, diese Klause gehörte dem 3. Orden der<br />

Franziskanerinnen an. Die Anfänge müssen bescheiden<br />

gewesen sein, vermutlich lebten zunächst nur zwei -<br />

drei Frauen zusammen, um ein gottgefälliges Leben zu<br />

führen. 1347 erhielten die Gorheimer Klausnerinnen<br />

aber vom damaligen Pfarrer von Laiz sowie von den Familien<br />

des Gorheimer Müllers namens Werner und des<br />

Sigmaringer Waibels Benz Besitzungen übertragen, u. a.<br />

befand sich darunter der Platz, auf dem die Klause<br />

stand. Die Urkunde des Laizer Pfarrers v. Reischach 4<br />

erwähnt als Klausnerinnen Luggart, die Tochter Werners<br />

des Müllers, und Bethe, Tochter des Benz des Waibels,<br />

unter dem wir uns eine Art Gerichts- und Stadtdiener<br />

mit polizeilicher Befugnis vorzustellen haben. Vermutlich<br />

waren Luggart und Bethe die ersten Insassen der<br />

Klause, die der zuständige Pfarrer und ihre Familien<br />

durch Zuwendungen unterstützten. Die Gründung der<br />

Klause Gorheim wäre dann auf privater Basis erfolgt.<br />

Die Klause bzw. nach späterer Benennung das Kloster<br />

Gorheim blieb im Umfang wie in der Bedeutung bescheiden.<br />

Als Kaiser Josef II. Ende des 18. Jahrhunderts die<br />

kleinen Klöster aufheben ließ, gehörte Gorheim dazu,<br />

das bis dahin nicht bedeutend geworden war.<br />

Wie sich sein Vorhandensein dennoch auf Sigmaringen<br />

auswirkte, wird noch anzusprechen sein.<br />

Das Kloster Hedingen gehörte den Dominikanerinnen.<br />

Es verdankt seine Stiftung nicht bürgerlicher Initiative,<br />

sondern dem Willen des adligen Ortsherren Itel Folkwin,<br />

der 1338 eine entsprechende Schenkung machte.<br />

Beide Orden, die Franziskaner wie die Dominikaner,<br />

waren verhältnismäßig junge Orden, existierten sie doch<br />

erst seit dem 13. Jahrhundert, während die Benediktinter<br />

schon im 6. Jahrhundert entstanden waren, die Zisterzienser<br />

sich als reformierter Zweig davon 1098 abgespalten<br />

hatten und die Prämonstratenser 1120 gegründet<br />

wurden. So kann man annehmen, in Sigmaringen und


der nächsten Umgebung herrschte bezüglich der Frömmigkeitsideale<br />

in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts<br />

eine moderne Richtung vor. Daß sich die einen den Dominikanern,<br />

die anderen den Franziskanern zuwandten,<br />

mag einmal in der größeren Betonung des franziskanischen<br />

Armutsideals beim anderen in der Anhänglichkeit<br />

an den eher streitbaren Einsatz für die Kirche zu sehen<br />

sein, den der heilige Dominikus forderte. Im übrigen unterschieden<br />

sich die Terzianerinnen oder Drittorden für<br />

Frauen der Franziskaner und der Dominikaner nicht<br />

sehr wesentlich.<br />

Das Klosterschicksal von Hedingen nahm jedoch später<br />

eine andere Wendung als das von Gorheim. Denn wegen<br />

allzu großer Mißstände wurde das Hedinger Kloster<br />

schon 1597 aufgehoben, die Nonnen überwies man in das<br />

Kloster Inzigkofen. Später wagten Franziskaner in Hedingen<br />

eine Neugründung, doch der Niedergang der Dominikanerinnen<br />

wie der Neubeginn liegen bereits weit<br />

außerhalb des hier zu behandelnden Zeitraums.<br />

Die Klöster bei der Stadt bzw. seit der wohl im<br />

14. Jahrhundert erfolgten Aufgabe der Eigenständigkeit<br />

von Gorheim, Brenzkofen und Hedingen in der Stadt<br />

boten der Bürgerschaft in mehrfacher Hinsicht Gelegenheit<br />

zur Aufnahme von Beziehungen. Als erstes ist an die<br />

religiösen Beziehungen zu denken. Hier in die Klöster<br />

konnten Frauen und Mädchen eintreten, die sich einem<br />

klösterlichen Leben widmen wollten oder von ihren Eltern<br />

dazu bestimmt worden waren. Die im Zusammenhang<br />

mit den Stiftungen von 1347 genannten Gorheimer<br />

Klausnerinnen waren nicht von ungefähr Töchter eines<br />

ortsansässigen Müllers und des Sigmaringer Benz, des<br />

Waibels.<br />

So wie 1347 begegnen immer wieder Gorheimer und Sigmaringer<br />

Bürgerstöchter als Klausnerinnen in Gorheim.<br />

Eng verknüpft mit der Möglichkeit des Klostereintritts<br />

ist als zweite Beziehung zwischen Stadtbürgern und Klöstern<br />

diejenige der frommen Stiftung für die Ordensniederlassungen.<br />

Denn nicht selten vermachten Familien,<br />

deren Angehörige dort lebten, dem Kloster Liegenschaften,<br />

teils als Aussteuer, teils als Erbe der jeweiligen Klosterfrau.<br />

Bei Gorheim haben wir in der Urkunde von<br />

1347, die der Müller und der Waibel Benz ausstellten,<br />

schon ein diesbezügliches Beispiel kennen gelernt.<br />

Neben der Zuwendung für eine eigene Angehörige konnten<br />

aber auch den Klöstern Stiftungen zum Seelenheil<br />

der Spender, deren Vorfahren und Nachkommen gemacht<br />

werden.<br />

Ein einziges Beispiel mag genügen. Nach einer Urkunde<br />

vom 2. Januar 1449 5 vermachte Katharina Walz, die<br />

Witwe eines Mannes namens Locher, dem Konvent von<br />

Gorheim all ihr liegendes und fahrendes Gut. Zweck der<br />

Zuwendung sollte nach dem Wortlaut der Urkunde sein,<br />

daß die Klosterfrauen Gott und seine Mutter besser lobten<br />

und für die Seele der Witwe wie für alle Gläubigen<br />

beteten. Wie bei den vielen Jahrtagsstiftungen ging es<br />

also darum, durch materielle Zuwendung das fürbittende<br />

Gebet oder Eucharistiefeiern zu erwirken.<br />

Außer Klöstern erhielten Pfarreien, Kaplaneien oder einzelne<br />

Altarpfründen in Pfarrkirchen oder Kapellen derartige<br />

Stiftungen unter gleichfalls vereinbarten Auflagen,<br />

etwa der Feier eines Jahrtages mit Messen und Vigilien,<br />

wie es sich 1474 der Priester Werner Knapp gegenüber<br />

der Frühmeßpfründe in der Sigmaringer Kapelle<br />

ausbedungen hatte 6 .<br />

Die Schenkungen waren für Klöster und sonstige kirchliche<br />

Vermögensträger nur eine von mehreren Möglichkeiten,<br />

zu Besitz zu gelangen. Daneben stand die kaufsweise<br />

Erwerbung von Gütern. 1349 kaufte etwa die Kirchenfabrik<br />

der Kapelle zum heiligen Michael in Gorheim<br />

von Adelheid der Bernhartin, Bernharts Tochter aus Bingen,<br />

die Bürgerin von Sigmaringen war, eine Wiese unter<br />

dem Berg zu Gorheim 7 . Unter dem Begriff Kirchenfabrik<br />

versteht man das Vermögen, das für kirchliche Gebäude<br />

und anderen Bedarf an Dingen des kirchlichen<br />

Kultus wie Meßgewänder oder Hostien bestimmt ist. Die<br />

Kirchenfabrik war wie die zum Unterhalt von Geistlichen<br />

bestimmten Pfründen rechtsfähig, so daß sie Erwerbungen<br />

und Veräußerungen vornehmen konnte. Das<br />

Kloster Gorheim erwarb z. B. käuflich 1378 eine Wiese,<br />

die zuvor der Laizer Kirchenfabrik gehört hatte 8 . Weshalb<br />

zu dieser Transaktion unter zwei geistlichen Instituten<br />

die Bewilligung von Schultheiß und Rat der Stadt<br />

Sigmaringen erforderlich war, der nach dem Wortlaut<br />

der Urkunde erteilt wurde, ist unklar. Der Umstand<br />

zeigt immerhin, daß die Stadtverwaltung schon damals<br />

einen gewissen Einfluß in der Umgebung besaß. Wie es<br />

übrigens auch die beiden Sigmaringer Bürger Hans<br />

Stuffli und Frischhans waren, die als Pfleger der Kirchenfabrik<br />

Unserer Lieben Frau den Verkauf machten<br />

und nicht Bewohner von Laiz.<br />

Ein vielleicht merkwürdiges Kaufgeschäft vollzog 1478<br />

Meister Heinrich Schmid von Sigmaringen 9 . Er kaufte<br />

der Priorin und dem Konvent des Klosters Hedingen für<br />

12 Pfund Heller einen Hanfgarten an der Halde in Gorheim<br />

mit allem Zubehör ab. In der Nachbarschaft lag<br />

noch ein Garten von ihm. Dies erfährt man, weil zur<br />

örtlichen Fixierung in der damaligen Zeit, als es noch<br />

keine katastermäßige Einteilung mit Flurstücksnummern<br />

gab, zur lokalen Bestimmung die Nebenlieger der<br />

Grundstücke genannt wurden. Merkwürdigerweise verkaufte<br />

der gleiche Meister Heinrich Schmid wenige Monate<br />

später seinen Garten und seine Halde zu Gorheim<br />

für 16 Pfund Heller an das Kloster Gorheim.<br />

Als merkwürdig sind diese Geschäfte anzusehen, weil der<br />

Besitzwechsel der Wiese so rasch aufeinanderfolgte. Es<br />

bleibt unklar, ob hier ein Spekulationsgeschäft vorlag,<br />

weil der Wiederverkauf 4 Pfund Heller und damit Vs<br />

mehr einbrachte, ob es lediglich ein Mittelsmanngeschäft<br />

war, oder ob die Neuerwerbung erst durch die Vereinigung<br />

mit dem schon vorhandenen Garten des Meisters<br />

Schmid die Konventsfrauen zu Gorheim animierte, sich<br />

um den Kauf des Gartens zu bemühen.<br />

Wie so oft bei Fragen zur mittelalterlichen Geschichte<br />

müssen schlüssige Antworten aus Mangel an gesicherten<br />

Quellenzeugnissen unterbleiben. Festzuhalten aber dürfte<br />

sein, daß die geistlichen Institute in oder bei Sigmaringen<br />

eine wirtschaftliche Rolle zu spielen hatten, die sich<br />

auf die Stadt wie auf einzelne Bürger auswirkte. Dennoch<br />

beschränkte sich ein Kloster nicht auf die Stadt.<br />

Die Frauen von Hedingen hatten vielmehr nach einer<br />

Beschreibung von 1426 in Altensweiler bei Ursendorf in<br />

der Gemeinde Hohentengen zwei Höfe, ferner einen<br />

Weinberg in Sipplingen am Bodensee, eine Wiese oberhalb<br />

von Laiz an der Donau, einen Krautgarten am<br />

Schmidstor von Sigmaringen und schließlich ein halbes<br />

Haus in Sigmaringen bei der Stadtmauer nahe dem<br />

Mühltor 10 .<br />

Hatte Kloster Hedingen neben den innerörtlichen Liegenschaften<br />

Besitzschwerpunkte außerhalb der Stadt, so<br />

konzentrierten sich dagegen die Güter der ursprünglichen<br />

Frühmeß- und späteren Pfarrpfründe nach einer<br />

Beschreibung von 1497 hauptsächlich auf die Stadt samt<br />

Gorheim, Hedingen und Brenzkofen n . Immerhin besaß<br />

diese Pfründe einen Weinzins in Sipplingen. Möglicherweise<br />

war diese Kreditaufnahme durch Hedingen<br />

vermittelt worden, das ja auch in Sipplingen Rechte besaß.<br />

Um einen Kredit handelt es sich jedenfalls, was<br />

nicht als Ausnahme anzusehen ist. Denn die Klöster und<br />

19


sonstigen geistlichen Vermögensträger waren am Kreditgeschäft<br />

beteiligt. Hier in unserem Fall natürlich nur im<br />

bescheidenen Maße und keinesfalls vergleichbar den großen<br />

Handelsgesellschaften wie der von Ravensburg, die<br />

Kreditkäufe tätigten, oder wie das Handelshaus Fugger,<br />

das im 16. Jahrhundert als Geldgeber gegenüber Päpsten<br />

und Kaisern auftrat.<br />

Aber bei aller Bescheidenheit der Ausmaße ist doch die<br />

Tatsache als solche festzuhalten, daß auch in Sigmaringen<br />

geistliche Institute Kredite gewährten.<br />

Der rechtliche Ablauf der Kreditaufnahmen ist im<br />

Wortlaut der Urkunden selbst irreführend für unser Verständnis<br />

formuliert, spricht man doch vom Gültkauf und<br />

-verkauf. Dabei tritt der Schuldner als Verkäufer auf,<br />

der seine Gült, d. h. seine Zinsleistung, veräußerte. So<br />

»verkaufte« etwa 1453 Jörg Müller zu Süssen bei Sipplingen<br />

am Bodensee der Pfründe im Kloster Hedingen<br />

den jährlichen Zins von 7 Eimer guten Weißweins. Er<br />

erhielt dafür 35 Pfund Heller 12 . Daß es sich um einen<br />

Kredit handelt, deutet lediglich der Zusatz an, der Verkäufer<br />

könne gegen 35 Pfund Heller den Zins wieder<br />

ablösen. Analog war es, als 1516 der Sigmaringer Bürger<br />

Ulrich Bürcklin für 20 Pfund Heller 1 Pfund Heller<br />

Zins an die Kapelle Unserer lieben Frau an der Straße<br />

zu Laiz verkaufte und sich die Ablösung vorbehielt 13 .<br />

Hier ist nun auch der Zinssatz von 5 °/o genannt, der allgemein<br />

üblich war und ebenso in Verträgen zwischen<br />

Bürgern untereinander oder mit der Stadt begegnet.<br />

Als Beispiel für solche Geschäfte von Bürgern unter sich<br />

sei der Gültverkauf des Hans Buol, Bürger zu Sigmaringen,<br />

an seinen Mitbürger Albrecht den Suner von 1419<br />

erwähnt, bei dem der Gläubiger oder nach damaligem<br />

Begriff, der Verkäufer, 30 Pfund Heller erhielt und eine<br />

Wiese dafür verpfändete 14 . Wie hier sind in anderen<br />

Fällen von den Gläubigern in der Regel Liegenschaften,<br />

also Gärten, wiesen oder Äcker zum Pfand gesetzt worden.<br />

Zum Verhältnis der Stadt bzw. der Bürger von Sigmaringen<br />

zu den geistlichen Instituten gehören noch die<br />

Streitigkeiten, die in den Urkunden festgehalten sind.<br />

Der Deutung bedarf wohl die urkundliche Verfügung<br />

des Grafen Eberhard von Württemberg von 1369 15 als<br />

dem damaligen Stadtherren über die Steuerpflichtigkeit<br />

und die Dienstpflichtigkeit der Güter des Klosters Hedingen.<br />

Nach dem Inhalt der Urkunde gewährte der<br />

Graf der Stadt die Gnade, alles bisher Steuer- und<br />

dienstpflichtige Gut des Klosters an Äckern, Wiesen,<br />

Häusern, Gärten, Hofstätten und Gülten auch künftig<br />

als Steuer- und dienstpflichtig zu betrachten. Offensichtlich<br />

blockte der Stadtherr damit Bestrebungen des Klosters<br />

ab, die Steuer- und Dienstfreiheit für seine Besitzungen<br />

zu erlangen. Hier stand im Konfliktfall folglich<br />

der Landes- und Stadtherr auf Seiten der Stadt. Wenn<br />

neben den Steuern die Dienste erwähnt sind, so ist vornehmlich<br />

an Wachdienste an bzw. auf der Stadtmauer<br />

und andere Auflagen für die Gemeinschaft zu denken,<br />

die an den Liegenschaften hafteten.<br />

Zu einem Streit zwischen der Stadt und wieder dem<br />

Kloster Hedingen war es etwa 100 Jahre später um einen<br />

Wald, um das Holz Aspach, gekommen 16 . Diesmal<br />

mußte wiederum der Landes- und Stadtherr eingreifen,<br />

es war Graf Jörg von Werdenberg, den beide Parteien<br />

als Vermittler anerkannten. In dieser Rolle setzte der<br />

Graf 1470 fest, die Klosterfrauen hätten auf den Wald<br />

zu verzichten, sie erhielten dafür einen Acker, außerdem<br />

wurde noch der Tausch zweier Waldstücke auferlegt.<br />

Als dritten Streitfall zwischen Stadt und Kloster Hedingen<br />

läßt sich der 1488 vom herrschaftlichen Obervogt<br />

beigelegte nennen, der sich um Steuern aus einem Acker<br />

20<br />

auf dem Schönenberg drehte und damit endete, daß die<br />

Nonnen die Steuer zu entrichten hatten 17 .<br />

So läßt sich zusammenfassend über die Beziehungen zwischen<br />

der Stadt und den Klöstern oder den sonstigen<br />

geistlichen Rechtsträgern sagen, daß die geistlichen Institute<br />

erstens die Gelegenheit gaben, Frauen und Töchtern<br />

Aufnahme zu gewähren oder aber fromme Stiftungen zu<br />

machen. Zum zweiten haben wir sie als wirtschaftliche<br />

Faktoren zu sehen, traten sie doch als Partner bei Grundstücksgeschäften<br />

oder bei Schuldaufnahmen auf. Schließlich<br />

begegnen sie als Kontrahenten und Rivalen, was<br />

nicht ohne Konflikt geblieben ist. Auch die mittelalterliche<br />

Welt war nicht durchweg als heile Welt konstruiert.<br />

Dies gilt nicht nur für die Beziehungen zu kirchlichen<br />

Instituten. Denn Streit brach auch zwischen Bürgern unter<br />

sich, zwischen verschiedenen Gemeinden und zwischen<br />

Bürgern und der Stadt aus.<br />

Bei den Beispielen zu Differenzen zwischen den Klöstern<br />

und der Stadt Sigmaringen traten uns bisher als Schiedsleute<br />

die Landesherren oder deren Beamte entgegen. Da<br />

die Stadt selbst beteiligt war, konnte es nicht anders gehandhabt<br />

werden. In anderen Fällen übernahm die Stadt<br />

die Urteilsfindung. Natürlich nicht in ihrer Gesamtheit,<br />

sondern in ihrer Repräsentation von Schultheiß und Gericht.<br />

Wie dies vor sich ging und wie das Recht gesprochen<br />

wurde, mag an zwei Beispielen erläutert werden:<br />

1455 bekundete der Sigmaringer Schultheiß Konrad<br />

Steiger 1S , vor ihn und das Gericht seien der ehrbare<br />

Hans Suener und Konrad Sulger als Pfleger der Kirchenfabrik<br />

der Johanneskapelle gekommen und hätten<br />

durch ihren Fürsprecher oder Advokaten Klage gegen<br />

den ehrbaren Andreas Koch erhoben. Dieser sollte einen<br />

Garten besitzen, aus dem die Kirchenfabrik eine Gült<br />

beanspruchte. Koch wollte die Gült nur aus dem halben<br />

Garten zahlen, weil er die andere Hälfte verkauft hatte.<br />

Das Gericht ließ den Schultheißen und zwei weitere Personen<br />

zur Sache vernehmen und entschied, Koch müsse<br />

die Gült wieder aus beiden Teilen des Gartens entrichten.<br />

Das Gericht stellte darüber ein Urteil aus.<br />

Im zweiten Fall ging es um ein Zufahrts- bzw. ein Überfahrtsrecht.<br />

1513 bekundete der Schultheiß Gallin Beck<br />

von Sigmaringen 19 , vor ihn und das Gericht seien vier<br />

Bürger gekommen, unter ihnen Meister Konrad Lentzin.<br />

Lentzin ließ durch seinen Fürsprecher erklären, er habe<br />

in Zyern oder Zeuren, dem Flurstück also zwischen<br />

Hohkreuz und Laizer Markung, eine Wiese gekauft, er<br />

besitze aber keinen Weg zu seiner Wiese. Die drei anderen<br />

Bürger, die er mitbrachte, sollten ihm vor Gericht<br />

die Wahrheit über sein Recht bekunden, wie er auf die<br />

Wiese gelangen könnte. Sie taten es und versicherten,<br />

durch einen Acker, der einem Hans Lüpfried gehörte,<br />

und durch eine Wiese des Grafen von Werdenberg gehe<br />

ein Weg, auf dem man Reiten und Fahren dürfe. Die<br />

Richter entschieden, die Aussagen sollten als Wahrheit<br />

gelten und rechtskräftige Wirkung haben.<br />

Auch hierüber wurde eine Urkunde ausgestellt. Wichtiger<br />

als der Streitpunkt ist es, für das hier darzustellende<br />

Rechtsverhältnis, daß das Stadtgericht Angelegenheiten<br />

seiner Bürger regelte, nicht nach Gutdünken, sondern<br />

nach Prüfung des Sachverhalts. Dabei ist etwas von der<br />

Achtung des Rechts zu spüren.<br />

Natürlich gab es nicht nur Streit zu behandeln, sondern<br />

wurden auch Kaufverträge gerichtlich geschlossen und<br />

Dokumente legitimiert. Das Rechts- und Wirtschaftsleben<br />

der Stadt verlangte viele Aktivitäten des Gerichts.<br />

Es dürfte interessant sein, weiteren derartigen Verhältnissen<br />

nachzugehen und die Inhalte der Auseinandersetzungen<br />

sowie andere Dinge zu verfolgen, die sich spurenhaft<br />

in den Quellen finden, sei es die Nachricht über


einen Brand im Kloster Hedingen, der nach einer Notiz<br />

von 142 6 20 dort alle Urkunden vernichtet hatte, sei es<br />

über das Umgeld, eine Verbrauchssteuer auf Getränken,<br />

die der Stadtherr der Stadt 1459 21 überließ, damit sie<br />

den Bau der Stadtmauer finanzieren konnte, sei es die<br />

1498 geäußerte Furcht vor »der Schlechtigkeit der Menschen<br />

und . . . (vor) gefährlichen Zeiten«. Diese Furcht<br />

ließ den Grafen von Werdenberg das bischöfliche Generalvikariat<br />

um Zustimmung bitten, Mitternachtsmessen<br />

in der Karwoche schon beim Aveläuten beginnen zu lassen,<br />

damit die Stadttore des nachts verschlossen gehalten<br />

werden konnten 22 . Dies hielt man, wie erwähnt, der unsicheren<br />

Zeiten wegen für erforderlich. Da der Pfarrgottesdienst<br />

in der Stadt und nicht mehr in Laiz stattfand,<br />

mußten die Laizer Kirchgänger nach Sigmaringen gehen<br />

und waren für sie die Stadttore offenzuhalten.<br />

Die Rechtsverhältnisse einer mittelalterlichen Stadt wie<br />

Sigmaringen sind naturgemäß wesentlich geformt worden<br />

von den Rechten und Pflichten, die das Stadtrecht<br />

den Bürgern gewährte bzw. auferlegte. Darauf braucht<br />

nun aber hier nicht näher eingegangen zu werden, weil<br />

in der 1977 anläßlich des Stadtjubiläums veröffentlichten<br />

Festschrift gerade dazu ein Uberblick gegeben wor-<br />

1 Vgl. Gregor Richter, Der Konstanzer Liber decimationis<br />

von 1275. Ein Beitrag zur Problematik ortsgeschichtlicher<br />

Quellen und -Jubiläen in: Beiträge zur Landeskunde Nr.<br />

6/1975, S. 12 ff.<br />

2 Vgl. Maren Kuhn-Rehfus, Sigmaringen 1077-1977. Ein<br />

Abriß seiner Geschichte, in: 900 Jahre Sigmaringen, 1977,<br />

S. 23, und Alex Frick, Entstehung und Entwicklung des<br />

Stadtbildes von Sigmaringen, in: ebenda, S. 70.<br />

3 Zur Literatur über Hedingen und Gorheim vgl. Bernhardt/<br />

Seigel, Bibliographie der Hohenz. Geschichte, S. 148 f.<br />

4 StA Sig. Ho 80 Urk. 1347 Mai 20.<br />

5 Ebenda.<br />

6 Ebenda 1474 Dez. 12.<br />

7 Ebenda 1349 September 22.<br />

8 Ebenda 1378 Oktober 18.<br />

JOSEF GRONER<br />

den ist 23 . Vorstehend sollte vielmehr ein Eindruck von<br />

den bestehenden Zuständen und davon gegeben werden,<br />

wie komplex auch die mittelalterliche Geschichte betrachtet<br />

werden muß. Zwei Schlußfolgerungen bieten<br />

sich an:<br />

1. Die kirchlichen Verhältnisse waren sowohl in religiöser<br />

als auch in wirtschaftlicher Hinsicht von Belang. Die<br />

formale Bindung der Stadtbevölkerung an die Pfarrkirche<br />

in Laiz entsprach dem Zuge der Zeit, die Klostergründungen<br />

in Hedingen und Gorheim ebenso. Insbesondere<br />

die Klöster waren wirtschaftliche Faktoren.<br />

2. In Streitfragen suchte man gewöhnlich nach objektivem<br />

Recht zu entscheiden. War die Stadt beteiligt, entschieden<br />

oder verglichen die Landesherren bzw. ihre Beamten,<br />

gegenüber den Bürgern fällten Schultheiß und<br />

Gericht der Stadt Sigmaringen ihre Urteile.<br />

So dürftig unsere Quellenzeugnisse sind, sie lassen doch<br />

erkennen, daß es wechselnde Schicksale gegeben hat, daß<br />

Formen der Verwaltung und Rechtssprechung gefunden<br />

wurden, die das Zusammenleben in der städtischen Gemeinschaft<br />

ermöglichten, und daß uns das Mittelalter um<br />

so weniger finster vorkommen wird, je mehr wir darüber<br />

wissen.<br />

9<br />

Ebenda 1478 Juni 8.<br />

10<br />

Ebenda 1426 März 7.<br />

11<br />

Ebenda, Dep. 1 (Stadtarchiv Sigmaringen) Urk. Nr. 31.<br />

12<br />

Ebenda, Ho 80 Urk. 1453 Februar 12.<br />

13<br />

Ebenda 1516 November 18.<br />

14<br />

Ebenda 1419 September 23.<br />

15<br />

Ebenda, Dep. 1 Urk. Nr. 5.<br />

16<br />

Ebenda Nr. 21.<br />

17<br />

Ebenda Nr. 28.<br />

18<br />

Ebenda, Ho 80 Urk. 1455 November 17.<br />

19 Ebenda 1513 August 5.<br />

20 Wie Anm. 10.<br />

21 StA Sigm., Dep. 1 Urk. Nr. 15.<br />

22 Ebenda, Ho 80 Urk. 1498 April 2.<br />

23 Kuhn-Rehfus, wie Anm. 2, hier S. 20 ff.<br />

Die Freiherren von Schellenberg in der Reidisstadt Pfullendorf<br />

(Fortsetzung)<br />

Maria Anna von Schellenberg zu Pfullendorf<br />

Freiherr Sigmund Regnat konnte es sich leisten, seinem<br />

einzigen Kind, der Tochter Maria Anna, eine gute Erziehung<br />

angedeihen zu lassen. Er schickte sie zu den Englischen<br />

Fräulein nach München, doch da zeigte sich schon<br />

die fragwürdige Veranlagung der Kleinen. Sie sah sich<br />

von bösen Geistern verfolgt und konnte nur durch ein<br />

»Wunder« von ihnen befreit werden. Der Vater nahm<br />

sie daher nach Bräunlingen zu sich, doch das Vergnügen<br />

an ihr sollte ihm bald vergehen. Schon als 14/15-Jährige<br />

begründete Maria Anna durch Geschichten mit Roßbuben<br />

und Bauernknechten ihren zweifelhaften Ruf. Prügel<br />

des Vaters nützten nichts, zumal sich Mutter und Stiefbruder<br />

auf ihre Seite stellten. Sie ging sogar so weit, ihren<br />

Vater der Blutschande anzuklagen und behauptete,<br />

ein Kind von ihm zu haben. Obgleich das »Kind« bei<br />

Gelegenheit in Form eines Kissens unter ihrem Rock herausfiel,<br />

hetzte sie von Sigmaringen aus, wo sie bei der<br />

Fürstin von Hohenzollern, ihrer Taufpatin, Unterschlupf<br />

gefunden hatte, weiter gegen ihren Vater. Sigmund Re-<br />

gnat wurde daraufhin tatsächlich von seinem Wohnsitz<br />

weggelockt und in Hechingen zunächst einmal nobel zurückgehalten.<br />

Dann aber, nachdem die Angelegenheit bei<br />

der oberösterreichischen Regierung in Innsbruck anhängig<br />

gemacht worden war, richtig festgesetzt, während<br />

seine Tochter nach Rottenburg ins Gefängnis wanderte.<br />

Nach langwieriger Untersuchung und sogar Drohung<br />

mit der Folter wurde der Freiherr zu lebenslanger Haft<br />

verurteilt, allerdings nach 4 Jahren freigelassen, nachdem<br />

sich Innsbruck eines anderen besonnen hatte.<br />

Während seiner Gefangenschaft hatte Maria Anna in<br />

Rothenburg ihren Prinzen gefunden, und zwar einen<br />

sonst nicht näher bekannten Johann Heinrich von Kern.<br />

Auf rätselhafte Weise gelang es ihm, die gefangene<br />

Schellenbergerin zu befreien und zu heiraten (Balzer 90).<br />

Die Wirkung dieses abenteuerlichen Vorgangs war andererseits,<br />

daß Sigmund Regnats Haft aus unerklärlichen<br />

Gründen verschärft wurde, während Maria Anna österreichisches<br />

Landesverbot erhielt. Ihr Stiefbruder Franz<br />

v. Hafner benützte die günstige Gelegenheit, um seines<br />

21


Stiefvaters Sigmund Regnats Gut zu Wülflingen auszuräubern,<br />

die Sachen in der Schweiz zu verkaufen und<br />

den Erlös mit seinem Schwager Johann Heinrich v. Kern<br />

zu teilen. Als der Freiherr nach seiner Entlassung aus<br />

dem Gefängnis tatsächlich wieder frei war, hatte er nach<br />

eigenen Worten nichts mehr als »einen Stecken in der<br />

Hand, 1 Gulden bares Geld und ein alt, zerrissenes<br />

Hemd, worin 7 Katzen würden keine Maus erwischt haben«.<br />

Durch Vermittlung und Geld war es v. Kern gelungen,<br />

die Landesverweisung seiner Frau aufheben zu lassen,<br />

und so zog das Paar in den »Schellenberger Hof« nach<br />

Pfullendorf, wo sich denn auch Sigmund Regnat mit seiner<br />

Frau Elisabeth einstellte. Das gemeinsame Leben dort<br />

oben muß allerdings bisweilen wenig erfreulich gewesen<br />

sein, nicht verwunderlich nach derlei bisherigen Lebensläufen.<br />

Der Freiherr beklagt sich in einem Schreiben bitter<br />

über die schlechte Behandlung durch seinen Schwiegersohn,<br />

auch will er heimlich ausgelauscht haben, wie<br />

die beiden Jungen durch Wiederaufwärmen des Inzestprozesses<br />

in Innsbruck sich seiner entledigen wollten.<br />

Nachdem seine Frau 1703 gestorben war und ihm auch<br />

sein Enkel Konstantin Heinrich Eugen (geb. 1706) keine<br />

Großvaterfreude zu machen schien, entfernte sich Sigmund<br />

Regnat fluchtartig aus Pfullendorf, wohl zusammen<br />

mit seiner 2. Ehefrau, einer geborenen von der<br />

Lipp, um in Wien am 10. Januar 1711 sein abwechslungsreiches<br />

Leben zu beschließen.<br />

Damit war dieser Zweig am Baum der Bräunlinger<br />

Schellenberger ausgestorben. Der Letzte der Bräunlinger<br />

Linie überhaupt, Sigmund Regnats Vetter Franz Sigmund,<br />

starb 1727. Von anderen Linien lebten indes immer<br />

noch Nachkommen, doch auch bei ihnen setzten<br />

Unfruchtbarkeit und Tod bald den endgültigen Schlußpunkt.<br />

Der Letzte des Stammes, Johann Joseph Anton<br />

Freiherr von Schellenberg, ging, von seiner Frau getrennt,<br />

mit sich und der Welt uneins und völlig verarmt,<br />

im ehemals Schellenbergischen Haus in Hüfingen heim zu<br />

seinen Vätern am 8. Oktober 1812.<br />

Eine erfreuliche Hinterlassenschaft<br />

Bei den Eingeweihten weckt der »Schellenberger Hof«<br />

trotz seines wohlklingenden Namens nach all dem Erzählten<br />

nicht unbedingt besonders erhebende Gefühle.<br />

Andererseits gibt es in Pfullendorf doch auch ein Erinnerungsstück<br />

an diese Adelsfamilie, dem man Bewunderung<br />

nicht versagen kann. Es handelt sich um einen in hochbarocker<br />

Form getriebenen, silbervergoldeten Meßkelch,<br />

eine nicht gerade üppige, aber dennoch schöne und gediegene<br />

Augsburger Goldschmiedearbeit aus dem Anfang<br />

des 18. Jahrhunderts. Im Kelchfuß ist auf den Kopf der<br />

Schraube, welche die drei Teile des Gefäßes zusammenhält,<br />

eine goldene Plakette gelötet, die in meisterhafter<br />

Ziselierarbeit ein Wappen mit einer mehr oder weniger<br />

verständlichen Umschrift enthält. Der untere Teil läßt<br />

sich leicht lesen: »Sacerdos dei Memendo Mei« = Priester<br />

Gottes gedenke meiner. Daß von diesen 4 Wörtern ausgerechnet<br />

das Wort »Gottes« klein geschrieben ist, mag<br />

etwas befremden, doch zu jener Zeit machte die Rechtschreibung<br />

noch keine Sorgen. Der Graveur muß auch<br />

nicht gerade sehr gelehrt gewesen sein, denn sonst hätte<br />

er Memento statt Memendo geschrieben, vielleicht stand<br />

es aber schon falsch auf dem Auftragszettel. Aus dem<br />

Spruch geht jedenfalls hervor, daß es sich um das Geschenk<br />

einer Laienperson an einen Priester handeln muß.<br />

Doch wer war diese Person? Das Wappen bietet uns die<br />

Richtung, in der man suchen muß. Dabei handelt es sich<br />

um eine Kombination aus zwei längs aneinandergefügten<br />

22<br />

gestifteten Kelches.<br />

Einzelwappen, wobei die rechte Seite (vom Beschauer<br />

aus gesehen) das schwarz-goldene Balkenwappen (abwechselnd<br />

2 schwarze und 2 goldene Querbalken) der<br />

alten Schellenberger Ritter zeigt. Soweit könnte man an<br />

unseren Sigmund Regnat denken, allerdings hatte seine<br />

Linie zu den schwarz-roten Balken im Lauf der Zeit den<br />

roten Löwenkopf der angeheirateten Familie derer von<br />

Randegg hinzugenommen, er kommt also als Stifter des<br />

Kelches nicht in Frage. Vielmehr wird man auf die Linie<br />

Schellenberg-Kißlegg verwiesen, denn zum Balkenmotiv<br />

gesellt sich der steigende gehörnte schwarze Panter der<br />

ehemaligen Grafen von Kißlegg. Dieses Wappentier auf<br />

goldenem Grund, das auf dem Kopf Ochsenhörner trägt<br />

und aus dessen aufgerissenem Rachen drei rote Flammen<br />

herausschlagen, wurde den Kißlegger Schellenbergern<br />

1545 von Karl V. verliehen. Die linke Hälfte des Wappens<br />

zeigt auf goldenem Feld übereinander drei schwarze<br />

laufende Löwen, auf blauem Grund 3 goldene Tannenzapfen,<br />

ebenfalls auf blauem Grund eine goldene<br />

Sonne über drei goldenen Bergen, dazu befindet sich in<br />

der Mitte noch ein kleiner Schild mit einem goldenen<br />

Reichsapfel auf rotem Feld. Das Wappen weist also eindeutig<br />

nach Schwaben wegen der drei schwarzen Löwen<br />

(wie sie sich heute wieder im Hoheitswappen von Baden-Württemberg<br />

finden), genauer auf die Truchsessen<br />

von Waldburg, die sich ursprünglich »von Tanne« nannten<br />

(daher die drei Tannenzapfen), vorübergehend auch<br />

die Herrschaft Sonnenberg innehatten und nach dem<br />

Wegzug Friedrichs II. nach Italien 1220 Reichsfunktionen<br />

ausübten, indem sie auf ihrer Waldburg in der heute<br />

noch bestehenden Kapelle die Reichskleinodien aufzubewahren<br />

hatten 16 (daher der Reichsapfel) und überhaupt<br />

das Reichstruchsessenamt erblich ausübten. Die Kombination<br />

der beiden Wappen entstand nun dadurch, daß<br />

die Letzte aus dem Hause Schellenberg-Kißlegg, die bereits<br />

erwähnte Maria Anna, 1699 den Reichserbtruchsessen<br />

Grafen Ferdinand Ludwig von Wolfegg heiratete.<br />

Ihre Namensbuchstaben befinden sich denn auch im oberen<br />

Teil der Wappenumschrift: »M. A. E. R. T. g. v. W.<br />

g. v. Schell.«. Stellt man die in falscher Reihenfolge eingravierten<br />

Buchstaben E. R. um, dann ergibt sich ausgeschrieben<br />

richtig: Maria Anna. £rb .Reichs Truchsessin<br />

Gräfin von Wolfegg geborene fon Schellenberg. Damit


ist das Geheimnis der Stifterin gelüftet. Sie war übrigens<br />

eine Dame, die dem Hause Schellenberg alle Ehre<br />

machte und zusammen mit ihrem Mann auch vieles für<br />

fromme Kunst getan hat. Aus diesem Grunde sieht man<br />

ihr Wappen, d. h. das Schellenberg-Waldburgische Doppelwappen,<br />

genau so wie es in unserer Kelchplakette<br />

dargestellt ist, am Triumphbogen der prachtvollen<br />

Pfarrkirche von Wolfegg, die durch ihre und ihres Mannes<br />

Initiative von 1733-1742 errichtet worden ist 17 .<br />

Ungeklärt bleibt freilich die Frage, wieso und auf welchem<br />

Weg der Schellenberg-Kelch nach Pfullendorf<br />

kam. Die Reichsstädter hatten mit den Grafen von Wolfegg<br />

nichts zu tun, Beziehungen zwischen ihnen und der<br />

Pfullendorfer Geistlichkeit sind unbekannt, im Pfarrar-<br />

16<br />

Groner, Josef F.: Pfullendorf, königlich ,staufische Stadt.<br />

S. 74 ff.<br />

17<br />

Freundliche Mitteilung Sr. Durchlaucht Franz Ludwig<br />

Fürst zu Waldburg-Wolfegg in Waldsee.<br />

Hinweise:<br />

Balzer, Eugen: Die Herren von Schellenberg in der Baar.<br />

Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte<br />

der Baar und der angrenzenden Landesteile 11 (1904). -<br />

Zitierung: Balzer I.<br />

Balzer, Eugen: Überblick über die Geschichte der Stadt<br />

Bräunlingen. Ein Beitrag zur Geschichte Vorderösterreichs.<br />

Donaueschingen 1903. - Zitierung: Balzer II.<br />

Büchel, Johann Bapt.: Geschichte der Herren von Schellenberg.<br />

Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum<br />

H. BURKARTH - B. WALLDORF<br />

chiv ließ sich bis jetzt nichts Zweckdienliches auffinden<br />

und um ein Säkularisationsgut aus einem der städtischen<br />

oder umliegenden Klöster handelt es sich offenbar nicht,<br />

da auf der Unterseite des Kelchrandes sonst die üblichen<br />

Säkularisierungszacken eingraviert sein müßten. Man<br />

könnte sich allerdings vorstellen, daß die fromme Maria<br />

Anna von Wolfegg mit ihrer Kelchstiftung im schmerzlichen<br />

Gedanken an ihre schlimme Pfullendorfer Verwandtschaft<br />

eine sühnende und versöhnliche Geste machen<br />

wollte. Trotz der fehlenden Sicherheit in diesem<br />

Punkt bleibt auf jeden Fall die Freude, daß sich in der<br />

Stadt ein Kunstwerk befindet, das die Schellenberger<br />

Epoche von einer freundlichen Seite in dauernde Erinnerung<br />

ruft.<br />

Liechtenstein 7 (1907) 5-101, 8 (1908) 1-103, 9 (1909)<br />

27-99.<br />

Falke, Jacob von: Geschichte des Fürstlichen Hauses von<br />

Liechtenstein, 3 Bde. Wien 1868-1882.<br />

Groner, Josef F.: Pfullendorf, königlich-staufische Stadt.<br />

Konstanz 1971.<br />

Schmid, Otto: Pfarrkirche Wolfegg. Kunstführer 937, München-Zürich<br />

1971.<br />

Schupp, Johann: Die ehmals Freie Reichsstadt Pfullendorf<br />

und ihre Geschlechter. Pfullendorf 1964. - Zitierung: Geschlechterbuch.<br />

Vochezer, Josef (- Sproll): Geschichte des Fürstlichen Hauses<br />

Waldburg in Schwaben, 3 Bde. Kempten u. München<br />

1880-1907.<br />

Bild des Freiherrn von Schellenberg: Foto Grill, Donaueschingen.<br />

Das mittelalterliche, vorreformatorische Pfarrhaus von Kettenacker<br />

Im Jahre 1534 rückte Herzog Ulrich von Württemberg<br />

in die Besitzungen seines Erzfeindes, des bisherigen<br />

Obervogtes von Urach, Dietrich von Speth ein. Dieser<br />

hatte 10 Jahre vorher die Herrschaft Gammertingen-<br />

Hettingen von den Bubenhofern gekauft. Wie in ganz<br />

Württemberg, führte Herzog Ulrich auch im neu gebildeten<br />

Amt Hettingen die Reformation ein. Die zahlreichen<br />

Kaplaneien wurden abgeschafft, auch zwei Pfarreien,<br />

Hermentingen und Kettenacker wurden aufgehoben.<br />

Daß diese beiden Pfarreien aufgehoben wurden, war<br />

kein Zufall. Beide waren schlecht dotiert. Der Pfarrer<br />

von Hermentingen war schlechter gestellt, als ein Kaplan<br />

in Hettingen oder Veringen. Bei Kettenacker lag der<br />

Fall etwas anders. Die Pfarrei war an sich recht und<br />

schlecht lebensfähig. Aber durch die Zusammenlegung<br />

mit einer anderen Pfarrei konnte ein Pfarreinkommen<br />

eingespart werden (Es ist mir nicht bekannt, ob Kettenacker<br />

während der Reformation zu Feldhausen oder Ittenhausen<br />

gehörte).<br />

In den Pfarreien wurden evangelische Prädikanten eingesetzt.<br />

Diese lebten nicht vom örtlichen Pfarreinkommen,<br />

sondern wurden vom Herzog besoldet. Nur die katholischen<br />

Pfarrer, welche evangelisch wurden und in ihrer<br />

alten Gemeinde blieben, konnten ihre Pfründe behalten.<br />

Der einzige katholische Pfarrer, der im Amt Hettingen<br />

blieb, war Kaplan Johannes Müller in Ittenhausen.<br />

Die württembergische Verwaltung zog das kirchliche<br />

Vermögen an sich. Was man nicht brauchen konnte,<br />

wurde verkauft. Nach Aufhebung der Pfarrei Kettenakker<br />

war das Pfarrhaus überflüssig geworden, also wurde<br />

es verkauft.<br />

Das Amt Hettingen wurde 13 Jahre später, 1547 von<br />

kaiserlichen Truppen besetzt und wechselte wieder zum<br />

katholischen Glauben über. Der Verkauf des Pfarrhauses<br />

von Kettenacker wurde aber nicht rückgängig gemacht.<br />

Dies ist kein Ausnahmefall, denn es wurde überhaupt<br />

nichts rückgängig gemacht. Die evangelischen Prädikanten<br />

wurden durch katholische Pfarrer ersetzt, es wurde<br />

aber nicht eine der alten Kaplaneien wieder errichtet.<br />

Auch die Aufhebung der Pfarrei Hermentingen war endgültig.<br />

Man übernahm die Verhältnisse, wie sie die Reformation<br />

hinterlassen hatte. Aus gutem Grund natürlich,<br />

denn die Pfarreien zogen nun sämtliche kirchlichen<br />

Einkünfte und Vermögen innerhalb ihrer Gemeinde an<br />

sich.<br />

Kettenacker wurde wieder als katholische Pfarrei geführt,<br />

bekam aber keinen Pfarrer. Der jeweilige Pfarrer<br />

von Feldhausen betreute auch Kettenacker. Erst 1603<br />

finden wir wieder einen Pfarrer in Kettenacker. Ob damals<br />

ein Pfarrhaus gebaut wurde, ist mir nicht bekannt.<br />

Das Pfarrhaus von Kettenacker brannte vor über 20<br />

Jahren ab. Soweit ich mich erinnere, war es kein richtiges<br />

»Pfarrhaus«, sondern eher ein Bauernhaus, das später<br />

erworben wurde. Am Giebel stand die Jahreszahl 1753.<br />

Es lag zwar in der Nähe der Kirche, war aber ebenso,<br />

wie das jetzige Pfarrhaus ein Haus im Dorf, wie alle<br />

anderen Häuser.<br />

Erst die Beschäftigung mit der Geschichte der Reformation<br />

und deren Auswirkungen in der Herrschaft Gammertingen-Hettingen,<br />

löste Überlegungen aus, wo sich<br />

das damals verkaufte Pfarrhaus wohl befand. Auf den<br />

23


Gedanken, daß das Haus im Jahre 1979 noch am gleichen<br />

Platz stehen könnte, kam ich zunächst allerdings<br />

nicht. Die Kirche liegt an der östlichen Seite des Dorfes.<br />

Die heutige, 1955 erbaute Kirche hat am gleichen Platz<br />

mindestens zwei Vorgängerinnen. 1467 bekam der Kettenacker<br />

Pfarrer Johannes Klötzlin die Genehmigung,<br />

für seine ruinöse Kirche zu sammeln. Ob damals eine<br />

neue Kirche gebaut, oder die alte Kirche renoviert wurde,<br />

ist nicht bekannt. Die Kirche, welche 1955 abgerissen<br />

wurde, stammte aus dem Jahr 1628 (An diese Datierung<br />

kann ich nicht recht glauben, da um diese Zeit, im Dreißigjährigen<br />

Krieg, bitterste Not herrschte. Wer sollte damals<br />

eine neue Kirche bauen?). Ich möchte eher annehmen,<br />

daß die Kirche in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts<br />

entstand. 1955 wurde diese Kirche abgebrochen<br />

und die heutige Kirche gebaut. Um die Kirche befindet<br />

sich auch heute noch der Kirchhof. Kirche, Kirchhof<br />

und Pfarrhaus lagen in den Dörfern meistens auf einem<br />

Grundstück. Tatsächlich lag direkt am Kirchhof ein<br />

Haus, das alle Merkmale eines alten Pfarrhauses aufwies.<br />

Es war das Wohnhaus des Landwirtes Jakob Volk<br />

(Dorfname „der hintere Gluitz").<br />

Dieses Haus unterschied sich von den alten Häusern des<br />

Dorfes vor allem dadurch, daß es keinen Stall hatte. Es<br />

war offensichtlich nicht als Bauernhaus gebaut worden.<br />

Das Erdgeschoß war ziemlich niedrig und hatte nur nach<br />

der Hofseite hin Fenster. Das Treppenhaus war eng und<br />

die Räume im Obergeschoß ebenfalls ziemlich klein. Das<br />

Haus lag an einem rechteckigen Hof. Am der Friedhofmauer<br />

befindet sich ein Stallgebäude und dem Wohnhaus<br />

gegenüber eine Scheuer. Der jetzige Besitzer ließ das<br />

Haus im März 1979 abbrechen, um ein neues Wohnhaus<br />

zu erstellen. Herr Botho Walldorf aus Gammertingen<br />

sah beim Abbruch zu und schrieb seine Beobachtungen<br />

nieder:<br />

Das Haus befand sich etwa 20 m gegenüber dem Westportal<br />

der 1955 abgebrochenen Pfarrkirche St. Martin.<br />

Es diente bis kum Abbruch als Wohnhaus und war in einem<br />

verhältnismäßig guten baulichen Zustand.<br />

Keller: Rechts vom Hauseingang geht man eine Treppe<br />

hinunter und kommt in einen geräumigen gewölbten<br />

Keller aus Bruchsteinmauerwerk. Der Keller liegt an der<br />

Ostseite des Hauses.<br />

Erdgeschoß: Die Decke des Erdgeschosses wird längs von<br />

einem mächtigen Eichenbalken durchbogen (Querschnitt<br />

etwa 40 cm). Der Balken ruht auf 3, etwa 1 m hohen<br />

Ständern, die auf einem Steinsockel stehen. Die Ständer<br />

und der Balken sind die tragenden Teile des Hauses, das<br />

sonst kein Fundament hat. Die Außenmauern des Erdgeschosses<br />

sind etwa 80 cm stark und aus Bruchsteinen aufgeführt.<br />

Die Zwischenräume der Ständer wurden, vielleicht<br />

später, mit Ziegeln ausgemauert. In die westliche<br />

Außenmauer wurde ein Abort eingebaut. Ein Raum im<br />

Erdgeschoß (links von der Haustüre) wurde jetzt und<br />

wohl schon längere Zeit früher, als Küche benützt. An<br />

der Ostseite über dem Keller sind zwei Räume, die sich<br />

wohl noch ganz im alten Zustand befinden. Über die ursprüngliche<br />

Verwendung der Räume im Erdgeschoß ist<br />

nichts bekannt. Wahrscheinlich dienten sie als Abstellräume,<br />

vielleicht auch als Kleintierställe. Auf dem großen<br />

Tragebalken, der das Haus längs durchzieht, befinden<br />

sich im Abstand von ca. 80 cm Deckenbalken, welche<br />

an der Hofseite etwa 30 cm überstehen. Die Balkenköpfe<br />

weisen Spuren alter roter Farbe auf und wurden in neuerer<br />

Zeit verändert.<br />

24<br />

Obergeschoß: Das Obergeschoß enthält vier Räume. Die<br />

südliche Mauer, sowie die nicht tragenden Zwischenwände,<br />

bestehen aus Fachwerk, ausgeriegelt mit Haselnußfaschinen<br />

und Lehm. Darauf befanden sich mehrere Putzschichten.<br />

Zwei kleinere Fenster nach der Kirche hin<br />

waren zugemauert. Sie dürften noch aus der Erbauungszeit<br />

stammen. Das Fachwerk zeigt überall eine alte rote<br />

Farbschicht („Ochsenblut"). Es ist später mit Nägeln<br />

und einem Drahtgeflecht versehen und verputzt worden.<br />

Da es sich um handgeschmiedete Nägel handelt, muß der<br />

Verputz schon im 18. oder frühen 19. Jahrhundert angebracht<br />

worden sein. Auch die untere Putzschicht war bemalt.<br />

Dachstuhl: Die Dachsparren, welche ganz von Rauch<br />

geschwärzt sind, weisen alle 20 cm durchgehende, ca.<br />

2 cm starke Löcher auf. Sie sollen (nach mündlicher<br />

Überlieferung) zum Befestigen von Strohbüscheln für<br />

das Strohdach gedient haben. Dabei soll die Frage offen<br />

bleiben, ob die mittelalterlichen Pfarrhäuser wie die<br />

Bauernhäuser mit Stroh gedeckt waren, oder ob ein späterer<br />

Besitzer das Haus mit Stroh deckte. Auch die Frage,<br />

ob das Haus kaminlos war, wofür die stark geschwärzten<br />

Dachsparren sprechen, läßt sich nicht entscheiden.<br />

Sicher erscheint aber, daß auch die städtischen<br />

Häuser in Gammertingen im 15. Jahrhundert kaminlos<br />

waren.<br />

Da auch im 18. Jahrhundert die Pfarrhäuser der Umgebung<br />

nach einem einheitlichen Schema gebaut wurden,<br />

ist die Annahme berechtigt, daß das ehemalige Pfarrhaus<br />

von Kettenacker eine Anschauung davon gibt, wie ein<br />

dörfliches Pfarrhaus im ausgehenden Mittelalter aussah.<br />

Wir kennen die Erbauungszeit nicht, sondern nur das<br />

Jahr, in dem es verkauft wurde. Es ist durchaus möglich,<br />

daß das Haus schon im 15. Jahrhundert gebaut<br />

wurde. Die Pfarrhäuser von Gammertingen und Neufra<br />

aus dem 18. Jahrhundert sind noch vorhanden, werden<br />

aber nicht mehr als Pfarrhäuser benützt. Das Pfarrhaus<br />

von Feldhausen wurde um 1960 abgebrochen; es war<br />

ähnlich gebaut. Typisch ist eine große Diele mit einer<br />

breiten Eichentreppe, welche dem Haus eine gewisse<br />

Würde verlieh. Der »hauswirtschaftliche« Bereich war<br />

im Erdgeschoß, das Amtszimmer, Wohn- und Schlafräume<br />

des Pfarrers befanden sich im Obergeschoß. Demgegenüber<br />

nimmt sich das alte Kettenacker Pfarrhaus recht<br />

bescheiden aus. Es hatte nur einen bewohnbaren Raum<br />

im Erdgeschoß, in dem sich vermutlich auch früher<br />

schon die Küche befand. Der Pfarrer hatte 4 Zimmer<br />

zur Verfügung, von denen nur eines nach heutigen Begriffen<br />

wohnlich war.<br />

Um den Wert des Pfarrhauses richtig einzuschätzen,<br />

muß man es jedoch mit den damaligen Bauernhäusern<br />

vergleichen. Diese waren ebenerdige Holzbauten. Die<br />

Fußböden bestanden aus gestampftem Lehm. Durch die<br />

kleinen Fenster kam kaum Licht in das Innere der Räume,<br />

die zudem ständig vom Herdfeuer verraucht waren.<br />

Demgegenüber war das Pfarrhaus doch ein stattliches,<br />

zweistöckiges Haus, das einen Wohnwert hatte, welcher<br />

mit den damaligen städtischen Bürgerhäusern zu vergleichen<br />

ist.<br />

Quellen: Türkensteuerlisten des Herzogtums Württemberg im<br />

Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Urbarium sämtlicher Gotteshäuser<br />

in den Herrschaften Gammertingen und Hettingen von<br />

1547 im Fürstl. Archiv Sigmaringen. J. Wiest, Geschichte der<br />

Stadt Gammertingen. Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns,<br />

Bd. II.


GEORG HÄMMERLE<br />

Das vorreformatorische Pfarrhaus von Kettenacker. 1534 verkauft und bis 1979 als Wohnhaus<br />

benützt. (Foto: H. Burkarth)<br />

Am 25. März 1848 - Franzosen-Samstag in Saulgau<br />

(Fortsetzung)<br />

Im Stadtarchiv Saulgau fand sich eine weitere Bestätigung<br />

sowohl der angesprochenen Ereignisse als auch der<br />

allgemeinen Befürchtung eines Einfall fremder Truppen<br />

oder Frei-Corps. Aus diesem Grunde hatte sich in Sigmaringen,<br />

und zwar muß dies mindestens Anfang März<br />

geschehen sein, ein Bewaffnungskommitee konstituiert,<br />

dem neben den Offizieren der dortigen Bürgerwehr auch<br />

2 Offiziere der Linientruppen angehörten. Dieses Kommitee<br />

ließ am 31.3. 1848 im Druck den Plan einer Landesverteidigung<br />

erscheinen, gedacht für das Hohenzollerische<br />

Gebiet und die angrenzende württembergische<br />

Nachbarschaft.<br />

Danach sollte durch Aufgebot des Landsturms eine<br />

Hauptverteidigunslinie bezogen werden, ausgehend von<br />

Pfullendorf, über Krauchenwies, Sigmaringen, entlang<br />

der Laudiert und fortgesetzt bis Gammertingen, Hechingen,<br />

Haigerloch. Die Mannschaften der einzelnen Orte<br />

werden darin den verschiedenen Stützpunkten zugeordnet<br />

und mit ganz allgemein gehaltenen Kampfaufträgen<br />

versehen. Es ist darin weiter die Rede von einer Reservelinie,<br />

in die auch Riedlingen, Herbertingen und Saulgau<br />

einbezogen sind.<br />

Grundsätzlich war also eine Abwehrstellung nach Westen<br />

ins Auge gefaßt. Sollte aber ein Angriff von Osten<br />

erfolgen, so sollte diese Reservelinie als vordere Kampflinie<br />

in Aktion treten. Die Schrift verweist auf die<br />

Möglichkeit einer Alarmierung: Läuten der Sturmglokken,<br />

Benachrichtigung durch reitende Boten, Feuerzeichen<br />

bei Nacht und Rauchsignale bei Tag.<br />

Die Verfasser geben Hinweise auf die Möglichkeit,<br />

durch partisanenartige Einzelaktionen, den Nachschub<br />

des Gegners zu stören. Außerdem rechnen sie mit Zuzug<br />

aus der württembergischen Nachbarschaft, und hier<br />

kommt es auch zum Hinweis auf die Ereignisse am Franzosen-Samstag:<br />

». . . wie dies auch schon bei dem Alarm<br />

am 24. 3. 1848 der Fall gewesen ist, an welchem Tag aus<br />

Scheer, Mengen und selbst Saulgau 400 Bewaffnete sich<br />

zur Hilfeleistung angeboten haben.«<br />

In einem Nachsatz wird die Bereitschaft der Sigmaringer<br />

zu jeder Hilfe ausgesprochen für den Fall, daß die württembergische<br />

oder badische Landwehr ein Ausrücken als<br />

notwendig ansehe, um »die Fortsetzung unserer errungenen<br />

Freiheit« sicherzustellen. Die Verteilung der Druckschrift<br />

erging an die Städte des genannten Gebietes von<br />

Sulz und Horb am Neckar bis Saulgau und Altshausen.<br />

Selbst übergeordnete amtliche Stellen haben also an die<br />

Richtigkeit dieser Alarmmeldung geglaubt. Erst mit einer<br />

Verlautbarung des Saulgauer Oberamtmannes Kunradi<br />

im »Intelligenzblatt für den Oberamtsbezirk Saulgau«<br />

vom 1.4. 1848 wurde amtlicherseits festgestellt,<br />

daß es sich um eine Falschmeldung gehandelt hatte:<br />

»Nach einem Erlaß des K. Ministeriums des Innern vom<br />

gestrigen Tage haben die an verschiedenen Orten verbreiteten<br />

Gerüchte über das Eindringen französischer<br />

Horden nach den jetzt eingelaufenen Nachrichten sämtlich<br />

als unbegründet sich erwiesen, und daß ein solcher<br />

Einfall vorerst auch nicht zu befürchten sei, da nach den<br />

Mitteilungen badenscher Behörden an allen Übergangspunkten<br />

an der Grenze von Frankreich Truppen aufgestellt<br />

seien.«<br />

Die Sache mit dem Franzosen-Samstag war also weder<br />

eine bierselige Narretei noch die gekonnte Erfindung eines<br />

Spaßvogels, der den Saulgauern (und natürlich auch<br />

noch anderen) etwas Ähnliches anhängen wollte wie es<br />

die Riedlinger einstmals erfahren hatten mit dem Übernamen<br />

»Mohrenwäscher« und die Ehinger, die als »Muk-<br />

25


kenspritzer« im Lande verschrien waren. Es war eine<br />

von den Zeitgenossen als durchaus möglich, sogar als<br />

wahrscheinlich erachtete Gefahr. Auch in den Ratsprotokollen<br />

hat sich die Sache niedergeschlagen. Am<br />

25.3.1848 heißt es da: »Aus Veranlassung der heute<br />

eingelaufenen Nachrichten von dem Einfall französischen<br />

Gesindels ins Badensche hat man in gemeinsamer Beratung<br />

des Stadtrates und Bürgerausschusses zunächst für<br />

gehörige Bewaffnung der Bürgerschaft, Wachen, Vorposten<br />

usw. Vorsorge getroffen. Daneben wurde beschlossen,<br />

für mögliche Einquartierungen Quartiermeister aufzustellen:<br />

Ignaz Hepp, Schreiner Aßling, Stadtrat Feger,<br />

Ratschreiber Hoch, Obmann des Bürgerausschusses Kleber,<br />

Stadtrat Fuchs, Stadtpfleger Gnant, Verwaltungsaktuar<br />

Josse.«<br />

Eine weitere Maßnahme des Stadtrates mag dazu geführt<br />

haben, daß späterhin die Saulgauer Bürgerwehr in<br />

der oben beschriebenen Form dargestellt wurde. Laut<br />

Ratsprotokoll vom 31. 3. 1848 sollten nicht nur alle Gewehre<br />

in der Stadt aufgenommen werden, sondern es<br />

sollten, da letztere natürlich nicht für die gesamte Bürgerschaft<br />

ausgereicht hätten, Sensen umgeschmiedet und<br />

für den neuen Gebrauch hergerichtet werden. Am<br />

6. 4. 1848 heißt es: Auf kommenden Samstag (8. 4. 1848)<br />

ist bereits bayrisches Militär zur Einquartierung angesagt,<br />

wofür Quartiermeister bestimmt werden, außerdem<br />

wird der Stadtpfleger am 10.4. 1848 ermächtigt,<br />

1000-1200 Gulden aufzunehmen, um die für Einquartierungskosten<br />

zu leistenden Vergütungen an die Bürger<br />

auszahlen zu können.<br />

Man muß weiter in Betracht ziehen, daß seit Beginn der<br />

Revolution in Württemberg (Märzministerium am<br />

11. 3. 1848) ein Gesetzentwurf zur Volksbewaffnung in<br />

Beratung und natürlich auch in der öffentlichen Diskussion<br />

war (verkündet am 1. 4. 1848). Man mag dabei zunächst<br />

versucht sein, anzunehmen, dieser Volkssturm solle<br />

zur endgültigen Umwandlung der politischen Landschaft<br />

und zur Sicherung dieser Umwandlung mit Waffengewalt<br />

ins Leben gerufen werden. Das trifft jedoch<br />

mit Sicherheit nicht zu; denn einmal mußte ein entsprechendes<br />

Gesetz nach der immer noch gültigen Verfassung<br />

vom König selbst verkündet werden, zum andern aber<br />

macht die mehrheitliche Loyalität gegenüber dem Königshaus,<br />

dem sich ja auch das Märzministerium verpflichtet<br />

fühlte, diese Annahme unmöglich. Die Erklärung<br />

für die Forderung nach Volksbewaffnung kann nur<br />

in der allgemein herrschenden Überzeugung davon gesehen<br />

werden, daß Revolutionen kontinentalen Ausmaßes<br />

- und dies trifft ja für 1848 zu - unweigerlich das Erscheinen<br />

fremder Revolutionsheere herbeiführen müsse,<br />

daß wieder einmal fremde Soldatenhaufen, getarnt als<br />

»Befreier« und unter beschönigenden Losungen wie<br />

»Friede den Hütten, Krieg den Palästen« ins Land eindringen<br />

könnten.<br />

Die offizielle Beruhigung, die der Oberamtmann Kunradi<br />

in der Zeitung vom 1.4.1848 hatte veröffentlichen<br />

lassen, scheint nicht genügend gewirkt zu haben. Am<br />

8. 4. 1848 erschien daher eine weitere Mitteilung unter<br />

der Überschrift »Erneuerte Bekanntmachung in Betreff<br />

der Sicherstellung der diesseitigen Landesgrenze gegen<br />

den Einfall der deutschen Legion und französischer Arbeiter«.<br />

Darin heißt es, »daß die Regierung zum vollständigen<br />

Schutze des diesseitigen Gebiets alle erforderlichen<br />

Maßregeln getroffen habe, welche zwar der Natur der<br />

Sache nach sich im Augenblick nicht zur Veröffentlichung<br />

eignen, die jedoch in den nächsten Tagen jedem in<br />

die Augen fallen werden.«<br />

Hier ist zum erstenmal die Rede von einer Angelegenheit,<br />

die vermutlich die ganze Aufregung ausgelöst hat,<br />

26<br />

die sog. deutsche Legion um den Dichter Georg Herwegh,<br />

der mit seinen Leuten in Straßburg anscheinend<br />

darauf gewartet hat, vom badischen Revolutionshelden<br />

Hecker zum Einmarsch in Baden aufgefordert zu werden.<br />

Ein Bild davon gibt der Bericht eines Deutschen,<br />

der aus Lyon zu dieser Gruppe gestoßen war, aus der<br />

Saulgauer Lokalzeitung vom 15. 4. 1848:<br />

Die deutsche Legion.<br />

Erklärung eines deutschen Arbeiters.<br />

Als vor 6 Wochen die glorreiche Revolution in Frankreich<br />

ausbrach, wurden auch wir Deutsche von der Begeisterung,<br />

die sich überall und aus jedem Munde aussprach,<br />

hingerissen, ähnliche Umwälzungen unserem Vaterlande<br />

zu wünschen, und wir fühlten in diesem Sinne<br />

stärker als je die Nothwendigkeit, Alle zusammen uns zu<br />

vereinigen, um erfahren zu können, welchen Eindruck<br />

erwähnte Revolution auf das übrige Europa, zunächst<br />

aber auf unser deutsches Vaterland hervorbringen werde.<br />

Da erscholl auf einmal von Paris aus der Ruf an alle<br />

deutschen Arbeiter, die in Frankreich sind, mit Herwegh<br />

an der Spitze in unser deutsches Vaterland zu marschiren,<br />

um vereint mit unsern Gesinnungsverwandten daselbst<br />

die Republik zu proklamiren und sie mit unserem<br />

Arme zu unterstützen. Zu diesem Schritte wurden wir<br />

durch folgende Thatsachen aufgefordert und aufgemuntert,<br />

nämlich: Der König von Preußen sei strangulirt;<br />

Fürst Metternich geköpft; Rheinpreußen habe sich von<br />

Preußen losgesagt, und vereint mit Rheinbaiern die Republik<br />

proklamirt; die Festungen Rastatt, Germersheim,<br />

Landau seien in den Händen der Bürger, das Militär, mit<br />

Ausnahme des badischen, in starkem Kampfe mit den<br />

Bürgern und man verlange schnell die Hilfe der deutschen<br />

Arbeiter, um die Bürger zu unterstützen. Dieß<br />

und noch tausende von Ereignissen wurden uns theils<br />

durch Briefe, theils durch Zeitungen und von Durchreisenden<br />

bekräftigt, und wer konnte noch länger säumen,<br />

dem sein Vaterland noch lieb und theuer ist, und im<br />

Auslande verbleiben, während ihm der klägliche Hilferuf<br />

seiner Brüder das Herz durchschnitt? Von diesen Gefühlen<br />

durchdrungen, beschlossen wir alsbald aufzubrechen.<br />

Bei unserem Abmärsche wurde unserem Komite<br />

mitgetheilt, daß von dem demokratischen Vereine von<br />

Paris in Straßburg für Alles gesorgt sei: da lägen Waffen,<br />

Gelder, so viel man brauche, auch exerzire man daselbst<br />

schon und erwarte nur noch die Andern. Nach wahrhaft<br />

mühseligem Marsche langten wir sofort in Straßburg an.<br />

Gleich nach unserer Ankunft suchten wir den Abgesandten<br />

des demokratischen Vereins, einen gewissen Herrn<br />

Fuhrmann, auf, fanden ihn jedoch zwei Tage nicht.<br />

Endlich erfuhren wir, daß derselbe im Gasthause zum<br />

tiefen Keller logire. Wir forderten ihn auf, uns sogleich<br />

die vom Pariser Centralcomite versprochenen Waffen<br />

und Gelder zu übergeben. Herr Fuhrmann gab uns die<br />

schönsten Hoffnungen und machte uns die großartigsten<br />

Versprechungen, jedoch nicht wie Don Quixote seinem<br />

Sancho Pansa eine Insel, sondern auf das badische Land,<br />

aber gab uns weder Waffen noch Geld. Indessen wurde<br />

unsere Lage jeden Tag bedenklicher; denn von dem immerwährenden<br />

Versprechen hatten unsere 50 Mann, der<br />

Waffen nicht eingedenk, nicht gegessen. Mit was wollten<br />

wir uns nun begnügen? Wir lasen die Zeitungen, und, o<br />

Himmel! zu unserer Entrüstung sahen wir, daß wir belogen<br />

und betrogen worden sind. Was blieb uns nun übrig<br />

zu denken und zu thun? Nichts Anders, als die hier in<br />

Straßburg wohnenden deutschen Brüder aufzusuchen.<br />

Uneingedenk des hier bestandenen deutschen demokratischen<br />

Vereins, der uns in seinen Verhandlungen nicht<br />

nur müde, noch helfen wollte und konnte, wandten wir<br />

uns, Dank sei es dem Himmel! an Männer, die uns offen


und vor aller Welt erklärten, an welchem Abgrunde wir<br />

stehen. An Konspirationen von Seiten der Herwegh'schen<br />

Partei fehlte es nicht; allein in der Hauptsache<br />

einmal belogen und betrogen, konnten wir denselben<br />

wenig Glauben mehr beimessen. Und in der That, wir<br />

täuschten uns nicht, indem wir in Gesellschaft oben erwähnter<br />

Männer uns in Kehl von dem wahren Sachverhalt<br />

vergewisserten. Darum Dank Euch biedern deutschen<br />

Männern, Dank Euch Brüdern Stamm, Doktor,<br />

Adelmann, Maitre, Riz, Contremaitre, Kölbling, Holzhändler,<br />

und Schindler, Fabrikant, die Ihr Euch mit<br />

Brüderlichkeit, wie es ächten deutschen Brüdern zusteht,<br />

unserer annahmet. Wir machen Dieß hiermit öffentlich<br />

bekannt, daß es unsere Brüder baldigst erfahren mögen,<br />

wie es ihren Vorgängern ergangen. Wer in aller Welt<br />

wird jetzt die Verantwortung auf sich nehmen, der uns<br />

so schmählich, ja gottesvergessen, über 100 Stunden<br />

Wegs herlockte, und wir jetzt von unsern Brüdern daheim<br />

wie Feinde und Verräther am Vaterlande betrachtet<br />

werden? —<br />

Der Obmann der ersten Lyoner Kolonne:<br />

Fischer, Charcutier (Schweinemezger.)<br />

In welchem Ausmaß diese deutsche Legion als tatsächliche<br />

und ernsthafte Bedrohung für Baden oder Württemberg<br />

angesehen werden muß, ist aus hiesigen Quellen<br />

nicht zu ermitteln. Möglicherweise war nur mangelhafte<br />

Organisation schuld daran, daß dieser Versuch zu keinem<br />

Ergebnis geführt hat. Daß ein ernsthafter Hintergrund<br />

gegeben war, erweist eine amtliche Bekanntmachung<br />

vom 18. 4. 1848:<br />

Polizeiliche Bekanntmachung, betreffend das hinsichtlich<br />

der aus Frankreich zurückkehrenden deutschen Arbeiter<br />

einzuhaltende Verfahren.<br />

Da zu erwarten ist, daß die in Frankreich entlassenen<br />

Arbeiter in größerer Zahl sich an der Landesgrenze einfinden<br />

werden, so werden die Ortsvorsteher der Grenzorte<br />

hierdurch angewiesen:<br />

1) jeden solchen Arbeiter, der sich nicht durch Paß, oder<br />

Wanderbuch, über seine Person auszuweisen vermag,<br />

über die Grenze wieder zurückzuweisen;<br />

2) dergleichen Leute, welche einem nicht deutschen Lande<br />

angehören, dürfen nur dann über die Grenze gelassen<br />

werden, wenn sie unbewaffnet und einzeln erscheinen,<br />

durch Paß oder Wanderbuch sich über ihre Person ausweisen<br />

können, und einen bestimmten Reisezweck nach<br />

einem bestimmten Orte haben, in welchem Fall sie zur<br />

Visirung und Bestimmung der weiteren Wegrichtung an<br />

das hiesige Oberamt zu verweisen sind;<br />

3) württembergische aus Frankreich zurückkehrende Arbeiter,<br />

sind mit Eintragung einer Marschroute in den<br />

Paß, oder das Wanderbuch in ihre Heimathgemeinde zu<br />

verweisen, wenn sie nicht glaubhaft zu bescheinigen vermögen,<br />

daß sie anderwärts auf Arbeit rechnen dürfen.<br />

Die Waffen, welche sie bei sich führen, sind ihnen abzunehmen<br />

und mit einem Verzeichniß über den Namen des<br />

Inhabers und seiner Heimathgemeinde hierher abzuliefern;<br />

Sollten sich größere Abtheilungen solcher württembergischen<br />

Arbeiter zu gleicher Zeit einstellen, so ist ihnen<br />

die Gesammtfortsetzung der Reise nicht zu gestatten,<br />

sondern es sind dieselbe ebenfalls an das Oberamt hierher<br />

zu schicken;<br />

4) Letzteres hat ebenso, und unter allen Umständen bei<br />

den — anderen deutschen Staaten angehörenden Handwerkspurschen,<br />

unter gleichzeitiger Abnahme und wohlverwahrter<br />

Uebersendung ihrer etwa bei sich führenden<br />

Waffen zu geschehen;<br />

5) wenn dergleichen deutsche Arbeiter, von den zur<br />

Weiterreise erforderlichen Mitteln entblöst sind, und aus<br />

öffentlichen Cassen, oder durch Gaben von Mitbürgern<br />

nicht so viel erhalten, als zu ihrer Heimreise unumgänglich<br />

erforderlich ist, so wird die unterzeichnete Stelle für<br />

einen mäßigen Reise-Kostens-Beitrag Sorge tragen.<br />

Im Uebrigen wird den Ortsvorstehern eine schonende<br />

und humane Behandlung dieser zu bemitleidenden Personen,<br />

auch freundlicher Empfang und Berathung über ihr<br />

weiteres Fortkommen ganz besonders anempfohlen.<br />

Saulgau den 15. April 1848.<br />

Königl. Oberamt. Cunradi.<br />

Die letzte Nachricht in dieser Angelegenheit bringt die<br />

Saulgauer Zeitung am 29. 4. 1848:<br />

Straßburg den 16. April. Gestern ist hier durch einige<br />

hundert Maueranschläge, so wie durch Vertheilung besonderer<br />

Abdrücke in mehreren tausend Exemplaren,<br />

folgender Aufruf bekannt gemacht worden: »An die<br />

deutschen Arbeiter, welche in ihr Vaterland zurückkehren<br />

wollen. Die Noth der Zeit drängt Euch. Kehret<br />

friedlich zurück, das Vaterland hält seine Arme für Euch<br />

offen. Wir haben gehört, daß Viele unter Euch sich in<br />

bedrängten Umständen befinden. Deßhalb ist nicht nur<br />

von den Regierungen Vorsorge getroffen, daß Ihr unentgeldlich<br />

von der Grenze an in Eure Heimath reisen könnet,<br />

sondern es hat sich auch ein Verein unter Euern<br />

Mitbürgern gebildet, welcher sich es zur Aufgabe gemacht<br />

hat, Euch mit Rath und That zu unterstützen.<br />

Deutsche Mitbürger! Es sind viele patriotisch-gesinnte<br />

Männer unter Euch, welche mit dem Entschlüsse gekommen<br />

sind, dem Vaterland eine republikanische Verfassung<br />

zu erkämpfen. Ihr seid aber in einem Irrthume. Die<br />

Republik in Deutschland wird, wenn sie kommen soll,<br />

nicht mit den Waffen aufgedrungen, sondern sie muß<br />

aus dem Willen der Nation hervorwachsen. Das deutsche<br />

Volk will seine Freiheit, und keine Macht in der Welt ist<br />

im Stande, sie ihm vorzuenthalten. Aber seinem eigenen<br />

Ermessen muß es anheimgestellt seyn, welche Form der<br />

Verfassung es dazu unter den jetzigen Verhältnissen als<br />

die angemessenste betrachtet. Deßhalb ernennt gegenwärtig<br />

das ganze deutsche Volk in freier Wahl seine<br />

Vertreter, welche in wenigen Wochen zu einer konstituirenden<br />

National-Versammlung zusammentreten und alsdann<br />

die künftige Verfassung Deutschlands festsetzen.<br />

Das ist dann der ausgesprochene Wille des souveränen<br />

deutschen Volkes, und jeder Patriot hat die heilige<br />

Pflicht, sich demselben zu unterwerfen. Deutsche Brüder!<br />

das werdet auch Ihr thun. Kehret zurück ohne die<br />

Besorgniß, daß Euch in Eurem Vaterlande Unangenehmes<br />

begegne. Die Revolution hat allen Polizeiplackereien<br />

ein Ende gemacht. Alle frühern politischen Vergehen,<br />

ausgenommen Landesverrath, sind vergessen. Auch Denen,<br />

welche als Soldaten ihre Fahnen verlassen haben,<br />

wird Begnadigung zu Theil, wenn sie friedlich zurückkehren.<br />

Alle Diejenigen unter Euch, welche den Rath<br />

und die Hilfe ihrer Mitbürger in Anspruch nehmen wollen,<br />

mögen sich an Herrn Kölblin, Holzhändler in<br />

Straßburg, wenden, wo sie weitere Auskunft erhalten<br />

werden. Karlsruhe den 14. April 1848.<br />

Der Verein zur Unterstützung deutscher Arbeiter.«<br />

Aufgrund der letzten Informationen kann man wenigstens<br />

vermuten, wie es zu dem Gerücht und dem falschen<br />

Alarm gekommen sein mag, eine schlüssige Erklärung<br />

hat sich allerdings nirgendwo gefunden. Daß die Zeitgenossen<br />

auch danach gesucht haben, beweist ein Artikel in<br />

der Saulgauer Zeitung vom 20. 3. 1852, der über Vermutungen<br />

hinaus einige interessante Informationen liefert.<br />

Unter der Überschrift »Die Franzosen-Nacht vom<br />

27


22.-23. März 1848« (Nachdruck aus der Gratzer Zeitung)<br />

berichtet ein ehemaliger Freiburger Student über<br />

eine dortige Parallele zum Saulgauer Franzosen-Samstag.<br />

Er schildert darin, wie er in der angegebenen Nacht von<br />

seinem Hausherrn geweckt worden sei mit der Schrekkensmeldung,<br />

die Franzosen seien bei Breisach über den<br />

Rhein vorgedrungen und könnten schon in einer Stunde<br />

in Freiburg sein. An der Stelle läßt er dann einfließen,<br />

daß sich gleich nach Ausbruch der Februar-Revolution<br />

in Paris französisches Gesindel herumgetrieben und Unsicherheit<br />

verbreitet habe, weshalb man sich sowohl zum<br />

persönlichen Schutz als auch angeregt durch die Aufregung<br />

auf der politischen Bühne bewaffnet habe. Man<br />

kann an der Stelle das Ende der Schilderung vorwegnehmen:<br />

In Breisach war »alles so still und nirgends ein<br />

Sansculot, der ganze Schwarzwald, ganz Schwaben zum<br />

Narren gehalten, was aber das sonderbarste war: im Elsaß<br />

stürmte es und die Leute flohen zum Gebirge, weil<br />

die Deutschen kämen.«<br />

STEPHAN WIEST<br />

Es folgt nun der Versuch einer Erklärung:<br />

»Wie dieser Franzosenlärm entstand und so schnell die<br />

Bevölkerung des ganzen Südwestens alarmieren konnte,<br />

ist bis jetzt ein Geheimnis. Man sagt, der Bundestag<br />

(Versammlung der deutschen souveränen Fürsten, die<br />

sich im Deutschen Bund, dem Ersatz für das zusammengebrochene<br />

Heilige Römische Reich deutscher Nation,<br />

zusammengeschlossen hatten) habe es veranstaltet, um<br />

die Leute in Schrecken zu setzen und ein Armeecorps in<br />

das aufgeregte Grenzland versetzen zu können. Wenn<br />

dem so wäre, so hätte diese Maßregel das Gegenteil bewirkt<br />

von dem, was sie sollte. Denn das Volk bewaffnete<br />

sich unmittelbar darauf. Andere, gewiß bessere Rechner<br />

behaupteten, es sei der Franzosenlärm von den demokratischen<br />

Clubs ausgegangen, welche das Volk unter<br />

die Waffen bringen wollten. Jedenfalls kam die Sache<br />

der Bewegungspartei zugute, und in der Politik schließt<br />

man bei derartigen Ereignissen stets: Cui commodum, is<br />

fecit.«<br />

Monsignore Carl Vogel - eine beispielhafte Persönlichkeit für die<br />

politisdie Vergangenheit Hohenzollerns. Ein Gedenken zu seinem einhundertsten Geburtstag<br />

Der äußere Ablauf dieses Priesterlebens entsprach dem<br />

aller <strong>hohenzollerische</strong>n Geistlichen seiner Generation:<br />

Am 18. März 1879 als Lehrerssohn im Schulhaus in<br />

Frohnstetten geboren und dort aufgewachsen, empfing er<br />

nach dem Gymnasialbesuch in Sigmaringen und Rottweil<br />

und dem Theologiestudium in Freiburg dort im Jahre<br />

1902 die Priesterweihe. Nach Tätigkeit als Vikar und<br />

Kaplan in Gammertingen, Inneringen, Hechingen, Breisach<br />

und Sigmaringen und als Pfarrverweser in Krauchenwies<br />

bezog er 1906 die weitverzeigte Pfarrei Wald<br />

mit mehreren Filialen und damals vier Schulorten. Nach<br />

zwölf Jahren wechselte er nach Straßberg als Nachfolger<br />

des verstorbenen Pfarrers Otto Frank Freiherr von<br />

Fürstenwerth. Seine Tätigkeit dort, zeitweise auch als<br />

Kammerer des Kapitels, fand in der Ernennung zum<br />

Erzbischöflichen Geistlichen Rat und zum Monsignore<br />

und Päpstlichen Geheimkämmerer im Jahre 1949 die<br />

Anerkennung der Kirchenbehörde. Seine Ruhejahre nach<br />

1951 verbrachte er in Owingen; nach kurzem Aufenthalt<br />

im Hechinger Altersheim verstarb er dort am<br />

13. Mai 1968 und wurde drei Tage später in Straßberg<br />

beigesetzt. Diese Gemeinde hatte ihrem ehemaligen Pfarrer<br />

aus Anlaß seines goldenen Priesterjubiläums im Jahre<br />

1952 »in Anerkennung seines über zweiunddreißigjährigen<br />

segensreichen Wirkens in der Gemeinde das Ehrenbürgerrecht<br />

verliehen«. In anerkennenswerter Weise betreut<br />

die Gemeinde pietätvoll seine Grabstätte.<br />

Mit dem Abriß dieses Lebenslaufs ist aber nur ein Teil<br />

seiner Persönlichkeit erfaßt; zeitlebens nahm er am politischen<br />

Geschehen regen Anteil und war jahrelang dabei<br />

führend und gestaltend beteiligt. Seine fast neunzig Lebensjahre<br />

spiegeln geradezu beispielhaft die politischen<br />

Verhältnisse und Wandlungen in seiner <strong>hohenzollerische</strong>n<br />

Heimat wider, vom Kaiserreich und Königreich<br />

Preußen über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus<br />

zur Bundesrepublik und zum Bundesland Baden-Württemberg.<br />

In den Monarchien befand er sich mit<br />

der Zentrumspartei in Opposition und auf der Seite derer,<br />

die in dem aus rein dynastischen Gründen ohne An-<br />

28<br />

hören der Volksmeinung erfolgten zwangsweisen Anschluß<br />

Hohenzollerns an Preußen keine befriedigende<br />

Lösung sahen und mit den Maßnahmen im fernen Berlin<br />

vielfach nicht einverstanden waren; sie schienen ihm zu<br />

wenig auf die geschichtlich gewordenen, landsmannschaftlich<br />

und konfessionell bedingten Bedürfnisse der<br />

Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Diese seine politische<br />

Einstellung war gekennzeichnet durch ein Abonnement<br />

der »Augsburger Tagespost«, einer im Kaiserreich oppositionellen<br />

»schwarzen« Zeitung.<br />

Mit dem Ende der Monarchie infolge des verlorenen Ersten<br />

Weltkrieges schien zunächst der Fortbestand des<br />

Landes Preußen fragwürdig, außerdem waren die bisherigen<br />

landesherrlichen Bindungen weggefallen. Damals,<br />

besonders als Vorsitzender der Hohenzollerischen Zentrumspartei<br />

seit 1920, setzte sich Carl Vogel mit dem ersten<br />

republikanischen Regierungspräsidenten Dr. Emil<br />

Beizer in Wort und Schrift kraftvoll für die Bildung eines<br />

Südweststaates aus Baden und Württemberg mit Einschluß<br />

Hohenzollerns ein, in dem er die beste Zukunftsmöglichkeit<br />

für seine Heimat erblickte. Die <strong>hohenzollerische</strong>n<br />

Vorkämpfer dafür befanden sich übrigens in guter<br />

Gesellschaft. Dazu nur ein namhafter Kronzeuge:<br />

»Es könnte auch bei uns im Süden manches geändert<br />

werden. Ich könnte mir gut vorstellen, daß Württemberg<br />

und Baden einen anständigen Staat zusammen gäben,<br />

denn vor der Territorialgeschichte dieser beiden Staaten<br />

brauchen wir wirklich keine Ehrfurcht zu haben — die<br />

Ämter, Abteien, Städte wurden zwischen 1802 und 1810<br />

in Versailles, bei Napoleons Staatssekretär Caulaincourt,<br />

zusammengebettelt, und an den Grenzen wußte man<br />

durch Jahre nicht, ob auf die Dauer das angestammte<br />

Herrscherhaus< in Stuttgart oder in Karlsruhe zu verehren<br />

sei. . . . Die schwierige Frage in diesem Zusammenhang<br />

ist Preußens künftige Staatlichkeit. Soll das künftige<br />

Deutschland einigermaßen ein inneres Gleichgewicht<br />

finden, dann muß Preußen aufgelöst werden«<br />

Die Politik ging danach andere Wege, und die Zeit für<br />

einen größeren Südweststaat war noch nicht reif. Vogel


war mit seinen Gesinnungsfreunden enttäuscht darüber,<br />

daß die Revolution von 1918 der deutschen Uneinigkeit<br />

keineswegs ein Ende zu bereiten vermocht hatte und enger<br />

Lokalpatriotismus die Bildung eines leistungsfähigen<br />

Landes verhinderte. Energisch aber wehrte er sich gegen<br />

die von Nachbarn zeitweise entwickelten Pläne, Hohenzollern<br />

aufzuteilen, wobei das Unterland Württemberg<br />

und das Oberland Baden zugeschlagen werden sollte. Im<br />

Kampf gegen eine solche Spaltung des in fast einhundert<br />

Jahren zusammengewachsenen <strong>heimat</strong>lichen Raumes gab<br />

ihm seine Stellung als Vorsitzender des Hohenzollerischen<br />

Kommunallandtages und des Landesausschusses,<br />

wozu er im Jahre 1922 gewählt worden war, eine wirkungsvolle<br />

Position. Dadurch war er zugleich Leiter des<br />

für Hohenzollern nach der »Hohenzollerischen Amtsund<br />

Landesordnung« vom 2. April 1873 gebildeten »mit<br />

den Rechten einer Korporation ausgestatteten Landeskommunalverbandes<br />

zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten«<br />

2 . Statt einer Teilung Hohenzollerns hielt er<br />

den Verbleib bei Preußen immer noch für den besseren<br />

politischen Zustand, zumal mit der demokratischen Regierung<br />

für Hohenzollern eine freiheitlichere, großzügigere<br />

und auf die Mentalität der Bevölkerung mehr<br />

Rücksicht nehmende Verwaltung zu spüren war. So<br />

klang aus den Reden bei der Festsitzung des Kommunallandtags<br />

anläßlich der fünfundsiebzigjährigen Zugehörigkeit<br />

zu Preußen am 4. Mai 1925 eine verstandesmäßig<br />

zu erklärende Zustimmung zur gegebenen politischen<br />

Ordnung, etwas überschwänglich beim Grußwort von<br />

Regierungspräsident Dr. Beizer: »Ich bin überzeugt, daß,<br />

wenn auch die dynastischen Bande gefallen sind und wir<br />

vor allem in wirtschaftlicher Beziehung von unseren<br />

stammverwandten Nachbarstaaten abhängig sind, die<br />

stete Rücksichtnahme Preußens auf unsere besonderen<br />

Verhältnisse, gerade auf finanziellem Gebiete, uns Preußen<br />

immer näher gebracht und Preußen unseren unauslöschlichen<br />

Dank gesichert hat« 3 . Reservierter, verhalten<br />

und abwägend erinnerte der Vorsitzende Vogel anschließend<br />

an verschiedene, auch unliebsame Epochen<br />

und kennzeichnete nochmals die Situation bei der Übergabe<br />

mit dem lapidaren Satz: »Der Hohenzollerische<br />

Landtag, der letztmals 1845 getagt hatte, wurde nicht<br />

befragt« 4 . Als günstige Rückwirkung auf unsere Heimat<br />

bezeichnete er die Einführung der Landeskommunalverwaltung<br />

und bedauerte, »daß man in Preußen teilweise<br />

einen starken Zentralismus auf Kosten der provinziellen<br />

Selbstverwaltung zu begünstigen beginnt. Das Rütteln<br />

an historisch Gewordenem wäre um so bedauerlicher, je<br />

eigenartiger die Verhältnisse bei uns liegen.« Nachdem er<br />

nochmals ein Auseinanderreißen Hohenzollerns mit<br />

Nachdruck abgelehnt hatte, stellte er sachlich, fast resignierend<br />

fest: »So bleibt uns, realpolitisch gesehen, als<br />

beste Lösung das Verbleiben im Verband des preußischen<br />

Staates übrig. Die besonnenen Elemente werden sich,<br />

vielleicht unter Zurückstellung ihrer gefühlsmäßigen<br />

Einstellung, immer mehr auf dieser Plattform sammeln.<br />

Sie bitten aber die Staatsregierung eindringlich und bestimmt,<br />

besonders im gegenwärtigen Augenblick, quieta<br />

non movere« 5 , also an den bestehenden Zuständen und<br />

Befugnissen nichts zu ändern.<br />

In dieser realistischen Haltung führte Carl Vogel elf<br />

Jahre lang die Geschäfte der Landeskommunalverwaltung,<br />

in die er sich mit Einfühlungsvermögen, Fleiß und<br />

Geschick rasch eingearbeitet hatte. »Die ersten Jahre seiner<br />

Amtsführung waren überschattet von der Inflation<br />

mit der Ausgabe von Notgeld und nach deren Überwindung<br />

von einer solchen Verknappung der finanziellen<br />

Mittel, daß die Verwaltungsführung zunächst ganz dar-<br />

auf abgestellt werden mußte, den Landeskommunalverband<br />

glücklich durch diese Schwierigkeiten hindurch zu<br />

bringen und die Finanzwirtschaft allmählich wieder auf<br />

eine gesicherte Grundlage zu stellen. Dabei stellte sich<br />

dem Vorsitzenden eine Fülle von Aufgaben für den Landeskommunalverband<br />

und seine Anstalten. Die Hauptanliegen<br />

des Vorsitzenden Vogel waren die Ausgestaltung<br />

des Fürsorgewesens, der Ausbau der Landstraßen,<br />

die Entfaltung der Hohenzollerischen Landesbank, der<br />

weitere Ausbau des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses und<br />

die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung auf<br />

Grund der von der preußischen Regierung gegebenen<br />

Richtlinien« Anläßlich der Ernennung zum Monsignore<br />

erinnerte die <strong>heimat</strong>liche Presse an die persönlichen<br />

Leistungen des ehemaligen Landesdirektors: »Klar und<br />

besonnen im Urteil, von sachlichen Beweggründen geleitet,<br />

jedem gesunden Fortschritt aufgeschlossen, allen unsicheren<br />

Versuchen abgeneigt, ein Mann des Maßes und<br />

der Mitte, wußte er in klugen und sicheren Verhandlungen<br />

die wesentlichen Belange der Selbstverwaltung zu<br />

wahren« Bei der Wiedereröffnung des Hohenzollerischen<br />

Kommunallandtages nach der nationalsozialistischen<br />

Epoche, am 21. November 1950, erinnerte Alterspräsident<br />

Emil Straub an den Vorsitzenden Vogel als<br />

»eine Persönlichkeit, die durch ihre hervorragenden parlamentarischen<br />

Fähigkeiten sowohl als Leiter der Verhandlungen<br />

des Kommunallandtags wie auch als Vorsitzender<br />

des Landesausschusses bei der Führung der Geschäfte<br />

der Landeskommunalverwaltung in allen Kreisen<br />

der Bevölkerung im höchsten Ansehen stand. Seine<br />

Amtstätigkeit hat durch die nationalsozialistische Machtübernahme<br />

im April 1933 ein bedauerlich rasches Ende<br />

gefunden«, denn jetzt waren Persönlichkeiten dieser Art<br />

im öffentlichen Leben nicht mehr gefragt! So räumte<br />

Vogel seinen Platz im Landeshaus, nachdem er noch eine<br />

von einer braunen Gruppe widerrechtlich dort gehißte<br />

Hakenkreuzfahne herunterholen ließ.<br />

Nun widmete er sich ganz seinem Amt als Pfarrer und<br />

Kammerer; für die würdige Gestaltung der Kirche wie<br />

für soziale Zwecke stiftete er laufend namhafte Beträge.<br />

Seine vielfach bewiesene soziale Gesinnung und Hilfsbereitschaft<br />

mußte selbst das Stuttgarter Sondergericht unter<br />

dem Vorsitzenden Richter Cuhorst im Jahre 1940 anerkennen,<br />

als es den Priester und Mann des öffentlichen<br />

Vertrauens unter nichtigen Vorwänden zu zehn Monaten<br />

Gefängnis verurteilte; den größten Teil davon mußte er<br />

in der Strafanstalt Rottenburg absitzen. Von dort<br />

schrieb der Gefängnisgeistliche Dr. Hufnagel an den zuständigen<br />

Generalvikar Dr. Rösch in Freiburg über den<br />

Sträfling Vogel: »Er fügt sich selbstverständlich tadellos<br />

in die Ordnung und leistet, was er leisten kann« - nämlich<br />

im Kleben von Briefumschlägen!<br />

Nach dem Zusammenbruch von 1945 bekannte sich Vogel<br />

erneut zur Demokratie und trat wiederum für seinen<br />

alten Lieblingsgedanken eines größeren leistungsfähigen<br />

Landes im Südwesten unter Einschluß Hohenzollerns<br />

ein. Er verhielt sich daher sehr reserviert gegenüber Bestrebungen<br />

um die Erhaltung <strong>hohenzollerische</strong>r Selbständigkeit<br />

und Sonderrechte und begrüßte sehr befriedigt<br />

die Bildung des Landes Baden-Württemberg im Jahre<br />

1952; dabei war er fest überzeugt, daß der neue Staat<br />

bald, schon etwa nach einer halben Generation, auch für<br />

die Bewohner Hohenzollerns eine echte Heimstätte werden<br />

wird. Bei der infolge des Flüchtlingszustroms völlig<br />

geänderten Bevölkerungsstruktur, dem Heranwachsen einer<br />

neuen politischen Führungsschicht und in dem von<br />

ihm sehr geförderten ökumenischen Geiste hielt er es für<br />

29


tunlich, daß sich Geistliche nicht mehr parteipolitisch<br />

betätigen. Daher stellte er sich, obwohl wiederholt dazu<br />

aufgefordert, politischem Wirken nicht mehr zur Verfügung,<br />

verfolgte aber alles öffentliche Geschehen mit wachem<br />

Sinn. Die seltener gewordenen Besucher in seinem<br />

Alterssitz in Owingen staunten bei den lebhaften Gesprächen<br />

immer wieder, wie gründlich er bis in seine<br />

letzten Lebensjahre hinein über politisches Geschehen<br />

unterrichtet war, wie er öffentliche Entwicklungen verfolgte<br />

und aus den reichen Erfahrungen eines fast neunzigjährigen<br />

Lebens abgeklärt beurteilte. Solange es sein<br />

1 Theodor Heuss, »Deutschlands Zukunft 1919« in »Die großen<br />

Reden — Der Staatsmann«. 1965, Rainer Wunderlich<br />

Verlag Tübingen, S. 23 f.<br />

2 Handbuch für den Hohenzollerischen Landeskommunalverband.<br />

1907, M. Liehner's Hofbuchdruckerei G.m.b.H. S. 19.<br />

3 Sonderdruck »1850-1925« - »Fünfundsiebzig-Jahr-Feier<br />

Hohenzollern-Preußen«. Festbericht über den feierlichen<br />

Akt aus Anlaß der Eröffnung des 58. Hohenzollerischen<br />

JOHANN WANNENMACHER<br />

So sagt es die heimische Mundart in Rangendingen.<br />

Althergebrachte Ausdrücke und Redewendungen<br />

Man liest und spricht heute wieder viel von Heimatverbundenheit<br />

und Pflege des Volkstums. Das mit Recht!<br />

Sicherlich ist mit diesen Begriffen in der Vergangenheit<br />

unverzeihlicher Mißbrauch getrieben worden. Doch Erkenntnisse<br />

und Erfahrung haben eindringlich gezeigt,<br />

daß die Heimat eine Realität ist, die nie aus der Entwicklung<br />

des Menschen herausgenommen werden kann.<br />

Von dort empfangen alle seine Sinne, die ersten und<br />

dauerhaftesten Eindrücke und Anregungen. Sie gibt ihm<br />

einen unverlierbaren seelischen und geistigen Reichtum<br />

mit auf den Lebensweg.<br />

Die Mundart ist ein Kernstück unserer Heimat. Jedes<br />

Wort stammt aus ihrem Untergrund, ist umwoben von<br />

Geist- und Gemütswerten, die mit dem seelischen Inhalt<br />

in den Menschen hineinwachsen. Dies beweisen auch<br />

nachstehende alte Ausdrücke und Redewendungen:<br />

Wenn beispielsweise einer allzulange mit der Begleichung<br />

von Schuldigkeiten aller Art wartet, dann bleibt dem<br />

Gläubiger zuletzt nichts anderes übrig, als den Schuldner<br />

anzumahnen. Dafür gebraucht man in der Mundart das<br />

Wort »oascha«. In diesem uralten Wort liegt die ganze<br />

Vorsicht und Taktik einer unauffälligen, nicht verletzenden<br />

Mahnung. Hat einer eine Schwellung am Kopfe, die<br />

ihre Ursache in einem Stoß oder Wurf haben kann, so<br />

nennt man diese einen »Burren«. Wer an allem herumnörgelt<br />

und dabei oft wenig positiv eingestellt ist, der<br />

ischt a »Bruttier« — oder a baiser »Muddle«. Ist einer<br />

oder eine im Aussehen und Gebahren wenig mit Schönheit<br />

gesegnet, dann ist er »aschantleger« Denger und sie<br />

»aschantleger« - Dengen. Auch wer sich ungehobelt,<br />

rücksichtslos und frech benimmt, ist a schantleger Kerle<br />

und die Frau a schantlegs Luader. Wer etwas nur so gelegentlich<br />

probiert, mit der Zeit aber Geschmack daran<br />

findet, immer mehr und regelmäßig davon kostet, dear<br />

hot diea Sach »verliggeret«. Wenn eine Schraube nicht<br />

mehr hält, dann ist das Gewinde meistens »ausgleirat«<br />

- abgenutzt. Der Hausflur wurde ehemals »Hausöhre«<br />

genannt. Sie war früher oft recht einfach und dürftig ge-<br />

30<br />

Gesundheitszustand zuließ, übernahm er bei den Zusammenkünften<br />

seiner geistlichen Mitbrüder in Haigerloch<br />

kurze Vorträge, die Exhorten, die als sehr geistvoll und<br />

praxisnah dankbar aufgenommen wurden. Die Bundesrepublik,<br />

als vierte von Carl Vogel erlebte Staatsform,<br />

ehrte sein Wirken für die Heimat durch die Auszeichnung<br />

mit dem Verdienstkreuz des Verdienstordens.«<br />

Landrat Dr. Speidel bezeichnete bei der Verleihung am<br />

Vorabend des fünfundsiebzigsten Geburtstages im Owinger<br />

Rathaus in seiner Laudatio Feier und Orden »als<br />

eine Ehrung für Arbeit und Lebenswerk!«<br />

Kommunallandtages zu Sigmaringen am 4. Mai 1925. Buchdruckerei<br />

Chr. Daikeler, Sigmaringen. S. 3.<br />

4<br />

Sonderdruck a. a. O. S. 5.<br />

5<br />

Sonderdruck a. a. O. S. 6 ff.<br />

6<br />

Josef Mühlebach, »Der Landeskommunalverband des Hohenzollerischen<br />

Landes« Heft 10 der »Arbeiten zur Landeskunde<br />

Hohenzollerns« M. Liehners Hofbuchdruckerei KG Sigmaringen<br />

1965 S. 106.<br />

7<br />

Schwäbisches Tagblatt Nr. 47 vom 23. 4. 1949.<br />

halten. In alten Bauernhäusern gab es in der Hausöhre<br />

nur einen Lehm- oder Steinboden, sowie kahle, geweißelte<br />

Wände. Die Holzstiege heißt in der Mundart »Schteagund<br />

die Steintreppe wird mit dem auch klanglich<br />

schon härteren Wort »Schtepfel« bezeichnet. Sollen kleine<br />

Kinder ruhig sein und sich artig verhalten, so hört<br />

man ihnen zurufen: »Send ihr grieabegl« Das Brot durfte<br />

man nicht unnötig »vermudera«, d. h. zerkrümeln<br />

oder achtlos mit ihm umgehn. Das Brot schätzte man als<br />

eine heilige Gabe. Wenn Lebensmittel beim Kochen oder<br />

Einmachen sich setzen und immer geringer werden, dann<br />

»schmudderet« se zemma. Im übertragenen Sinn wird<br />

das Wort »schmuddera« auch auf alte und kranke Leute<br />

angewendet, wenn sie immer mehr abnehmen und<br />

schwächer werden. Da heißt es dann: »Diea (dear) ischt<br />

no bais zemma gschmudderat!« Sind Lebensmittel ungenießbar<br />

oder Sachen unbrauchbar geworden, dann sind<br />

sie »heineg«. Die Erbsen im Garten werden »bröcklet«,<br />

- aus den Schoten genommen und die Bohnen »zopf<br />

/ei« - gepflückt, gesammelt. Ein entzündeter Finger<br />

kann mitunter klopfende Schmerzen bereiten und<br />

»klotzget«. Hat jemand einen schweren Schädel, so kann<br />

es ihm »tremmleg« werden. Die frisch gesetzten Pflanzen<br />

muß man in der Mundart »gschbreeza« = gießen, das<br />

alte Wort »beareg« = soeben, gerade wird auch in vielen<br />

Verbindungen gebraucht. Da hört man: »Dear ischt beareg<br />

fort, komma, ganga, vorbeiglaufa usf.«<br />

Auch die Feldfrüchte haben in der Mundart teilweise<br />

ihre besonderen Namen. So sind Erbsen »Äscha«, Linsen<br />

»Leisa«, Kartoffeln »Grumbira«, dicke Rüben für das<br />

Vieh »Bugonter«, Gurken »Guckgommer«. Weizen nennt<br />

man »Woaßa« und Gerste »Gäascbda«. Die Mahden<br />

vom Heugras muß man »warba«, d. h. auseinanderstreuen,<br />

damit das Gras leicht dörren kann. Wenn kleine Kinder<br />

früher im Kaufladen etwas für den Haushalt holten,<br />

bekamen sie als Dreingabe ein paar erbsengroße »Fuuschtoale«,<br />

d. h. Bonbons. Muß man bei der Arbeit gefaßt<br />

sein und Überraschungen mit in Kauf nehmen, so


wird das oft mit dem Spruch ausgedrückt: »Vorsicht, ma<br />

waßt (weißt) niea, mo Gott hogget!« Kinder sind<br />

manchmal ungezogen und »dont (tun), wiea de abglauna<br />

(losgelassenen) Hond«. Wer keine Geduld aufbringt und<br />

wertvolle Sachen und Gegenstände lieblos behandelt<br />

oder rücksichtslos entfernt, der bekommt zu hören: »Mit<br />

Gwalt lupft ma Goaß (Geiß) am Schwanz nomm!«<br />

Die Mundart führt zusammen. Ihre trefflichen Worte<br />

und Redewendungen strahlen Vertrauen aus, öffnen sofort<br />

Herz und Geist und stellen den Sprecher ganz auf<br />

den sicheren Boden der Heimat. Dort findet man auch<br />

noch in unseren Tagen Halt, Hoffnung und unvergängliche<br />

Werte.<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Die Familiennamen Flad, Lorch,<br />

Maier, Speidel, Viesel<br />

Die Familie Flad sitzt im Killertal schon über 500 Jahre.<br />

Wenigstens wird in Jungingen im J. 1442 schon ein<br />

Mann namens Fladenmul (-maul) genannt, später zu<br />

Flad (auch Fladt) verkürzt, so 1548 (Hohz. JHeft 1935,<br />

124). Schon früher findet sich anderwärts einer »genannt<br />

Vlade«. Der Name dürfte ziemlich sicher mit den Fladen<br />

oder flachen Kuchen zusammenhängen, die auch als Honigkuchen<br />

erscheinen. Flädlesuppen aus geschnittenen<br />

Fladen sind sehr beliebt. Im Althochdeutschen war flade<br />

ein Opferkuchen; germanisch wird der Stamm<br />

»plat« = »breit und flach« als Grundform angenommen.<br />

Aber wie wurde Flad zum Familiennamen? Brechenmacher<br />

bringt aus Esslingen zum Jahr 1386 das »Haus eines<br />

Fladenessers« bei. Die Form Fladenmaul in Jungingen<br />

scheint dasselbe zu besagen, wenn nicht gar ein Mann<br />

mit einem auffallend breiten Mund damit charakterisiert<br />

gewesen sein soll, so daß es ein Übername war. Flad saßen<br />

1548 in Starzein und in Jungingen (Hohz. JHeft<br />

1935, 126 u. 124). Von letzterem Ort zog einer nach<br />

Tailfingen, ein anderer nach Stetten b. Hech.<br />

Dir Lorch in Killer kamen über Gauselfingen, wo einer<br />

1544 Ortsvogt war, von Hausen an der Lauchert, wo als<br />

erster 1454 ein Hans von Lorch saß. Er war aus einem<br />

der beiden Ortschaften Lorch zugezogen.<br />

Die Maier (auch anderwärts Meier, Meyer usw.) bezeichneten<br />

ursprünglich die Vorsteher oder majores (vgl.<br />

fränkische Hausmaier), später die Aufseher über herrschaftliche<br />

Höfe: Lehnhöfe. Noch 1530 mußte in Ringingen<br />

jeder Maier, d. h. Bauer, dem Mesner einen Laib<br />

Brot pro Jahr stiften. Schon 1545 erscheint dort auch<br />

der Familienname Maier, wie heute.<br />

Die Speidel 1548 in Boll und Grosselfingen, Spidelin in<br />

Ringingen, sind nach dem wohlbekannten Holzstück<br />

oder dünnen Holzkeil benannt. Rudolf Kapff bringt<br />

eine Menge ähnlicher Gegenstände in seinem Schwäbischen<br />

Geschlechtsnamen-Büchlein von 1927, 499 f., die<br />

alle namengebend wurden.<br />

Die schon im 16. Jahrhundert in Melchingen seßhaften<br />

Viesel (Visel) (1540 auch in Ringingen, und dann von<br />

1788 bis 1978), 1422 in Steinhilben, 1548 Viselin in<br />

Burladingen (aus Ringingen: Hohz. JHeft 1935), sind<br />

auch in Freiburg, sonst in Baden und Württemberg verbreitet.<br />

Auch die Fiseler, Visel, Vissel, Viser, Füßer, Viselli,<br />

vielleicht die ßiselli auf der Beuroner Mühle um<br />

1918, und selbst Füß, Vitz und ähnliche gehören zu dieser<br />

Gruppe. Um 1500 gab es bei Ravensburg eine örtlichkeit<br />

Visel, vielleicht nach dem Bewohner benannt.<br />

Der Ringinger Pfarrer schrieb um 1790 den aus Melchingen<br />

gekommenen Namen sogar Füessel. Während Edmund<br />

Nied in seinem 1924 erschienenen »Familienbuch<br />

von Freiburg« ohne Begründung meint, der Name sei ein<br />

unschöner Übername und besage bildlich ein »Schmächtiges<br />

Geschöpf«, indem er vermutlich an das mittelhochdeutsch<br />

Wort visel = männliches Glied dachte, ist festzustellen:<br />

Schon im Jahr 817 nennt das Urkundenbuch von<br />

St. Gallen (Bd. I, 223) einen Zeugen Fizil(inus) zu Ebingen<br />

betr. Rechtssache in Vilsingen. Visel ist ein uralter<br />

Personenname, der zu unverstandenem Familienname<br />

wurde, wie es auch sonst oft vorkam.<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Zu Imme bzw. Biene<br />

Der Bienenbericht W. Fricks Seite 63 des Jahrgangs 1978<br />

dieser Zeitschrift weckte alte Kindheitserinnerungen.<br />

Damals hatte der alte Freudemann unterm Hohlweg in<br />

Ringingen noch in seinem Immenstand (man spricht das<br />

I lang unter Ausstoßung des zweiten M also Ime) seine<br />

altertümlichen Körbe aus geflochtenen Strohzöpfen nebeneinander<br />

in seiner Holzhütte aufgereiht. Die Hütte<br />

ist längst verschwunden und neuestens folgte ihr auch<br />

das altersschwache Haus Nr. 88. Wir Kinder fertigten<br />

aus weichgeknetetem Lehm (Loi, also urspr. Leim!) nicht<br />

etwa korbförmige, sondern topfgroße eckige Behälter<br />

mit einem kleinen Seitenloch. Von oben gewährte eine<br />

kleine Glasscheibe die gewünschte Einsicht zum Inhalt<br />

der aus Gras oder Laub bestand. Wir nannten unser<br />

Werk nach uraltem merkwürdigem Brauch einen Imenbinker,<br />

was mir noch lange ein Rätselwort darstellte.<br />

Wir planten ihn als Behälter für eine oder mehrere zu<br />

fangende Bienen. Daraus wurde natürlich nichts und<br />

zwar aus praktischen Gründen, nämlich der Stechgefahr<br />

und des Verbots durch Erwachsene, die unser Tun beobachteten.<br />

Es hätte ja nur eine Tierquälerei ergeben.<br />

Höchst beachtlich scheint jedoch die Tatsache: In diesem<br />

alten Wort Imenbinker steckt ein Stück Bienenkunde.<br />

Daß der Imen (ahd. imbi oder imbe) seit über 1000 Jahren<br />

einen Bienenschwarm, die Im aber das Einzeltierchen,<br />

bzw. Insekt, bezeichnet, erfuhren wir erst später.<br />

Doch was bedeutet Binker? Schon als man das Wort<br />

Imen davorsetzte, verstand man den Sinn nicht mehr.<br />

Denn die erste Silbe Bin ist zweifellos Biene. Die zweite<br />

Silbe Kar dagegen ist bei uns sonst völlig unbekannt.<br />

Nach Kluge-Mitzkas Etymologischem Wörterbuch der<br />

deutschen Sprache bezeichnet Kar in den Alpenländern<br />

eine Mulde oder einen Gebirgskessel und ist gleichbedeutend<br />

mit dem alt- und mittelhochdeutschen Kar = Gefäß,<br />

wozu mhd. ~binenkar = Bienenkorb und der aus dem<br />

sächsischen Sprachbereich stammende Im-ker (Imkar-<br />

Bienenzüchter) gehört, den man anderwärts auch Zeidler<br />

nennt. Ein Imenstock erinnert an frühere Zeiten, in denen<br />

man statt der späteren Strohkörbe die Bienen in ausgehöhlten<br />

Holzstöcken hielt. In beiden Fällen war bis<br />

zur Erfindung der sog. Beuten oder Kästen zur Gewinnung<br />

des Honigs und Wachses die Zerstörung des Bienenkorbes<br />

bzw. des Schwarms nötig, falls letzterer nicht<br />

von selbst »starb«. (Das Wort verrecken verbot die Ehrfurcht<br />

vor den Gottesgaben Honig und Wachs). Das<br />

Wort Biene erwuchs aus der indogermanischen Wurzel<br />

bhi = beben, schwirren. Aus dem 10. Jahrhundert ist ein<br />

Bienensegen im Vatikan erhalten, der aus Lorsch stammt<br />

und mit dem Satz beginnt: »Krist, imbi ist husse« (Christus,<br />

der Im ist rauß!). Der Segen soll die nützlichen<br />

Tierlein vor dem Verirren bewahren.<br />

31


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> Geschichtsverein<br />

Karlstr. 3, 7480 Sigmaringen<br />

W <strong>3828</strong> FX<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

WALTHER FRICK<br />

Zum zweitenmal: Semmris-Krätta<br />

Meine Anfrage im letzten Heft, das »Simmri« Semmri,<br />

Semmris angehend, hat aus der Leserschaft mehrere Beiträge<br />

erbracht, wofür allen Einsendern Dank gesagt sei.<br />

Es ergibt sich daraus, daß das Maß bis vor wenigen<br />

Jahrzehnten auch in Hohenzollern gängig war, und daß<br />

der Begriff noch immer lebendig ist.<br />

Herr Pfarrer Johann Adam Kraus schreibt u. a., Simere<br />

(wie er das Wort darstellt) seien um 1934 noch in Burladingen<br />

hergestellt worden. Ein telefonischer Anrufer,<br />

dessen Name ich leider nicht behielt, erweiterte das noch<br />

bis in den zweiten Weltkrieg. Es habe damals in Burladingen<br />

noch mindestens einen Korbflechter gegeben,<br />

der diese Körbe herstellte. Kraus beziffert den Inhalt<br />

auf 20 lt. Das Wort komme vom ahd. »sumber oder<br />

sumbir = Handtrommel, Gefäß, Korb. Acht Simmri ergaben<br />

einen Scheffel = einen Sack. Nach Kraus hießen<br />

die Burladinger Flechter »Meßmacher«. Er fügt hinzu,<br />

daß im alten Hohenzollern das oft genannte »Viertel«<br />

(oder »Viendel«) Getreide gleich einem solchen Simmri<br />

war. Der »Krätta« für Korb kommt, immer nach Kraus,<br />

vom lateinischen »Cratus« = Geflecht.<br />

Herr Franz Thomma in Sigmaringen, der in seiner Kindheit<br />

zwischen 1898 und 1908 oft bei den Großeltern in<br />

Dettingen zu Besuch war, wo sein Großvater Hierwirt,<br />

Bierbraucher, Landwirt und Abgeordneter im Kommunallandtag<br />

war, steuert bei: die Simmri habe auch<br />

»Schiede« geheißen und habe 22 lt. gefaßt (also mehr als<br />

Kraus angibt). Man habe Kartoffeln auf dem Feld immer<br />

simmris-weise gelesen und auch so verkauft. Interessant<br />

ist Thommas Hinweis darauf, daß man im <strong>hohenzollerische</strong>n<br />

Unterland um die Jahrhundertwende noch<br />

viel Hopfen angebaut und auch den simmris-weise gebrockt<br />

habe. Dafür gab es zehn Pfennige! Man bezog die<br />

zweigehenkelten Simmris-Körbe von Hausierern, die<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. Geschichtsverein.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie<br />

will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut<br />

machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezungspreis: 6,00 DM jährlich.<br />

Konten der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

123 63-707 Postscheckamt Stuttgart<br />

Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />

KG, 7480 Sigmaringen, KarLstraße 10.<br />

32<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

nannte man »Krattenmacher«. - Ich füge als Gedankenverbindung<br />

hinzu, daß es im Hohenfelsischen einen<br />

Weiler gibt namens »Krattenloch«; ob der etwas mit solchen<br />

Körben zu tun hat, oder vielleicht einmal »Krötenloch<br />

- Krottenloch« hieß, sei dahingestellt.<br />

Zur Geschichte Südwestdeutschlands<br />

Ein Ferienkurs des Volkshochschulheims Inzigkofen<br />

In der Zeit vom 22. bis 27. Oktober 1979 veranstaltet<br />

das Volkshochschulheim Inzigkofen einen Ferienkurs zur<br />

Geschichte Südwestdeutschlands (territoriale Strukturen<br />

und Entwicklungen am Beispiel des heutigen Kreisgebiets<br />

von Sigmaringen). Die wissenschaftliche Leitung hat<br />

Staatsarchivdirektor Dr. Richter. Über die vor- und<br />

frühgeschichtliche Besiedlung referiert Dr. Hermann<br />

Reim vom Landesdenkmalamt Tübingen. Weitere Referenten<br />

sind Frau Dr. Kuhn-Refus, Dr. Becker und Claus<br />

Grawe. Neben den Vorträgen sind 4 Exkursionen vorgesehen:<br />

Wilflingen-Scheer-Pfullendorf,<br />

Das Laucherttal bis Trochtelfingen,<br />

Staatsarchiv Sigmaringen,<br />

Obermarchtal-Sießen-Heiligkreuztal-Wald.<br />

Das Programm ist erhältlich beim Volkshochschulheim<br />

Inzigkofen, 7483 Inzigkofen 1 (Telefon 07571/5851). B.<br />

An unsere Leser!<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

Eichertstr. 6, 7487 Gammertingen<br />

Walther Frick, Journalist<br />

Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />

Prof. Dr. Josef Groner<br />

Adolf-Kolping-Str. 17, 7798 Pfullendorf<br />

Georg Hämmerle, Konrektor a. D.<br />

Lindenstr. 23, 7968 Saulgau<br />

Joh. Adam Kraus, Erzb. Archivar i. R.<br />

Badstr. 8, 7800 Freiburg/Br.<br />

Dr. Gregor Richter, Staatsarchiv-Dir.<br />

Karlstr. 3, 7480 Sigmaringen<br />

Joh. Wannenmacher, Schulrat a. D.<br />

Goethestr. 19, 7487 Gammertingen<br />

Stephan Wiest, Oberstudiendirektor a. D.<br />

Ludwig-Egler-Str. 12, 7450 Hechingen<br />

Leider dauerte es sehr lange, bis Sie die Nummer<br />

1/1979 zugestellt bekamen. Dies lag an der neuen<br />

Art des Postversandes. Wir hoffen, daß das Verfahren<br />

sich einspielt und Sie in Zukunft wieder<br />

rechtzeitig in Besitz der »Hohenzollerischen Heimat«<br />

kommen. Die Schriftleitung.<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen (Telefon 07574/329)<br />

Redaktionsausschuß:<br />

Walther Frick, Journalist,<br />

Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />

(Telefon 07571) 8341)<br />

Manfred Hermann, Pfarrer,<br />

7451 Neufra/Hohenz. (Tel. 07574/442)<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser<br />

wieder; diese zeichnen für den Inhalt der<br />

Beiträge verantwortlich. Mitteilungen der<br />

Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters<br />

oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


Die Obere Mühle von Trochtelfingen<br />

JAKOB BIZER<br />

HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Von Mühlen und Müllern an der Seckach<br />

Trochtelfingen hatte einst vier Mühlen<br />

Die Bundesstraße 313, von Großengstingen über die<br />

Haid führend, senkt sich bei der Hinteren Burg (Haideck)<br />

hinunter in ein trockenes Hochtal mit einem sich<br />

nach und nach bildenden kleinen Wasserlauf, der dann<br />

oberhalb Trochtelfingen zwischen der Burg und dem<br />

Burgstall überraschend schnell zu der aus feuchtem<br />

Grund kräftig quellenden Seckach wird. Kaum hundert<br />

Meter weiter steht die erste der vier einstigen Trochtelfinger<br />

Mahlmühlen, die Obere oder Äußere Mühle. Die<br />

Räder stehen still wie bei allen ehemaligen Seckachmühlen.<br />

Noch rauscht der Mühlbach an ihnen vorbei, noch<br />

weisen Straßen- und Gassennamen den Weg zu ihnen,<br />

Herausgegeben oom<br />

W <strong>3828</strong> FX<br />

Hohenzollerifchen Gefchichtooerein<br />

29. Jahrgang Nr. 3/September 1979<br />

Foto: Burkarth<br />

noch zeugen alte Flurnamen und schriftliche Urkunden<br />

von ihrem einstigen Dasein.<br />

Als im Jahr 1316 Trochtelfingen, damals schon ummauert<br />

und Mittelpunkt einer gleichnamigen Herrschaft, aus<br />

württembergischem Besitz an das Haus Werdenberg<br />

kam, blieben die Obere und die Untere Mühle, beide<br />

weit außerhalb der Stadt auf der linken Seckachseite gelegen,<br />

in württembergischer Hand. Anno 1442 wurden sie<br />

als Erblehen an den Trochtelfinger Schultheißen Bentz<br />

Uelin gegeben gegen 20 Pfund Hellerzins, zahlbar an die<br />

Kellerei in Urach. Über Generationen hinweg blieben<br />

die Uelin im werdenbergischen, ab 1534 fürstenbergi-


sehen Trochtelfingen Leheninhaber der dortigen württembergischen<br />

Herrschaftsmühlen, bis diese dann im<br />

16. Jahrhundert als Lehen geteilt wurden . . .<br />

Die Obere Mühle kam damals, wie aus einem späteren<br />

Schreiben hervorgeht, an Familie Klingenstein, in deren<br />

Händen sie bis vor wenigen Jahrzehnten verblieb. 1618<br />

war die Stadt Leheninhaber der Mühle, Johannes Klingenstein<br />

trieb sie um.<br />

Die württembergischen Meidelstetter benutzten diese<br />

Mühle von altersher, in der frühesten Zeit wahrscheinlich<br />

als Bannmühle. Im Jahr 1761 wurde ihnen von ihrem<br />

Schultheißen das „uralte" Mahlen in derselben verboten.<br />

Das sture Verbot war nicht durchzusetzen. Ein<br />

Jahr danach wurde den Bürgern von Meidelstetten auf<br />

Befehl des württ. Herzogs Carl Eugen das fernere Mahlen<br />

in der Oberen Mühle wieder erlaubt.<br />

Das Dorf Großengstingen kam 1750 aus Zwiefalter Klosterbesitz<br />

an Württemberg. In einem Bannbrief vom<br />

14. 3. 1754 wurde seinen Bewohnern auferlegt, in Hönau<br />

und nicht in Trochtelfingen zu mahlen. Sie brachten dagegen<br />

vor, der Weg hinunter ins Honauer Tal sei so beschwerlich,<br />

daß sie, ungeachtet der größeren Entfernung,<br />

den besseren Weg zur Oberen Mühle in Trochtelfingen<br />

vorzögen, um so mehr als sie dort besser bedient würden.<br />

Zudem liege die Mühle am Wege nach Überlingen, wohin<br />

sie ihre Frucht auf den Markt bringen.<br />

Die Untere Mühle war anno 1502 als württembergisches<br />

Lehen in Händen von Hans Weißhar. 1558 verkaufte<br />

dessen Enkel gleichen Namens die Mühle mit Zustimmung<br />

Herzog Christophs für 920 Gulden (fl) an die<br />

Stadt, die dann die Mühle verpachtete. Diese brachte der<br />

Stadt wöchentlich 3 Viertel Kernen und an Geld 2 fl<br />

15 kr. Von den jährlich eingehenden 156 Vierteln bekamen<br />

der Schulmeister, der Nachtwächter und der Torwart<br />

28 Viertel; der Rest diente zur Instandhaltung der<br />

Mühle. - Die Fruchtmaße unterlagen von Ort zu Ort<br />

großen Schwankungen: der Scheffel faßte meist 4 Viertel,<br />

wobei man zwischen glatter (enthülster) und rauher<br />

Frucht unterschied. Das Reutlinger Scheffelmeß<br />

schwankte zwischen 153 und 220 Liter, der württembergische<br />

Scheffel stand bei 177.- Der Mühlepächter<br />

hatte auch die Lehenabgaben an Württemberg zu übernehmen:<br />

15 Pfund 12 Schilling (1 Pfd. = 20 Schllg = 240<br />

Heller), an Kernen 1 Schffl. 2Va Vrtl., an gestampfter<br />

Gerste 3 Vrtl., an Musmehl 3 Vrtl. und 120 Eier. Noch<br />

1802 waren es die gleichen Beträge. Bei jeder Regierungsveränderung<br />

in Württbg. mußte auch um eine neue<br />

Verleihung der Mühle nachgesucht werden.<br />

Berichten zufolge machte die Stadt mit dieser Verpachtung<br />

keine guten Geschäfte, und so verkaufte sie im<br />

Jahr 1802 ihre Lehenmühle mit Scheuer und Hofraite<br />

um 4000 fl an den Müller Johann Stumpp. So oft die<br />

Mühle in andere Hände kam, waren 100 fl Ehrenschatz,<br />

d. h. Aufzug- oder Lehengeld zu zahlen. Mit der Ablösung<br />

der Lehenzinsen im Jahr 1848 ging die Mühle in<br />

freies Eigentum des Besitzers über. Ihr Triebwerk, auch<br />

das der angebauten Säge, ruht. Das klare Wasser der<br />

Seckach speist heute die Forellenteiche im dortigen Mühlengrund.<br />

Zwischen der Oberen und der Unteren Mühle liegen auf<br />

der rechten Seckachseite die beiden ehedem fürstenbergischen<br />

Herrschaftsmühlen: die Stadtmühle in der Südostecke<br />

des Mauerrings und die „ein paar Büchsenschuß<br />

weit vor dem unteren Stadttor stehende, sogenannte<br />

Mittlere Mühle". Die Stadtmühle wird um 1500, die<br />

Mittlere (Hintere) erstmalig 1671 erwähnt. Fürstenberg<br />

gab seine Mühlen lange Zeit nicht zu Lehen, sondern<br />

34<br />

verpachtete sie auf eine Reihe von Jahren. Als im Jahr<br />

1718 die Verbständung (= Verpachtung) der beiden<br />

Mühlinnen anstand, bat der Bürger und äußere Müller<br />

Philipp Klingenstein für seine zwei Söhne, die das Müllerhandwerk<br />

bei ihm nicht nur redlich erlernet, sondern<br />

darauf auch etliche Jahre lang gewandert, dem einen<br />

oder andern oder beiden die herrschaftlichen Mühlen in<br />

Gnaden anzuvertrauen, um dieselben besser zu betreiben<br />

und besser zu erhalten. Um seinem wiederholten untertänigsten<br />

Bitten Nachdruck zu verleihen, schreibt er, daß<br />

„sowohl ich als meine Eltern und Voreltern vor mehr als<br />

200 Jahren verburgert und Müller zu Trochtelfingen gewesen".<br />

Sein Bitten wurde ausgeschlagen. Die Stadtmühle<br />

ging für jährlich 14 Scheffel 3 Vrtl. Mühlkern Trochtelfinger<br />

Meß an den Müller Joseph zu der Ohl. Dazuhin<br />

hatte er der Trochtelfinger Priesterschaft des Jahres<br />

16 Vrtl. Mühlfrucht zu geben. Die Mittlere Mühle wurde<br />

für jährlich 17 Schffl. 3 Vrtl. dem Müller Johannes<br />

Weinzieher verpachtet (Der Müller Caspar Weinzieher<br />

war um 1670 von Überlingen zugezogen.).<br />

Im November 1723 ersucht die Herrschaft in Mößkirch<br />

um einen genauen Bericht über ihre zwei Mühlen: was<br />

sie an Geld und Frucht im Jahr bringen, was zu jeder<br />

derselben an Garten und Feldern gehört, in was für einem<br />

Zustand sie sich befinden und was eine Instandsetzung<br />

kosten möge; schließlich, wie es kam, daß Ringingen<br />

und Salmendingen sich des Mahlens in besagten<br />

Mühlen entledigten. - So erfahren wir, daß zu den<br />

Mühlen lediglich ein Krautgärtie gehört, daß der Wassergang<br />

und anderes der Mittleren Mühle „zimblich zerfallen<br />

und unter hundert Taler nicht zu reparieren", die<br />

Stadtmühle aber „um die Hälfte weniger zur Perfection"<br />

erfordere.<br />

Über die Befreiung der beiden Orte Ringingen und Salmendingen<br />

vom Mühlbann berichtet der Vogt nach<br />

Mößkirch: . . . „Diese zwei Ort, dritthalb und drei Stunden<br />

von hier entlegen, hauptsächlichen aber zu gar vielen<br />

Zeiten das Wasser bei allhiesigen Mühlen so klein<br />

und gering, daß man diesseitige Inwohner mit fürderen<br />

kann, mithin diese armen auswärtigen Leut gar oft ohnverrichteter<br />

Dinge einen weiten Weg wieder nach Hause<br />

machen müssen bei heutig allzu populoser Welt."<br />

Die Nichtbeachtung des Mühlbanns wurde trotzdem hart<br />

bestraft, so z. B. Hans Alber von Ringingen 1606 um 15<br />

Pfund Heller, weil er in Dreivierteljahr nur zweimal<br />

nach Trochtelfingen, sonst aber in fremde Mühlen gefahren<br />

war. Kein Wunder, das Bemühen der beiden Flecken<br />

um Dispens von diesem Ärgernis! Für acht Scheffel Kernen<br />

jährlich wurden sie ihres Mühlbanns ledig.<br />

Angesichts des Zustandes ihrer Mühlen erschien es der<br />

Herrschaft ratsam, „pro futuro dieselben als Erblehen zu<br />

vergeben mit der Auflage, daß die Inhaber selbige<br />

gleichjetzo auf eigene Kosten ohne Entgelt der Herrschaft<br />

vollkommen herzustellen und zu erhalten haben,<br />

hingegen derentwillen von den öffentlichen Lasten (oneribus<br />

publicii) ausgenommen bleiben, auch von Fronfuhren.<br />

Bei Reparationen soll jedoch jedesmal das Fronbrot<br />

gegeben werden".<br />

Die beiden Pächter, Weinzieher und zu der öhl baten,<br />

die Mühlen erblehenweis zu den gestellten Bedingungen<br />

übernehmen zu dürfen: für die Mittlere Mühle pro Laudemio<br />

(Aufzuggeld) 200 fl, pro annüo canone (jährlicher<br />

Erbzins) 22 Scheffel (Ys Korn, 2 /s Mühlkern), eine Fastnachtshenn<br />

mit 12 krz, den Grundzins mit 50 krz und<br />

bei jedesmaligem Abänderungsfall 100 fl. Für die Stadtmühle<br />

wurden angeboten: Aufzuggeld 150 fl, jährlicher<br />

Erbzins 18 Scheffel (Ys Korn, % Mühlkern), eine F"hen-


ne, den Grundzins mit 40 krz und beim Abänderungsfall<br />

75 fl. Am 15. Januar 1724 wurde dann den beiden Mühlepächtern<br />

ihre Mühle als Erblehen übergeben gegen ein<br />

Aufzuggeld von 500 fl für die Mittlere - und 300 fl für<br />

die Stadtmühle.<br />

Im Jahr 1785 bitten die beiden Erblehenmüller Matth.<br />

Weinzieher und Joseph zu der öhl (der Jüngere) um<br />

Nachlaß des Mühlzinses. 1802 veräußerte Joh. Weinzieher<br />

seine Mittlere Mühle mit herrschaftlicher Bewilligung<br />

an Bernhard Klingenstein. Die Bitten um Nachlaß<br />

des Mühlzinses wiederholen sich. Andererseits beschweren<br />

sich die in die Mittlere Mühle gebannten Steinhilber Lehenbauern<br />

über ihres Müllers zu hohen Gerblohn.<br />

1835 übernahm Josef Klingenstein die Mühle von seinen<br />

Eltern mit folgenden Lasten: 150 fl Ehrschatz, 11 Scheffel<br />

6 Simri Mühlfrucht und 5 Scheffel Kernen. Schon im<br />

Jahr darauf bittet er um Nachlaß des bei der Übernahme<br />

schuldig gewordenen Aufzuggeldes . . .<br />

Die von Ringingen und Salmendingen für den aufgehobenen<br />

Mühlbann zu entrichtende Mühlfrucht wurde<br />

zwischen 1838 und 1843 abgelöst. Den Zustand der<br />

Mühlen hatten die herrschaftlich bestellten Mühlenschauer<br />

zu überwachen. 1814 waren als solche tätig:<br />

Millermeister Ambro Auer aus Jungnau, Schaumeister<br />

Anton Braun, Schultheiß, Zimmermeister Konrad Sigg<br />

und Kastenknecht Sigg. Und hier der Visitationsbericht<br />

vom 9. März über eine der vier Mühlen:<br />

1. Ein ganz schaufälliger Mühlboden.<br />

2. Ein äußerst schadhafter Mehlkasten an der Weißmühle.<br />

3. Ein schadhafter Gerbkasten am Rohr, dann am untern<br />

Rohr die Gegenzungen.<br />

4. Ein schadhaftes Wasserrad mit fehlenden fünf Schaufeln.<br />

5. Ein in der Mühl befindlicher Hühnerstall (!).<br />

6. Unreinlichkeit in der Mühl, fehlende und schadhafte<br />

Fenster, ausgebliebenes Eichen der Meß seit acht Jahren.<br />

Strafe nach der Verordnung vom 1. 12. 1754: 5 fl 55 krz.<br />

Auch die Zunftordnung der Müller wurde in Trochtelfingen<br />

bis zu deren Aufhebung streng eingehalten. So<br />

wird 1843 ein Gesuch des Müllers Friedrich Klingenstein<br />

um Wanderschaftsdispens und Aufnahme in die Zunft<br />

abgewiesen, obwohl ihm der Zunftmeister Ambros Eisele<br />

ein gutes Zeugnis ausstellt, dasselbe auch von zwei Ladenmeistern<br />

unterschrieben und von Obervogt Stelzer legalisiert<br />

wird. Bei der Berufung an die fürstl. Landesregierung<br />

treten vier Müllermeister des Amtsbezirks<br />

Trochtelfingen für ihn ein. Umsonst. Obwohl er das<br />

Müllerhandwerk bei seinem Vater Anton Klingenstein<br />

gründlich erlernt und viele Jahre ausgeübt hat, wird sein<br />

Gesuch abgewiesen. Begründung: Dem Bittsteller fehlt<br />

die gesetzlich vorgeschriebene Wanderzeit von drei Jahren<br />

. . .<br />

1806 verliert Fürstenberg seine Landeshoheit in Trochtelfingen<br />

an das Haus Sigmaringen. Bei dem Gefällaustausch<br />

mit Württemberg sind die zwei württ. Lehenmühlen<br />

in Trochtelfingen an das fürstliche Haus Sigmaringen<br />

übergegangen. Die jährlichen Lehenabgaben daraus<br />

sind an das zuständige Rentamt Gammertingen zu entrichten.<br />

Es sind noch dieselben, wie sie das Pfullinger<br />

Lagerbuch de 1680 ausweist:<br />

aus der Oberen Mühle 5 fl 8 krz + 1 Schffl 2 Jmi Kernen,<br />

aus der Untern Mühle 12 fl 56 kr + 1 Schffl 2 Jmi<br />

Kernen.<br />

Das Laufenlassen eines Mühlwagens war dem Rentamt<br />

zu melden. Sigmaringer Müller dürfen in keinem württembergischen<br />

Nachbarort Früchte zum Mahlen abholen<br />

außer in Meidelstetten, Oberstetten und Wilsingen. Bauern<br />

mit eigenem Zug dürfen nichts aufladen<br />

. . . Anderseits beschweren sich die Trochtelfinger<br />

Müller über den Müller von Mariaberg (württ.), daß<br />

dieser nicht berechtigt sei, in einem Orte des Fürstentums<br />

Sigmaringen einen Mühlwagen laufen zu lassen, da er ihres<br />

Wissens keine Abgaben hiewegen entrichte. Es solle<br />

gegen ihn verfügt werden. Das sei nichts anderes als ein<br />

verbotener Hausierhandel. Die beschwerdeführenden<br />

Müller werden vom Oberamt Trochtelfingen dahin beschieden,<br />

man könne dem Müller von Mariaberg nichts<br />

in den Weg legen, wenn er angegangen werde, die<br />

Früchte zum Mahlen abzuholen.<br />

1847 bittet der Stadtmüller um Allodifikation seiner Lehenmühle,<br />

d. h. Umwandlung des Lehens in Eigenbesitz.<br />

Mit Erfolg. Die Zeit der Lehensherrschaften war abgelaufen.<br />

- In der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg stellte die Stadtmühle ihren<br />

Betrieb ein, nicht sehr lange danach gab auch der<br />

Mittlere Müller auf. So erinnern an die vier Trochtelfinger<br />

Mühlen bald nur noch die alten Gebäudenamen sowie<br />

die Straßenbezeichnungen Mühlgasse und Mühltalstraße.<br />

Neben den Mahlmühlen gab es in Trochtelfingen eine<br />

obere und eine untere Ölmühle, letztere in der Nähe der<br />

Unteren Mühle. Weiter gab es schon im Jahr 1609 am<br />

Fuß der Hennensteinhalde eine Walkmühle, die der<br />

Herrschaft jährlich 5 fl 20 krz brachte. Später, 1760,<br />

wird die „Walken- und Ölmühle" als städtischer Besitz<br />

um 40 fl verpachtet. . .<br />

Unweit davon, talabwärts, an der ehemaligen Markungsund<br />

Herrschaftsgrenze, die hier das verengte Tal der<br />

Seckach quert, stand einst eine weitere Walkmühle, die<br />

1702 auch als Pulvermühle und vor ihrem Abbruch im<br />

Jahr 1740 äls Erzwäsche diente. Der alte Mägerkinger<br />

Fleckenrodel führt uns beim Grenzumgang über Marckstein<br />

und Loochen „bey der Walckhmühlen durch das<br />

Wasßer".<br />

Wegen des Wässerungsrechts in der „Walke" gab es 1763<br />

einen Rechtsstreit zwischen den Mägerkinger Wiesenbesitzern<br />

und dem ölmüller Ludwig Clavel: Eigenmächtig<br />

hatte dieser die seit alters feststehende Höhe der Stellfallen<br />

an seinem Wasserwerk abgeändert. Er mußte den alten<br />

Wasserlauf wiederherstellen und 6 Pfund Hllr Strafe<br />

bezahlen Das Wässerungsrecht wurde daraufhin genau<br />

geregelt. Die Wiesenbesitzer bezahlten dafür jährlich 1 fl<br />

50 krz Rekognitionszins (Anerkennungsgebühr) an das<br />

fürstl. Fürstenbergische Rentamt Trochtelfingen. Kaum<br />

einen km von der „Walke" talwärts, beim Mägerkinger<br />

Ortsteil Ziegelhütte öffnet sich das enge Wickental<br />

zur Seckach hin. Vor einigen Jahren fanden sich beim<br />

Ausheben einer Grube am dortigen Seckachufer in anderthalb<br />

Meter Tiefe eichene, zum Teil verkohlte Balkenreste.<br />

Das verschiedentlich bezeugte Gehöft Wickental<br />

muß hier gelegen haben. 1331 wurde Dietrich von<br />

Lichtenstein vom Kloster Zwiefalten auf Lebenszeit die<br />

Vogtei über die Mühle in Wickental verliehen. Nach seinem<br />

Tod soll sie an das Kloster zurückfallen. Ein altes<br />

Zins- und Gültbuch des Klosters vermerkt über Wickental,<br />

daß es um 1440 abgegangen ist, daß dritthalb<br />

Mannsmahd Wiesen an der dortigen Mühlstatt liegen,<br />

daß sie Lehen von uns sein soll und sie ein Abt und Convent<br />

vor langen Jahren hingegeben hat.<br />

Von der angenommenen Mühlstatt ziehen seckachtalaufwärts<br />

die Schleifwiesen, heute wie ehedem. In einer alten<br />

Urkunde: „Eine Mannsmahd auf der Schleifmühlin<br />

. . . diese Wiese stand in keiner Steuer und war schon<br />

vor unvordenklichen Zeiten in Vergessenheit geraten."<br />

35


Beide Mühlen, vielleicht identisch oder auch nacheinander<br />

auf demselben Grund erbaut, hatten eine verhältnismäßig<br />

kurze Lebensdauer.<br />

Für das Gehöft Wickental, zu Füßen des kleinen Herrensitzes<br />

(Heute R. Hielock), dürfen wir annehmen, daß<br />

seine Lage an der Seckach dem Kloster Zwiefalten einst<br />

geeignet schien zum Bau einer Mühle, um seinen Ort<br />

Wilsingen zu bedienen. Für Mägerkingen und Trochtelfingen<br />

konnte diese Klostermühle nicht gedacht sein,<br />

eher noch für den Burgherrn über ihnen. Ein guter Weg<br />

führte von Wilsingen ostwärts durch das „Mägerkinger<br />

Tal", am „Mägerkinger Häule" vorbei, über den Eselsberg<br />

zum Dürrbuch als „Wilsinger Weg" auf Mägerkinger<br />

Markung ins Wickental herüber . . . Später war auf<br />

diesem Weg die im Flecken Mägerkingen gelegene Sekkachmühle<br />

für die Wilsinger ebenso leicht zu erreichen<br />

wie vordem die Mühle in Wickental . . . Zudem konnten<br />

die Mühlekunden ihre Tragtiere auf den bei der Mühle<br />

liegenden „Eselwasen" treiben.<br />

Im Lagerbuch der Kellerei Urach vom Jahr 1454 -<br />

kurz vorher muß Mägerkingen an Württemberg gekommen<br />

sein - lesen wir: „Ulrich Miller git Järlich 4 Pfd.<br />

hlr Zins uß der milin mägriching, lviertel Ayer (120), 4<br />

Käs, 2 Herbsthiner, 1 Vasnachthun, 2 Schultern / ist im<br />

zu Erbgut gelihen, git 4 Pfd. Weglösin und 4 Pfd. Hantlohn,<br />

wenn es zu Vellen kompt. Darzu gehört 1 Juchert<br />

ackerß . . . item IV2 Tagwerk wysen . . . item ain gart by<br />

der milin, item ain gart by der brugg, auch git der Miller<br />

3 Schilling hlr us ame garten . . ."<br />

Anno 1522, in der österreichischen Zeit - Herzog Ulrich<br />

war außer Landes - wurde das Lagerbuch erneuert<br />

und nur wenig verändert. Ein alter Mägerkinger Flekkenrodel<br />

enthält die „Ordnung der Miller deß Fleckhens<br />

allda". Ihr Wortlaut:<br />

„Zuewisßen und Kund seye Allermönniglich, daß deß<br />

Fleckhen Megerkingen allt Herkommen und Gerechtigkeit<br />

ist, und hinführo in künfftig Zeit seyn und bleiben<br />

soll, daß alle und Jede Miller, so zue disen Zeiten daselbst<br />

seynd, und in künfftigen Zeiten daselbst seyn werden,<br />

mit Bawung der Mühlinen, Model und Meß der<br />

Mühlstein und Zargen, mit Eych der Mühlmeß, empfahung<br />

deß Millerlohns mit Gerben und Mahlen, mit<br />

Hallttung der Schwein, Hennen, Gänß, Enten und anderm,<br />

verpflicht und verbunden seyn sollen, sich allermaßen<br />

und Gestallt, in allen und Jeden puncten und<br />

Stuckhen, diser MillerOrdnung gemäß und gleichförmig<br />

zue hallten, und darwider nit zuethun, Bey poen, Bußen<br />

und Strafen, wie underschiedlich hernach beschrieben<br />

folget:<br />

Erstlich sollen die Miller zue Megerkingen die Mühlinen,<br />

ob und underthalb Wassers in wesentlichen Bäwen und<br />

Ehren, unzergänglich hallten und haben, mit allen<br />

Haubt-Bäwen, in Ihren selbs aigenen Costen, ohne alle<br />

entgellttung deß Fleckhen Megerkingen, Trewlich und<br />

ohngefährlich.<br />

Am Andern sollen Sie haben guet Mühlstain, in Rechter<br />

dickin, nach deß Dorfs Model und Zargen, nit zue hoch,<br />

sondern in Rechtmäßiger zimblicher Höhin, und in der<br />

Weittin, auch nach deß Dorfs Model und Meß.<br />

Zum Dritten sollen Sie Ihre Mühlmeß haben, nach Uracher<br />

Eych, gerecht, wie die in Anno Acht und Fünfzig<br />

durch Heinrich Schwänzen und Jacoben Kümppeln die<br />

Geschworenen Eycher zue Urach, geeychet seynd worden.<br />

Zum Vierdten sollen Sie sich mit nemmung und Empfahung<br />

deß MillerLohns, dergestallt und allso hallten, daß<br />

ein Miller mehr nit nennen: oder empfahen soll, denn<br />

den Zweinzigsten Theil, nemblich wie Folget:<br />

36<br />

Von vier Simeri Kernen, allwegen ein Imi nennen, deren<br />

derselben Fünfe ein Simeri Thuen. Und von zweyen Simeri<br />

Kernen, ein halb Imi, deren Zehne ein Simeri Thuen.<br />

Und von Einem Simeri Kernen, ein Viertentheylen,<br />

deren Zwein-Zige Ein Simeri Thuen. Dergleichen von<br />

Haberkern, Mueßmeel, Schweinen u. Hunden mahlen,<br />

auch mehr nit zu Lohn nennen denn nach Anzahl deß<br />

Meß, den Zweinzigsten Theil, wie vorgeschrieben stehet.<br />

Es sollen auch die Miller, alles das Jenig, so zu der Mühlin<br />

gehört, nach Nothdurft zurichten und ferttigen, damit<br />

Sie einem Jeden das Seine wohl gerben und Mahlen<br />

können, umb den Vorbestimbten Lohn.<br />

Und welcher vor dem Andern mit Korn in die Mühlin<br />

kombt, daß Er gerben und Mahlen will laßen, demselbigen<br />

soll der Miller gerben und Mahlen, vor Allermönniglichs.<br />

Item, wann ein Miller gebillet hat, so soll die Mahlmühlin<br />

mit deß Millers aigenem Korn zuevor erschütt und<br />

ermahlen werden, ehe Er einem andern mahlen Thuet.<br />

Es soll auch kein Miller über Zweinzig und Vier Henna<br />

haben, auch weder Gänß noch Enten hallten, es wäre<br />

dann Sach, daß Ihme die von Megerkingen daßelbig sonderlich<br />

vergünnten und zueließen, und änderst nit, dann<br />

uf wider abkünden, allß Lang es Ihnen von Megerkingen<br />

geliebte.<br />

Es soll auch ein Miller mehr nit hallten und haben denn<br />

zwey Äßschwein, es wär dann Acht: oder Vierzehen<br />

Tag ohngefährlich, daß einer Zwey Gangschwein hätt,<br />

zwo Wochen, biß daß Er die Zwey Äßschwein verkauft.<br />

All ander Ding, wie das Nahmen haben mag,<br />

und schädlich, ist einem Jeden Miller zue hallten und<br />

zue haben verbotten."<br />

Nimmt der Müller einen höheren Lohn als das vorgeschriebene<br />

Zwanzigstel, so hat jeder Zeit ein Ambtmann<br />

zu Megerkingen Macht und Gewalt, den Müller zu strafen.<br />

Desgleichen, wenn dieser den rechten Model und<br />

Meß der Mühlstein und Zargen nicht hält oder die<br />

Mühlmeß die rechte Eych nicht haben, ist er zu fünf<br />

Pfund hlr Straf verfallen. Hält er zuviel Schweine, Hennen<br />

oder was ihm sonst zu halten verboten, wird er für<br />

jedes überzählige Stück um ein Pfund hlr bestraft.<br />

Obige Ordnung soll einem jeden Müller des Jahrs zweimal<br />

vor Schultheiß, Gericht und Gemeind zu Megerkingen<br />

verkündt und vorgelesen werden, darmit sich jeder<br />

Müller darnach wisse zu halten, ihm selbst und den gemeinen<br />

Mann vor Schaden zu sein.<br />

Die ganzen Mühlstrafen standen anfänglich der Herrschaft<br />

zu. So geschehen noch im Jahr 1570. Deren von<br />

Mägerkingen untertäniges Suppliciren um den halben<br />

Teil derselben fand 1584 endlich Gehör: . . . „Aber dieweyhl<br />

Sie Arm und von deß Gemeinen Fleckhen wegen<br />

ein geringes Einkommen ... So wollen Wir Ihnen hiemit<br />

in Gnaden bewilligen . . ., daß Halbtheil einzuenemmen<br />

und zue deß Fleckhen nuzen zue verwenden."<br />

Im Pfullinger Kellerei-Lagerbuch von 1680 lesen wir auf<br />

Blatt 633 unter Mägrigkingen: „Ludwig Bez, Schultheiß<br />

et Consorten haben innen die Mühlin zu Mägr ... ist<br />

meines gnädigsten Fürsten und Herrn Eigenthumb und<br />

ihr Erbgut, . . . hat drei Räder . . ." Dann folgt, was sie<br />

jährlich auf Martini zinsen, was Handlohn und Weglösin<br />

ausmachen . . . (s. oben!). Die Mühle muß damals eine<br />

Quelle des Wohlstands gewesen sein. Ihr Hauptinhaber,<br />

von 1653 bis 1694 auch Schultheiß, besaß neben fünf<br />

Häusern, darunter den „Hirsch", über hundert Morgen<br />

Ackers und über zwanzig Mannsmahd Wiesen, dazuhin<br />

„die sehr einträgliche Mühle".<br />

Der Mühle fehlte es nie an Wasser. Dazu mag eine Stauanlage,<br />

bestehend aus Weiher, Wehr und Mühlgraben,<br />

beigetragen haben. Der Weiher ist schon lange ver-


schwunden, auch aus dem Gedächtnis der Einwohnerschaft.<br />

Urkundlich aber hat er sich als Flurname bis ins<br />

18. Jahrhundert hinein gehalten: „der Weyher, wodurch<br />

der Trochtelfinger Fußsteig gehet", „beim Weyher oder<br />

Schützenrain" oder „in Gärten beim Weyher".<br />

Die übliche Erbteilung führte auch zur Zerstückelung<br />

des Mühlelehens, so daß sich die Zahl der Teilhaber an<br />

der Mühle, die Consorten - zu einem großen Teil<br />

Nachkommen und Anverwandte des Hauptinhabers oder<br />

Trägers - mit Anteilen verschiedenster Größe, bis hin<br />

zu 16teln und 32teln anerbten bzw. einkauften. Ein Beispiel:<br />

Anno 1748 verkaufte Michel Bez, der ein Viertel<br />

der hiesigen Mahlmühle besaß, an seinen Sohn- Michel<br />

Bez, Müller, den achten Teil der Mühle um 330 Gulden.<br />

Zu der Zeit möchte der 32ste Teil der Mühle den Zins<br />

von 100 Gulden (fl) abwerfen.<br />

Das 19. Jahrhundert machte bei uns Schluß mit der alten<br />

Lehensherrlichkeit und gab dem Bürger seinen Besitz als<br />

freies Eigentum zurück. 1829 wurde die Uracher Zunftlade,<br />

der auch Mägerkingen angehörte, aufgelöst. Bei der<br />

Verteilung des Vermögens erhielt der hiesige Müller<br />

Ludwig Bez (Schultheiß von 1829-1835) 15 fl 19 kr. Er<br />

übergab das Geld der Stiftungspflege mit der Bestimmung,<br />

damit hilfsbedürftige Müller zu unterstützen.<br />

In den folgenden Jahren wechselt die Mühle verschiedentlich<br />

ihre Eigentümer, bis der Müller Joh. Martin Bez<br />

sie samt Liegenschaften im Jahr 1845 um 14 100 fl an<br />

den Müller Johannes Mader verkauft. Dessen Schwiegersohn<br />

Johs. Müllerschön übernahm in den Jahren 1858/<br />

59 um insgesamt 17 300 fl.<br />

Im Jahr 1843 hatte J. M. Bez zur Verbesserung seines<br />

Mühlwerks um den Bau eines vierten Wasserrades nachgesucht.<br />

Der Schrotgang war seither zusammen mit dem<br />

Gerbgang nur von einem Wasserrad getrieben worden.<br />

Das war hinderlich und nachteilig. Die talaufwärts gelegenen<br />

Wiesen brauchten aber das Seckachwasser auch.<br />

Der Verlust des Wässerungsrechts würde die Wiesenbesitzer<br />

schwer schädigen. Eine Verhandlung über diese<br />

strittige Sache zwischen dem Gemeinderat und dem<br />

Müller führte zu einer gütlichen Ubereinkunft: Der Müller<br />

anerkennt das seither bestehende Wässerungsrecht der<br />

oberen Wiesenbesitzer für die Zukunft. Unter dieser Bedingung<br />

wird ihm der Bau eines vierten Wasserrades gestattet.<br />

Dies war nicht der letzte Streit um das Seckachwasser.<br />

Am 31.3. 1877 wurden vom Stauwehr auf der letzten<br />

Trochtelfinger Parzelle vor der Markungsgrenze zwei<br />

hölzerne Staubretter nebst Ketten und Hebel im Wert<br />

von 20 fl durch den Müller Müllerschön und einen vom<br />

Schultheiß beauftragten Helfer eigenmächtig ausgehoben<br />

und die Seckach hinuntergeflößt. Der Schultheiß verweigerte<br />

die Herausgabe und wurde deshalb verklagt beim<br />

Amtsgericht in Reutlingen. Der Klagewert lautete auf<br />

20 fl = 34 Mark 29 Pf. und für den verlorenen Heugrasnachwuchs<br />

auf 60 Mark. Die Gerichtsverhandlung vor<br />

dem Amtsgericht Reutlingen fand am 1. November statt.<br />

Gerichtsakten fehlen.<br />

1894 übernimmt Johannes Speidel auf dem Tauschweg<br />

die Mühle samt Einrichtung und Nebengebäuden gegen<br />

ein Haus in der Wikgasse und 22 500 Mark Aufgeld.<br />

Aber schon 1898 wird das ganze Mühleanwesen um<br />

46 100 Mark an den Müller Georg Möck aus Hopfau<br />

weiterverkauft. 1907 verunglückt Möck tödlich. Die<br />

Müllerswitwe führt den Mühlebetrieb weiter, bis in den<br />

20er Jahren ihr Sohn Gustav die Mühle übernimmt, sie<br />

„mit den neuesten Maschinen" (Turbinen) einrichtet und<br />

sich seiner Kundschaft zur „Herstellung bester Qualitätsware"<br />

empfiehlt. So seine Geschäftsempfehlung vom<br />

September 1927 im Reutlinger Generalanzeiger . . . Am<br />

1. Juli 1972 hat diese uralte Mahlmühle ihren Betrieb als<br />

letzte der fünf Seckachmühlen eingestellt. Ihre Wasserkraft<br />

aber wird weiterhin genutzt zur Stromerzeugung<br />

in das Netz der EVS.<br />

Im Jahr 1807 erhielt Joh. Martin Hipp die Erlaubnis<br />

zum Bau einer neuen öl-, Ips- und Sägmühle. Diese erstand<br />

an der Wikgasse, zu Füßen der R. Hielock (1824<br />

„unterm Schlößle"), unweit der einstigen zwiefaltischen<br />

Mühlstatt Wikental. Der Lauf der Seckach mußte verlegt,<br />

ein neuer Wassergraben ausgesteckt, das Gefäll<br />

nicht durch ein einzulegendes Wehr (oder Fangbaum),<br />

sondern durch Tieferlegung des alten Grabens mit einem<br />

doppelten Fallengestell ob dem Räderwerk erreicht werden.<br />

In der Folge ergaben sich immer wieder Streitigkeiten<br />

zwischen den dortigen Wiesenbesitzern und dem<br />

Sägmüller wegen seines hohen Wasserschwellens. Es wurde<br />

ihm bedeutet, er könne seinen Säggang doch ohngeschwellt<br />

laufen und den Abiaufgraben offen lassen. Da<br />

sich nirgends ein Eichpfahl befand, konnte der Sägmüller<br />

nicht zur Ordnung gerufen werden. Der Schultheiß<br />

berichtete deshalb 1824 u.a. an das Oberamt: „...Es<br />

scheint mir, als sei die Sägmühle nur nach Gunst hingebaut<br />

worden ..."<br />

1865 wurde das Gebäu abgebrochen und größer als dreistockigtes<br />

Wohngebäude mit allen Zubehörden zur Sägmühle,<br />

zur Ölmühle und zur Hanfreibe aufgebaut. Als<br />

dann der Anbau von Hanf und Reps bei uns aufgegeben<br />

wurde, stellten Hanfreibe und Ölmühle ihren Betrieb<br />

ein. Dafür wurde 1895 neben der Säg- noch eine Mahlmühle<br />

eingerichtet. Der zweite Weltkrieg brachte beiden<br />

das Ende. Übrig blieb das große Wohnhaus mit einem<br />

kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. An der Nordseite<br />

des Hauses, der Straße abgewandt, erinnert heute noch<br />

ein großes altes Wasserrad an die einstige Mühlenzeit.<br />

Wie die „Säge" am oberen, so steht die „Ipsmühle" am<br />

unteren Ortsende, auch auf der linken Seckachseite. Seit<br />

„Urdenklichen Zeiten" (so belegt 1783) stand dort eine<br />

Ölmühle, später als Gipsmühle ausgewiesen. Ihr Stampfwerk<br />

arbeitete „mit kleiner Wasserkraft". Das Material,<br />

Gipssteine, wurde bis zur Bahneröffnung mit Pferd und<br />

Wagen von einem Gipskeuperbruch aus der Gegend um<br />

Haigerloch hierhergebracht. Der gemahlene Gips wurde<br />

als begehrter Dünger in die umliegenden Alborte verkauft<br />

aber mehr und mehr von Guano (Seevögelmist aus<br />

Chile u. Peru) und künstlichen Düngemitteln verdrängt,<br />

so daß nach dem Tod des letzten Gipsmüllers (Wilhelm<br />

Graner) während des ersten Weltkrieges seine Nachkommen<br />

sich einem andern Erwerb zuwandten. Der Hausname<br />

aber hat sich bis heute erhalten.<br />

Quellen (gedruckte): Friedrich Eisele. Zur Geschichte Trochtelfingens<br />

(S. 59-62); Joh. Adam Kraus. Aus Zwiefalter Urkunden<br />

(H.H. 1967 S. 37); Lagerbuch der Kellerei Urach<br />

(„Achalmisches Salbuch") v. 1522 Magrichingen S. 723.; Beschreibung<br />

des OA Reutlingen v. 1893 (K. Stat. Landesamt).<br />

- (Handgeschrieben:) Matth.' Holzhäuer. Ortschronik von<br />

Mägerkingen (angelegt 1913); Regierungsprotokolle für die 3<br />

mägerkinger Wassertriebwerke Nr. 90, 92 und 93 (bei Möck)<br />

1908-23; Gemd. Archiv B 393. Fleckenrodel zu Mägk. mit<br />

Ordnung der Miller des Fleckens allda . . . v. 1584; Gemd. Archiv<br />

B 457. Brandschadenvers.-Consignation ... 1808 ff.;<br />

Staats- Archiv Stuttg. Kellerei-Lagerbuch Urach v. 1454;<br />

Staats-Archiv Stuttg. Das Mühlenwesen in Mägerkingen (A<br />

413, A 206, A 211-213); Staats-Archiv Sigmg. Mühlen im<br />

Seckachtal bei Trochtelfingen (Ho 197 u. 199); F. Fürstl. Archiv<br />

Donauesch. Die zwei Trochtelfinger Herrschaftsmühlen<br />

(Abt. 3 - Vol. II).<br />

37


KARL WERNER STEIM<br />

Vor 150 Jahren erschien die erste Hechinger Zeitung<br />

Am 3. Oktober 1829 erschien die erste Zeitung in Hechingen,<br />

das „Wochenblatt für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen".<br />

Zwar war schon im Jahre 1728, somit<br />

gerade 100 Jahre früher, eine „Hof- und Kanzlei-<br />

Buchdruckerei" errichtet worden, sie konnte sich jedoch<br />

nicht halten. Im Jahre 1809 hatte im benachbarten Sigmaringer<br />

Fürstentum Bartholomäus Herder das „Wochenblatt<br />

für das Fürstenthum Hohenzollern-Sigmaringen"<br />

gegründet. Hohenzollern war also mit einer periodischen<br />

Presse viel später an der Reihe als die meisten<br />

anderen deutschen Länder. Dieser Beitrag kann die Geschichte<br />

des Wochenblattes freilich nur skizzieren.<br />

Mit fürstlicher Genehmigung gründete im Jahre 1829 der<br />

Schulinspektor Franz Xaver Ribler eine Buchdruckerei<br />

in Hechingen (in der nach der Zeitung später benannten<br />

Gutenbergstraße), wobei ihm vom Fürsten die ausschließliche<br />

Lieferung aller Druckgegenstände zugesichert<br />

wurde. Das Wochenblatt war 20 auf 16 cm groß,<br />

hatte meistens nur vier Seiten, erschien wöchentlich einmal<br />

und kostete 1 Gulden und 30 Kreuzer im Jahr.<br />

Vom Intelligenzblatt zur Zeitung<br />

Franz Xaver Ribler wollte, daß durch die Gründung des<br />

Blattes „einem schon lange und vielfältig gefühlten Bedürfnisse<br />

abgeholfen werde". Das Wochenblatt gehörte<br />

zur damals üblichen Gattung der „Intelligenzblätter",<br />

das von bestimmten Stellen bezogen werden mußte.<br />

Mehr als das Sigmaringer Intelligenzblatt versuchte Ribler,<br />

seiner Zeitung ein eigenes redaktionelles Gepräge<br />

zu geben. Dennoch enthielt sich das Blatt - in der Regel<br />

- vor dem Revolutionsjahr 1848 der Erörterung innenpolitischer<br />

Angelegenheiten, veröffentliche aber gelegentlich<br />

unter der Rubrik „Eingesandt" kritische Äußerungen<br />

aus dem Leserkreis über kommunale Frage. Auch<br />

in der Lokalberichterstattung versuchte Ribler eine lebendigere<br />

Sprache als das Sigmaringer Wochenblatt.<br />

Vorwiegend wurden aber Ratschläge für die Haus- und<br />

Landwirtschaft, Gesetze und Verordnungen der Fürstlichen<br />

Regierung abgedruckt.<br />

Der Zeitungsgründer Franz Xaver Ribler wurde 1783 in<br />

Billenhausen/Bayern geboren. Nach dem Studium war<br />

er als Novize in das Minoritenkloster in Überlingen eingetreten,<br />

nach der Säkularisation des Klosters 1807 erlernte<br />

er den Kaufmannsberuf und kam als Kaufmann<br />

auch nach Hechingen. Hier wirkte er mit großem Erfolg<br />

zugleich als Privatlehrer, so daß er von der fürstlichen<br />

Regierung 1809 in das Lehrerseminar nach Rastatt geschickt<br />

wurde. Nach der Ausbildung wurde er als Oberlehrer<br />

an der Stadtschule Hechingen angestellt und sollte<br />

in der Folgezeit das gesamte Volksschul-Bildungswesen<br />

des Hechinger Fürstentums ordnen.<br />

Organ der Aufklärung<br />

Weltanschaulich war Franz Xaver Ribler der Aufklärung<br />

zugetan und galt als Anhänger des Wessenbergianismus.<br />

Die Aufklärung sollte in den siebziger und<br />

achtziger Jahren auch Hohenzollern - und vor allem<br />

seine Presse - erschüttern.<br />

Das Jahr 1837 brachte dem Wochenblatt den neuen Titel<br />

„Verordnungs- und Intelligenzblatt für das Fürstenthum<br />

Hohenzollern-Hechingen". Begründet wurde dies von<br />

Ribler so: „da der bisherige dem vermehrten und verschiedenartigen<br />

Inhalte nicht mehr entspreche". Das Format<br />

wurde auf 24 mal 20 cm vergrößert, der Umfang<br />

38<br />

® t < M tt 8 I ö f f<br />

fi«<br />

in« jSürftentfjum<br />

£> o & t n s o 11 e t n * .§> e c& i n a e Ä.<br />

Sßetlag bet 4Jof6u$t)iuifiteu<br />

9iro. i. ©nrnftiig bett 3. October 1829.<br />

®otto: alle» fwrfäsin 1)1 fimer. —<br />

Sin tie Cefec bti öec&lrtaer SSo,$en6Iatte$.<br />

Est 5(dera (larti ic& meinen serMnbfidifini Sani ob, filr bie geneigte £f)eilnn&mt,<br />

iseldje mit in bem gXaajie burd) SBorauibefhOung beä platte« berolefen rcnrie, So6<br />

10! jti ter »oBfommtiien Ueberjenguiiij gelange, burd) bie 2inS|ilfinrag bitfei Unter*<br />

lit&mtiiS roerbe einem fdjoi» lange unb oielfiltig gefii&tten S3ebäifni(fe abgeholfen.<br />

Die SKeiJren rorrben rcoljl, sleicfc mit, fd>on fefjr oft gercrtnfdrt baben, bafl obrig»<br />

fe'itlicfa 2Iiiorbnuiigen? gevid)tlld>e. Selanntmadjungen, rcefentlidje 5B(ränberangen in<br />

bet BerrealtungS.Srgamfation, forele In bet perfinlicfjen »efefcnng bet Stellen, mit»<br />

öffentliche ülnjdigin »on ^rieaten, bem einzelnen dinreobner be£ gürfientljums genauer<br />

mitgetfjeilt »ueibet» fbmtteu.<br />

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unieie» regierenden gL"r|J


neue Zählung. Nachdem die Preußische Regierung 1852<br />

in Hechingen aufgelöst und der Sitz der Preußischen Regierung<br />

für ganz Hohenzollern in Sigmaringen genommen<br />

wurde, nannte man das Blatt in ein „Amtsblatt des<br />

Königlich Preußischen Kreisgerichts und Oberamtsbezirkes<br />

zu Hechingen" um.<br />

So sehr sich die Zeitung in Hechingen für den Anschluß<br />

Hohenzollerns an Preußen eingesetzt hatte, so sehr litt<br />

man bald unter der strafferen preußischen Verwaltung.<br />

1853 wurde das Blatt beispielsweise der Stempelsteuer<br />

unterworfen.<br />

Von Preußen subventioniert<br />

Mit dem Jahre 1854 geriet die Hechinger Zeitung in eine<br />

finanzielle Abhängigkeit von der Preußischen Regierung<br />

in Berlin, die gelegentlich ausführlich dargestellt zu werden<br />

verdient. Kurz sei hier nur erwähnt, daß im April<br />

1854 zwischen Franz Xaver Ribler und der Preußischen<br />

Regierung in Sigmaringen eine Verabredung getroffen<br />

wurde, wonach Ribler zwar formal als verantwortlicher<br />

Redakteur fungierte, das Blatt aber unter die Leitung eines<br />

vom Sigmaringer Regierungspräsidenten bestellten<br />

Redakteurs gestellt wurde, der von der Regierung bezahlt<br />

wurde. Der Vertrag wurde vom Ministerpräsidenten<br />

in Berlin gebilligt. 300 Taler stellte die Regierung<br />

jährlich für die Hechinger Zeitung bereit. Diese Regelung<br />

hielt bis zum Jahre 1864 an. Es gab aber auch später<br />

noch Subventionen, die Hechinger Zeitung gehörte<br />

zur „Reptilienpresse".<br />

Am 5. Juli 1854 - gleichzeitig mit Beginn der Subventionierung<br />

- erschien das Blatt unter dem neuen Titel<br />

„Hohenzollernsches Wochen-Blatt", im Format 35 auf<br />

24 cm. Es gab im wesentlichen die Rubriken Inland,<br />

Deutschland, Ausland, Amtliche- und Privat-Anzeigen.<br />

Als Erscheinungsorte wurden Hechingen und Sigmaringen<br />

angegeben. Es versteht sich, daß von nun an echte<br />

preußische „Hofberichterstattung" betrieben wurde. Unabhängig<br />

davon ist festzuhalten, daß das Blatt qualitativ<br />

wesentlich verbesert wurde. Der Anzeigenteil wurde<br />

jetzt hinter dem redaktionellen Teil gebracht. Die politischen<br />

Tagesereignise sollten, so heißt es in der Ankündigung,<br />

„möglichst kurz und bündig, aber durchaus vollständig"<br />

mitgeteilt werden. Von Neujahr 1855 an erschien<br />

das Blatt sogar dreimal wöchentlich.<br />

Anweisungen der Regierung<br />

Vom Jahre 1856 an kam an die Spitze des Blattes eine<br />

„Hohenzollerische Chronik", die entsprechende Nachrichten<br />

aus Hohenzollern enthalten sollte, die freilich oft<br />

nur sehr spärlich waren. Wiederholt wurde von der Regierung<br />

in Sigmaringen kritisiert, daß das Hohenz. Wochenblatt<br />

zu wenig eine „Hohenz." Zeitung sei und daß<br />

die Konkurrenz, der Schwarzwälder Bote, viel interessantere<br />

Nachrichten enthalte. Systematisch wurden historische<br />

Romane sowie umständliche Erläuterungen<br />

über die Verwaltung usw. gebracht. Immer wieder erläuterte<br />

das Blatt in Rubriken wie „Was wir wollen" Aufgaben<br />

und Ziele, ohne sie freilich entsprechend zu verwirklichen.<br />

Immer wieder mußte sich das Hohenz. Wochenblatt gegen<br />

Angriffe anderer Zeitungen wehren, daß es von<br />

Preußens Regierung unterstützt werde und man ins Ausland<br />

gehen müse, um etwas in der Prese zu kritisieren.<br />

Beharrlich bestritt man - jedoch wenig glaubhaft -<br />

die erhaltenen Subventionen.<br />

Am 10. Januar 1862 starb der Gründer des Blattes, Xaver<br />

Ribler, der freilich zuletzt kaum mehr für die Zeitung<br />

tätig war. Außerdem war er in den letzten Jahren<br />

fast ständig ans Krankenbett gefeselt.<br />

Adolph Ribler<br />

Major a. D. Adolph Ribler erwarb die Ribler'sche Hofbuchdruckerei<br />

zum 1. April 1864 und nahm auch die<br />

Leitung der Redaktion in die Hand, nachdem er den<br />

Subventionsvertrag mit der Regierung gekündigt hatte.<br />

Jetzt erschien das Wochenblatt viermal wöchentlich.<br />

1865 wurde die Druckerei von der Gutenbergstraße in<br />

das Alte Schloß verlegt.<br />

Mit Beginn des Jahres 1867 nahm die Zeitung den Titel<br />

an, den sie bis zum Schluß behielt: „Hohenzollernsche<br />

Blätter", im Jahre 1900 wurde lediglich ein „hohenzollerisch"<br />

daraus. Wiederum wurde das Format vergrößert:<br />

auf 35 mal 23 cm.<br />

Auf den Kulturkampf kann hier aus Platzgründen nicht<br />

näher eingegangen werden, doch soll das Thema „Presse<br />

und Kulturkampf" später ausführlich gewürdigt werden.<br />

Adolph Ribler verkaufte sein Unternehmen Ende 1870<br />

an Theodor Bosch und Schriftsetzer Kleinmaier. Theodor<br />

Bosch übernahm die Redaktion des Blattes, das er<br />

nur noch dreimal wöchentlich erscheinen ließ. Um die<br />

Jahresmitte 1871 starb Bosch. Der bekannte Hechinger<br />

Heimatdichter Ludwig Egler, der hier nicht weiter gewürdigt<br />

zu werden braucht, da dies an anderen Stellen<br />

schon häufig erfolgt ist, wurde verantwortlicher Redakteur.<br />

Ab April 1871 erschienen die Hohenz. Blätter wieder<br />

viermal wöchentlich. Ludwig Egler leitete das Blatt<br />

bis zu seinem Tode im Jahre 1898.<br />

Zeitungstreit<br />

Vom Jahre 1873 an, dem Erscheinen der Zeitung „Der<br />

Zoller" in Hechingen, waren beide Zeitungen vom gegenseitigen<br />

Streit geprägt. Das Hohenz. Wochenblatt<br />

war Parteiblatt der Liberalen, der Zoller wurde vom<br />

Zentrum herausgegeben. Der Streit wurde in zahlreichen<br />

„Preßprozesen" ausgetragen<br />

1876 zog die Hofbuchdruckerei in das Kaufhaus in der<br />

Franz Xaver Ribler (1783-1862), Gründer des Hohenz. Wochenblattes,<br />

der ersten Hechinger Zeitung<br />

39


Schrannenstraße um, ein Jahr später wurde sie in das<br />

Jordansche Haus in der Goldschmiedstraße verlegt.<br />

Im Jahre 1884 übernahm der bisherige Teilhaber Robert<br />

Kleinmaier allein den Verlag.<br />

Für das Jahr 1889 ist der berühmte „Gießkännchenstreit"<br />

zu erwähnen, der schon ausreichend behandelt ist.<br />

Die Aufnahme eines Inserates führte zu einem lange andauernden<br />

Prozeßverfahren, das vor dem Reichsgericht<br />

endete. Robert Kleinmaier starb im Jahre 1895, seine<br />

Witwe Amalie übernahm den Verlag. Im April 1900<br />

verkaufte sie ihn für 64 500 Mark an Friedrich Wallishauser,<br />

der auch als verantwortlicher Redakteur zeichnete.<br />

Er vergrößerte das Format und im Jahre 1904 nochmals<br />

geringfügig. Wallishauser sorgte für einen modernen<br />

Maschinenpark, 1904 wurde eine Schnellpresse aufgeteilt,<br />

1911 wurde eine Linotype-Setzmaschine angeschafft.<br />

JOSEF MÜHLEB ACH<br />

Konkurs 1930/31<br />

Im Laufe der Jahre geriet Friedrich Wallishauser -<br />

trotz des großen Aufschwunges, den sein Blatt genommen<br />

hatte - in Zahlungsschwierigkeiten. Der Konkurs<br />

wurde im September 1930 eröffnet, die Zeitung vom<br />

Konkursverwalter jedoch weitergeführt. Am 1. Februar<br />

1931 übernahm Fritz Holzinger aus Stuttgart Druckerei<br />

und Verlag. Die Hohenzollerischen Blätter blieben bis<br />

zum Jahre 1933 eine liberal-demokratische Zeitung.<br />

Die Hohenzollerischen Blätter wurden dann am 1. Juli<br />

1933 „Nationalsozialistiche Landeszeitung" und „Amtsblatt<br />

für Hohenzollern". Mit dem Verbot der Zentrumszeitung<br />

„Der Zoller" konnten die Hohenz. Blätter auch<br />

deren Abonnenten übernehmen. Verantwortlich für den<br />

gesamten Inhalt war Rolf Johannsen, für den Lokalteil<br />

Walter Sauter. Die Zeitung erschien bis Kriegsende.<br />

Zur Geschichte des katholischen Kirchenchores St. Johann, Sigmaringen<br />

Ein Abriß<br />

Für den katholischen Kirchenchor St. Johann in Sigmaringen<br />

hat vor zwei Jahren, am 1. Juli 1977, eine neue<br />

Ära seines Wirkens begonnen. Bis dahin hat sich eine<br />

Jahrhunderte alte Tradition in der Leitung des Chores<br />

fortgesetzt, die nun von einer neuen Form der Organisation<br />

in der Chorleitung abgelöst wurde. Der Wechsel<br />

darf mit Recht zum Anlaß genommen werden, in einem<br />

Rückblick die Geschichte des Kirchenchores in einem<br />

knappen Abriß darzustellen.<br />

Will man den Anfängen des Kirchenchores St. Johann<br />

nachspüren, so muß man berechtigterweise von der Entstehung<br />

der Pfarrei St. Johann ausgehen. Sigmaringen<br />

teilte mit anderen Städten das Geschick, daß es längere<br />

Zeit einer eigenen Pfarrei entbehrte. 1077 wird erstmals<br />

die Burg Sigmaringen als „castellum, quod dicitur Sigmaringin"<br />

erwähnt. Von einem Ort um die Burg ist aber<br />

nicht die Rede, wenn auch einige Wohnhäuser von Eigenleuten<br />

sich daselbst befunden haben mögen. Die Siedlung<br />

war aber noch so klein, daß für die Errichtung einer<br />

Pfarrei noch kein Bedürfnis vorlag. So kam es, daß<br />

der Burgflecken Sigmaringen in das nahe gelegene Laiz<br />

eingepfarrt wurde. Die urkundlichen Nachrichten über<br />

Laiz gehen nur bis ins 13. Jahrhundert zurück. Zur<br />

Pfarrgemeinde Laiz gehörten auch Hedingen, Brenzkofen,<br />

Gorheim, Boll (Pauker Hof), Inzigkofen, Oberschmeien<br />

und Unterschmeien. Als dann die Siedlung größer<br />

wurde, ergab sich das Bedürfnis, Sigmaringen von<br />

Laiz zu lösen und den Burgflecken kirchlich selbständig<br />

zu machen, zumal der Besuch des Gottesdienstes in Laiz<br />

von Sigmaringen aus doch beschwerlich war. Vermutlich<br />

wird auch der Burgherr von Sigmaringen auf die Errichtung<br />

einer eigenen Pfarrei Wert gelegt haben.<br />

Schon 1353 war bei der Burg Sigmaringen eine romanische<br />

Johanneskapelle errichtet worden, die 1444 von einer<br />

spätgotischen Kapelle abgelöst wurde. 1580 ist unter<br />

Graf Karl von Zollern-Sigmaringen ein neues Gotteshaus<br />

errichtet worden, das 1605 konsecriert worden ist. An<br />

dessen Stelle ist 1756 bis 1758 die heutige Stadtpfarrkirche<br />

getreten. Mit der Erbauung der spätgotischen Kapelle<br />

waren die Voraussetzungen für die Errichtung einer<br />

eigenen Pfarrei für Sigmaringen gegeben. Es kam dann<br />

40<br />

auch 1464 zu einer weitgehenden Lösung von Laiz, und<br />

nun wurde - etwa ab 1480 nachdem der damalige<br />

Pfarrer von Laiz seinen Wohnsitz nach Sigmaringen verlegt<br />

hatte, praktisch Laiz Filialort von Sigmaringen,<br />

wenn formal auch noch eine Zeitlang Laiz als Hauptkirche<br />

galt. Erst 1864 erfolgte die Anerkennung von Laiz<br />

als Pfarrkuratie, die in den siebziger Jahren zur Pfarrei<br />

erhoben wurde.<br />

Die Nachrichten über das kirchenmusikalische Leben in<br />

der Anfangszeit der Pfarrei St. Johann sind recht dürftig,<br />

vor allem weil die Heiligenfondsrechnungen aus der<br />

Frühzeit der Pfarrei einem Pfarrhausbrand zum Opfer<br />

gefallen sind. Die erste überlieferte Aufzeichnung über<br />

eine kirchenmusikalische Betätigung bietet die Stiftungsurkunde<br />

der Sebastianbruderschaft aus dem Jahr 1483.<br />

Nach diesem archivalischen Hinweis war für den<br />

„Schulmeister" wegen der zwei Ämter an den Fronfasten<br />

ein böhmischer Schilling bestimmt. Fronfasten war eine<br />

gewohnte Abgabe zu den Quatembertagen für kirchliche<br />

Zwecke, in diesem Fall wegen der Nennung des „Schulmeisters"<br />

für den Kirchengesang. Spätere Heiligenrechnungen<br />

- von 1578/79 - enthalten eine Aufzeichnung<br />

über die Vergütung des Kantors Lorenz Geigern. Dieser<br />

hat an Geld das halbe Jahr 20 fl. an Veesen für das ganze<br />

Jahr 8 Malter und an Haber für das ganze Jahr 2<br />

Malter erhalten. Neben dem Kantor amtete als Organist<br />

im Jahr 1583/84 Melchior Schramm.<br />

Graf Karl 1. (1558-1576) und Graf Karl II.<br />

(1576-1606) zu Zollern-Sigmaringen stifteten für den<br />

Fürstlichen sog. „Großen Jahrtag" 400 fl. und 600 fl.<br />

mit der Bestimmung, daß im Gegensatz zu dem einstimmigen<br />

Chorgesang unter Verstärkung durch musikalische<br />

Priester mehrstimmig - vermutlich nach dem Geschmack<br />

jener Zeit mit Instrumentalbegleitung - gesungen<br />

werden sollte Jedenfalls ist hier erstmals der Kirchenchor<br />

als solcher genannt. Die mehrstimmige Singweise<br />

wird nicht nur an den Fürstlichen Jahrtagen, sondern<br />

auch bei anderen Anlässen gepflegt worden sein.<br />

Spätere Aufzeichnungen über die Erhöhung der Besoldung<br />

des Kantors lassen erkennen, daß das Wirken des<br />

Kirchenchores beachtliche Fortschritte machte und daß


sich eine ständige Aufwärtsentwicklung abzeichnete. Die<br />

steigenden Leistungen des Chores sind auch aus den im<br />

Verlaufe der Zeit verschärften Bestimmungen über die<br />

Organistentätigkeit - dazu gehörte auch die Kantortätigkeit<br />

- zu ersehen. So wurden dem Kantor u. a. Auflagen<br />

über die Gestaltung des Großen Fürstlichen Jahrtages<br />

gemacht. Der Kantor mußte auch ein Instrumentarium<br />

von allen Musikalien und Instrumenten anfertigen<br />

und weiterführen. Es mußte also schon damals ein beachtlicher<br />

Bestand vorhanden gewesen sein. Weiter mußte<br />

der Kantor zwei Knaben in der Musik gratis instruieren.<br />

Hier erfahren wir auch, daß Sopran und Alt von<br />

Knaben gesungen wurde und daß die Knaben nicht nur<br />

Choral-, sondern auch Figuralgesang (mehrstimmiger<br />

Gesang) pflegen mußten. Im Laufe der Zeit entwickelte<br />

sich wahrscheinlich aus dem Organisten der Chorregent,<br />

der als Organist eine kleine Entschädigung erhielt, die<br />

Stelle des Chorregenten aber ehrenamtlich, d. h. unentgeltlich<br />

versah.<br />

Als Kantoren aus jener Zeit seien genannt: Gall Schreiber,<br />

erster Kantor 1627/28; Schulmeister und Kantor<br />

Halm um 1628; Joachim Roresch, Organist um 1630;<br />

Joachim Kolbinger, Schulmeister und Kantor, Student<br />

aus Stetten akM. 1663; Johann Konrad Schmidt aus<br />

Buchhorn, gewester Schulmeister zu Hagnau am Bodensee,<br />

hier angestellt als Kantor und Schulmeister in einer<br />

Person 1698.<br />

In einer von Schultheiß, Bürgermeister und Rat der<br />

Stadt Sigmaringen am 12. März 1704 erlassenen eigenen<br />

Instruktion sind die umfangreichen Obliegenheiten und<br />

Pflichten des Organisten, Kantors und Schulmeisters Johann<br />

Konrad Schmidt bis ins einzelne beschrieben.<br />

Nachfolger von Johann Konrad Schmidt wurde im Jahr<br />

1714 Johann Baptist Höltzle aus dem Rheintal, der nun<br />

51 Jahre lang bis 1765 den Kantor-, Organisten- und<br />

Lehrer-Dienst versah. Nach einem im Jahr 1717 erstellten<br />

Instrumentarium über die Heiligenfabrik zu Sigmaringen<br />

waren damals etwa 37 Musikalien des Chores<br />

vorhanden, ein Bestand, der für jene Zeit den hohen<br />

Leistungstand des Kirchenchores erkennen läßt<br />

Die achttägige Feier der Heiligsprechung des Heiligen<br />

Fidelis, die in Sigmaringen vom 22. bis 28. April 1847<br />

würdig begangen wurde, gab dem Kirchenchor<br />

Gelegenheit, sein hohes Können und seine überdurchschnittlichen<br />

Leistungen der mitfeiernden Pfarrgemeinde<br />

und den sontigen Festbesuchern zu zeigen. Die<br />

Zeitungsberichte über die gesanglichen Darbietungen bei<br />

der Festfeier sind voll des Lobes über den Kirchenchor.<br />

1765 bekam Johann Baptist Aicheier die Kantorstelle<br />

verliehen; er behielt diese nur drei Jahre. Nach einer in<br />

seine Amtszeit fallenden Neuregelung der Besoldung erhielt<br />

der Kantor nunmehr aus der Heiligenpflege an<br />

Geld und an Gegenwert für Früchte zusammen 202 fl<br />

46 hlr.<br />

Von 1768 bis 1818, also fünfzig Jahre lang, war Anton<br />

Stocker Kantor unseres Kirchenchores. Er hatte - und<br />

das war erstmalig in der Geschichte des Chores - nicht<br />

auch die Schulmeisterstelle zu versehen. Von dieser Zeit<br />

an wurden beide Stellen, die Kantorstelle und die Schulmeisterstelle,<br />

getrennt besetzt.<br />

Nachfolger des Kantors Anton Stocker wurde am<br />

10. Dezember 1818 dessen Schwiegersohn Konrad Siebenrock<br />

aus Langenenslingen. Er versah die Kantorstelle<br />

bis zu seinem Tod am 25. April 1856. Leider verhinderte<br />

ihn eine schwere Krankheit, in den letzten drei Jahren<br />

seinen Beruf auszuüben. In dieser Zeit besorgte sein<br />

Sohn, der Benefiziat J. F. Siebenrock, die Aufgaben des<br />

Kantors, unterstützt von Chorregent Feßler.<br />

Bis dahin hatte außer dem Kantor immer ein Musikdirektor,<br />

Chorregent genannt, die Oberleitung der Kirchenmusik<br />

unentgeltlich wahrzunehmen. Diese Funktion,<br />

in etwa dem späteren Präses im Cäcilienverein vergleichbar,<br />

ist, weil sie damals als entbehrlich galt, 1856 aufgegeben<br />

worden<br />

Am 9. September 1856 erhielt Josef Burtscher, Musiklehrer<br />

am Kgl. Preußischen Gymnasium Hedingen, die<br />

Kantorstelle übertragen. Mit dieser Neubesetzung war<br />

eine Umwandlung der zum Diensteinkommen gehörenden<br />

Naturalien in Geld verbunden.<br />

Josef Burtscher blieb nur 10 Jahre im Amt. Ihm folgte<br />

am 13. Mai 1866 als Kantor Johann Baptist Molitor. Er<br />

hatte vorher an der Benediktiner-Abtei St. Maurus in<br />

Beuron als Organist gewirkt, wo er sich besonders der<br />

Pflege des Gregorianischen Chorgesanges gewidmet hat.<br />

Unter ihm erlangte der Kirchenchor einen sehr hohen<br />

Leistungsstand. J. B. Molitor gründete im August 1871<br />

den Hohenzollerischen Cäcilienverein, übernahm als erster<br />

Präsident dessen Leitung und veranstaltete bis 1882<br />

unter Beteiligung des Kirchenchores, der inzwischen auf<br />

etwa 40 Mitglieder angewachsen war, mehrere Gesangsund<br />

Musikfeste. Vermutlich war ihm aber die Kantorbesoldung<br />

- sie betrug zuletzt 700 Mark -, zu klein und<br />

so schied er am 15. August 1882 von Sigmaringen, um<br />

die ungleich besser dotierte Münsterkapellmeisterstelle in<br />

Konstanz zu übernehmen. (Der benediktinische Ordensmann<br />

Prior Gregor Molitor war ein Sohn des Chordirektors<br />

Johann Baptist Molitor. Gregor Molitor hat als<br />

Kirchenmusiker mit seinen Kompositionen, die im Bereich<br />

des kirchlichen Chorgesanges viel gesungen wurden,<br />

einen hohen Rang erreicht. Eine Sammlung vierstimmiger<br />

Kirchengesänge hat ihn in weiten Bereichen<br />

bekannt gemacht.)<br />

Nachfolger von J B. Molitor als Chorregent war Karl<br />

Hirsch, vorher Chorregent an der Stadtpfarrkirche zu<br />

Erding (Bayern). Er war mit Eifer bemüht, den hohen<br />

Leistungsstand unseres Kirchenchores zu erhalten. Er<br />

wirkte als Chorregent aber nur vom 24. August 1882 bis<br />

zum 31. März 1884. Sein Verdienst ist die Gründung der<br />

städtischen Musik- und Gesangsschule, die weit in die<br />

Zukunft hinein erfolgreich der Heranbildung vieler Sängerinnen,<br />

Sänger und Musiker diente und heute noch<br />

dient. Karl Hirsch hat als Komponist eine Anzahl kirchenmusikalischer<br />

Werke, später auch Kompositionen<br />

mehrstimmiger Männerchöre, geschaffen. Auf Karl<br />

Hirsch folgte Karl Boos, zuvor Organist unnd Chordirigent<br />

an der damals neuen Synagoge in Bruchsal. Er bekam<br />

sein Amt am 25. Juni 1884 übertragen, mußte es<br />

aber schon zum 30. November 1885 wieder aufgeben,<br />

weil er infolge eines Schlaganfalles gelähmt war.<br />

Zwischenzeitlich übernahm Oberamtssekretär, später<br />

Landrentmeister Nikolaus Bachmann vertretungsweise<br />

die Leitung des Chores. Auch er war mit Eifer um die<br />

Erhaltung des Leistungsstandes des Kirchenchores bemüht.<br />

Eine wesentliche Verbesserung der Besoldung des<br />

Chordirektors, so wurde der Chorleiter nunmehr genannt,<br />

ergab sich dadurch, daß Fürst Leopold am<br />

21. Oktober 1885, am Jahrestag der goldenen Hochzeit<br />

seiner Eltern, 5000 Mark zur Verbesserung der Einkünfte<br />

des Chordirektors stiftete. So konnte die Stelle mit einem<br />

Einkommen von 1000 Mark ausgeschrieben werden.<br />

Auf Grund des neuen Ausschreibens konnte Hermann<br />

Ruoff, Lehrer am Kgl. Schullehrer-Seminar in Saulgau,<br />

am 22. April 1886 als Kantor und Chordirektor gewonnen<br />

werden. Unter Ruoff hat der Chor nach dem mehrfachen<br />

beeinträchtigenden Wechsel der Chorleiter wieder<br />

seinen früheren Leistungsstand erreicht Die Chronisten<br />

würdigen nicht nur die hohen gesanglichen Leistungen<br />

41


des Chores, sondern auch die Vielseitigkeit des musikalischen<br />

Leiters. So hat der Kirchenchor unter Ruoff zum<br />

ersten Mal sich mit vollem Erfolg an die Aufführung<br />

kirchenmusikalischer Chorwerke und Oratorien von<br />

Haydn und Händel gewagt. Es war eine große Enttäuschung<br />

für den Chor und die Pfarrgemeinde, daß<br />

H. Ruoff im Oktober 1903 sein Amt niederlegte, um einen<br />

neuen Wirkungskreis in München zu übernehmen.<br />

Ruoffs Nachfolger, Josef Keinradl, war als Chordirektor<br />

nur vom 1. Januar 1904 bis Ende Juli 1904 im Amt.<br />

Unter ihm wurde erstmals bei der Auferstehungsfeier an<br />

Stelle des bis dahin üblichen „Halleluja" von Händel<br />

das Chorwerk „Attollite portas" von Ett, das dann<br />

Jahrzehnte lang seinen Platz in der Osterliturgie behauptete,<br />

zur Aufführung gebracht.<br />

Nachfolger von Keinradl war Domorganist Richard<br />

Hoff aus Fünfkirchen (Ungarn), geboren am 10. Mai<br />

1875 in der Nähe von Mönchen-Gladbach (Niederrhein),<br />

und zwar ab 15. September 1904. Richard Hoff hat als<br />

Chordirektor und als Musikdirektor dank seiner hohen<br />

musikalischen Begabung und seiner virtuosen Beherrschung<br />

mehrerer Musikinstrumente bedeutungsvolles, hohes<br />

musikalisches Wirken entfaltet. Nach seiner Ausbildung<br />

in der Musik war er 4 1 /* Jahre als Organist an der<br />

Pfarrkirche in Mönchen-Gladbach tätig, um 1896 die<br />

Stelle des ersten Domorganisten in Fünfkirchen anzutreten.<br />

Ab 1904 war Hoff Chordirektor des Kirchenchores<br />

St. Johann. Neben der Leitung des Chores betätigte er<br />

sich mit größtem Erfolg als Leiter verschiedener musikalischer<br />

und gesanglicher Vereine und Vereinigungen -<br />

in einer betont musikfreundlichen und gesangsfreudigen<br />

Zeit. Ihm war die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft<br />

verliehen worden. Es ist, wie bei seinen beiden<br />

Nachfolgern nicht möglich, auf die Aufführung bedeutender<br />

Chorwerke einzugehen. Richard Hoff ist mit hohem<br />

Rang in die Geschichte unseres Kirchenchores eingegangen.<br />

Er ist am 24. Oktober 1940 gestorben<br />

Ihm folgte Dr. Johannes Maier, geboren am 13. April<br />

1902 in Inneringen, Chordirektor an der Herz-Jesu-<br />

Pfarrei Regensburg. Auch Dr. Maier hat sich seinem<br />

Amt als Chordirektor mit ganzer Hingabe und hohem<br />

musikalischen Können gewidmet.<br />

Seine kirchenmusikalischen Aufführungen reihten sich<br />

würdig an die seines Vorgängers Hoff an. Hohe Verdienste<br />

hat sich Dr. Maier auch durch seine literarischen<br />

Arbeiten als Musikberichterstatter, durch seine Tätigkeit<br />

als Erzbischöflicher Orgelrevisor und Glockeninspekteur<br />

erworben. Einen würdigenden Hinweis verdient seine<br />

Dissertation „Studien zur Geschichte der Marianischen<br />

Antiphon ,Salve Regina'" (Pustet Regensburg 1938).<br />

Von seinen größeren Aufführungen sei als Beispiel die e-<br />

Moll-Messe von Anton Bruckner genannt. Förderlich für<br />

seine literarisch geschichtliche Tätigkeit war seine Anstellung<br />

als Archivar beim Fürstlich Hohenzollernschen<br />

Haus- und Domänenarchiv in Sigmaringen. Johannes<br />

Maier ist, 58 Jahre alt, am 9. Juli 1960 gestorben.<br />

Durch Beschluß des Kirchenvorstandes der Pfarrei<br />

St. Johann vom 21. September 1960 wurde als Nachfolger<br />

von Dr. Johannes Maier Karl Failer, geboren am<br />

27. Januar 1915 in Bingen-Hohenzollern, als neuer<br />

Chordirektor angestellt K. Failer hat vor seiner Berufung<br />

als Leiter von mehreren Kirchenchören im <strong>hohenzollerische</strong>n<br />

Raum und als Dirigent von weltlichen Chören<br />

u. a. als stellvertretender Gauchormeister des Zollern-Alb-Gaues<br />

gewirkt. Für seine Tätigkeit im weltlichen<br />

Chorgesang hat er die Goldene Ehrennadel des<br />

Deutschen Sängerbundes und die Silberne Dirigentennadel<br />

ebenfalls des Deutschen Sängerbundes verliehen bekommen.<br />

Zuletzt war Failer nach längerer behördlicher<br />

42<br />

Anstellung als Geschäftsführer des Deutschen Volksmusiker-Bundes<br />

tätig. Auch er hat durch die Aufführung einer<br />

Vielzahl von kirchenmusikalischen Chorwerken dem<br />

Kirchenchor seine eigene Prägung gegeben. Karl Failer<br />

ist, 60 Jahre alt, am 14. Februar 1976 gestorben.<br />

Immer wieder, so vor allem zwischenzeitlich beim<br />

Wechsel von Chordirektoren oder bei deren gelegentlicher<br />

Abwesenheit oder Verhinderung haben sich dankenswerterweise<br />

geeignete Kräfte zur Wahrnehmung der<br />

Chorleitung zur Verfügung gestellt. So haben, um nur<br />

einige wenige Namen zu nennen, in den letzten Jahrzehnten<br />

aushilfsweise den Chor geleitet Gymnasiallehrer<br />

Fridolin Gelle, Konrektor Friederich Lorch, Rektor, später<br />

Schulamtsdirektor Wilhelm Hoch, und Richter Franz<br />

Josef Burger. Als Organistin haben sich verdienstvoll betätigt<br />

u. a. Fräulein Maria Miller (ein Leben lang an der<br />

Orgel), Oberlehrer Sebastian Heck und bis in die Gegenwart<br />

Frau Gertrud Schäfer.<br />

Jahrhundertelang hat der Kirchenchor seitens des Hauses<br />

der Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen dank der<br />

musikfreundlichen Einstellung der ehemals regierenden<br />

Fürsten zur profanen und kirchlichen Musik verständnisvolle,<br />

finanzielle Förderung erfahren dürfen. Das Fürstenhaus<br />

selbst unterhielt bis ins 19. Jahrhundert lang,<br />

allerdings mit Unterbrechungen, eine eigene höfische<br />

Musikkapelle. Dieser kurze Rückblick auf die Geschichte<br />

des Kirchenchores St. Johann läßt erkennen, daß die Anstellungsverhältnisse<br />

des Chordirektors immer und immer<br />

wieder Sorge bereiteten. So fügte es sich günstig,<br />

daß das Erzbischöfliche Ordinariat Freiburg eine grundsätzliche<br />

Neuregelung der Chorleiterangelegenheit angestrebt<br />

hat. Die Lösung besteht darin, daß zum 1. Juli<br />

1977 vom Ordinariat und der Pfarrgemeinde nunmehr<br />

ein vollamtlich tätiger Bezirksmusiker angestellt wird.<br />

Sein Arbeitsbereich beschränkt sich also nicht auf die<br />

Pfarrei St. Johann, sondern umfaßt die Region Hohenzollern-Meßkirch.<br />

In diesem Bereich veranstaltet der Bezirksmusiker<br />

- neben seiner Chorleitertätigkeit in Sigmaringen<br />

- an verschiedenen Orten Fortbildungskurse<br />

und Seminare für Organisten und Chorleiter, auch für<br />

Bewerber einer solchen Funktion; er fördert den Nachwuchs<br />

und bereitet diesen auf das C-Examen vor. Ein<br />

Schwerpunkt seiner Aufgabe liegt darin, die musikalischen<br />

Kräfte im chorischen und instrumentalen Bereich<br />

so zu fördern, daß sie beispielgebend für die ganze Region<br />

sind.<br />

Auf die neue Stelle wurde Albrecht Schumacher, Chorleiter<br />

des Kirchenchores der Stadt Zwiesel in Bayern und<br />

Regionalkantor der Diözese Passau, geboren am 14. Mai<br />

1930 in Laucherthal, als Bezirksmusiker berufen. Mit ein<br />

Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt mehr als bisher neben<br />

dem traditionellen Chorgesang und dem vorstehend dargelegten<br />

Aufgabenbereich die eigenschöpferische musikalische<br />

Gestaltung kirchlicher Veranstaltungen.<br />

Es ist ein langer Weg, den der Kirchenchor St. Johann<br />

seit seiner Gründung im ausgehenden Mittelalter bis in<br />

die nachkonziliäre Zeit der Gegenwart gegangen ist. Viel<br />

Rühmliches ist geleistet worden, immer aber war der<br />

Chor auch den Zeitströmungen der Musikgeschichte ausgesetzt.<br />

Geblieben aber ist für jede Ära der Anruf, das<br />

Lob Gottes in Gesang und Musik zu verkünden. Diesen<br />

Ruf haben die schöpferischen Kräfte des Abendlandes<br />

durch die Jahrhunderte hindurch bis in die Gegenwart<br />

gehört und ernstgenommen. Dafür stehen zeitlose Meisterwerke<br />

verschiedenster Art vom Gregorianischen<br />

Choral ausgehend über die erste Blüte der Polyphonie zu<br />

Palestrina, Schütz, Bach, Händel, von der Wiener Klassik<br />

über die Romantik und den Cäcilianismus bis zu den


Meistern des 20. Jahrhunderts. Von der Vergangenheit<br />

her bleibt auch für die Gegenwart und die Zukunft der<br />

letzte Sinn des Kirchengesanges und der Kirchenmusik<br />

der Ruf des 150. Psalmes nach dem Lob Gottes: „Alles<br />

was Odem hat, lobe den Herrn".<br />

Schrifttum<br />

1. Zur Geschichte der katholischen Stadtpfarrei Sigmaringen.<br />

KARL WERNER STEIM<br />

Die Suspension des Pfarrers Josef Sprißler in Empfingen<br />

Eine Erinnerung zu seinem 100. Todestag<br />

In diesem Jahr war der 100. Todestag - am 17. Juni -<br />

des aus Inneringen stammenden Pfarrers Josef Sprißler.<br />

Er war Mitglied im Landtag des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen<br />

und Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung<br />

1848. Als Anhänger Wessenbergs trat er<br />

für dessen Auffassungen uneingeschränkt ein, und zwar<br />

wegen den liturgischen Reformen vor allem für eine größere<br />

Freiheit von Rom und für eine demokratische Kirchenverfassung.<br />

In vielem war er seinem Amtsbruder Josef<br />

Blumenstetter verwandt, mit ihm zusammen saß er<br />

auch in der Frankfurter Paulskirche. Wegen eines Antrages<br />

in der Frankfurter Nationalversammlung und einer<br />

Trauerrede auf den Revolutionär Robert Blum wurde<br />

Sprißler - damals Pfarrverweser von Empfingen - suspendiert.<br />

Josef Sprißler wurde am 6. März 1795 in Inneringen geboren.<br />

Er wurde am 3. Januar 1818 zum Priester geweiht.<br />

Schon sehr früh wurde er ein Anhänger der Ideen<br />

des Konstanzer Generalvikars Freiherr von Wessenberg<br />

und der eifrigste, freilich nicht der diplomatischste, Vorkämpfer<br />

im Sigmaringer Fürstentum für kirchliche Reformen.<br />

Nachhaltig trat er für die Beseitigung des Zölibats<br />

ein.<br />

Stadtpfarrer von Veringenstadt<br />

Von 1821 bis 1834 war Josef Sprißler Stadtpfarrer von<br />

Veringenstadt. Weil er im Jahre 1832 dem Freiburger<br />

Professor Amann zum Dank für sein Eintreten um Aufhebung<br />

des Zölibats in der Badischen Kammer eine<br />

„Dankadresse" und einen Ehrenpokal überreichte, wurde<br />

er vom Ordinariat Freiburg 1834 nach Empfingen praktisch<br />

„strafversetzt". Dem Ordinariat gegenüber hatte<br />

Sprißler beharrt: „Das Zölibat ist längst und allgemein<br />

als ein Verderben in der heiligen Kirche Gottes erkannt<br />

. . . Ich gehorche dem Rufe meines Gewissens,<br />

mein Streben ist redlich; ich kann nicht anders."<br />

Um die Gemeinde Empfingen hat sich Pfarrer Sprißler<br />

- formell war er Pfarrverweser, eine offizielle Amtseinsetzung<br />

unterblieb - in vielfältiger Weise verdient gemacht,<br />

vor allem im sozialen Sektor. Dieser Bereich verdient<br />

gelegentlich eine eigene Darstellung.<br />

Im Frankfurter Parlament<br />

Wegen seiner politischen Regsamkeit, seiner hinreißenden<br />

Redegewandtheit und seines unerschrockenen Eintretens<br />

für die Rechte des Volkes wurde er im Revolutionsjahr<br />

1848 in die Nationalversammlung als Abgeordneter<br />

des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen gewählt. Ein<br />

Hauptführer der Linken in der Paulskirche war Robert<br />

Blum, der am 9. November 1848 in Wien standrechtlich<br />

erschossen wurde. Als Pfarrer Sprißler in Frankfurt bei<br />

Von Pfarrer Friedrich Eisele. Hohenz. Mitteilungen. 58. Jahrgang<br />

1924 S. 1.<br />

2. Pfarrei und mittelalterliche Stadt zwischen oberem Neckar<br />

und Donau. Von Walter Stettner. Zeitschrift für Württbg.<br />

Landesgeschichte 1966. S. 131.<br />

3. Beitrag zur Geschichte des katholischen Kirchenchores und<br />

seiner Dirigenten von Ben;. Pfaff (C). Hohenzollerische<br />

Volkszeitung Sigmaringen Nr. 71, 72, 81, 82 und 83/1932.<br />

4. Pfarrarchiv St. Johann Sigmaringen.<br />

Pfarrer Josef Sprißler<br />

der Beratung der Grundrechte den Antrag stellte: „Niemand<br />

darf zur Erfüllung religiöser Pflichten gezwungen,<br />

und niemand kann wegen Nichterfüllung oder Verletzung<br />

derselben mit weltlichen Strafen bedroht werden"<br />

und diesem Antrag noch eine von aufklärerischem und<br />

liberalem Geist durchdrungene Begründung gab, fiel er<br />

in Freiburg vollends in Ungnade (Hans Speidel: Pfarrer<br />

Josef Blumenstetter, Zeitschrift für Hohenzollerische<br />

Geschichte, 1970).<br />

Die am 27. November 1848 in der evangelischen Kirche<br />

in Sulz gehaltene Trauerrede für den befreundeten Robert<br />

Blum gab Freiburg den letzten Anstoß, ihn seines<br />

Amtes zu entsetzen. Die Suspension bedeutet eine Amtsenthebung<br />

auf Zeit; sie kann sich auf das kirchliche Amt<br />

oder auf die Pfründe, die die materielle Basis eines<br />

kirchlichen Amtes darstellt, beziehen, oder auf beides,<br />

wie bei Sprißler.<br />

Die Suspension<br />

Das umständliche Verfahren der Suspension, das - wie<br />

sich später herausstellen sollte - keineswegs richtig war,<br />

läßt sich anhand der Personalakten Sprißlers und der<br />

43


einschlägigen Akten im Staatsarchiv genau nachempfinden.<br />

Der Vorgang muß aber hier aus Platzgründen zusammengedrängt<br />

werden.<br />

Pfarrer Sprißlers Rede erschien bald im Druck, allerdings<br />

ohne sein Zutun, wie er dem anfragenden Ordinariat<br />

gegenüber erklärte. Er habe die Rede auf Aufforderung<br />

„einer Deputation von Stadt und Oberamtsbezirk<br />

Sulz" nachträglich schriftlich abgefaßt. Sprißler hatte in<br />

der Rede Robert Blum u. a. als seinen Freund und<br />

Kampfgenossen, als „Märtyrer für unseres Volkes Freiheit<br />

und Größe und edelsten Freiheitskämpfer" bezeichnet.<br />

Im Zusammenhang mit Blums Geburtstag am<br />

10. November unterlief Sprißler mit den Worten: „Das<br />

war auch der Geburtstag eines anderen Mannes, der sein<br />

Jahrhundert, das sechszehnte, mächtig bewegt hat und<br />

dessen Name nie aus der Geschichte verschwinden wird«,<br />

auch eine Verherrlichung Martin Luthers, die ihm in<br />

Freiburg besonders übel genommen wurde.<br />

Rascher Entschluß des Ordinariats<br />

Beim Ordinariat schien der Krug Pfarrer Sprißlers übergelaufen<br />

zu sein. Ohne größere Untersuchung verhängte<br />

es schon am 23. Februar 1849 die Suspension. Sprißler<br />

bescheinigte das Suspensionsdekret und erklärte, er habe<br />

sich zwar dem Faktum der Suspension unterzogen, aber<br />

er anerkenne sie nicht zu Recht. Ferner protestierte er<br />

feierlich dagegen. Als Grund erkenne er einzig die Ausübung<br />

der bürgerlichen und politischen Rechte, die er<br />

sich nicht abstreiten lasse. Die Suspension sei ein Attentat<br />

auf das Grundrecht freier Volksversammlung, freier<br />

Meinungsäußerung und unverletztlicher Volksvertretung.<br />

Sprißler dachte aber in Wirklichkeit nicht daran, sich<br />

der Suspension zu unterwerfen. Schon am 26. März ging<br />

von ihm beim Dekanat Haigerloch eine Erklärung ein,<br />

daß er auf Andrang seiner Gemeinde wieder in die Pastoration<br />

eintrete und keine Pfarrverwesung anerkenne.<br />

Postwendend kam am 30. März aus Freiburg die Antwort:<br />

„Ein Priester, der trotz Suspension fortfährt zu<br />

pastorieren, verfällt der Sünde der Irregularität, von der<br />

er nur durch den Papst losgespochen werden kann. Eine<br />

Gemeinde, die einen solchen Pfarrer unterstützt, macht<br />

sich jener schweren Sünde teilhaftig." Irregularität bedeutet<br />

in diesem Fall soviel wie: Es fehlt ihm eine wesentliche<br />

Voraussetzung - gegeben mit seinem Ungehorsam<br />

gegen die zuständige kirchliche Obrigkeit, bestehend<br />

aus seiner Weigerung, auf die Ausübung seines Amtes zu<br />

verzichten - für die Ausübung einer kirchlichen Funktion<br />

bzw. eines kirchlichen Amtes.<br />

Sympathie-Kundgebungen<br />

Das Ordinariat sprach mit dem Hinweis auf die Gemeinde<br />

die Sympathie-Kundgebungen an, die Pfarrer Sprißler<br />

aus Empfingen und ganz Hohenzollern entgegenkamen.<br />

Die Märzvereine sandten einen mit 2500 Unterschriften<br />

versehenen Protest nach Freiburg, der aber wie die zahlreichen<br />

weiteren ohne Erfolg blieb. Unterschriften-Listen<br />

kamen aus zahlreichen Orten Hohenzollerns.<br />

Die eingesetzten Pfarrverweser Pfeffer und Schnell wurden<br />

von der Empfingener Bevölkerung offen angefeindet<br />

und zogen sich „der Gewalt weichend" wieder zurück,<br />

wie es in einem Schreiben hieß.<br />

Pfarrer Sprißler schien zu glauben, wenn ihn die Mehrheit<br />

des Volkes unterstütze, werde auch das Ordinariat<br />

nachgeben. Am 26. März ließ er sich feierlich in die<br />

Kirche einführen und legte vor ihr das Glaubensbekenntnis<br />

ab. Die Wiederaufnahme der Seelsorge meldete er<br />

auch der Fürstlichen Regierung in Sigmaringen. Er kündigte<br />

an, daß er gegen die kanonische Irregularität und<br />

die angedrohte Temporaliensperre (= Einbehaltung der<br />

Einkünfte eines Geistlichen) notfalls den Rechtsweg be-<br />

44<br />

Pfarrer Josef Sprißler<br />

schreiten und Erzbischof und Ordinariat auf Verleumdung<br />

verklagen werde. „Ich rufe den Schutz des Staates<br />

gegen das Attentat einer Temporaliensperre hiemit förmlich<br />

an", schrieb er.<br />

Hartnäckige Haltung Sprißlers<br />

Die Sigmaringer Regierung stellte sich teilweise auf<br />

Sprißlers Seite und bedauerte dem Ordinariat gegenüber,<br />

daß es „eine so tief eingreifende Einschreitung gegen<br />

Pfarrer Sprißler erkannt hat." Die Fürstliche Geheime<br />

Konferenz schrieb gar, eine Glaubensuntersuchung wegen<br />

Meinungsäußerungen, die Pfarrer Sprißler als<br />

Reichstagsabgeordneter in Frankfurt und als politischer<br />

Redner gemacht habe, „finden wir nicht nur an sich<br />

kaum gerechtfertigt, sondern wir sehen darin einen entschiedenen<br />

Mißgriff, einen Verstoß gegen die öffentliche<br />

Ordnung, gegen das Recht der Redefreiheit, insbesondere<br />

bei der Nationalversammlung." Damit hatte die Regierung<br />

einen Großteil von Sprißlers Argumenten übernommen.<br />

Weiter hieß es, das Ordinariat habe zwar das<br />

Recht, die Suspension von geistlichen Verrichtungen zu<br />

verfügen, „obwohl wir im Falle Sprißlers von Zweckmäßigkeit<br />

oder Notwendigkeit dieser Maßregel nie überzeugt<br />

werden können." Schließlich wurde angekündigt,<br />

daß man die Zustimmung zur Temporaliensperre nicht<br />

erteilen werde.<br />

Josef Sprißler nützte diesen Aufwind und schrieb dem<br />

Ordinariat, er sei für weitere Untersuchungen bereit,<br />

wenn die voreilig verhängte Suspension aufgehoben, die<br />

Untersuchung unter völliger Beseitigung seines Antrages<br />

im Frankfurter Parlament und seiner Rede auf Blum geführt<br />

werde. Außerdem sei die Untersuchung in Empfingen<br />

zu führen. Allerdings hätten damit praktisch alle gegen<br />

ihn erhobenen Vorwürfe fallengelassen werden müssen.


Versetzung<br />

Nach langem Schriftwechsel erklärte Ende des Jahres<br />

1849 das Ordinariat, man sei bereit „zur alsbaldigen Beendigung<br />

des traurigen Zustandes in Empfingen alles nur<br />

mögliche zu tun." Sprißler solle das Glaubensbekenntnis<br />

(Professio fidei) vor Zeugen ablegen und dann in einer<br />

lateinischen Bittschrift an den Papst um Aufhebung der<br />

Irregularität bitten. Am l.Juni 1850 legte Pfarrer<br />

Sprißler im Pfarrhaus in Empfingen vor drei Geistlichen<br />

des Dekanates Haigerloch das Glaubensbekenntnis ab,<br />

wie Dekan Engst bescheinigte. Am gleichen Tag suchte<br />

Sprißler beim Ordinariat erneut um Aufhebung der Suspension<br />

nach, betonte aber gleichzeitig, er habe das<br />

Glaubensbekenntnis „niemals an und für sich, sondern<br />

bloß aus äußeren, formalen, juristischen Gründen abgelegt."<br />

Die „Königliche Immédiat-Commission" in Sigmaringen<br />

faßte am 12. Februar 1851 den Beschluß - auf Vorschlag<br />

Freiburgs -, daß Sprißler Empfingen im Umkreis<br />

von 8 bis 10 Stunden innerhalb 30 Tagen zu verlassen<br />

habe. Sprißler suchte um Verlängerung bis l.Mai nach,<br />

was genehmigt wurde.<br />

In Bad Imnau<br />

Inzwischen zog Pfarrer Sprißler nach Bad Imnau zu einer<br />

„Trink- und Badekur". Er machte keine Anstalten,<br />

nach Albauf der Frist das Pfarrhaus in Empfingen zu<br />

räumen und auch Imnau zu verlassen. Im Oktober 1852<br />

vermutete das Ordinariat, wenn Sprißler noch länger in<br />

Imnau bleibe, dann unterwühle er auch diese Gemeinde,<br />

„denn er ist und bleibt ein ingrimmiger Feind der Kirche."<br />

Als letzten Ausweg, den Widerstand Sprißlers zu brechen,<br />

sah das Ordinariat die Versetzung auf den Tischtitel<br />

an. Der Tischtitel ist ein Rechtsanspruch auf standesgemäßen<br />

Unterhalt, gegeben mit der Priesterweihe. Danach<br />

hat eine Diözese die Pflicht, einen solchen Unterhalt<br />

in jedem Fall zu gewähren. Freilich ist der Tischtitel<br />

ein „Existenzminimum". Anstatt seines bisherigen<br />

Einkommens von 700 Gulden erhielt Sprißler nur noch<br />

300 Gulden. Als künftigen Aufenthaltsort für Sprißler<br />

schlug die Sigmaringer Regierung Trochtelfingen oder<br />

Hechingen vor, da die dortigen Pfarrer die „nötige<br />

Bürgschaft für gesetzesmäßiges Verhalten" Sprißlers bieten<br />

würden. Das Ordinariat war einverstanden.<br />

Streit um Tischtitel<br />

Um die Versetzung auf den Tischtitel gab es einen lange<br />

andauernden Streit Sprißlers mit dem Ordinariat. Auch<br />

die Gemeinde Empfingen und viele seiner Freunde verwandten<br />

sich - vergeblich - für ihn. Im Januar 1853<br />

erklärte Sprißler, er habe zwar Rechtsverwahrung gegen<br />

den Tisch-Titel-Erlaß eingelegt, wolle sich aber allem<br />

unterwerfen, wenn er ein „anständiges Gehalt bekomme,<br />

von dem er leben" könne. Auch Dekan Engst befürwortete<br />

Sprißlers Gesuch und verwies darauf, daß 300 Gulden<br />

für einen Priester mit 33 Priesterjahren zu wenig sei.<br />

Sprißlers Name habe früher einen guten Klang gehabt.<br />

Fast pathetisch endet das Schreiben: „Er hat gefehlt, er<br />

sieht es ein, er hat gebüßt, viel gebüßt, ist bereit noch<br />

mehr zu büßen, wenn es ihm nur vergönnt wird, schuldfrei<br />

zu leben."<br />

Das Ordinariat antwortete „scheinheilig", es habe selbst<br />

bei der Sigmaringer Regierung beantragt, ihn mit 700<br />

Gulden zu pensionieren, doch sei die Regierung auf diesen<br />

Antrag nicht eingegangen. Inzwischen schlug Sigmaringen<br />

vor, man solle Sprißler nicht nach Hechingen<br />

versetzen, sondern nach Trochtelfingen anweisen. „Dort<br />

würde er für den Fall der Neigung zu einer wühlerischen<br />

Tätigkeit weniger Spielraum finden." Darauf wies<br />

das Ordinariat Sprißler entsprechend an. Pfarrer Sprißler<br />

war aber inzwischen nach Hechingen gezogen und<br />

begründete dies mit dem milderen Klima und der dortigen<br />

Heilquelle, die er aufsuche. Regierung und Ordinariat<br />

stimmten schließlich zu.<br />

Sprißler in Hechingen<br />

Auf Anfrage, was ihm über Sprißler in Hechingen bekannt<br />

sei, teilte Dekan Bulach Ende 1854 dem Ordinariat<br />

mit, er kenne ihn zwar persönlich nicht, Sprißler<br />

komme auch nie zur Kirche, solle aber regelmäßig mit<br />

seiner Haushälterin eine Wirtschaft besuchen und mit ihr<br />

Spaziergänge machen. Die Anwort aus Freiburg: angesichts<br />

dieser Umstände könne man sich nicht in Rom für<br />

Sprißler verwenden.<br />

Anfangs 1855 schrieb Pfarrer Sprißler dem Ordinariat,<br />

Fürst Karl Anton habe seiner „traurigen Lage sich erbarmend,<br />

geruht, mir in Straßberg eine Wohnung anzuweisen."<br />

Das Ordinariat stimmte dem Umzug zu. Sprißler<br />

betreute die Filiale Kaiseringen. Sein Tischtitelgehalt<br />

war inzwischen von 300 auf 400 Gulden erhöht worden.<br />

Es scheinen sich keine neuen Schwierigkeiten ergeben zu<br />

haben, denn die Akten schweigen fünf Jahre.<br />

Erneutes Gesuch<br />

Im Jahre 1860 unternahm Sprißler wieder einmal einen<br />

Anlauf, sich mit dem Ordinariat auszusöhnen. Außerdem<br />

bat er darum, sein Gehalt von 400 auf 700 Gulden zu<br />

erhöhen und ihm rückwirkend 300 Gulden jährlich seit<br />

seiner Suspension nachzuzahlen. Das Ordinariat bezweifelte,<br />

ob Sprißlers Uberzeugung und Sinnesänderung<br />

echt seien oder nur die „Folge seiner mißlichen Lage".<br />

Einstweilen wurden ihm aber 50 Gulden aus dem allgemeinen<br />

Kirchenfond Sigmaringen bewilligt. Sprißler<br />

wurde aufgefordert, beim Papst um Aufhebung der Irregularität<br />

nachzusuchen, „dann wollen wir das Vergangene<br />

auf sich beruhen lassen". Das Ordinariat verweigerte<br />

im übrigen selbstverständlich die benatragte Nachzahlung.<br />

Für das Jahr 1861 erhielt Sprißler eine außerordentliche<br />

Zahlung von 100 Gulden bewilligt.<br />

Sprißler hatte erfahren, daß sich die Regierung in Sigmaringen<br />

früher gegen seine Pensionierung mit 700 Gulden<br />

Gehalt gewandt hatte. Jetzt forderte er die Regierung<br />

auf, diesen Einspruch zurückzunehmen.<br />

Überraschendes Ergebnis<br />

In einem Schreiben an das Ordinariat kam die Regierung<br />

zu dem überraschenden Ergebnis, „daß das gegen<br />

Pfarrer Sprißler, und zwar nicht ohne unsere Schuld eingeschlagene<br />

Verfahren dem strengen Recht nicht entspricht".<br />

Man hätte entweder Sprißler pensionieren müssen<br />

oder ein förmliches Disziplinarverfahren gegen ihn<br />

betreiben und abschließen. Die Art, wie gegen Sprißler<br />

vorgegangen worden sei, trage den Charakter der Willkür.<br />

Man schlage daher vor, Sprißler ab Jahresanfang<br />

700 Gulden Pension zu gewähren.<br />

Jetzt stimmte auch das Ordinariat zu und bot Sprißler<br />

700 Gulden Pension an und schrieb gleichzeitig, man<br />

wolle auf die früheren Vorkommnisse nicht wieder zurückkommen,<br />

falls er erkläre, daß er sich damit begnüge<br />

und auf alle Rechtsansprüche verzichten wolle. Sprißler<br />

erklärte sich mit diesen Bedingungen einverstanden,<br />

stellte aber den - sicher wieder einmal - undiplomatischen<br />

Antrag, die Pension auf jährlich 800 Gulden zu<br />

erhöhen. Das Ordinariat bewilligte aber nur die 700<br />

Gulden.<br />

Die Eingaben Sprißlers an den Papst um Aufhebung der<br />

Irregularität wollte das Ordinariat so nicht weiterreichen,<br />

da sie widersprüchlich seien. Sprißler wurde aufgefordert,<br />

die lateinische Bittschrift an den Papst neu zu<br />

fassen. Weiteres hierüber fand sich nicht in den Akten.<br />

45


Tod in Stetten bei Hechingen<br />

Am 11. November 1861 verließ Sprißler sein Domizil in<br />

Kaiseringen und zog in den Weiler Friedrichstraße bei<br />

Hechingen. Wie aus einem Schreiben des Dekanates Veringen<br />

hervorgeht, erfolgte dies „dem kundgegebenen<br />

Wunsche hoher Stelle gemäß". 1873 wohnte Sprißler<br />

dann in Stetten bei Hechingen, wo er am 17. Juni 1879<br />

- „mit der Kirche versöhnt" - starb.<br />

Während die katholischen Zeitungen in Hechingen und<br />

Sigmaringen nur eine kurze Personalnotiz veröffentlichten,<br />

würdigten die liberalen „Hohenz. Blätter" in Hechingen<br />

den Verstorbenen ausführlich: „Seine außergewöhnliche<br />

geistige Begabung aber, sein ebenso gründliches<br />

als vielseitiges Wissen und ganz besonders seine<br />

auch im Unglück bewahrte überzeugungstreue Charakterfestigkeit<br />

haben ihm die Hochachtung all derjenigen<br />

erworben, welche bei Beurtheilung Anderer nicht einer<br />

schwarzgefärbten Brille sich bedienen." Sprißler wurde<br />

ferner als „letzter hervorragender Schüler Wessenbergs"<br />

bezeichnet. Die Gemeinde Stetten bereitete Sprißler nach<br />

dem Zeitungsbericht ein feierliches Begräbnis. Dekan<br />

WALTHER FRICK<br />

Scheer war die kleinste Fürstenstadt<br />

Stiftung der Gräfin Anna Monica wurde aufgelöst<br />

Anläßlich der Auflösung der Gräfin Monica-Stiftung in<br />

Scheer - über die nachstehend Genaueres zu lesen ist -<br />

und angesichts des Umstandes, daß dieses Donaustädtchen<br />

seit der Kreisreform zum Kreis Sigmaringen gehört,<br />

dürfen ihm an dieser Stelle einmal ein paar Zeilen gewidmet<br />

werden.<br />

Zunächst zu der Stiftung: wie der Redaktionsleiter der<br />

Schwäbischen Zeitung in Sigmaringen, Herr Gerd Bantle,<br />

in Nr. 127 des Blattes mitteilt, ist die Stiftung jetzt<br />

aufgehoben worden, fast genau nach 204 Jahren, denn<br />

Maria Anna Monica, Gattin des Grafen Leopold-August<br />

zu Friedberg und Trauchburg, hat sie am Tag ihres Todes<br />

in Kraft treten lassen; das war am 17. Juni 1775.<br />

Die Gräfin war eine Enkelin des Generalfeldmarschalls<br />

Franz Anton Graf von Hohenzollern-Sigmaringen und<br />

Schwiegertochter von Wilhelm Josef Eusebius, der den<br />

Titel eines Erbtruchsessen innehatte. Eigentlich sind es<br />

zwei Stiftungen, denn die Erblasserin setzte einen »landschaftlichen<br />

Hausarmen- und Schulfonds« ein, Erbe war<br />

die Grafschaft Friedberg-Scheer, einschließlich der Herrschaft<br />

Dürmentingen. Das ursprüngliche Vermögen betrug<br />

44 600 Gulden, wovon nur die Zinsen zu verzehren<br />

waren. 1919 betrug das Vermögen fast 50 000 Mark, im<br />

gegenwärtigen Jahr aber nur noch knapp 4000. Das<br />

lohnte nicht mehr, nach Ansicht der Stiftungsverwaltung,<br />

und von Pietätlosigkeit kann hier sicher keine<br />

Rede sein, denn der Sigmaringer Landrat Dietmar Schlee<br />

als Vorsitzender der Verwaltungsbehörde ist immerhin<br />

ein Scheerer Kind. Für den Rest des Vermögens aber<br />

wird - ein lobenswerter Entschluß - eine Schrift des<br />

fürstlich hohenzollernschen Archivdirektors Eugen<br />

Schnell (nach dem in Sigmaringen die Schnellstraße genannt<br />

ist) wieder aufgelegt. Schnell hatte im hundertsten<br />

Jahr, 1875, der Stiftung diese Schrift gewidmet. Außerdem<br />

erwägt der Landkreis zur Erinnerung an die mildtätige<br />

Gräfin einen »Anna Monica-Taler« zu schaffen, für<br />

soziale Verdienste von Bürgern aus der genannten Landschaft.<br />

46<br />

Häuse nahm selbst die Einsegnung vor. Auch die Beteiligung<br />

aus Hechingen war sehr stark, ein Männerchor<br />

sang einige Choräle. Sprißler wurde an der Seite seines<br />

alten Freundes Josef Blumenstetter beerdigt.<br />

Quellen und Literatur<br />

Quellen: Erzb. Archiv Freiburg, Personalakte Josef Sprißler. -<br />

Staatsarchiv Sigmaringen, Ho 202, Preuß. Oberamt Haigerloch,<br />

Nr. 2237.<br />

Literaturauswahl: Die Suspension des Pfarrers J. Sprißler in<br />

Empfingen, früherer Reichstagsabgeordneter für Hohenzollern-<br />

Sigmaringen. Oberndorf: Brandecker 1849.<br />

Drei Beiträge zu den Vereinsblättern. Hechingen: Egersdorf<br />

1849.<br />

Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den <strong>hohenzollerische</strong>n<br />

Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen.<br />

Hechingen: A. Pretzl 1952.<br />

Rösch, Adolf: Das religiöse Leben in Hohenzollern unter dem<br />

Einfluß des Wessenbergianismus 1800-1850. Köln 1908.<br />

Speidel, Hans: Pfarrer Josef Blumenstetter. Seelsorger und<br />

Volksmann 1807-1885. In: Zeitschrift für Hohenzollerische<br />

Geschichte. 6. Band. 1970.<br />

Die Erbtruchsessen von Waldburg-Sonnenberg waren<br />

nicht die ersten und nicht die letzten Besitzer der Herrschaft<br />

Friedberg-Scheer. Das Städtchen könnte - so<br />

wird vermutet - Unterbezirks-Mittelpunkt eines Teils<br />

des Scherra-Gaus gewesen sein. Es gehörte später den<br />

Tübinger Pfalzgrafen, weshalb deren Herrenberger Nebenlinie<br />

»die Scheerer« hießen. Die Montfort zogen<br />

dann ein und sie verkauften Scheer und die Grafschaft<br />

Friedberg (Friedberg ist ein Dorf zwischen Mengen und<br />

Saulgau) anno 1290 an Habsburg; Österreich verkaufte<br />

wieder weiter an die Sonnenberger, und jedermann<br />

kennt ja die berühmte Mordgeschichte des Felix von<br />

Werdenberg zu Sigmaringen an dem Andreas von Sonnenberg<br />

zu Scheer, an die das steinerne Eingangsbild<br />

über dem Sigmaringer Schloßportal erinnert. 1786 kam<br />

die Grafschaft an Thum und Taxis, das Schloß Scheer<br />

gehört heute der Witwe des früheren Mitglieds des Geschichtsvereins,<br />

Dr. Erich Schneider-Leyer.<br />

In der Anlage erinnert Scheer sehr an Veringenstadt:<br />

hier wie dort ein Bergsporn, von einem Fluß umflossen,<br />

mit wehrhafter Burg und unten zwischen Felsen und<br />

Fluß hineingedrängt die kleine Stadt. Scheer war mit<br />

rund 900 Einwohnern übrigens am Ende des Alten Reiches<br />

die kleinste Reichsfürstenstadt überhaupt. Der Wehr-<br />

Charakter ist unübersehbar, dem jede andere Rücksicht<br />

geopfert wurde, man betrachte nur das kalte, schattige<br />

Gewinkel der zusammengepferchten Häuser direkt unter<br />

dem Schloß. Dieses selber ist eines der schönsten dreigiebeligen<br />

spätgotischen Häuser dieser Art. Der Zweck ist<br />

klar: zusammen mit dem Schlößchen Bartelstein auf der<br />

anderen Donauseite wirkte es wie ein Sperrfort an der<br />

Donau. — Der vor wenigen Jahren verstorbene Dr.<br />

Schneider-Leyer, weltweit bekannter Hundefachmann,<br />

dessen Bücher sogar in Japan übersetzt und gedruckt<br />

werden, hat zusammen mit seiner Frau jahrelang in eigener<br />

Arbeit das riesige Schloß zum Teil instand gesetzt.<br />

Mehr noch: den Rittersaal stellt die Familie Scheerer


Vereinen bei Festen zur Verfügung. Bei der Restaurierung<br />

kamen schöne, versteckte Details zum Vorschein<br />

aus verschiedenen Jahrhunderten: ein hölzerner Türbogen<br />

der Gotik, bemalte französische Tapeten, Wappen,<br />

Holzsäulen. - Zum Schloß gehört eine Art barockes<br />

Dienst-Wohnhaus, in dem Schillers Sohn Karl eine Zeitlang<br />

als Forstmann amtierte. Eduard Mörikes Bruder<br />

war etwa zur gleichen Zeit Rentamtmann der Thum<br />

und Taxis und wurde von seinem Dichterbruder 1828<br />

und 29 besucht, der hier einige seiner schönsten Gedichte<br />

geschrieben haben soll.<br />

Das berühmteste freilich, was Scheer aufzuweisen hat,<br />

sind die goldenen Kopf-Reliquien der Geschwister Wunibald,<br />

Willibald und Walpurgis. Sie sollen zum Besten<br />

gehören, was es aus karolingischer (?) Zeit an Goldschmiedearbeiten<br />

gibt, und sie werden jährlich am 1. Mai<br />

in Prozession durch die Stadt getragen. Alle drei Geschwister<br />

waren Mitarbeiter des heiligen Bonifatius, der<br />

der Vetter der drei war, also alles Engländer. Wunibald<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Vom Dreschen einst und jetzt<br />

Im Buch des Propheten Isaias, der ums Jahr 740 vor<br />

Christus schrieb, ist im Kapitel 41,15 die bildliche Rede<br />

von einem Dreschschlitten, der mit scharfen und schneidenden<br />

Kufen die Hügel zu Streu zermahlt. Diese werde<br />

man gegen den Wind werfen, der die schwer niederfallenden<br />

Körner von den leicht verfliegenden Hülsen<br />

trennt: eine uralte Art des Dreschens. Bei uns redet man<br />

beim Korn (Vesen oder Dinkel) von »Spruier und Keanna<br />

(Körnern), beim Haber aber von Healba. Ähnliche<br />

Dreschsitten finden sich noch heute bei primitiven Völkern<br />

in Missionsländern. Die Schlitten werden von Menschen<br />

oder Tieren auf dem ausgebreiteten Getreide hin<br />

und her gezogen und drücken die Körner von den Halmen.<br />

Ähnlich hat man noch in unserer Jugend das Korn<br />

(Vesen) durch die hin und hergezogenen schweren und<br />

mit tiefen Längsrillen versehenen Eisenwalzen von dem<br />

Stroh befreit. Die Körner wurden anschließend mittels<br />

handgetriebene Säuber- oder Putzmühlen mit Windrädchen<br />

gereinigt. Noch vor der genannten Walze bei größeren<br />

Bauern war das Dreschen mit dem Dreschpflegel<br />

allgemein üblich: in melodischem Dreier- oder gar Sechsertakt,<br />

je nach eigenen oder gemieteten Teilnehmern,<br />

hörte man fast ins Frühjahr hinein den Klang der Drescher<br />

aus den Scheuertoren. Die Flegel bzw. »Pflegel«<br />

bestanden aus dem langen handgerechten Stiel, an dessen<br />

oberem Ende ein schweres Schlagholz mittels Riemen am<br />

Pflegelhaupt befestigt war. Sowohl beim Handdreschen<br />

als beim »Walzen« mußten die auseinandergelegten Garben<br />

mehrmals gedreht und aufgeschüttelt werden, daß<br />

die begehrten Körner herausfielen. Vesenkörner ohne<br />

Hüllen, letztere Spreuer genannt, heißt man Kernen.<br />

Das gerade gebliebene ungebrochene Stroh hieß Schaub.<br />

Der Schaub von Roggen wurde um 1900 noch in Ringingen<br />

zu einem Strohdach verwendet, sonst meist zur<br />

Verlängerung der (Holz-) Wieden zum Garben- und<br />

Reisigbinden verwendet, oder zu Streu im Stall mittels<br />

einer zwischen zwei Balken befestigten Sense (Seages)<br />

klein geschnitten. Das Wort Dreschen bedeutet ursprünglich<br />

übrigens nicht schlagen oder klopfen, sondern »treten«.<br />

Man ließ nämlich seit uralter Zeit auch die Körner<br />

durch Menschen oder Tiere vom Stroh wegtreten. In<br />

ist 701 in Wessex geboren und gründete das Kloster am<br />

Hahnenkamm bei Heidenheim in Bayern, wo er auch<br />

begraben liegt. Willibald war der erste Bischof von Eichstätt,<br />

und Walburga, deren Tag der l.Mai ist, lebt in<br />

der Walpurgisnacht fort. Der Zusammenhang mit dieser<br />

Hexennacht ist aber - jedenfalls mir - nicht klar. Die<br />

wundervollen romanischen Köpfe jedenfalls nehmen jeden<br />

gefangen, der sie zum erstenmal sieht. Wie sie nach<br />

Scheer kamen, ist eine eigene Geschichte: aus einem nicht<br />

bekannten Grund fühlte sich der Truchseß Christoph,<br />

der Scheer in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts innehatte,<br />

dem heiligen Wunibald verbunden und bat den<br />

Markgrafen von Ansbach um die Überlassung eben dieser<br />

Büste. Der Markgraf, dessen Haus lutherisch geworden<br />

war, schien seinerseits kein großes Interesse an den<br />

Reliquien gehabt zu haben und schenkte alle drei nach<br />

Scheer. Daher kommt es, daß seither so auffallend viele<br />

Buben in Scheer Wunibald heißen; es gibt heute noch einige<br />

davon.<br />

meiner Jugend war noch das »Tretten« üblich neben den<br />

andern Drescharten. Über die dicht auf der Tenne ausgelegten<br />

geöffneten Garben jagte man das noch nüchterne<br />

Vieh im Kreis herum zum Abtreten der Körner. Daher<br />

kommt auch der Bibelspruch: Einem dreschenden Ochsen<br />

sollst Du das Maul nicht verbinden. Tretten war besonders<br />

beliebt zur schnellen Gewinnung von Saatfrucht,<br />

wenn man nicht gerade »baußen« wollte. Beim letzterem<br />

schlug man (baußen-bossen, vgl. Amboß) mit dem Pfleger<br />

nur kurz an ungeöffneten, vom Barn auf den »Schuirtenna«<br />

herabgeworfene Garben die Ähren ab. Beim<br />

Tretten mußte für Notfälle, d. h. um etwaige Zugaben<br />

aus dem Darm der Tiere abzufangen, immer ein handliches<br />

Kübele bereitstehen.<br />

Dann kamen Maschinen in Mode, erst mit Hand- dann<br />

mit Göpelantrieb. Der Name des letzteren scheint der<br />

des Erfinders zu sein. Im Kreis laufende Tiere setzten<br />

ein Räderwerk in Bewegung, das mittels Riemen oder<br />

Transmission auf die Dreschmaschine übertragen wurde.<br />

Ums Jahr 1910 kamen bei uns durch die Gebrüder Dorn<br />

vom Weiler Haid die mit Dampfkraft getriebene fahrbare<br />

große Dreschmaschine auf, die in einem Zug drosch<br />

und säuberte, aber die ganze Nachbarschaft oder Verwandtschaft<br />

mit in Anspruch nahm, und in 1-2 Tagen<br />

bei ungeheurer Staubentwicklung in der Scheuer die<br />

Ernte eines mittleren oder größeren Bauern erledigte.<br />

Für uns Kinder war der qualmende Dampfkessel vor<br />

dem Haus, die »Dampfede« (man nannte das Ganze<br />

auch »Dampfen«, statt dreschen), ein höchst interessanter<br />

Gegenstand. Einmal erzeugten fliegende Funken<br />

dann noch zum Überfluß einen Scheunenbrand in der<br />

»Sonne«. Vielerorts, besonders im Badischen hat man<br />

diese Dreschmaschinen unter offenen Schuppen aufgestellt,<br />

wo aber die Witterung auch große Schwierigkeiten<br />

bereiten konnte bei Kälte und Sturm. Als ab 1914 die<br />

Elektrizität aufkam, schafften im Lauf der Jahre die<br />

größeren Bauern eigene kleine Dreschmaschinen an, bei<br />

denen man sich je nach Arbeits- und Wetterlage mehr<br />

Zeit lassen konnte.<br />

Erst durch die Mähdrescher nach dem zweiten Weltkrieg<br />

kam eine grundlegende Änderung: Man schnitt und sor-<br />

47


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> Geschiehtsverein<br />

Karlstr. 3, 7480 Sigmaringen<br />

W <strong>3828</strong> FX<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

tierte das Getreide nun direkt auf dem Acker. Ist die<br />

Ernte im Unterland beendet, so ziehen die Inhaber dieser<br />

Mähdrescher auch auf die hohe Alb zur Arbeit und unterstützen<br />

seitdem die auch dort eingebürgerten bei der<br />

naturbedingten späteren Ernte. Der Scheuerstaub, dieser<br />

tückische Feind des Landwirts, ist damit fast ausgeschaltet<br />

und 2-3 Männer leisten mithilfe der Maschine die<br />

ganze Erntearbeit, ähnlich wie bei der Heu- und Oehmd-<br />

Ergänzungen zu Simmri und Kratten<br />

Im Bericht des letzten Heftes Seite 32 scheinen zwei verschiedene<br />

Dinge verwechselt zu sein. Ein Simmri ist niemals<br />

ein Kratten oder Korb. Auf der Alb bedeutet Krätten<br />

die Mehrzahlform von Kratten, dem das lateinische<br />

crates (nicht cratus!) zugrunde liegt, in der Bedeutung<br />

„Geflecht". Die anfragende Frau aus der Tübinger Gegend<br />

meinte einen Krätten bzw. Kratten mit Fassungsvermögen<br />

eines Simmri. Dieses ist niemals aus Ruten<br />

oder schwilkenen Weiden geflochten, da es für Getreide<br />

völlig unbrauchbar wäre, weil nicht dicht! Es wird vielmehr<br />

aus einem sehr dünn gehobelten frischen Holzbrett<br />

zu einer Trommel oder kleinen Tonne zusammengebogen<br />

mit Boden versehen und verleimt, auch an den Rändern<br />

mittels Eisenblech verstärkt und hat über der Öffnung<br />

oben einen eisernen Steg, der als Handhabe dient. Die<br />

Burladinger „Meßmacher" waren somit beileibe keine<br />

Krattenmacher. Mit „Meß" war ein Hohlmaß, mit<br />

„Maß" aber ein Längenmaß gemeint, wie das Ringinger<br />

Fleckenbüchle von 1530 ausdrücklich sagt (Mitt. Hohz.<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. Geschichtsverein.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie<br />

will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut<br />

machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezungspreis: 6,00 DM jährlich.<br />

Konten der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

123 63-707 Postscheckamt Stuttgart<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Jakob Bizer, Oberlehrer a. D.<br />

7411 Trochtelfingen-Mägerkingen<br />

Karl Werner Steim, Redakteur<br />

Dürerstraße 5, 7481 Bingen 1<br />

Josef Mühlebach, Landesverw.-Rat a. D.<br />

Leopoldstraße 41, 7480 Sigmaringen<br />

Walther trick, Journalist<br />

Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />

Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei Joh. Adam Kraus, Erzb. Archivar i. R.<br />

KG, 7480 Sigmaringen, Karlstraße 10. Badstraße 8, 7800 Freiburg<br />

48<br />

ernte, wo die neu entwickelten Ladewägen, Heuwender<br />

usf. einen schnellen Umschwung brachten. Freilich, die<br />

naturgemäß damit herbeigeführten soziologischen Folgen<br />

dieser Entwicklung von der Familienarbeit zur Arbeit einiger<br />

Wenigen sind noch nicht abzusehen. Man denke<br />

nur an die Entwurzelung der Landjugend, die schon mit<br />

der Fortnahme in auswärtige Schulen (auch der Erstkläßler!)<br />

ihren Anfang nimmt.<br />

1924). Der Inhalt eines Simmri und der übrigen Maße,<br />

auch Längenmaße früherer Zeit, waren je nach Landstrich<br />

verschieden, wie im „Hohenzollerischen Jahresheft"<br />

1936, 120-179 und Nachtrag daselbst 1962,<br />

228-230 ausführlich dargetan ist („Ehemalige Maße<br />

und Gewichte in Hohenzollern und Umgebung"). Seit<br />

der Neuordnung und Vereinheitlichung des Maßwesens<br />

um 1870 schufen die Burladinger Meßmacher ihr Viertel<br />

oder Simmri mit 20 Liter, vorher faßte es im Zollerischen<br />

23,27 Liter. Auf einfachste Weise hat Meßmacher<br />

Heim in der Burladinger Pfarrgasse um 1934 durch einen<br />

schräg vom oberen Rand zum entgegengesetzen Boden<br />

gesteckten Stab den Inhalt kontrolliert bzw. justifiziert,<br />

da ja damals kein Eichzwang mehr bestand, die<br />

Simmri aber beim Fruchtmessen sehr beliebt blieben. Das<br />

Gewicht des Inhalts eines Simmri oder Viertels ließ nach<br />

mit dem natürlichen Feuchtigkeitsschwund („die Frucht<br />

schweint") des gelagerten Getreides, entsprechend auch<br />

das eines Scheffelsackes mit acht Simmri. Kr.<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen (Telefon 07574/2329)<br />

Redaktionsausschuß:<br />

Walther Frick, Journalist,<br />

Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />

(Telefon (07571/8341)<br />

Manfred Hermann, Pfarrer,<br />

7451 Neufra/Hohenz. (Tel. 07574/442)<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser<br />

wieder; diese zeichnen für den Inhalt der<br />

Beiträge verantwortlich. Mitteilungen der<br />

Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters<br />

oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.


HOHENZOLLERISCHE<br />

HEIMAT<br />

Herausgegeben oom<br />

W <strong>3828</strong> FX<br />

Hohenzollerlfchen Gefchlchteoercln<br />

29. Jahrgang Nr. 4/Dezember 1979<br />

»Anbetung der Hirten«, Relief vom Hochaltar der Schloßkirche Haigerloch. Der Hochaltar wurde im Jahre 1609<br />

geweiht. Er gehörte zu jener Gruppe reicher architektonischer Altarbauten, als deren glänzendste Vertreter der<br />

Hochaltar zu Überlingen und die Choraltäre zu St. Ulrich in Augsburg gelten. Das Relief der Anbetung der Hirten<br />

befindet sich im Hochaltar auf bau zwischen den Heiligen Christophorus und Sebastian. Es ist voll Leben und Bewegung<br />

und von packendem Realismus. Leider ist der Künstler nicht bekannt. Mehrere Plastiken des Hochaltars<br />

stammen aber von Virgilius Moll.<br />

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# Eine gesegnete Weihnacht und, ein gutes neues Jahr 0<br />

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I wünscht ihren Lesern die „Hohenzollerische Heimat" J<br />

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WILHELM HAASE<br />

100 Jahre Landgericht Hechingen<br />

Am 1. Oktober 1879, also vor 100 Jahren, traten die sogenannten<br />

»Reichsjustizgesetze«, u. a. das Gerichtsverfassungsgesetz,<br />

die Zivilprozeßordnung und die Strafprozeßordnung,<br />

in Kraft. Mit ihnen schuf sich das damals<br />

junge Deutsche Reich eine einheitliche Gerichtsorganisation<br />

und ein einheitliches Verfahren in bürgerlichen<br />

Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen. Die Einführung<br />

eines das ganze Reichsgebiet umfassenden Strafrechts<br />

war 1872 vorausgegangen. Das einheitliche Bürgerliche<br />

Recht sollte ab 1. Januar 1900 folgen. Seit dem 1. Oktober<br />

1879 gibt es in Hechingen ein »Landgericht« und ein<br />

»Amtsgericht« unter diesen Bezeichnungen. Im folgenden<br />

soll der Versuch unternommen werden, Vorgeschichte<br />

und Geschichte des Landgerichts Hechingen auf<br />

dem Hintergrund der staatsrechtlichen Entwicklung<br />

nachzuzeichnen.<br />

Trennung von Justiz und Verwaltung<br />

Das Revolutionsjahr 1848 brachte mit der damals publizierten<br />

Landesverfassung 1 des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen<br />

den Anfang einer Entwicklung, die sich<br />

in der Bundesrepublik Deutschland erst in der zweiten<br />

Hälfte unseres Jahrhunderts vollendet hat: Die Trennung<br />

von Justiz und Verwaltung und die Unabhängigkeit<br />

der Richter. In der Höchsten Verfügung vom<br />

14. Juli 1848 heißt 2 es:<br />

»Seine Hochfürstliche Durchlaucht haben durch Höchstes<br />

Reskript vom 13. dieses gnädigst angeordnet, daß<br />

die zugesicherte Trennung der Justiz von der Verwaltung<br />

nunmehr vollzogen werde und daher die Errichtung<br />

eines Oberamtsgerichts als Justizbehörde und eines<br />

Oberamts als Verwaltungsbehörde beschlossen.«<br />

Der Justizrat Werner wurde unter Beibehaltung dieses<br />

Titels zum Oberamtsrichter in Hechingen ernannt. Weitere<br />

Richter wurden berufen. Man muß also davon ausgehen,<br />

daß sie die ersten mit richterlicher Unabhängigkeit<br />

ausgestatteten Richter in Hechingen waren. Denn<br />

§ 20 der Landesverfassung für Hohenzollern-Hechingen<br />

vom 16. Mai 1848 3 besagte:<br />

»Kein Staatsdiener, der ein Richteramt bekleidet, kann<br />

aus irgend einer Ursache ohne richterliches Erkenntnis<br />

seiner Stellung entsetzt, entlassen oder auf eine geringere<br />

Dienststelle versetzt werden.«<br />

Ein Fürstliches Appellationsgericht, bei dem aber die<br />

Trennung von Justiz und Verwaltung noch nicht vollzogen<br />

war, bestand in Hechingen weiter 4 . Gericht der 3.<br />

Instanz war damals nach einem schon älteren Staatsvertrag<br />

5 das Königlich Württembergische Obertribunal in<br />

Stuttgart.<br />

Diese Verhältnisse sollten sich jedoch bald ändern. Wurden<br />

doch schon im März 1850 die beiden Hohenzollernschen<br />

Fürstentümer aufgrund Vertrages vom Dezember<br />

1849 6 mit dem Königreich Preußen vereinigt und die<br />

Preußische Staatsverfassung in den neuen Landesteilen<br />

eingeführt 7 . Das bisherige »Fürstliche Oberamtsgericht«<br />

nannte sich von da ab »Königliches Oberamtsgericht«.<br />

»Königliches Oberamtsgericht«-<br />

Von dieser Äußerlichkeit abgesehen, mußte es der preußische<br />

Staat als seine Aufgabe ansehen, die Verhältnisse<br />

in Hohenzollern den preußischen unter Beachtung der<br />

hiesigen Gegebenheiten anzupassen. So wurden schon im<br />

Juli 1850 8 das Preußische Appellationsgericht in Arnsberg<br />

(Westfalen) in gewissem Umfange in Zivilsachen<br />

50<br />

zum Gericht 2. Instanz, das Preußische Obertribunal in<br />

Berlin zum Gericht 3. Instanz für die »Hohenzollerischen<br />

Lande«, wie die amtliche Bezeichnung damals lautete,<br />

bestellt. Das Appellationsgericht in Hechingen bestand<br />

indes daneben bis zum 31. Dezember 1851 weiter.<br />

Am 1. Januar 1852 9 trat nämlich in Hohenzollern die<br />

Gerichtsorganisation in Kraft, wie sie Preußen seit dem<br />

1. April 1848 hatte, freilich mit einigen, die besondere<br />

Lage Hohenzollerns berücksichtigenden Abänderungen.<br />

Aus dem Oberamtsgericht Hechingen wurde das Kreisgericht<br />

Hechingen. Dies war jedoch bedeutend mehr, als<br />

nur der Austausch einer Bezeichnung. Die frühere Residenz<br />

Hechingen wurde Sitz dieser das ganze <strong>hohenzollerische</strong>-Gebiet<br />

umfassenden Gerichtsbehörde. So fand man<br />

einen Ausgleich dafür, daß die frühere Residenz Sigmaringen<br />

das Regierungspräsidium erhielt. Schon damals<br />

war der Sitz einer Staatsbehörde für eine Stadt eine bedeutende<br />

Sache.<br />

Zum ersten Kreisgerichtsdirektor in Hechingen wurde<br />

der Kreisgerichtsrat Fischer aus Coesfeld in Westfalen<br />

berufen, der dieses Amt bis zum Beginn seines Ruhestandes<br />

im Jahre 1869 versehen hat. Im Dezember 1851 wies<br />

ihn das Preußische Justizministerium an 10 :<br />

». . . Sie haben sich angesichts dieses nach den Hohenzollernschen<br />

Landen hinzubegeben, um, womit Sie hiermit<br />

zugleich beauftragt werden, die nötigen Vorbereitungen<br />

zu der am 1. Januar k. J. durch Sie zu bewirkenden Installierung<br />

der Gerichtsbehörden schleunigst zu treffen.«<br />

Im übrigen wurden »in den Hohenzollernschen Landen<br />

vorgefundene Beamte« dem Kreisgericht bzw. den Kreisgerichtsbehörden<br />

zugewiesen, darunter der bereits erwähnte<br />

Justizrat Werner aus Hechingen. Der neue<br />

Kreisgerichtsdirektor muß für damalige Verhältnisse (die<br />

Bahn erreichte Hechingen erst viel später) schnell gereist<br />

sein, der vom Justizministerium im Sommer 1851 nach<br />

Hechingen zu diesem Zweck entsandte Staatsanwalt<br />

Gieseke aus Potsdam gute Vorarbeit geleistet haben.<br />

Denn nach einer am 27. Dezember 1851 veröffentlichten<br />

Bekanntmachung 11 des Kreisgerichtsdirektors Fischer bestand<br />

das Kreisgericht für die Hohenzollernschen Lande<br />

aus<br />

»1.) dem Kreisgerichtskollegium zu Hechingen<br />

2.) aus folgenden, von dem Kreisgerichte ressortierenden<br />

Kommissionen<br />

a) einem Einzelrichter zu Gammertingen<br />

b) einem Einzelrichter zu Wald<br />

c) zweien Einzelrichtern zu Sigmaringen.«<br />

Hofgericht Sigmaringen aufgehoben<br />

Damit entfiel u. a. auch das bisherige Hofgericht zu Sigmaringen.<br />

Zu dem unmittelbaren Kreisgerichtsbezirk gehörten<br />

die Oberamtsbezirke Hechingen, Haigerloch und<br />

Glatt, ferner aus dem Oberamt Trochtelfingen die Ortschaften<br />

Salmendingen, Melchingen und Ringingen. Für<br />

verschiedene Orte war die Abhaltung von Gerichtstagen<br />

vorgesehen. Bürgernähe war also schon damals gefragt.<br />

Man denke auch an die damaligen, mit den heutigen<br />

nicht vergleichbaren Verkehrsverhältnissen. Insgesamt<br />

wohnten in den Hohenzollernschen Landen und damit<br />

im gesamten Bezirk des Kreisgerichts damals rund<br />

67 000 Seelen 12 .<br />

An dieser Einteilung ist auffällig, daß es für das gesamte<br />

Unterland des früheren Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen<br />

nur das Kreisgerichtskollegium in Hechingen


als Gericht gab. Die insbesondere in Glatt und Haigerloch<br />

vorgesehenen Gerichtstage boten keinen ausreichenden<br />

Ersatz dafür, daß es bislang in beiden Orten eigene<br />

Justizämter gegeben hatte. Vorstellungen führten dann<br />

auch dazu, daß bereits am 1. September 1854 13 sowohl in<br />

Haigerloch als auch in Glatt Gerichtskommissionen mit<br />

Einzelrichtern eingesetzt wurden. Da sich auch Sigmaringen,<br />

wie man heute sagen würde, »unterrepräsentiert«<br />

fühlte, gab es vom gleichen Zeitpunkt ab in dieser früheren<br />

Residenz eine »beständige kollegialische Gerichtsdeputation«<br />

mit nahezu voller Zuständigkeit eines Kreisgerichts.<br />

Man sieht also, daß König, Regierung und Parlament<br />

in Preußen anpassungsfähig genug waren, um eigene<br />

frühere Entscheidungen zu korrigieren und die besonderen<br />

Gegebenheiten des weit entfernt liegenden Hohenzollerns<br />

zu berücksichtigen.<br />

Organisation<br />

Ein kurzes Wort über die uns heute eigenartig anmutende<br />

Organisation des damaligen Preußischen Kreisgerichts<br />

scheint angebracht zu sein 14 . Bei den Kreisgerichten handelte<br />

es sich um kollegiale, in Abteilungen gegliederte<br />

Behörden in Verbindung mit Einzelrichtern. Wenn die<br />

Struktur eines Gerichtssprengeis es erforderte, sah das<br />

Gesetz die Möglichkeit vor, Bezirksrichter oder Gerichtskommissionen<br />

(z. B. Haigerloch, Gammertingen),<br />

ggf. sogar kollegiale Gerichtsdeputationen (z. B. Sigmaringen)<br />

an anderen Orten des Gerichtssprengeis einzurichten.<br />

Sie sind vergleichbar etwa dem, was wir heute<br />

als Zweigstelle eines Gerichts zu bezeichnen pflegen, wobei<br />

die Zweigstelle allerdings unterschiedliche Struktur<br />

und Zuständigkeiten (Einzelrichter oder Kollegium) haben<br />

konnte. Das Kreisgericht hatte Zivil-, Strafsachen<br />

und Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zu<br />

behandeln. Für das Kreisgericht Hechingen galt - offensichtlich<br />

wegen der weiten Entfernung zum Appellationsgericht<br />

Arnsberg -, daß das Kreisgerichtskollegium<br />

in gewissem Umfange an die Stelle des Appellationsgerichts<br />

in Arnsberg trat. Die für Strafsachen 2. Instanz<br />

gebildete besondere Abteilung des Kreisgerichts Hechingen<br />

konnte nicht entscheiden, wenn nicht wenigstens 5<br />

Mitglieder anwesend waren 15 . Wir haben also die Eigentümlichkeit<br />

zu verzeichnen, daß ein Urteil des Kreisgerichts<br />

Hechingen im Rechtsmittelzug wiederum an das<br />

Kreisgericht Hechingen (natürlich in anderer Besetzung<br />

der Richterbank) gelangen konnte. Ein Umstand, der<br />

unseren heutigen Vorstellungen nicht mehr entspricht.<br />

Für die Veröffentlichungen des Kreisgerichts (z. B.<br />

Zwangsversteigerungen, Entmündigungen, für die man<br />

damals freilich andere Bezeichnungen hatte) gab es im<br />

Jahre 1852 ein von der Ribler'schen Hofbuchdruckerei<br />

gedrucktes » Amtsblatt für das Königliche Kreisgericht<br />

und Oberamt zu Böbingen«.<br />

Das Kreisgericht \rr zunächst im Dikasterialgebäude<br />

(griechisch: Dikastenon = Gerichtshof) in der früheren<br />

Schrannenstraße, jei-t Kaufhausstraße, in Hechingen<br />

untergebracht. An der Sv-.we des inzwischen abgerissenen<br />

Gebäudes befindet sich heute ein Parkplatz. Das<br />

Schwurgericht tagte zunächst im Koller'schen Badehaus.<br />

Im Jahre 1876 konnte dann der Neubau in der Heiligkreuzstraße<br />

bezogen werden (vgl. hierzu Hohenzollerische<br />

Zeitung vom 9. 8. 1979), der heute noch der - freilich<br />

inzwischen längst nicht mehr ausreichende - Sitz<br />

der Hechinger Justiz ist. Die Durchsicht alter Akten<br />

vermittelt die auch für heutige Behördenleiter im gewisen<br />

Sinne tröstliche Erkenntnis, daß die Sorge um Personal<br />

und Ausstattung (z, B. Räume, Bibliothek) ständige<br />

Begleiterin des neuen Kreisgerichtsdirektors war.<br />

Landgericht gebildet<br />

Die Umgestaltung der politischen und staatlichen Verhältnisse<br />

durch die Gründung des Deutschen Kaiserreiches<br />

im Jahre 1871 führte dann zur Vereinheitlichung<br />

des Gerichtswesens im ganzen Reiche. Das umfangreiche,<br />

vor 100 Jahren in Kraft getretene Gesetzgebungswerk<br />

brachte nicht nur die Umbildung des Kreisgerichts in das<br />

heutige Landgericht, sondern machte auch aus den bisherigen<br />

unselbständigen Gerichtskommissionen und aus der<br />

bisherigen unselbständigen Gerichtsdeputation zwar der<br />

Dienstaufsicht des nunmehrigen Landgerichtspräsidenten<br />

unterstehende, aber organisatorisch gelöste, also selbständige<br />

Gerichte, nämlich die Amtsgerichte. Für den Landgerichtsbezirk<br />

Hechingen waren dies die Amtsgerichte<br />

Gammertingen, Haigerloch, Hechingen, Sigmaringen<br />

und Wald. Die Gerichtsbehörde in Glatt ging ein. Die<br />

Amtsgerichte Gammertingen und Wald wurden im Jahre<br />

1932 Opfer von Sparmaßnahmen und aufgehoben lc . Die<br />

Geschichte des Amtsgerichts Hechingen beginnt also am<br />

1. 10. 1879. Seither gibt es auch beim Amtsgericht ein<br />

51


Schöffengericht in Hechingen. Das Landgericht war damals<br />

mit einem Präsidenten, einem Direktor und 6 Richtern<br />

besetzt, während das Amtsgericht 3 Richter hatte.<br />

Der für die ordentliche Gerichtsbarkeit gültige vierstufige<br />

Aufbau in Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte<br />

und Reichsgericht ist seitdem im Gebiet der Bundesrepublik<br />

Deutschland unverändert geblieben. Lediglich<br />

trat an die Stelle des 1945 eingegangenen Reichsgerichts<br />

in Leipzig im Jahre 1950 der Bundesgerichtshof in<br />

Karlsruhe. Das für den Landgerichtsbezirk Hechingen<br />

zuständige Oberlandesgericht war ab 1. Oktober 1879 in<br />

der 1866 preußisch gewordenen früheren Reichsstadt<br />

Frankfurt/Main zu finden, die immerhin näher zu Hechingen<br />

als Arnsberg liegt.<br />

Als ein für die Rechtspflege epochales Ereignis, wie es<br />

sich uns heute darstellt, hat man die Einführung der<br />

Reichsjustizgesetze damals in Hechingen wohl nicht<br />

empfunden. Schließlich hatte es in den vorangegangenen<br />

30 Jahren manche Änderung auf dem Gebiete der<br />

Rechtspflege gegeben und war Hechingen als Gerichtssitz<br />

erhalten worden! So befaßte sich die Presse mehr<br />

mit Einzelheiten. Es wird z. B. hervorgehoben, daß die<br />

neue Zivilprozeßordnung »oft ungeheuerliche Kunstausdrücke«<br />

abschafft. Man brauche z. B. nicht mehr »civiliter<br />

zu prozessieren«, sondern werde künftig eine »bürgerliche<br />

Rechtsstreitigkeit« anhängig machen. Auch werde<br />

die Klage dem Beklagten nicht mehr »insinuiert«,<br />

sondern »zugestellt«. Eine Pfändung durch den neugeschaffenen<br />

Gerichtsvollzieher werde »sich in Zukunft<br />

nicht in der früheren gemütlichen Art und Weise abmachen<br />

lassen.« Es gebe Grund für den Schuldner, »nach<br />

ergangenem Urteil die Befriedigung des Gläubigers tunlichst<br />

bald zu bewirken.« »Zahlen muß er schließlich<br />

doch, deshalb zahle er möglichst rasch.« Ob sich der<br />

letzte Satz wohl immer bewahrheitet hat?! Zum Verständnis<br />

sei hinzugefügt, daß »Exekutionen«, also<br />

Zwangsvollstreckungen, bis dahin Sache der Gemeindebehörden<br />

waren.<br />

Amtsgerichtsbezirke<br />

Wenn sich auch die Gerichtsstruktur selbst bei uns in den<br />

letzten 100 Jahren erhalten hat, so verdeutlicht dem<br />

heutigen Betrachter der Inhalt der an sich nur Äußerlichkeiten<br />

regelnden Bestimmungen der Jahre 1878 und<br />

1879 über die Bildung der Gerichte und Gerichtsbezirke<br />

im Königreich Preußen die seitherigen großen politischen<br />

Veränderungen. Allein die Verordnung über die Bildung<br />

der Amtsgerichtsbezirke umfaßt in der Gesetzessammlung<br />

171 Seiten. Damals gab es preußische Oberlandesgerichte<br />

in Königsberg, Marienwerder, Berlin, Stettin,<br />

Posen, Breslau, Naumburg, Kiel, Celle, Hamm, Kassel,<br />

Frankfurt/Main und Köln. Diese einer Verordnung vom<br />

Juli 1879 17 entnommene Reihenfolge verdeutlicht das<br />

damals in seinen östlichen Provinzen liegende Schwergewicht<br />

des preußischen Staates. So war auch auf Wandflächen<br />

im Treppenhaus des heutigen Landgerichtsgebäudes<br />

in Hechingen früher neben der Burg Hohenzollern<br />

das Schloß zu Königsberg abgebildet. Daraus ergibt sich<br />

weiter, welche Möglichkeiten sich den Einwohnern Hohenzollerns<br />

durch die Aufnahme in den großen preußischen<br />

Staatsverband boten. Zum Oberlandesgerichtsbezirk<br />

Frankfurt gehörten damals außer dem Landgerichtsbezirk<br />

Hechingen die Landgerichtsbezirke Frankfurt,<br />

Limburg a. d. Lahn, Neuwied und Wiesbaden.<br />

Manchem älteren Hohenzollern mögen diese Namen<br />

noch in den Ohren klingen. Die verwaltungsmäßige Unterstellung<br />

des Landgerichtsbezirks Hechingen unter den<br />

Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt endete erst im Dritten<br />

Reich.<br />

52<br />

Erster Landgerichtspräsident in Hechingen wurde der<br />

bisherige Kreisgerichtsdirektor und spätere Geheime<br />

Oberjustizrat Evelt. Er genoß über sein richterliches<br />

Amt hinaus im öffentlichen Leben, z. B. als Abgeordneter<br />

in Reichstag und Landtag großes Ansehen und wurde<br />

Ehrenbürger der Stadt Hechingen. Seinen Namen trägt<br />

bis heute eine in unmittelbarer Nähe des Landgerichtsgebäudes<br />

liegende Straße.<br />

Ausdehnung auf den Bezirk Balingen<br />

Die nächste für das Landgericht Hechingen und die Einwohnerschaft<br />

einschneidende größere Veränderung ergab<br />

sich durch den Gerichtsgemeinschaftsvertrag zwischen<br />

Preußen und Württemberg des Jahres 1922 18 . Ab 1. April<br />

1923 bestellte er das Preußische Landgericht Hechingen<br />

zum Landgericht für den württembergischen Landgerichtsbezirk<br />

Balingen und das Württembergische Oberlandesgericht<br />

Stuttgart zum Oberlandesgericht für den<br />

preußischen Landgerichtsbezirk Hechingen. Ein großer<br />

Schritt zur Vereinfachung der Rechtspflege und damit<br />

zur Erleichterung für den Bürger war getan! Mancherlei,<br />

bis ins einzelne gehende Reglung, wurde für notwendig<br />

gehalten. So waren die Stelle eines Oberlandesgerichtsrats<br />

in Stuttgart auf Vorschlag des Preußischen Justizministeriums<br />

und die folgenden Stellen beim Landgericht<br />

Hechingen auf Vorschlag des Württembergischen Justizministeriums<br />

zu besetzen: Ein Landgerichtsdirektor, ein<br />

Landgerichtsrat, ein Staatsanwaltschaftsrat, ein Justizobersekretär,<br />

ein Kanzleibeamter und ein Justizwachtmeister.<br />

Als unmittelbare Folge des genannten Vertrages<br />

wurde beim Landgericht Hechingen der Plan der Errichtung<br />

einer Kammer für Handelssachen verwirklicht.<br />

Ganz unangefochten blieb dieser Vertrag freilich nicht.<br />

In einem damals in den Hohenzollernschen Blättern veröffentlichten<br />

Leserbrief kommt deutlich die Befürchtung<br />

zum Ausdruck, der Vertrag werde der erste Schritt zur<br />

Einverleibung Hohenzollerns in Württemberg sein! Diese<br />

»Befürchtung« sollte sich freilich erst im Jahre 1945 erfüllen!<br />

Mit dem Einmarsch französischer Truppen im Jahre<br />

1945 endete zunächst die Tätigkeit des Landgerichts Hechingen<br />

(Plakatanschlag vom 5. 5. 1945), bis es am<br />

25. 10. 1945 seine Tätigkeit wieder aufnehmen konnte 19 .<br />

Die Besatzungsrechtliche und später staatsrechtliche<br />

Neugliederung (Gründung des Landes Württemberg-Hohenzollern)<br />

ließ Mitte des Jahres 1946 die Errichtung eines<br />

Oberlandesgerichts Tübingen angezeigt erscheinen,<br />

dem der Landgerichtsbezirk Hechingen zugeordnet wurde<br />

20 . Der Gründung des Bundeslandes Baden-Württemberg<br />

folgten am 1. Juli 1953 die Auflösung des Oberlandesgerichts<br />

Tübingen und die Rückkehr des Landgerichtsbezirks<br />

Hechingen in den Bezirk des Oberlandesgerichts<br />

Stuttgart 21 .<br />

Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

Auch bezüglich der dem Landgericht Hechingen nachgeordneten<br />

Amtsgerichte ergaben sich nach Kriegsende -<br />

teilweise nicht unerhebliche - Veränderungen. Nach<br />

Wiedereröffnung der Gerichte fungierten folgende Amtsgerichte:<br />

Balingen mit Zweigstelle Ebingen, Hechingen<br />

mit Zweigstelle Haigerloch und Sigmaringen mit Zweigstelle<br />

Gammertingen. Im Jahre 1951 wurden die Zweigstellen<br />

Ebingen und Haigerloch selbständige Amtsgerichte<br />

22 .<br />

Die Gemeinde- und Kreisreform zu Beginn dieses Jahrzehnts<br />

schloß eine Änderung der Gerichtsbezirke in sich.<br />

So wurde das Amtsgericht Haigerloch als sogenanntes<br />

»Ein-Mann-Gericht« (Gericht mit nur einem Amtsrichter)<br />

am 1. Juli 1974 aufgehoben, wobei die Gemeinden


seines Bezirks auf die Amtsgerichtsbezirke Balingen,<br />

Horb und Oberndorf aufgeteilt wurden 23 . Hier und an<br />

anderen Stellen verlor der Landgerichtsbezirk Hechingen<br />

Gemeinden an benachbarte Landgerichtsbezirke. Andererseits<br />

wurde ein Teil der Gemeinden der damals ebenfalls<br />

aufgelösten (badischen) Amtsgerichte Meßkirch und<br />

Pfuilendorf, darunter die Städte Meßkirch und Pfullendorf<br />

selbst, den Amtsgerichtsbezirken Ebingen (jetzt<br />

Albstadt) und Sigmaringen eingegliedert und damit dem<br />

Landgerichtsbezirk Hechingen zugeteilt.<br />

Somit erstreckt sich der Landgerichtsbezirk Hechingen<br />

mit (im Jahr 1978) rund 246 000 Gerichtseingesessenen<br />

heute auf Rechtsgebiete früheren Hohenzollerischen,<br />

Preußischen, Württembergischen und Badischen Rechts.<br />

Eine Kuriosität, die - wenn auch natürlich in abnehmendem<br />

Umfang - noch hin und wieder von aktueller<br />

rechtlicher Bedeutsamkeit ist.<br />

In den letzten 100 Jahren sind die Reichsjustizgesetze<br />

selbstverständlich in vielerlei Hinsicht und sehr häufig<br />

geändert worden. Ihre Grundstruktur jedoch, zu der<br />

auch der viergliedrige Aufbau der Gerichte der ordentlichen<br />

Gerichtsbarkeit (Amtsgericht - Landgericht -<br />

Oberlandesgericht - Bundesgerichtshof) gehört, ist bisher<br />

erhalten geblieben. Weitere Reformbestrebungen hat<br />

es gegeben und gibt es. Besonders erwog man, Amtsgericht<br />

und Landgericht zu einem (erstinstanzlichen) Gericht<br />

zusammenzufassen. Dieser Gedanke ist sicherlich<br />

noch nicht endgültig aufgegeben worden. Es ist hier<br />

nicht die Stelle, Vorteile und Nachteile einer solchen Regelung<br />

gegeneinander abzuwägen. Mit Sicherheit läßt<br />

sich sagen, daß seine Verwirklichung der Stadt Hechingen<br />

einen weiteren »Zentralitätsverlust« bringen würde.<br />

Eigenheiten und Entwicklungen<br />

Die Geschichte des Landgerichts Hechingen und seiner<br />

Vorgänger zeigt Eigenheiten und Entwicklungen, wie sie<br />

die Mehrzahl aller sonstigen Landgerichte kaum kennen<br />

dürfte. Sie beruhen darauf, daß die Hohenzollerischen<br />

Fürstentümer nach Einwohnerzahl und Gebietsumfang<br />

sehr klein, daß sie nach Eingliederung in Preußen zwar<br />

Teil einer deutschen und europäischen Großmacht geworden,<br />

aber als Exklave sehr weit vom übrigen Staatsgebiet<br />

entfernt waren. Eine den sich verstärkenden An-<br />

HANS PETER MÜLLER<br />

Berthold Auerbadi und Hechingen<br />

Berthold Auerbach wurde am 28. 2. 1812 in Nordstetten<br />

bei Horb als Kind eines jüdischen Kaufmannes geboren.<br />

Nach dem Besuch der Talmudschule in Hechingen studierte<br />

er in Tübingen, München und Heidelberg. In<br />

Bonn faßte er 1840, nach dem Tode seines Vaters, den<br />

Plan zu einer Reihe von Dorfgeschichten, die er in den<br />

darauffolgenden Jahren in Mainz niederschrieb. Die<br />

1843 erschienenen „Schwarzwälder Dorfgeschichten"<br />

fanden weite Verbreitung und begründeten Auerbachs literarischen<br />

Ruhm. Bis 1854 folgten drei weitere Bände<br />

Dorfgeschichten. Auerbachs unstetes Wanderleben führte<br />

ihn seit 1844 in mehrere Städte Norddeutschlands. Nach<br />

seiner 2. Ehe ließ er sich 1849 in Leipzig nieder und lebte<br />

seit 1859 in Berlin. Von seinen späteren Werken sind<br />

die Erzählung „Barfüßele" (1854) und der Roman „Auf<br />

der Höhe" (1865) die bekanntesten. Am 8. 2. 1882, wenige<br />

Tage vor seinem 70. Geburtstag, ist Auerbach in<br />

Cannes gestorben. Seinem Wunsch gemäß wurde er auf<br />

dem Nordstetter Judenfriedhof begraben.<br />

forderungen genügende Rechtspflege, zu der auch ein Instanzenzug<br />

gehört, ließ sich daher nur mit Hilfe des benachbarten<br />

Württemberg verwirklichen. Die Voraussetzungen<br />

für eine nicht mehr auf Staatsverträgen beruhende<br />

Änderung ergaben sich erst, als sich im Jahre 1935<br />

beispielsweise die am Albtrauf zwischen Boll und Onstmettingen<br />

verlaufende oder die die heutige Bundesstraße<br />

27 kreuzende Grenze zwischen Sickingen und Bodelshausen<br />

von Staatsgrenzen in bloße Verwaltungsgrenzen<br />

verwandelten.<br />

Abkürzungen und Anmerkungen<br />

Ges.S. = Preußische Gesetzessammlung, StAS = Akten des<br />

Staatsarchivs Sigmaringen, VO = Verordnung, VOB1. Ho-He =<br />

Verordnungs- und Anzeigeblatt für das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen,<br />

VOB1. Reg. He = Verordnungs- und<br />

Anzeigeblatt der königlich preußischen Regierung zu Hechingen.<br />

1<br />

VOB1. Ho-He 1848 S. 205.<br />

2<br />

a. a. O. S. 263.<br />

3<br />

a. a. O. S. 206.<br />

4<br />

StAS Ho 235 A Nr. I 320 /104.<br />

5<br />

vom Mai 1825 StAS Ho 6 Nr. 329-330.<br />

6<br />

Ges.S. 1850 S. 289, 295.<br />

7<br />

VOB1. Reg. He 1850 S. 3.<br />

8<br />

VO vom 4. 7. 1850 (Ges.S. S. 347).<br />

9<br />

Gesetz vom 30. 4. 1851 (Ges.S. S. 188), VO vom 2. 1. 1849<br />

(Ges.S. S. 1).<br />

10<br />

StAS Ho 235 A Nr. I 319, Nr. I 320, insbesondere H8.<br />

11<br />

VOB1. Reg. He 1851 S. 551.<br />

12<br />

StAS Ho 235 A Nr. I 320 /165 ff., 150, 155, 156.<br />

13<br />

Amtsblatt der kgl. preußischen Regierung zu Sigmaringen<br />

1854 S. 282.<br />

14<br />

VO vom 2. 1. 1849 (Ges.S. S. 1).<br />

15<br />

§ 4 des Gesetzes vom 30. 4. 1851 (Ges.S. S. 188/189).<br />

16<br />

Ges.S. 1932 S. 253.<br />

17<br />

VO vom 5. 7. 1879 (Ges.S. S. 393).<br />

18<br />

Gesetz vom 12. 3. 1923 (Ges.S. S. 60).<br />

19<br />

Nachrichtenblatt des Kreises Hechingen vom 26. 10. 1945.<br />

20<br />

Amtsblatt des Staatssekretariats für das französisch besetzte<br />

Gebiet Württembergs und Hohenzollerns 1946 S. 77, 92.<br />

21<br />

Gesetz vom 27.4. 1953 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg<br />

S. 31).<br />

22<br />

Gesetz vom 17. 10. 1951 (Regierungsblatt für das Land<br />

Württemberg-Hohenzollern S. 107).<br />

23<br />

Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1974 S. 25.<br />

Im Spätsommer des Jahres 1881, während einer Kur in<br />

Bad Niedernau, begann der damals 69jährige Berthold<br />

Auerbach mit der Niederschrift seiner Lebensgeschichte.<br />

Von den vier geplanten Bänden kam aber nur der erste<br />

über die Kindheit in Nordstetten zur Ausführung, ehe<br />

der Tod dem Dichter am 8. Februar 1882 die Feder aus<br />

der Hand nahm Der 2. Band mit dem Titel »Der Talmudschüler«<br />

sollte den Aufenthalt in der Hechinger Talmudschule<br />

von 1825 bis 1827 umfassen. Was uns die Beschreibung<br />

der Hechinger Zeit gebracht hätte, läßt das<br />

Schlußkapitel des 1. Erinnerungsbandes erahnen, das die<br />

Reise des damals 13jährigen nach Hechingen schildert: 2<br />

»Mein Bruder Maier kutschierte, ich saß neben ihm, hinter<br />

uns mein Vater und der Lehrer. Wir fuhren nicht<br />

über Mühringen, sondern über Empfingen. Mein Bruder<br />

vermied den Ort Mühringen, denn dort in dem Hause<br />

nicht weit von der Eyachbrücke lebte seine ehemalige<br />

Braut, die, wie es hieß, ihn noch liebte, obgleich sie sich<br />

bald entschlossen, sich mit ihres Nachbars Sohn, dem Ladenbesitzer<br />

Bietigheimer, zu verloben.<br />

53


Wir fuhren die Friedrichstadt vorüber, ich hörte, daß da<br />

nur Juden wohnen. Das erschien mir als ein wahres Paradies.<br />

Keinem Spott und keinem Haß ausgesetzt, unter<br />

lauter Juden wohnen, wie herrlich muß das sein. Wir<br />

kehrten in der unteren Stadt beim Rößle ein und verzehrten<br />

die mitgebrachten Fleischspeisen. Wir gingen<br />

bald nach der oberen Stadt am Schlosse vorüber, wo eine<br />

Wache stand, auf der anderen Seite war ein unausgebauter<br />

Schloßflügel, dessen Fenster mit Brettern verstellt<br />

waren. Auch hier wurden wir im Vorübergehen begrüßt,<br />

an der Ecke wohnte der Kaufmann, dessen Frau eine<br />

Schwester von Samuel Roihschild in Nordstetten war.<br />

Und weiter stand auf den steinernen Stufen seines Hauses<br />

der Moses Neuwied, genannt Bacher, und grüßte meinen<br />

Vater als alten Freund und Verwandten, und da<br />

hörte ich, daß man die Frau des Reb Nate das Schmusgitele<br />

nannte.<br />

Wir gingen nach dem Beth-Hamidrasch, es liegt ganz<br />

abseits an der Straße und bildet eine Sackgasse, über der<br />

Tür war in Stein gehauen die Jahrzahl seiner Errichtung.<br />

Reb Nate war ein behaglicher kleiner Mann mit einem<br />

Spitzbart am Kinn, den er beständig durch die Hand<br />

zog. Er sprach nicht viel, desto mehr aber seine Frau,<br />

eine zierliche, bewegliche Erscheinung mit Eidechsenaugen.<br />

Ich hörte, daß mein Vater die Pensionsbedingungen<br />

noch nicht fest geordnet hatte, es wurde vorgehalten,<br />

daß ein Enkel des Kiefe von Baisingen viel höhere Pension<br />

bezahle, und mein Vater versprach noch halbjährlich<br />

zwei Malter Korn dreinzugeben.<br />

Ein Kalfaktor des Hauses, der eine Art Diener und religiöser<br />

Verehrer war, zeigte uns die Wohnung. Auf der<br />

Rückseite des Hauses war eine glasgedeckte Veranda, aus<br />

der man den fürstlichen Garten sah, es wurde aber sofort<br />

bemerkt, daß man den fürstlichen Garten nie betreten<br />

dürfe. Auf der Veranda stand ein Mann, über und<br />

über mit dem schmutzigen weißen Betmantel bedeckt,<br />

und sah uns blöde aus seinem verkümmerten, mit weißen<br />

Stoppeln bedeckten Gesichte an, nickte und betete weiter,<br />

indem er sich auf und nieder beugte. Der Kalfaktor<br />

erklärte uns, der Mann hieße Jule, sei ein Bruder des<br />

Reb Nate, ein furchtsamer, stiller Wahnsinniger, der niemand<br />

was zuleide tue, das ganze Jahr die Gebete des<br />

Versöhnungstags spreche und vom Morgen bis in die<br />

Nacht faste, nur manchmal gehe er aus, um in das Zahlenlotto<br />

zu setzen. Mir war angst und bange vor dem<br />

Mann, obgleich er sich nicht um uns kümmerte.<br />

Ich sah auch Mitschüler, besonders den vierschrötigen<br />

Maier Hilb von Haigerloch, er versprach meinem Bruder,<br />

ein Auge auf mich zu haben, und er hat es redlich<br />

gehalten, denn von all den guten Sachen, die mir meine<br />

Mutter später schickte, hat er den größten Teil verzehrt.<br />

Ich durfte noch bei den Meinigen im Rößle übernachten,<br />

und wir waren noch sehr munter. Mein Vater sang noch<br />

dem Lehrer und dem Bruder eine neue Melodie vor, die<br />

er am Laubhüttenfest setzen wolle. Diese Melodie ist mir<br />

für mein ganzes Leben zu einer besonderen Herzbewegung<br />

im Gedächtnis. Ich habe erst viel später erfahren,<br />

woher sie stammt. Sie war aus dem Duette aus Titus von<br />

Mozart auf die Worte gesetzt: Laß Glück und Schmerz<br />

uns teilen. Am Morgen beteten wir noch gemeinsam,<br />

nachdem wir die Gebetriemen angelegt hatten, und nach<br />

dem Frühstück, es gab hier ein wunderschönes Weißbrot,<br />

gingen wir gemeinsam nach der oberen Stadt, uns voran<br />

der Hausknecht, der meinen Koffer trug.<br />

Wir kamen in das Beth-Hamidrasch. Die alte Polakin,<br />

die im Erdgeschosse wohnte, begrüßte uns im Hausflur.<br />

Mein Bruder Maier schenkte ihr eine Gabe, wofür sie<br />

uns Glück und Segen wünschte. Wir gingen die Treppe<br />

hinan, und nun wurde mir mein Zimmer angewiesen, in<br />

54<br />

dem mein Bett stand. Ich saß auf meinem Koffer, während<br />

der Vater mit Bruder und Lehrer alles festmachten<br />

im anderen Zimmer mit dem Rabbi. Eine schöne Magd<br />

kam; sie sagte aber sofort, sie sei die Nichte des Rabbi,<br />

und fragte mich, ob ich auch Lesebücher in meinem Koffer<br />

habe, sie lese gerne Bücher, namentlich Romane. Ich<br />

wußte nicht, was Romane sind, und kannte nur Carl<br />

von Carlsberg über das menschliche Elend und den dritten<br />

Teil des Rinaldo Rinaldini, der im Dorfe kursierte.<br />

Mein Vater führte mich noch zu einem alten Kriegskameraden,<br />

der mit uns verwandt war. Ich hatte gehört,<br />

wie Bruder Maier Einspruch gegen diese Einführung erhob,<br />

er sprach dann leise und heftig, aber der Vater achtete<br />

nicht darauf. Von dem Manne wurde Wunderliches<br />

erzählt. Er hieß mit Namen Itzig Löb und bewohnte für<br />

sich allein das stattliche Eckhaus, wo er mehrere Dienstboten<br />

hielt und üppig lebte. Er lag den ganzen Tag auf<br />

einem türkischen Diwan, der aus lauter weichen Kissen<br />

bestand. Er trug einen goldgelben seidenen Schlafrock<br />

und dazu rote Saffianstiefel. Da lag er auf dem Diwan<br />

und las den ganzen Tag Romane. Neben dem Diwan<br />

hatte er eine große Fuhrmannspeitsche, die er von Zeit<br />

zu Zeit in die Hand nahm und damit knallte. Wenn die<br />

Herde am Abend in die Stadt zurückkehrte, legte er sich<br />

mit einer noch längeren Peitsche unter das Fenster und<br />

gab jedem vorübergehenden einen Schmitz. Dann ging er<br />

schön gekleidet nach dem Museum vor dem Tor der oberen<br />

Stadt, kegelte dort im Sommer mit den Honoratioren,<br />

wozu auch der Fürst gehörte. Im Winter spielte er<br />

mit derselben Gesellschaft Whist, bis ihn die Magd, ein<br />

schönes großes Mädchen, die Tochter des Hirten, abrief.<br />

Sie trug ihm eine breite Laterne voran, in der drei Lichter<br />

brannten. Man fabelte geheimnisvoll von den großen<br />

und verborgenen Reichtümern des Mannes. Er hatte eine<br />

einzige Tochter, die an den einzigen in Donaueschingen<br />

lebenden Juden verheiratet war.<br />

Itzig Löb hatte gar keine Gemeinschaft mit den Juden in<br />

Hechingen. Er besuchte nie eine Synagoge, und das einzige,<br />

woran man erkannte, daß er noch ein Jude war,<br />

abgesehen von seiner koscheren Wirtschaft, bestand darin,<br />

daß er am Versöhnungstage sich nicht am Fenster sehen<br />

ließ. Jeden Tag, so erzählte man mit einem gewissen<br />

Schauder, jeden Tag ging Itzig Löb in eine neben seinem<br />

Speisezimmer befindliche dunkle Kammer; dort wurde<br />

nie ein Fensterladen aufgemacht und nie durfte ein<br />

Dienstbote in das geheimnisvolle Gemach eintreten, so<br />

daß niemals drin gescheuert oder geputzt wurde.<br />

Ich hatte von allem diesem schon im Dorfe gehört, und<br />

als wir in das Haus eintraten, war mir's umsomehr, als<br />

käme ich leibhaftig in ein Märchen, da uns eine kleine,<br />

bucklige, weißhaarige Frau im Flur begrüßte und uns bei<br />

Namen nannte. Es war aber keine Zaubergestalt, sondern<br />

das Minkele von Mühringen, das selbstverständlich<br />

auch weitläufig mit uns verwandt war, früher bei uns<br />

gedient hatte und jetzt Köchin bei Itzig Löb war. Wir<br />

kamen in den großen Ecksaal im ersten Stock. Da lag<br />

der Vielgenannte im goldgelben Schlafrock auf dem<br />

Sofa. Vor ihm saß in einem Lehnstuhl eine üppige Frauengestalt.<br />

Er sagte ihr: Du kannst jetzt gehen. Sie ging<br />

ohne weiteres fort. Itzig Löb richtete sich auf, reichte<br />

meinem Vater die Hand, dann nahm er die Peitsche und<br />

knallte leise damit, während er mit meinem Vater<br />

Kriegserinnerungen austauschte, die ich nicht verstand.<br />

Als mein Vater mich ihm empfahl, sagte er: Du kannst<br />

jeden Freitag Abend bei mir essen; komm gleich heute.<br />

Kannst du auch so schön singen, wie dein Vater? Mein<br />

Vater bejahte für mich. Itzig Löb wollte nun, daß ich<br />

ihm gleich singe; aber mir war so bange, als wäre ich<br />

vom Elternhause verstoßen, in die weite Welt hinausge-


setzt. Wieder auf dem Hausflur, versprach das Minkele<br />

meinem Vater, auf mich acht zu geben, und die große<br />

Hirtentochter streichelte mir die Wangen und sagte: Du<br />

bist ein ganz hübscher Bub.<br />

Auf der Straße sagte mir mein Vater, daß er nicht mehr<br />

mit mir in das Beth-Hamidrasch zurückkehre, er habe<br />

dort schon Adieu gesagt und drunten im Rößle warteten<br />

der Bruder Maier und der Lehrer. Man müsse eilen, um<br />

noch zeitig heimzukommen. Mein Vater führte mich an<br />

der Hand die Steige hinab. Drunten am Rößle war das<br />

Pferd schon vorgespannt. Die Wartenden sagten ihm,<br />

man müsse eilen. Sie reichten mir kurz die Hand. Der<br />

Vater legte mir noch die Rechte auf den Kopf und<br />

benschte mich, dann fuhr er mir nach seiner Art mit der<br />

Hand über das Haar und sagte: ,Hab keinen Jammer;<br />

du hast ja selber gewollt.' - ,Und auf die Feiertage<br />

kannst du ja wieder heim', rief noch der Maier vom<br />

Bock, als der Vater aufstieg.<br />

Fort rollte das Bernerwägelein und wirbelte eine Staubwolke<br />

auf, ich rannte ihm nach. Dann stand ich still und<br />

sah der verfliegenden Staubwolke nach und weinte bitterlich.<br />

Ich fühlte es, ich war dem Elternhause, dem Heimatorte<br />

entrissen, ich war in der Fremde allein, meine<br />

Kindheit war dahin."<br />

Das Hechinger „Lehrhaus" war im Jahre 1803 gegründet<br />

worden aufgrund einer Stiftung des Hoflieferanten<br />

Raphael I. Kauila. Es war in einem alten Gebäude in der<br />

Oberstadt, der ehemaligen „Münz" untergebracht. Nach<br />

dem Übergang Hohenzollerns an Preußen im Jahre 1850<br />

wurde die Hechinger Talmudschule aufgehoben.<br />

Auerbach hat während seiner Studentenzeit in Tübingen<br />

(1832/33) die <strong>hohenzollerische</strong> Residenzstadt wiederbesucht<br />

und ein letztes Mal im Jahre 1873 während einer<br />

Kur in Bad Imnau.<br />

Im Völkskalender von 1863 veröffentlichte Auerbach<br />

ein „Gespräch" mit dem Titel „Hechingen und Florenz".<br />

Angespielt wird darin auf das gemeinsame Schicksal der<br />

beiden ehemaligen Residenzstädte, die nur noch „werkeltägige<br />

Provinzialstädte" waren. Doch hätten sich die<br />

Hechinger leichter damit abgefunden, keine „Residenzler"<br />

mehr zu sein: 3<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Bildschnitzer Josef Rifesser und Hohenzollern<br />

Die 1890-1895 in Ringingen angeschafften neun Heiligenfiguren<br />

(Guter Hirt, Martin, Gallus, Madonna, Josef,<br />

Anna, Sebastian, Lorenz, Barbara) der drei Altäre, die<br />

laut Pfarrchronik des Pfarrers Engelb. Schon vom Hechinger<br />

Bildhauer Fidelis Schäfer erstellt wurden, stammen<br />

nicht von letzterem, (wohl auch nicht die Altarentwürfe)<br />

sondern aus der Werkstatt des damals weitbekannten<br />

Bildhauers Josef Rifesser aus St. Ulrich im Grödener<br />

Tal (Tirol). Den älteren Ringingern hatten die bisherigen<br />

barocken Altäre besser gefallen, als die neuen<br />

»aus Kistenbrittle«, wie sie sagten. Die Figuren standen<br />

jeweils in einzelnen Häuslein, die Pfarrer K. Heinzelmann<br />

im J. 1958 wieder entfernen und den Hochaltar<br />

mittels des gotischen »Schächerkreuzes« von ca. 1500 erstellen<br />

ließ. Zu diesem schuf Bildhauer Volk-Jungnau<br />

nach alten Sigmaringer Vorbildern die Begleitfiguren<br />

Maria und Johannes als Stiftung eines gebürtigen Ringingers.<br />

Mir fiel vor Jahren einmal in einem <strong>hohenzollerische</strong>n<br />

Pfarrhaus ein um 1890 erschienener bebildertet Katalog<br />

der Werkstätte aus St. Ulrich in die Hand, der eine Un-<br />

„Die Hechinger wie die ganzen hohenzollernschen Lande<br />

haben's verwunden, daß sie nichts Besonderes mehr für<br />

sich sind; sie bleiben Schwaben, behalten das, was man<br />

Stammeseigenschaft nennt, und sind schon fast stolz darauf,<br />

schwäbische Preußen zu sein, oder besse, schwäbische<br />

Deutsche."<br />

Damals in den 60er Jahren suchte Auerbach in Berlin<br />

und Düsseldorf Kontakt zum Fürsten Karl Anton von<br />

Hohenzollern, dem damaligen preußischen Ministerpräsidenten.<br />

Ein jahrelanger Briefwechsel zeugt von der<br />

Freundschaft zwischen dem Dichter und dem Fürsten 4 .<br />

Als Auerbach im Spätsommer 1873 zur Kur in Bad Imnau<br />

weilte, unternahm er einen Ausflug nach Hechingen.<br />

Über diese „Erinnerungswallfahrt" schrieb er am 21. August<br />

an seinen Freund Jakob Auerbach: 5<br />

„Ich fuhr gestern mit Jeannette im offenen Wagen nach<br />

Hechingen. Ich hatte diesen Weg seit dem Jahre 1827<br />

nicht mehr gesehen und doch kannte ich noch Alles; nur<br />

schien mir der Ausblick auf die rauhe Alb viel schöner.<br />

Vierzig Jahre sind es, seit ich in Hechingen war, von<br />

Tübingen aus als Student, und ich kannte noch jedes<br />

Haus und wußte, wer darin gewohnt hat. Ich ging durch<br />

die Judengasse, hielt mich lange bei der Witwe Reichenberger<br />

auf und habe viel, unsäglich viel Altes neu belebt.<br />

Ich ging in die Synagoge, ich begrüßte viel Nachkommen<br />

alter Bekannten, und endlich suchte ich das ,Lehrhaus'<br />

auf, wo ich anderthalb Jahre in Klausur gelebt<br />

habe. Es ist jetzt eine Baumwollspinnerei darin. Da, wo<br />

ich geschlafen hatte, ist jetzt eine Maschine aufgestellt,<br />

und in unserm Studierzimmer drehen sich die Spindeln."<br />

Anmerkungen:<br />

1<br />

A. Bettelheim, Der Nachlaß Berthold Auerbachs, in: Deutsche<br />

und Franzosen, Wien 1895, S. 203.<br />

2<br />

Zitiert nach: A. Bettelheim,<br />

1907, S. 37-40.<br />

Berthold Auerbach, Stuttgart<br />

3<br />

Deutsche Illustrierte Volksbücher, 2. Bd., Karlsruhe 1881,<br />

S. 285 f.<br />

4<br />

K. Th. Zingeler, Karl Anton von Hohenzollern und Berthold<br />

Auerbach, in: Deutsche Revue (1910), 2. Bd.,<br />

S. 309-328.<br />

5<br />

Berthold Auerbach, Briefe an seinen Freund Jakob Auer-<br />

bach, 2. Bd., Frankfurt 1884, Nr. 486.<br />

menge von Heiligenstatuen aller Gattungen und eine<br />

große Anzahl neuromanischer und neugotischer und anderer<br />

Altäre enthielt, unter denen man mühelos die Ringinger<br />

Altäre und Figuren herausfinden konnte. Inzwischen<br />

sah ich auch in vielen (auch nicht<strong>hohenzollerische</strong>n)<br />

Kirchen ähnliche Altäre und Statuen, die entweder<br />

von Rifesser (mit seinen gut 20 Gesellen und Lehrlingen!)<br />

stammten, oder mindestens von seiner Werkstatt<br />

beeinfluß sind. Auch die Statuen der Seitenaltäre von<br />

Steinhilben haben sehr große Ähnlichkeit mit denen Rifessers.<br />

Es wäre eine reizende Aufgabe für einen jungen<br />

Heimatfreund, die Einzelnachweise hierfür beizubringen.<br />

Leider nahm man sich um 1900 oft nicht die Zeit, um<br />

die Nachweise in der Pfarrchronik oder im Archiv zu<br />

deponieren, und wenn dann später ein Interessent den<br />

Vorgängen nachgehen will, findet er meist so gut wie<br />

nichts mehr vor. Die Altäre und Statuen um 1900 sind<br />

zudem nicht für würdig befunden worden, im »Denkmälerwerk<br />

Hohenzollerns« genannt zu werden und sind so<br />

der modernen Verschleuderung und Wegschaffung leicht<br />

ausgesetzt. Was die neue sogenannte moderne Kunst al-<br />

55


lerdings an die Stelle solcher immerhin würdiger Werke<br />

zu setzen vermag, oft - wie man vor allem im Badischen<br />

beobachten kann - eine beklagenswerte Mißgeburt,<br />

die voraussichtlich kein halbes Jahrhundert überleben<br />

wird. An die frommen und würdigen Werke Rifessers<br />

reicht das Moderne bei weitem nicht heran.<br />

Übrigens lebte vor etwa 20 Jahren (und wohl noch<br />

jetzt) in St. Ulrich ein jüngerer hochbegabter Schnitzer<br />

Josef Rifesser, der wohl ein Enkel des Meisters von 1890<br />

sein mochte. Er bzw. eine seiner neugeschnitzten Statuen<br />

»Maria mit der Traube« stand damals im Mittelpunkt<br />

eines Antiquitätenskandals. Er hatte diese neue in gotischem<br />

Stil gefertigte Holzstatue ahnungslos einem<br />

Händler verkauft, der sie als Altertum um ein Sünden-<br />

CASIMIR BUMILLER<br />

Die Familie Hospach im Killertal<br />

Der kürzlich in der Hohenzollerischen Heimat 1978,<br />

Nr. 2, erschienene Beitrag »Hans Hospach - ein vergessener<br />

Prophet aus dem Killertal« hat mich daran erinnert,<br />

daß sich in meinen Notizen zu früheren Forschungen<br />

- quasi als Abfallprodukte - einige Belege zum<br />

Familiennamen Hospach befinden. Mit diesen und weiteren<br />

im Domänenarchiv und Staatsarchiv Sigmaringen<br />

gefundenen Nachweisen möchte ich versuchen, die frühe<br />

Geschichte der Familie Hospach nachzuzeichnen. Zugleich<br />

kann ich damit die Möglichkeiten und Grenzen<br />

der Genealogie für die ländliche Bevölkerung im Mittelalter<br />

aufzeigen.<br />

Man kann sich im Mittelalter nicht auf Kirchenbücher<br />

berufen, die möglicherweise das Leben einer Person von<br />

der Geburt bis zum Tod belegen. Auch auf Urbare und<br />

verwandte Quellen, die in der frühen Neuzeit oft sehr<br />

genau die Generationsfolge von Familien nachbilden,<br />

kann man sich für die Grafschaft Zollern im Mittelalter<br />

nicht verlassen (es gibt hier nur das Bickelspergsche Lagerbuch<br />

von 1435). Also sind wir in der Familienforschung<br />

auf andere sehr verstreute Quellen wie Urkunden<br />

/fr. Hochspach7 © Auen (?) /N. Hochspach7 ocdie Schülerin<br />

1344 Schlatt ^1344 Schlatt,<br />

Hans Hochspach<br />

1439. 147Ö<br />

Bürger zu Hechingen<br />

Hans Hospach<br />

1473 Schlatt<br />

/N. iiochspach7<br />

Haintz Hochspach<br />

13Ö7. 1+33<br />

Schlatt<br />

Adelheid Hochspach<br />

1434 Killer<br />

(evtl. ident. mit "die<br />

Hochspachin zu Uinpinpen"<br />

Symon Hochspach es. 1U70)<br />

1466 (Jungiiigen)<br />

um 1470 Killer<br />

Heintz Hochspach Caspar Hochspach<br />

56<br />

1490 Schlatt 1466 (Jungingen,<br />

um 1?00 Vogt, Killer<br />

/<br />

Hans Hochspach cd i-largret<br />

1544 Killer_(Schrift steiler?)<br />

Hans Hochspach der jung oo Brigita Anna H.<br />

1544 Killer 1344 Killer<br />

Johans Hochspach<br />

1344 Killer<br />

Anna H.<br />

1544 Killer<br />

geld der Kunstabteilung des Dorotheums, der Staatlichen<br />

Wiener Leih- und Auktionsanstalt, veräußerte. Deren<br />

Direktor konnte zunächst mit keinem Mittel von der<br />

»Fälschung« überzeugt werden, auch nicht, als man ihm<br />

sagte, die Statue trage auf der Rückseite das Geheimzeichen<br />

des Schnitzers. Dieser erbot sich dann schließlich,<br />

ohne weitere Vorlagen mit freier Hand eine solche gotische<br />

Statue innerhalb weniger Stunden in Gegenwart<br />

von Sachverständigen zu schaffen. Er sollte zu diesem<br />

Zwecke extra nach Wien gerufen werden. Die fragliche<br />

Figur wurde aber dann doch als neues Werk Rifessers erwiesen<br />

und der so geschäftstüchtige Zwischenhändler<br />

wird seiner Bestrafung nicht entgangen sein.<br />

angewiesen, um vereinzelte und oft ungenaue Belege für<br />

Familiennamen zu gewinnen. Trotz dieser Arbeit, die einem<br />

Puzzle-Spiel gleicht, ist man zeitweilig über die Belegfülle<br />

überrascht: man findet mit etwas Phantasie häufig<br />

mehr und weiter zurück reichendes Material als man<br />

erwartet hätte. So komme ich zu folgender Belegreihe<br />

für den Familiennamen Hospach im späten Mittelalter<br />

und der frühen Neuzeit.<br />

1344 »die zwen Höhspach, nämlich Anen (?) und die<br />

Schülerin« (Urkunden des Dominikanerinnenklosters<br />

Stetten im Gnadental, 1268-1802, ihrem Inhalt<br />

nach dargeboten von Dr. Franz Haug und<br />

J. A. Kraus. Beilage zum Hohenz. Jahresheft 1955;<br />

(im folg. UDS)<br />

1387 Haintz Hochspach, Schlatt (DAH, HH U 578;<br />

UDS)<br />

1396 Hochspachen Wiesen (DAH 56, 339)<br />

1431 der Höhspach von Schlatt (StA Sig, Ho 1 - 1431<br />

Juli 22)<br />

1435 Haintz Hochspach (F. Herberhold: Das Bickelspergsche<br />

Lagerbuch der Grafschaft Zollern von<br />

1435. Sigmaringen 1941, S. 23)<br />

1435 der jung Hochspach (Das Bickelspergsche Lagerbuch,<br />

S. 23)<br />

1439 Hans Hochspach, Bürger zu Hechingen (StA Sig,<br />

Ho 1 - 1439 Mai 2)<br />

1449 Hans Hochspach (StA Sig, Ho 1 - 1449 Febr. 1)<br />

1454 Adelheid Hochspach (J. A. Kraus: Kirchliches aus<br />

dem Killertal, H. H. 1951 Nr. 4)<br />

1466 Symon und Caspar Hochspach, Jungingen<br />

(F. Staudacher: Das Heiligeneinkommen zu Jungingen<br />

1466. In: Hohz. Jahreshefte 1957)<br />

ca. 1470 - Symon Hochspach, Killer (Das Bickelspergsche<br />

Lagerbuch, S. 96)<br />

ca. 1470 die Hochspachin zu Ringingen (Das Bickelspergsche<br />

Lagerbuch, S. 96)<br />

1473 Hans Höspach, Schlatt (DAH 75, 334)<br />

1478 Hans Hochspach d. Ä., Bürger zu Hechingen (StA<br />

Sig, Ho 1 - 1478 März 2)<br />

1490 Heinz Hochspach, Schlatt (StA Sig, Ho 1-1490<br />

Dez. 11)<br />

nach 1500 Caspar Hochspach, »der alt Vogt«, Killer<br />

(Das Bickelspergsche Lagerbuch, S. 96)<br />

1544 1.) Hans Hochspach (zoll.) GD Margret (württ.);<br />

Killer Kinder: Johans und Anna (DAH Sig, Hagens<br />

Lagerbuch)<br />

2.) Hans Hochspach der jung OD Brigita (beide


zoll.) Kinder: Johans und Anna; Killer (DAH Sig,<br />

Hagens Lagerbuch)<br />

1564 Hans Hochspach, »Vogts Hans« aus Killer, autor<br />

des Buches »Ein Newer Luoginsland« (H. H. 1978,<br />

Nr. 2)<br />

Diese Serie von 19 Belegen (ich möchte jedoch keine<br />

Vollständigkeit behaupten) ist nur auf den ersten Blick<br />

überwältigend. Versucht man aus diesen Nachweisen<br />

eine Stammtafel für die Familie Hospach herzustellen,<br />

sieht man sich gleich vor größere Schwierigkeiten gestellt:<br />

Ist der Haintz Hochspach von 1435 noch dieselbe<br />

Person wie der von 1387 (dazwischen liegen immerhin<br />

48 Jahre)? Hier helfen uns auch die Belege von 1396<br />

und 1431 nicht, da dort keine klärenden Vornamen mitgeteilt<br />

werden. Leichter fällt die Gleichsetzung bei Hans<br />

Hochspach (1439 und 1478) durch die nähere Kennzeichnung<br />

als Bürger zu Hechingen. Schwierigkeiten, die<br />

bei den Einträgen von 1544 auftreten könnten, werden<br />

durch den Zusatz Hans Hochspach »der jung« unter 2.)<br />

ausgeräumt; aber welcher von den beiden ist der Schriftsteller<br />

von 1564? Hier hilft das Attribut »Vogts Hans«<br />

weiter: da Caspar Hochspach nach 1500 »der alt Vogt«<br />

genannt wird, könnte der unter 1.) genannte Hans unser<br />

Buchautor und sein Sohn Johans identisch mit dem unter<br />

2.) aufgeführten Hans Hochspach sein, der aber wiederum<br />

einen Sohn namens Johans hat.<br />

Bei den jeweils nur einmal belegten Gliedern der Familie<br />

ist natürlich eine eindeutige verwandtschaftliche Zuordnung<br />

noch viel schwieriger, so daß der genealogischen<br />

Deutung dieser Belegreihe von vornherein nur der Charakter<br />

eines Vorschlags zukommt. Die graphische Anordnung<br />

als Stammtafel macht allerdings die verwirrende<br />

Materialfülle übersichtlicher und kann der weiteren<br />

familiengeschichtlichen Forschung zunächst einmal als<br />

vorläufige Grundlage dienen.<br />

Den ersten Eintrag »die zwen Höhspach, nämlich Anen<br />

(?) und die Schülerin« (1344) deute ich so, daß es sich<br />

um die Ehefrauen zweier Hospach handelt, von denen<br />

die eine Anna heißt (allerdings ist sich auch Kraus bei<br />

der Lesung des Namens nicht sicher) und die andere von<br />

einem Schuler abstammt (dieser Eintrag ist zugleich der<br />

erste Beleg für die ebenfalls aus Schlatt stammende Familie<br />

Schuler). Da ich die Haintz Hochspach von 1387<br />

und 1435 als eine Person ansehe, muß ich zwischen ihn<br />

und die Frauen von 1344 noch einen erschlossenen, nicht<br />

nachgewiesenen [N. Hochspach] als Sohn der einen<br />

Hochspachin und Vater des Haintz Hochspach einfügen.<br />

Obwohl mir die Fragwürdigkeit dieser Konstruktion bewußt<br />

ist, möchte ich damit folgende Stammtafel der Familie<br />

Hospach zur Diskussion stellen.<br />

Die beiden 1466 genannten Symon und Caspar Hochspach<br />

brauchen, weil sie im Junginger Heiligeneinkommen<br />

verzeichnet sind, keine Junginger zu sein; sie können<br />

auch als Killemer in die benachbarte Heiligenpflege<br />

Abgaben gemacht haben, sofern sie deren Güter bearbeiteten.<br />

Daß ich den Symon zum Vater des Caspar Hochspach<br />

mache, beruht auf der Tatsache, daß Caspar in<br />

Bickelspergs Lagerbuch als Nachtrag G (nach 1500) an<br />

die Stelle des Symon Hochspach tritt, der für ca. 1470<br />

eingetragen ist.<br />

Was sich nach unseren Quellen zur Sozialgeschichte der<br />

untersuchten Familie sagen läßt, ist wenig und doch<br />

schon viel. Die Hospach waren wie alle ländlichen Familien<br />

Bauern: sie haben Äcker und Wiesen in Schlatt<br />

als Lehen, die teilweise von reichen Hechinger Bürgern<br />

herrühren (vor 1387 Teil eines Hofes von Dietz Bronber<br />

in Hechingen). Selbst Bürger einer Stadt zu werden,<br />

wird wegen lockender Privilegien und sozialen Auf-<br />

stiegschancen zum Ziel vieler Landbewohner. So ist es<br />

auch nicht verwunderlich, daß uns Hans Hochspach<br />

1439 und 1478 als Bürger zu Hechingen entgegentritt.<br />

Allerdings scheint die starke Landflucht des frühen<br />

15. Jahrhunderts und dadurch entstehende Konkurrenz<br />

in der Stadt Hechingen seinen Nachkommen keine Aussicht<br />

auf soziales Fortkommen geboten zu haben, so daß<br />

sie wieder zurück aufs Land gehen (Schlatt und Killer).<br />

Die Berührung mit dem städtischen Leben scheint jedoch<br />

den Standard und die soziale Stellung der Familie ausgebaut<br />

zu haben: Caspar Hochspach wird Vogt in Killer<br />

und vermutlich sein Sohn widmet sich sogar den Geheimwissenschaften<br />

und wird Schriftsteller.<br />

Noch einige Bemerkungen zu Hans Hochspach, dem Autor<br />

des 1564 erschienenen Buches »Ein Newer Luoginsland«.<br />

Dieses Werkchen, das Vorhersagen über die Weltereignisse<br />

bis 1613 unternimmt, weist den Verfasser vom<br />

Grundtenor als Anhänger der Lutherischen Lehre aus.<br />

Evtl. besteht hier ein Zusammenhang mit der Tatsache,<br />

daß Hochspachs Frau Margret württembergische Leibeigene<br />

war. Seine Schriftstellerei könnte auch darauf hinweisen,<br />

daß er studiert hätte und an der Universität mit<br />

der dort überall verbreiteten neuen Lehre bekannt geworden<br />

war. Allerdings konnte ich ihn nirgends auf den<br />

in Frage kommenden Universitäten entdecken, so daß<br />

seine Schreibkunst nur noch als autodidaktische Leistung<br />

erklärt werden kann. Allein - weder seine schriftstellerischen<br />

noch seine präcognitiven Fähigkeiten scheinen<br />

groß gewesen zu sein. Obwohl er nur für 47 Jahre Voraussagen<br />

machen will, traf nachträglich betrachtet keine<br />

zu. Hierin war er also wesentlich weniger glücklich als<br />

sein großer französischer Zeitgenosse Nostradamus<br />

(1505-1566), dessen 1555 veröffentlichte Prophezeiungen<br />

bis heute eine hohe »Trefferquote« aufweisen.<br />

Daß die Antiquare den Druckort »Erdpfort« als Erfurt<br />

mißverstehen, ist für Fachleute mehr als peinlich. Hans<br />

Hochspach steht selbstverständlich völlig in der Tradition<br />

der geheimwissenschaftlichen Schriften und ihrer<br />

ganzen Symbolik und Metaphorik. Da muß man den<br />

Namen »Erdpfort« eben wörtlich nehmen als Eingang in<br />

die Erde, die als Sinnbild für die große, alles gebärende<br />

Mutter steht, Zentrum aller Weisheit (sophia). »Erdfort«<br />

ist also sicher ein - allerdings beziehungsreicher -<br />

Deckname für den Druckort, wie Kraus richtig schreibt,<br />

und der dahinter stehende Symbolgehalt läßt sich in der<br />

gesamten magischen, alchimischen und astrologischen Literatur<br />

nachweisen, auch in der evangelisch-pietistisch<br />

beeinflußten, etwa noch im Roman »Die chymische<br />

Hochzeit Christiani Rosenkreutz« (1623) des später berühmten<br />

württembergischen Theologen Joh. Val. Andreae.<br />

Es läßt sich also über die Einordnung des Buches »Ein<br />

Newer Luoginsland« mehr aussagen als über die Person<br />

des Autors Hans Hochspach. Nur einige Rückschlüsse<br />

bleiben übrig. Wenn er tatsächlich der unter 1544 1.)<br />

Sohn des Caspar H. ist, muß er sein Buch in sehr hohem<br />

Alter veröffentlicht haben, denn in diesem Fall ist er<br />

lange vor 1500 geboren. Dies könnte dann eher für den<br />

unter 2.) genannten Hans Hochspach als unseren Autor<br />

sprechen; letztlich käme sogar dessen gleichnamiger<br />

Sohn als Verfasser des Buches in Frage. Das würde allerdings<br />

voraussetzen, daß ein Hans H. in Killer ebenfalls<br />

Vogt gewesen wäre, welcher Nachweis mir nicht gelungen<br />

ist. Mit dieser zweiten Möglichkeit ließe sich aber<br />

erklären, weshalb die Familie Hospach in der zweiten<br />

Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht mehr zu finden ist (sie<br />

ist weder in Rammingens Lagerbuch von 1580 noch in<br />

Pfeffers Lagerbuch von 1598/99 verzeichnet). Der<br />

Schluß liegt nämlich nahe, daß der Autor mit seiner<br />

57


Schrift, die eher als Luterhisches Pamphlet denn als<br />

ernstzunehmende Prophezeiung zu verstehen ist, nicht<br />

länger im katholisch gebliebenen Hohenzollern weilen<br />

wollte und mit seiner ganzen Familie irgendwohin ins<br />

Württembergische verzogen ist.<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Namenrätsel: Katzenbeere und Micke<br />

A. Die um den Johannistag reifenden roten Gartenbeeren,<br />

die daher Johannesbeeren heißen (rubes rubrum),<br />

sind wohl allgemein bekannt. Weniger scheint dies mit<br />

der schwarzen Sorte (rubes nigrum) der Fall zu sein.<br />

Diese wird wegen des auffallenden Geruches von manchen<br />

gemieden, von andern mit Vorliebe gegessen oder<br />

zu Gsälz eingekocht oder auch zur Likörbereitung verwendet.<br />

Auf der <strong>hohenzollerische</strong>n Alb, z. B. in Ringingen<br />

(und wohl auch in der Umgebung), nennt man diese<br />

schwarzen Johannesbeeren merkwürdigerweise Katzebeeren.<br />

Jemand meinte wegwerfend und stark übertrieben, der<br />

Geruch gleiche dem von Katzendreck. Viele Jahre grübelte<br />

der Berichterstatter über diesen sonderbaren Namen,<br />

bis ein befreundeter Ruheständler, der sich mit<br />

Gartenbau und Französisch befaßt, dem Rätsel auf die<br />

Spur half. In unserem Nachbarland über dem Rhein<br />

heißt die Schwarze Johannesbeere und der daraus bereitete<br />

Likör nämlich cassis. Da das Schluß-S nicht ausgesprochen<br />

wird, bildeten unsere Vorfahren (ich weiß<br />

nicht wann; vielleicht kann dies ein Leser sagen?) die<br />

Wortform Kassi- oder Kassebeeren. Weil sie aber mit<br />

»Kasse« in diesem Zusammenhang nichts anzufangen<br />

wußten, wurde eben Katzenbeeren daraus.<br />

Wie das französiche Wort zu uns auf die Alb kam, wo<br />

man ja auch statt hochdeutschem Tunnel nur von Tunell<br />

(Ton auf dem e) redet, mögen Interessenten erforschen.<br />

Ein Anfrage in der Tageszeitung, wieweit wohl die<br />

Katzenbeere sonst bekannt sei, blieb ohne Echo.<br />

B. Ein ganz anderes Gebiet betrifft die Micke. Es handelt<br />

sich um die Bremse an den Fuhrwerken (natürlich<br />

nicht an Autos!). Die Bezeichnung ist sowohl im Schwäbischen,<br />

im Alemannischen um Freiburg, als auch im<br />

Kraichgau (Baden) und bis ins Allgäu, kurz im oberdeutschen<br />

Raum gebräuchlich. Sehr alt dürfte der Begriff<br />

kaum sein. In Ringingen sei die Micke um 1890<br />

aufgekommen. Noch um 1912 pflegten die Zigeuner ihre<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Zu Namen von Beeren und Früditen<br />

Manche Bezeichnungen der bekanntesten Beeren und<br />

Früchte benötigen keine Erklärung, so die einzelstehende<br />

Einbeere, die Moosbeere, die niedrig an der Erde wachsende<br />

Erdbeere, bei uns zu Aibber fortgebildet, eigentlich<br />

Aidbeere (vgl. Aidfall = Erdfall). Die Heidelbeere wuchs<br />

ursprünglich auf der Heide, heute meist im Wald. Die<br />

auf Bäumen zu findende rote Mehlbeere zeichnet sich<br />

aus durch ihren mehligen Inhalt. Die Kirsche oder Kriese<br />

entstand aus lateinischem ceresia, althochdeutsch Kirse.<br />

Die Schlehe, schwäb. Schlaia, hieß ahd (althochdeutsch)<br />

sleha, mhd siehe. Die Hagebutten (Hegen) setzen<br />

sich zusammen aus Hag und Butte oder Butzen, d. h.<br />

Kerngehäuse. Die gelbe Zipper kam aus Zypern, die<br />

58<br />

Heute sind Vertreter der alten Familie Hospach wieder<br />

(oder immer noch) in der alten Heimat ansässig. Kundige<br />

Leser, die über den Verbleib der Hospach zwischen<br />

dem 16. und 19. Jahrhundert Näheres wissen, möchte ich<br />

um entsprechende Hinweise bitten.<br />

damaligen armseligen Planwägen dadurch zu bremsen,<br />

daß sie von seitwärts einen Bengel ins Rad hielten, und<br />

damit sperrten. Bei schweren Holzfuhrwerken benutzte<br />

man in den steilabfallenden Staigen zusätzlich einen<br />

Radschuh, der »gretzte«, aber natürlich für Teerstraßen<br />

unmöglich war. Solche Wagen hatten manchmal auch<br />

hinten noch eine zusätzliche Micke für die Hinterräder.<br />

In der Freiburger Gegend kann man statt Micke auch<br />

Striicke (Streiche) hören, anderwärts Wicke. Nach<br />

Jos. K. Brechenmacher (schwäbische Sprachkunde 1925,<br />

S. 237) bedeute Micke im Mittelhochdeutschen ein kleines<br />

Brot (lat. mica). Der Mocke ist ein (Holz-)Brocken.<br />

Tatsächlich werden ja durch einen Mechanismus die beiden<br />

Micke-Köpfe gegen die Radfelgen gepreßt. Muck<br />

heißt mancherorts das stechende Insekt Bremse, bzw. die<br />

kleine Stechmücke. Als Zeitwort ist »zuomicka« und<br />

»aufmicka« gebräuchlich. Wer vorne hoch über dem Laiterbaum<br />

auf einem Brett saß, benutzte einen Holzstab,<br />

der vorn eine Öse besaß, mittels der man den Micketriebel<br />

zu- oder aufdrehen konnte: und den man Faulenzer<br />

nannte. Während Fischers »Schwäbisches Wörterbuch« in<br />

der Micke einen Holzbengel oder ein Gabelholz sieht,<br />

redet Brechenmacher a. a. O. von einem Sperrklotz, was<br />

dafür spreche, daß das Wort Micke mit der »Mikke<br />

= spitziger Brotlaib« zusammenhänge. Dies überzeugt<br />

jedoch nicht, wohl aber seine weitere Aussage: Vom selten<br />

aufgezeichneten Wort Micke habe sich bis jetzt keine<br />

eigentliche Wurzel feststellen lassen. Dagegen sagt ein<br />

1893 im Elsaß erschienenes Wörterbuch: Micke komme<br />

von Mekanik und Brechenmacher gibt selber zu, daß im<br />

westlichen Schwaben weniger mehr lebende Formen<br />

»Mickenie« und »Mekenie« bezeugt seien. So wunderte<br />

es eigentlich nicht sehr, als neulich (im Februar 1979)<br />

Univ. Prof. Dr. Eugen Gabriel (aus Vorarlberg) an der<br />

Universität Freiburg mir sehr bestimmt bestätigte: »Der<br />

verhältnismäßig neuen Micke liegt das Wort Mechanik<br />

zu Grunde«.<br />

blaue Griechel aus Griechenland, sind aber fast wieder<br />

verschwunden. Die aus der Römerzeit stammende Pflaume<br />

hieß lat. prunum, ahd phruma und phluma und wurde<br />

mhd zu plume. Die Stachelbeere wächst bekanntlich<br />

an stacheligen Sträuchern. Die Frucht des Weißdorns<br />

nannten wir Kinder Buebanägele. Aber warum Bueba?<br />

Die Brombeere, bei uns Braobeer (obwohl schwarz!) hieß<br />

alt bramoberi, wobei bei uns das M ausfiel. Bramo bedeutete<br />

ahd Dornstrauch. Die Himbeeren, bei uns<br />

Hei(n)dala genannt, leiten sich vom ahd hintberi ab.<br />

Nach R. Loewe wurde der schwachdornige Himbeerstrauch<br />

mit der gehörnlosen Hindin (Hirschkuh) verglichen,<br />

der starkdornige Brombeerstrauch dagegen mit


dem geweihtragenden Hirsch. (Das Eigenschaftswort<br />

hinten könnte »gehörnlos« bedeuten!) Unser D in<br />

Hei(n)dala ist somit wohl begründet. Die Preiselbeere<br />

hat den Namen vom tschechischen bruslina, das slovenisch<br />

zu brsali = abstreifen gehört. Die roten Beeren werden<br />

abgestreift (M. Hohnerlein, Deutscher Sprachschatz).<br />

Wer die Johannisbeeren mit den Jakobi-Aepfeln<br />

vergleicht, wird leicht finden, daß der Name wegen der<br />

Reifungszeit (um Sommerjohanni) gewählt wurde, Ein<br />

lange Jahre mich beschäftigendes Rätsel war die<br />

Schwarze Johannisbeere, die man bei uns Katzabeer<br />

nennt. Jemand wollte sie wegen des eigenartigen Geruchs<br />

stark übertreibend mit Katzendreck zusammen-<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Rangenclinger Seelsorger<br />

Vorbemerkung: Das ins 5./6. Jahrhundert zurückreichende<br />

Dorf Rangendingen taucht erstmals in einer Urkunde<br />

des Klosters St. Gallen (Schweiz) aus dem Jahr<br />

795 (vielleicht 793) als Rangodinga auf. Der Name<br />

dürfte auf einen Personennamen Raginod oder Rangod<br />

führen Diese Urkunde ist wohl nach der vom<br />

Jahr 731 betr. Glatt - das älteste nachweisbare Schriftstück,<br />

das in Hohenzollern ausgestellt wurde. Der lateinische<br />

Text s ist für einen nur des klassischen Lateins<br />

kundigen Heimatfreund nicht leicht verständlich. Er<br />

enthält die erste Nachricht über eine Kirche und einen<br />

Geistlichen am Ort, und schon 802 folgt eine zweite Urkunde<br />

desselben Klosters, die wieder einen Geistlichen<br />

nennt und zugleich erkennen läßt, warum der hl. Gallus<br />

Kirchenpatron in Rangendingen ist. Sie seien darum der<br />

Pfarrliste vorangestellt.<br />

»Im Namen Gottes. Ich Heriker habe den Plan gefaßt,<br />

aus Liebe zu Gott und zu meinem Seelenheil mein Eigentum<br />

hinzugeben. Und zwar übergebe ich es an die Kirche,<br />

die im Dorfe Rangodinga mit dem Patrozinium des<br />

hl. Petrus erbaut ist. Folgendes schenke ich auf der Gemarkung<br />

Rangedingas, was ich eigen besitze und erworben<br />

habe, mit Ausnahme des vierten Teils, Ich übermache<br />

es an die genannte Kirche des Hl. Petrus: Äcker,<br />

Wiesen, Weiden, Felder, Wälder, Wasser, Wasserläufe,<br />

daß die Kirche dies alles in Besitz nehme und behalte,<br />

oder damit auch nach freiem Willen handle. Falls aber,<br />

was hoffentlich nicht eintritt, ich selber oder einer meiner<br />

Erben und Nacherben gegen diese Übergabe angehen<br />

wollte, soll er zunächst den Zorn Gottes erfahren, dann<br />

muß er der zuständigen Staatskasse (Fiskus) Strafe zahlen,<br />

nämlich drei Pfund Gold und fünf Pfund Silber.<br />

Zudem soll er, was er genommen, nicht behalten dürfen.<br />

Vielmehr muß diese Urkunde (epistola) mit förmlicher<br />

Bestätigung (stipulatione subnixa) für alle Zeiten gelten<br />

und fest bleiben. Öffentlich geschehen im Dorfe Rangodinga.<br />

(Es unterzeichnen je mit einem Kreuzlein:) Heriger,<br />

der diese Schenkungsurkunde veranlasste, Rihpert,<br />

Hrodhoh, Wioland, Witfried, Gisalpert, Erpho, Wolfhoh,<br />

Toato, Anno und Teoto. Im 25. Jahr der Regierung<br />

unseres Königs Karl (des Großen), an den 5. Nonen des<br />

Monats Mai (d. i. 3. Mai). Notiert habe ichs am Sonntag.<br />

Ich der Priester Audadcar habe es geschrieben. (Ein »et<br />

subscripsit«, das Wartmann anfügt, fehlt in der Ablichtung<br />

des Originals!) (Nachschrift mit anderer Feder aber<br />

von gleicher Hand:) Und dieser Priester schenkt dem genannten<br />

Heriger vom Kirchengut leinene Kleider auf ein<br />

Jahr, wollene Kleider auf zwei Jahre und Getreide im<br />

Wert von zwei Drittelsschillingen auf drei Jahre, dazu<br />

bringen. Die überraschende Lösung brachte mit ein befreundeter<br />

Oberlehrer, der sich im Ruhestand mit Gartenbau<br />

und französischer Sprache beschäftigt. Er wies<br />

mich auf die französische Bezeichnung cassis = schwarze<br />

Johannisbeere hin. Mit »Kassebeera« konnten natürlich<br />

unsere Vorfahren nichts anfangen und bildeten das Wort<br />

einfach um zu Katzabeere. Zum Schluß sei noch ein stacheliges<br />

Ackerunkraut genannt, für das Fischers Schwäbisches<br />

Wörterbuch keine Erklärung angibt: der Fuudigel,<br />

Furtigel oder Pfurtigel. Der zweite Teil dürfte auf<br />

das bekannte Stacheltier, den Igel, hinweisen, aber was<br />

soll Fuud oder Furt oder Pfuud bedeuten? Furt wäre<br />

eine Durchfahrt, oder vielleicht Ackerfurche?<br />

Speise, falls er will. Alles aus Liebe zu Gott und dem hl.<br />

Petrus. Er darf wählen, wohin man diese Dinge liefern<br />

und die Speisung gewähren solle«.<br />

Karl der Große regierte seit Oktober 768, was nach 25<br />

Jahren 793 ergäbe. Da aber erst im Jahr 795 der Sonntag<br />

auf einen dritten Mai fällt, nahm Wartmann an, der<br />

Schreiber habe sich im Regierungsjahr geirrt, es müsse<br />

heißen: »im 27. Jahr der Regierung«. Da jedoch im Original<br />

vor dem Wort »Notiert« deutlich ein Punkt zu erkennen<br />

ist, könnte man vermuten, die Urkunde sei am<br />

3. Mai 793 verfaßt und am folgenden Sonntag den 5.<br />

Mai ins Reine geschrieben worden, also zwei Jahre früher,<br />

als bisher angenommen. Da die Urkunde im Stiftsarchiv<br />

von St. Gallen liegt und in einem weiteren Urkunden-Fragment<br />

daselbst die Rede ist von einer Schenkung<br />

von Gütern und einer Kirche zu Rangendingen ans<br />

genannte Kloster (unterm 19. August 802), die der Priester<br />

Tachari zu Rangendingen tätigt, muß man annehmen,<br />

dieser als Besitzer der Kirche habe sie samt den<br />

Gütern nach St. Gallen tradiert. Daher wird es kommen,<br />

daß in der Folge in Rangendingen nicht mehr der hl. Petrus,<br />

sondern der hl. Gallus als Kirchenpatron erscheint<br />

4 .<br />

Die Pfarrer:<br />

1. 795 (793?) Priester Audadcar an der Peterskirche<br />

Rangadinga.<br />

2. 802 der Priester Tachari schenkt die Peterskirche an<br />

St. Gallen.<br />

2a 1274 der nicht genannte Rektor der Kirche residiert<br />

am Ort und hat als Jahreseinkommen 5 Mark Silber<br />

(der von Zell hat 10 Mark).<br />

3. 1323 März 1: Kirchherr Marquard Pfinneblater.<br />

4. 1419 Ulrich Klüpfel, Kirchrektor, zahlt 26 fl Erstfrüchte<br />

nach Konstanz.<br />

5. 1436 Nikolaus N. wegen Verletzung der Residenzpflicht<br />

nach Konstanz zitiert: 19. III. 1438.<br />

5a 1437 Verweser N.<br />

6. 1453-69 Michael von Gärtringen (adelig).<br />

7. bis 1480 f Ludwig Schmid aus Hechingen, tot 1480.<br />

8. 1480-88 Johannes Kredler aus Neuffen, prokl.<br />

15. III. präs durch Pfalzgräfin Mechthild, invest.<br />

11. IV. 1480, nimmt schon 12. V. 80 für 1 Jahr Absenz.<br />

Verzichtet 1488.<br />

9. 1488-1514 f Johannes Bader prokl. 25. VII.<br />

10. 1531-50 Wolfgang Mene (Man), invest. 13. VI. 50,<br />

Dekan, ist 1550 tot.<br />

11. 1550-1602 f Konrad Strobel, Kammerer, 1599 Dekan.<br />

59


12. 1602-10 t Daniel Eschay aus Munderkingen, starb<br />

als Kammerer 19. XI. 10.<br />

13. 1610-49 f Leonhard Mock aus Sigmaringen; f<br />

17. II. 49, lange krank.<br />

14. 1643-56 Michael Agrikola, Aushelfer bis 1649,<br />

dann Pfarrer, resignierte 1656 (vgl. Grosselfingen)<br />

15. 1656-67 Johann Christoph Mager aus Rottenburg,<br />

invest. 14. 12. 56 starb ca. 1680 in Rottenburg.<br />

16. 1667-68 Johann Konrad Saile (Saylin) aus Hechingen,<br />

invest. 25. X.<br />

17. 1668-70 Johann Wilhelm Fischbach aus Villingen,<br />

invest. 14. IX. 68. schuldet im J. 1681 als Kaplan in<br />

Hundersingen dem Bischof noch 8 fl.<br />

18. 1670-72 Michael Aichgasser aus Hechingen, invest.<br />

22. I. 71.<br />

19. 1672-1714 Johann Bapt. Pflaum aus Zimmern, invest.<br />

28. 6. 72.<br />

20. 1715-58 Johann Christoph Mang aus Ehingen, gb.<br />

21. VII. 1683 (war 1711 in Jungingen).<br />

21. 1759-92 f Johann Bapt. Schetter, gb. Hechingen<br />

30. V. 19, bisher in Stein, starb 24. III. 1792.<br />

22.1792-1819 f Karl Kolb aus Buchau, gb. 25.11.45,<br />

Pr. 1770, t 8. XII. 1819. War vorher in Stein gewesen.<br />

23. 1821-31 Meinrad Ertle aus Söflingen, gb.<br />

13. VI. 66; Pr. 11. VII. 1790 als Franziskaner in<br />

St. Luzen, was bisher in Stein; in Rangend. seit<br />

23.1.1820, ging 1831 nach Grosselfingen, dort t<br />

27. III. 1845.<br />

24. 1831-51 f J ose f Ant. Maier aus Hechingen, gb.<br />

13. III. 97; Pr. 1821, war seit 1821 in Thanheim, seit<br />

1826 in Jungingen, starb in Rangd. 24. V. 51.<br />

25. 1847 Vikar Josef Baur, gb. Hechingen 20. IX. 22, Pr.<br />

1846; später 1864 Pfr. i. Dietershofen, 1887 Veringendorf;<br />

t 2. II. 1893.<br />

26. 1851-57 Verw. Raphael Bumiller aus Jungingen,<br />

gb. 1823, Pr. 49; f 7. V. 94.<br />

26a Aushelfer: Wilhelm Bosch, geb. Jungingen<br />

5. VII. 19; Pr. 1844, t 24. VII. 66.<br />

26b 1852-56 Friedrich Saile aus Beuren, gb. 22. X. 20,<br />

Pr. 1847; t 6. VI. 1900 als Kaplan in Straßberg.<br />

26c 1856 Huber Honorius aus Littenweiler, gb.<br />

13. XI. 1816; Pr. 1842; 1857 Pfr. in Diessen, 1887<br />

Esseratsweiler; f 25. IV. 94.<br />

27. 1857-67 Bernhard Pfeffer aus Rottweil, gb.<br />

9. IV. 1816, Pr. 1844; invest. 19. II. 57. Nahm 1867<br />

Absenz nach Siberatsweiler, 1873 Pfr. Bisingen bis<br />

1901; t Sigmaringen 2. VII. 1905.<br />

28. 1867-86 Eugen Brucker aus Straßberg, geb.<br />

4.9.1841, Pr. 1865; invest. 17. V. 73. Ging nach<br />

Harthausen/Scher, 1895-1916 Dekan; f 25. V. 1920.<br />

29. 1887-90 t Friedrich Mayer aus Hechingen, gb.<br />

7. V. 1841, Pr. 1867, bisher in Boll, invest. 8. II. 88; f<br />

7. 1.90.<br />

30.1890-91: Nach Aushilfe durch Pfr. Hch. Hutmacher<br />

zu Hart (gb. Haigerl. 3. X. 40, Pr. 1868;<br />

1891-1914 Pfr. in Gruol; dort t 13- HI. 15) kam<br />

am 20. Aug. als Verw. Carl Haiß, gb. Jungingen<br />

2. I. 54; Pr. 1880; kam 1891 als Pfr. nach Feldhausen,<br />

1911 mit Absenz ins Waisenhaus Nazareth i.<br />

Sigmaringen, resig. 1916; f dort 10. III. 1917.<br />

31.1891-1902 Josef Pfister aus Gruol, gb. 21. III. 43;<br />

Pr. 1871, invest. (nach bisherigem Wirken in Fischingen)<br />

4. VIII. 91, ging nach Dettlingen, pens. 1910;<br />

t Gruol 15. VII. 1929.<br />

32.1902 Juni 12: Verw .Johann Nep. Steinhart, bisher<br />

Weildorf, gb. Inzigkofen 26. IV. 1873; Kr. 1897.<br />

Kam 1903 als Kapl. nach Ostrach, 1907 Pfr. in Betra;<br />

t 29. VI. 27.<br />

60<br />

33.1903-12 Oskar Witz, gb. Höfendorf 28. VII. 1868,<br />

Pr. 1892; Aufzug 11. Aug. Invest. 18. VIII. 03; lange<br />

krank; f Rottenmünster 18. X. 25; beerd. Rangdg.<br />

34.1912: Ver. seit l.Aug. Karl Miller, geb. Bingen<br />

26. II. 86, Pr. 1911; bisher in Wald; 1929 Pfr. in<br />

Harthausen/Sch. f Sigmarg. 14. IV. 1940.<br />

35.1913 31. Aug.: Vik. Karl Kreidler, gb. Dießen<br />

2. VI. 89, später Pfr. in Walbertsweiler; verungl. bei<br />

Dürrheim 18. V. 1962.<br />

36. 1914 6. Novb.: Vik. Otto Freitag, bisher Achkarren,<br />

später Pfr. in Winzenhofen, t 12. III. 1965.<br />

37.1915 9. Aug. Vik. Max Schlenk, gb. Rust<br />

14. VII. 1890, Pr. 1915; starb als Pfr. in Leipferdingen<br />

30. V. 1944. Aushilfe durch Gorheimer Pater.<br />

38. 1920 15. Jan. Aushilfe durch Peter Sickler, bisher Bisingen,<br />

ab 1925 hier Pfarrer.<br />

39. 1920 4. Aug. Fidelis Wieland, gb. Bernweiler<br />

5. XI. 88. Wurde 1922 Vikar in Stein, am 2. VI. 1929<br />

Pfr. in Thalheim, Ruhestand 1. Aug. 70 in Allmandingen;<br />

t 15.1. 1972.<br />

40. 1922 Juli 12: Martin Stadler, gb. Rast 6. II. 96, Pr.<br />

1922, später Pfr. in Aach, t 27. V. 1963.<br />

41. 1923 Aug. 1.: Peter Heinzelmann, gb. Melchingen<br />

1897, später Pfr. i. Mindersdorf, dann Ringingen.<br />

Gest. in der Heimat 30. VI. 1973.<br />

42. Sept. 9.: Bernhard Merkel, gb. Reichental 10. IV. 88,<br />

Pr. 1914, später Ballrechten, 1926 Pfr. Hartheim,<br />

1933 Beuren a. d. Aach; f 2. XII. 1933.<br />

43.1925-45 Peter Sickler, gb. Dettingen 25. X. 1890,<br />

Pr. 1915. Aufzug 22. Dez. invest. 27. Dez. 1945<br />

Schlaganfall, f 18. IV. 46.<br />

44. 1945 Verw. Augustin Mayer, gb. Oberwolfach<br />

5. X. 97; Pr. 1924. Bisher pens. als Naziverfolgter in<br />

Burladingen; starb 1962 als Pfr. von Hügelsheim.<br />

45. 1946- Stephan Gauggel, gb. Benzingen 4. I. 05, Pr.<br />

1931, bisher Fischingen, hier seit 19. Dez. 46, invest.<br />

19. I. 47, seit 16. I. 64 Dekan.<br />

Rangendinger Frühmesser<br />

Zustiftung zur Frühmesspfründe: Hohz. Heimt 1961,<br />

9-11.<br />

1428 Okt. 21.: Hans Wilhamer, zugleich Kirchherr zu<br />

Weildorf!<br />

1442 Jan. 16.: Johannes Schmid, Frühmesser in Rangend.,<br />

wird wegen homicidium seiner Pfründe und<br />

Habe beraubt, ein Laie aber wegen Gefangennahme<br />

des Kirchherrn von der Zensur freigesprochen.<br />

1464 Michael Husner, resigniert u. geht als Kapl. nach<br />

Killer.<br />

1464 Okt. 15.: Johannes Kymerlin aus Hechingen, alias<br />

aus Beuren, bisher in Killer, wird Frühmesser in Rangendingen,<br />

resign. aber schon 1465. Ist ca. 1480<br />

Kapl. am Laurentiusaltar in St. Luzen-Hechingen.<br />

1465 Dez. 19. wird eingesetzt Michael Betz aus Balingen,<br />

resign. 1466.<br />

1466 Okt. 4.: Konrad Kotz, auch 13. Okt. als Frühmesser<br />

erwähnt.<br />

bis 1483 Martin Guttbrot, wo er stirbt.<br />

bis 1490 Dietricus N., primissarius in Rangendingen.<br />

1519 Johannes N. Frühmesser in R.<br />

1532 Laurentius Werner, (1531 Pfarrer in Dusslingen) ist<br />

Frühmesser in Rang.<br />

1593 Der Pfarrer Christoph Härlin in Stein versieht<br />

auch die Frühmesspfr. in Rangendingen bzw. bezieht<br />

die Einkünfte.<br />

1599 der Pfarrer Mathäus Rausch in Stein ebenso.<br />

1<br />

Mitt. Hohz. 31, 1897, 96.<br />

2<br />

Hohz. Heimat 1959, 11.<br />

3<br />

Wartmann UB von St. Gallen I, 131 und Mitt, Hohz. 31,<br />

1877, 22.<br />

4 Mitt. Hohz. 31, 1877, 25 26.


JOHANN ADAM KRAUS<br />

Ringinger Feuerversicherung 1788<br />

Im Jubiläumsbericht der 30jährigen Freiwilligen Feuerwehr<br />

Ringingen in Nr. 126 der Hohenzollerischen Zeitung<br />

1977 wurde erwähnt: auf dem hiesigen Rathaus<br />

habe sich bis zu den Kriegseinwirkungen 1945 eine Liste<br />

»Einzugsrodel zu denen Brandbeyträgen für Ringingen<br />

1788-1793« befunden, von der in den »Notizen zur<br />

Ortsgeschichte« im fürstlichen Archiv Sigmaringen noch<br />

eine Abschrift erhalten ist. Darin sind alle Häuser, die<br />

Wohnungen und 20 separate Scheunen, darunter die<br />

herrschaftlich fürstenbergische Zehntscheuer und die<br />

Schafscheuer (Nr. 81 und 82 oben im Dorf beim ehemaligen<br />

Viechbrunnen) mit ihren Schätzungswerten 800<br />

und 900 fl aufgeführt. Es waren 118 Familien mit eigenem<br />

Haus. Vier Gebäude beherbergten je 2 Familien bei<br />

insgesamt 640 Einwohnern. Die totale Schätzungssumme<br />

betrug 55200 fl (Gulden), wobei ein Gulden damals in<br />

einem Wert von etwa 4 Goldmark (um 1900) anzusetzen<br />

ist.<br />

Für die Kirche waren 6000 fl, fürs Pfarrhaus 1200 und<br />

die Pfarrscheuer dahinter 600 fl angesetzt. In dem Verzeichnis<br />

sind vom Kopisten die heutigen Hausnummern<br />

mitvermerkt und auch im Häuserbuch des Rathauses notiert,<br />

was einen Vergleich mit jetzigen Verhältnissen zuläßt.<br />

Die 3 Kapellen zu ULb. Frau, St. Gallus und den<br />

Schachern waren nicht taxiert. Das heutige Gebäude der<br />

ehemaligen »Sonne« (Familie Unmuth), damals Johann<br />

Mich. Heinrich, war zu 1200 fl, seine Scheuer zu 400 fl<br />

taxiert. Gleich oberhalb (jetziges sog. Schulthessen Haus<br />

JOHANN WANNENMACHER<br />

Aus unserer heimischen Mundart<br />

Sinnträchtige Redewendungen und Ausdrücke<br />

Mehr als in den vergangenen Jahren wird zur Zeit immer<br />

wieder von maßgeblichen Stellen der Wert der Verbundenheit<br />

mit der Heimat herausgestellt, die Pflege des<br />

guten Alten betont, das als Grundlage für das gegenwärtige<br />

und zukünftige Schaffen angesehen wird. »Heimat<br />

hat man nur da, wo man mit dem Naturhaft-Geistigen,<br />

das diesem Raum entsprossen ist, innerlich verwachsen<br />

ist«, sagt Eduard Spranger. - Die Mundart ist geistigseelisch<br />

echte Urnatur der Heimat. Deswegen ihre so<br />

eigenen Wortprägungen, in denen die ganze Volksseele<br />

mit ihrer Innerlichkeit eingeschlossen ist. Da hört man<br />

beispielweise: »Jetzt muaß i g a u g a u !« d. h.<br />

gleich gehen. Die Klanghöhe der beiden »gau gau« ist<br />

verschieden, was zu ihrem doppelten Sinn und ihrer Gemütlichkeit<br />

wesentlich beiträgt. - Ähnlich ist es bei<br />

der Redewendung: »Jetzt geischt (gibst) noo<br />

n o o ! « = dann nach. Wenn sich Kinder zanken und<br />

streiten oder gegenseitig immer belästigen, so kann man<br />

obige Aufforderung zur Beendigung des unguten Tuns<br />

hören. In der gleichen Lage, oder wenn auch Erwachsene<br />

mit irgend etwas zu lange und zu hart bedrückt werden,<br />

gebraucht man die Wendung: »Aber jetzt ischt no<br />

gnuag Hai (Heu) honna!« = unten. Wird man zu häufig<br />

mit etwas angegangen, so heißt es: »Dear (diea) kommt<br />

äll >Häck< mit ebbes drhear!«<br />

Die Glieder und Teile des menschlichen Körpers haben<br />

in der Mundart auch ihre eigenen Namen. Da gibt es<br />

kein Knie, sondern das »Knuub«. Und in der Kirche tut<br />

Nr. 57 samt Platz der heutigen Häuser 58 = Gastwirtschaft<br />

»Adler« und Nr. 149) stand das »Lamm« des Fidelis<br />

Stelzle, zu 2150 fl, genau gegenüber auf der südlichen<br />

Straßenseite (jetzt Nr. 60 Bailer), die zu 850 geschätzte<br />

Scheuer. Johann Bailers (des alten) Haus (jetzt<br />

Christian Emele Nr. 106, wohl noch das heutige) ist mit<br />

1200 fl angegeben. Ganz niedrig sind die Häuslein des<br />

Bruno Stelzle (Zuggasse Nr. 26) und Veit Dietz (Kreben<br />

Nr. 21), dejj Norbert Buck (Hälschloch Nr. 3) und Josef<br />

Pfister (Bach Nr. 64), Kaspar Freudemann (Hohlweg<br />

Nr. 88), Josef Beck (dabei Nr. 90) mit jeweils nur 150 fl<br />

angeschlagen, die armselige Hütte des als »Geisterseher«<br />

bekannten Vinzens Diebold (dabei Nr. 89) mit nur<br />

100 fl taxiert, ebenso eines Marzeil Holzers Erben (abgeg.<br />

Nr. 94a). Die Brandbeiträge der Einwohner des<br />

Jahres 1788 betrugen pro 100 fl jährlich 3 Kreuzer, 1789<br />

sieben, 1790 fünf und 1793 wieder 3 Kreuzer, offenbar<br />

berechnet nach den vorgekommenen Brandschäden im<br />

Amt Trochtelfingen (und Jungnau?). Die Fürsorge der<br />

fürstenbergischen Regierung für die Untertanen bzw. in<br />

unserem Fall für die evtl. Brandgeschädigten ist zweifellos<br />

hoch anzuschlagen, mag auch bei der damaligen<br />

Geldknappheit der Jahresbeitrag die Einwohner hart genug<br />

gedrückt haben. Beim Haus Nr. 63 des Seb. Rueß<br />

(jetzt Ott am Bach) ist notiert, die zu 200 fl angesetzte<br />

Scheuer sei vor 61 Jahren abgebrochen worden. Dies beweist<br />

das Bestehen der Feuerversicherung schon im Jahre<br />

1727!<br />

man »naknuubla« = hinknien. Der Nacken ist der<br />

»Nauuba«. Hat man in den Kniegelenken Schmerzen, so<br />

hat man es in »Da Gääder« drin. Die Leistengegend<br />

nennt man in der Mundart »'s- Gmäch«. Hat einer recht<br />

große und ungepflegte Hände, so sind das recht<br />

»wüaschte Gloopa« Fällt Jemand durch sein böses<br />

Mundwerk auf, so bescheinigt man ihm dies mit den<br />

Worten: »Dear (Diea) hotnoo a frecha >Gosch


ist er halt ein »oafälteger« Kerle. Sind Kleider oder Gegenstände<br />

aller Art etwas zu knapp geraten, dann passen<br />

sie grad noch so leidlich, sind aber »bschnotta« oder<br />

»bhääb«. Auch Menschen können beim Geben »bhääb«<br />

sei. Hatte früher eine Hose oder ein Rock ein Loch, so<br />

setzte man einen »Blätz« darauf. Reisigwellen vor dem<br />

Hause hatte man früher mit der »Hoop« zu Kleinholz<br />

gemacht. Die »Hoop« war ein starkes, vorne nach oben<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Zu unserer Mundart<br />

Nur in den Städten und bei starkem Zuzug von Landfremden<br />

sei die Mundart stärker gefährdet, meint der<br />

Freiburger Dialektforscher Univ. Prof. Dr. Eugen Gabriel.<br />

Er äußerte sich anläßlich einer Vortragsreihe des<br />

dortigen Alemannischen Instituts (Mozartstr. 30, ein paralleles<br />

Institut besteht an der Universität Tübingen)<br />

über die Landschaft, Geschichte und Kultur des Bodenseeraums,<br />

die später im Druck erscheinen soll, wie schon<br />

früher über den Schwarzwald. Professor Gabriel stammt<br />

aus Vorarlberg und erforscht die einzelnen Mundarten<br />

rund um den Bodensee, nämlich die seines Heimatgebiets,<br />

der Schweiz, Badens und Württembergs. Der Vortrag verglich<br />

das schweizerische Idiom mit dem südalemannischen<br />

und südschwäbischen und zeigte, wie es nicht anders<br />

zu erwarten war, die ungemein großen Mannigfaltigkeiten<br />

und Verschiedenheiten von Gegend zu Gegend, ja<br />

von Dorf zu Dorf, wie sie auch bei uns jedem leicht erkennbar<br />

sind.<br />

1. Aus den vielen beigezogenen Beispielen sei nur ein uralter<br />

Ausdruck, das Zeitwort färben (firben) erwähnt.<br />

Firben heißt bei uns auf der Alb und nach Josef Karl<br />

Brechenmachers Schwäbischer Sprachkunde (Stuttg.<br />

1925, 920) wohl nur noch in der südwestlichen Ecke des<br />

schwäbischen Gebiets (früher weitverbreitet) soviel wie<br />

reinigen, fegen, putzen, kehren, meines Wissens in Ringingen<br />

aber nur »reinigen mit dem Besen«. Man firbt<br />

also die Stube, den Hof, die Stiege, den Weg usw. Bereits<br />

im Althochdeutschen um 850 n. Chr. kommt das<br />

Wort vor als furapjan und furpan. Mittelhochdeutsch<br />

lautete die Form vürben und fürwen. Otfried von Weißenburg<br />

i. Elsaß benützt es in seinem Evangeliengedicht<br />

»Krist« in der Bedeutung »die Seele reinigen von Sünden«,<br />

was aber nicht heißen soll, es sei bloß auf religiösem<br />

Gebiet gebraucht worden. Schade, daß dieses urtümliche<br />

Wort firben weithin in Abgang kam, denn das heute<br />

dafür benützte auch alte »kehren« bedeutet sowohl<br />

umkehren, umdrehen, als auch reinigen. Es ist also zweideutig.<br />

Auch dieses Wort findet sich, wohl aus späterer<br />

Entwicklung, in Ringingen im Wort Kehrwisch (Kairwisch)<br />

= Handbesen aus Haaren (nicht Reisigbesen).<br />

Übrigens sagt man in Eschbach bei Freiburg statt firben:<br />

schwaifen. Nebenher darf noch hingewiesen werden, daß<br />

vor Jahrhunderten auch bei uns das Wort Matte für<br />

Wiese üblich gewesen zu sein scheint, das doch heute nur<br />

im Alemannischen gebraucht wird. Im Jahre 1545 hieß<br />

ein Feld in Ringingen Breinismatt, das im Lauf der Zeit<br />

zu Bräunschmack verderbt wurde, als man den Sinn<br />

nicht mehr kannte. Ähnlich ging es mit dem 1524<br />

wähnten Feld Bürtestal (Tal des Burte) am Ringinger<br />

Ortsrand, das zu unsinnigem Birenstall verballhornt ist.<br />

2. Die Baufalla war in unserer Jugend vor über 65 Jahren<br />

in Ringingen ein meist kleiner Kinderspielball aus<br />

Tuch oder ähnlichem Stoff, sehr selten schon aus elastischem<br />

Gummi. In dem Maße, in dem der nach dem 1.<br />

Weltkrieg aus England zu uns gekommene Fußball sich bei<br />

62<br />

gekrümmtes Messer mit einem Holzgriff. - Einer, der<br />

alles bis ins Kleinste ausdenkt, ausprobiert und es mit allem<br />

sehr genau nimmt, ist »difftleg« oder a »Difftler«.<br />

Wortschatz und Klangfarbe sind im Schwäbischen oft<br />

von Ortschaft zu Ortschaft etwas verschieden. Aber gerade<br />

darin zeigt sich die wunderbare Vielfalt und Gestaltungskraft<br />

unserer schwäbischen Heimat und Landschaft.<br />

der Jugend durchsetzte zum fast unumschränkten Sport,<br />

ging auch die Baufalla zurück, so daß heute selbst der<br />

Name so gut wie ausgelöscht erscheint. Man redet nur<br />

noch vom Ball oder Balla. Fischers Schwäbisches Wörterbuch<br />

kennt die Baufalla nur in der Bedeutung Tannenzapfen<br />

von Meßstetten (HJHeft 1953, 124). Uber<br />

die Erklärung des Wortes konnte ich nichts ganz Befriedigendes<br />

finden. Man hörte beispielsweise in Burladingen<br />

auch die Form Bauballa oder in direkter Umkehrung<br />

Fauballa, wobei die erste Silbe ebenfalls unerklärlich ist,<br />

die zweite und dritte aber offensichtlich eine Erklärung<br />

darstellt. Es steht eben das ganze Wort in Frage. Buf<br />

hieß im Mittelhochdeutschen ein Brett-Spiel. Man mag<br />

annehmen, das Wort gehöre ursprünglich zu puffen oder<br />

stoßen und sei im Schwäbischen zu Bauf geworden, wie<br />

ruff zu rauf. Die Lateiner kannten den Ball als follis<br />

und der englische puffball ist ein Bovist(Pilz), während<br />

das Eigenschaftswort puffy auf der Insel als aufgeblasen<br />

oder bauschig gilt. Ob bei uns nicht englische Einflüsse<br />

vorliegen? Es müßte nur das b von puffball weggefallen<br />

sein, woraus dann Baufalla wurde, eben unser ehemaliger<br />

Kinderspielball. Erwähnenswert erscheint die Äußerung<br />

eines Landfremden: In Burladingen hätten die Kinder<br />

ehemals nicht Baufalla, sonder Baufarla gesagt. Dies war<br />

bestimmt jedoch ein Fehlschluß, nicht bezüglich der<br />

Sprache, sondern der Schreibung! Denn noch vor 40<br />

Jahren haben bejahrte Einheimische im heutigen Zentralort<br />

Burladingen fast alle das L in englischer Weise<br />

mit einem unwillkürlich eingeschobenen R zu einem neuen<br />

Laut umgebildet, was übrigens auch von den alten<br />

Tailfingern behauptet wird. So klang z. B. das Wort<br />

Halde wie Harlde und Baufalla wie Baufarla, genau wie<br />

im Dorfnamen Burladingen. Es könnten viele Beispiele<br />

angeführt werden. Ich nenne nur Horlz, Fearld, Warld,<br />

Fer/sen usw. Einem damals schon alten Burladinger<br />

Händler und Hausierer Jonas wurde von anderwärts der<br />

Spruch in den Mund gelegt: »S Burladinger Horlz isch s<br />

beseht Horlz, s brennt wie an Zindhor/z«. Doch schon<br />

vor 40 Jahren mit immer stärker aufkommender Industrie<br />

und dem Zuzug vieler Fremder kam die rl-Form<br />

besonders bei der jungen Generation immer mehr in Abgang,<br />

so daß sie heute praktisch der Vergangenheit angehören<br />

dürfte.<br />

JOHANN ADAM KRAUS<br />

Es gibt keinen Bach Killer<br />

In Aufsätzen der Tagespresse findet man immer wieder,<br />

wie übrigens schon im Jahre 1940 1 gerügt werden mußte,<br />

im oberen Killertal einen unmöglichen Bach Killer<br />

verzeichnet. Unmöglich: wegen des angeblichen Laufes<br />

vom Weilertal ob Hausen nur bis zum Dorfe Starzein,<br />

während das Dorf Killer unterhalb liegt, unmöglich aber


auch, weil der Name Killer ja aus dem früheren Dorfbzw.<br />

Pfarreinamen Kilchwiler zu Kilwiler und dann<br />

Killer wurde, was niemals ein Gewässer bezeichnen<br />

kann. Das Killertal umfaßte genau den Umfang der ehemaligen<br />

Pfarrei, nämlich Hausen, Starzein, Killer und<br />

Jungingen. Die Ursache der Fehlbezeichnung lag in den<br />

Landkarten vor dem Jahr 1946, die den „Bach Killer"<br />

vom Weilertal ausgehen aber ausgerechnet in Starzlen<br />

enden ließen, während das Dorf Killer doch weiter talabwärts<br />

liegt. Größere Flüsse sind bekanntlich nicht vom<br />

Ursprung her benannt, sondern von der Mündung her:<br />

„Brigach und Breg bringen die Donau zuweg" sagt der<br />

Volksmund. Ähnlich verhält es sich mit der Starzel (Bedeutung:<br />

Sturzbach), die man nach vielfach geäußerter<br />

Ansicht beim Dorf Starzel entstehend ansah. Neuestens<br />

meinte ein „hab" in einem sonst sehr ansprechenden Bericht<br />

„Die Starzel vom Ursprung bis zur Mündung" 2 irrig,<br />

der Starzelbach komme aus Richtung Onstmettingen,<br />

weil er offenbar nicht weiß, daß seit mindestens 400<br />

Jahren dieser Zufluß aus dem Starzler Loch (1740<br />

Nockental!) Scharlenbach heißt. Im Urbar des Klosters<br />

Beuron von 1559 3 , das mindestens seit dem 14. Jahrhundert<br />

als Grundbesitzer im Killertal sich wohl auskannte,<br />

heißt dieser von Westen kommende Zufluß Scharlachbach,<br />

vielleicht nach den gelegentlich dort vorkommenden<br />

roten Algen benannt. Um 1733/40 4 trägt dieser<br />

Bach die Bezeichnung Charlen- oder Scharlenbach, wie<br />

noch heute! Das genannte Urbar enthält einen Hinweis:<br />

im Dorfe Hausen stoße ein bestimmter Acker „auf die<br />

Starzel hinab", die also damals schon in Hausen und<br />

nicht erst in Starzein ihren Namen hatte, folglich aus<br />

dem Weilertal herab (von Gemarkung Tailfingen) kam.<br />

Dort muß also die eigentlich Starzelquelle liegen. Frei-<br />

Abschied von Pfarrer Hermann<br />

Ein Unglück kommt selten allein, könnte man fast sagen.<br />

Der Hohenzollerische Geschichtsverein hatte eben die<br />

Versetzung seines Vorsitzenden, Dr. Richter, zur Kenntnis<br />

genommen, als die zweite Hiobsbotschaft eintraf:<br />

Pfarrer Manfred Hermann verläßt Neufra und bekommt<br />

eine Pfarrei im Breisgau.<br />

In der Mitgliederversammlung des Geschichtsvereins am<br />

1. Dezember 1979 in Stein hat Dr. Richter Pfarrer Hermann<br />

verabschiedet und ihm im Namen aller Mitglieder<br />

für seine vielfältige Tätigkeit gedankt. Pfarrer Hermann<br />

ist es vor allem zu danken, wenn in den vergangenen<br />

Jahren »Schwung« in den Geschichtsverein kam. Er hat<br />

Exkursionen angeregt, diese oft selbst geführt und Einführungsvorträge<br />

gehalten. Von seinen zahlreichen Entdeckungen<br />

auf dem Gebiet der Kunstgeschichte in Hohenzollern<br />

hat er in vielen Vorträgen, auch außerhalb<br />

des Geschichtsvereins, berichtet.<br />

Was Pfarrer Hermann für die Kunstgeschichte in Hohenzollern<br />

geleistet hat, könnte man fast schon als »Lebenswerk«<br />

bezeichnen; dabei war es kaum das Werk eines<br />

Jahrzehnts. Unbekannte oder wenig bekannte Bildhauer<br />

und Maler hat er reihenweise ans Licht gezogen.<br />

Zahlreiche Kunstwerke in unserer näheren Umgebung<br />

konnte er einem bestimmten Meister zuweisen. Meßkelche<br />

und Monstranzen unbekannter Herkunft nimmt er<br />

nur in die Hand: Hier Meisterzeichen, da Beschlagzeichen,<br />

stammt von Meister X aus Y. So einfach ist das -<br />

wenn man es kann.<br />

Pfarrer Hermann interessiert sich nicht nur für die »große<br />

Kunst«. Auch in die heimische Volkskunst konnte er<br />

viel Licht bringen. Ein bleibendes Geschenk für uns alle<br />

ist sein Buch »Volkskunst auf dem Hochberg«. Zuletzt<br />

hat er sich mit der Maler- und Bildhauerfamilie Strüb<br />

lieh auf der Freusberger zollerischen Forstkarte um 1733<br />

und einem Fischwässerverzeichnis von ca. 1740 4 sind<br />

folgende winzige Wässerlein aufgeführt: Weilertalbächle<br />

und dann von links zufließend: Schwarzer Brunnen,<br />

Abentalbrunnen, Daubenbrunnen, endlich der besagte<br />

Scharlenbach bei Starzein. Auf der rechten Seite fließen<br />

zu der Uscherbrunnen, der Neubrunnen von der Schlichte<br />

und unterhalb Killer das Gerstenbächle (das jedoch im<br />

Oberlauf bei der Ringinger Mühle Buchenbach heißt).<br />

Man hat somit den Weilertalbach (jetzt stark geschröpft<br />

durch Brunnenleitungen) als die eigentliche Starzelquelle<br />

anzusprechen! Wenn aber auf Landkarten vom Weilertal<br />

bis Starzein ein Bach Killer eingetragen war, so kann<br />

man dies nicht anders als Unsinn bezeichnen, der immer<br />

wieder die Heimatfreunde irreführt. Nebenbei ist zu<br />

„hab" zu bemerken: Es gibt unterhalb von Stein-Hechingen<br />

links der Starzel im Pfarrwald keine Volksoder<br />

Fluchtburg, sondern die bescheidenen Reste einer<br />

ehemaligen Ritterburg, die gelegentlich Mus- oder Miesburg<br />

genannt wurde, über die jedoch nicht das Geringste<br />

bekannt ist.<br />

Anmerkungen:<br />

1 Zoller<strong>heimat</strong> 1940, 21.<br />

2 Hohenzollerische Zeitung vom 13. Oktober 1978.<br />

3 Beuroner Besitz im Killertal 1559: wie Note 1: 1937,<br />

46-47.<br />

4 Forstkarte 1733 von Freusberg: Anhang zu Jul. Cramers<br />

„Grafschaft Hohenzollern", 1873: Zollerische Fischwässer<br />

1740 in Note 1: 1939, 73. Nach Mitteilung des Landesvermessungsamts<br />

Baden-Württemberg (Stuttgart, Büchsenstr.<br />

54) wurde im Jahre 1946 in den amtlichen Karten<br />

der Name Killer im Weilertal in „Starzel" umgeändert. Leider<br />

sind dadurch frühere Karten nicht berührt!<br />

von Veringen befaßt. Ob da noch vom Breisgau herüber<br />

eines Tages etwas Neues kommen wird? Wer schon einmal<br />

einen Lichtbildervortrag von Pfarrer Hermann miterlebt<br />

hat, weiß, daß er ein hervorragender Fotograf ist.<br />

Zahlreiche Kunstwerke in Kirchen, Kapellen und Pfarrhäusern<br />

hat er in den vergangenen Jahren fotografiert<br />

und inventarisiert.<br />

Wer ihn nicht kennt, wird es kaum glauben: er ist keineswegs<br />

auf Kunstgeschichte fixiert. Pfarrer Hermann<br />

ist z. B. ein Experte für Postgeschichte. Wer einmal das<br />

Ticken zahlreicher Uhren im Pfarrhaus von Neufra gehört<br />

hat, ahnt es. Er ist auch ein Uhrenliebhaber. Das<br />

bedeutet bei ihm, daß er sich auf dem Gebiet mit wissenschaftlicher<br />

Akribie betätigt. So ist er an dem grundlegenden<br />

Werk von Bender »Die Uhrenmacher des hohen<br />

Schwarzwaldes und ihre Werke« beteiligt. Wenn wir<br />

schon im Schwarzwald, Pfarrer Hermanns Heimat sind,<br />

dann könnte man z. B. den Bildhauer Mathias Faller erwähnen,<br />

dessen Werk und Leben er erforscht hat. Oder<br />

Kirchenführer (im Verlag Schnell und Steiner), die von<br />

ihm verfaßt wurden.<br />

Seit sechs Jahren erschienen in der »Hohenzollerischen<br />

Heimat« viele Arbeiten zu kunstgeschichtlichen Themen<br />

aus seiner Feder. Noch mehr müssen wir ihm jedoch für<br />

die selbstlose Arbeit an unserer Zeitschrift danken. Für<br />

die Zusammenstellung vieler Nummern, Fahrten zur<br />

Druckerei und Kleben von Satzspiegeln. Bescheiden wie<br />

er ist, wehrte er sich lange Zeit gegen das Erscheinen seines<br />

Namens im Impressum. Leser und Schriftleitung hoffen,<br />

daß auch in Zukunft noch ab und zu einmal etwas<br />

von Pfarrer Hermann in unserem Blatt erscheinen wird.<br />

Doch zunächst müssen wir Abschied nehmen und uns<br />

herzlich für alles bedanken. H. Burkarth<br />

63


Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> Geschichtsverein<br />

Karlstr. 3, 7480 Sigmaringen<br />

W <strong>3828</strong> FX<br />

Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />

Dank an Walther Frick<br />

1969/70 stand es schlecht um die »Hohenzollerische<br />

Heimat«. Die Buchdruckerei Acker, welche von der ersten<br />

Nummer an das finanzielle Risiko des Blattes getragen<br />

hatte, kündigte. Der damalige Schriftleiter legte sein<br />

Amt nieder. Um den Fortbestand zu sichern, mußte der<br />

Hohenzollerische Geschichtsverein den Verlag übernehmen.<br />

Herr Dr. Stemmler tat dies in dankenswerter Weise.<br />

Er stellte auch die Nummer 1/1970 zusammen, die<br />

erstmals bei Liehner in Sigmaringen gedruckt wurde.<br />

In dieser Lage stellte sich Walther Frick, <strong>heimat</strong>- und<br />

volkskundlich interessierter Journalist, zur Verfügung.<br />

Er war fachkundig und hatte Kontakt zur Druckerei.<br />

Schon die Nr. 2/1970 trug deutlich seine Handschrift.<br />

»Wie steht es um Hohenzollern?« Die Kreisreform stand<br />

vor der Tür und damit das Ende Hohenzollerns. »Wir<br />

nehmen Abschied vom politischen Begriff Hohenzollern,<br />

aber keineswegs von Hohenzollern«, so schrieb er ein<br />

Jahr später. In allen Nummern der »Hohenzollerischen<br />

Heimat« finden wir um diese Zeit größere und kleinere,<br />

meist aktuelle Beiträge von Walther Frick. Frau Leonie<br />

Frick stellte als Pressefotografin zahlreiche Fotos und<br />

Reproduktionen zur Verfügung. Auch ihr an dieser Stelle<br />

herzlichen Dank.<br />

Walther Frick war nicht nur bestrebt, Beiträge über<br />

»Alt-Hohenzollern« zu bringen, er versuchte auch die<br />

Umgebung miteinzubeziehen. Mühsam, mit Schere und<br />

Kleister, machte er Jahr für Jahr den Satzspiegel für unser<br />

Blatt. Berufliche Beanspruchung und angeschlagene<br />

Gesundheit zwangen ihn, im Lauf der Zeit die Mitarbeit<br />

einzuschränken. Nun scheidet er auf eigenen Wunsch aus<br />

der Redaktion der »Hohenzollerischen Heimat« aus. Er<br />

wird uns jedoch weiter treu bleiben und hoffentlich noch<br />

viele interessante Beiträge liefern. So bleibt mir nur, ihm<br />

für alle Mühe und Arbeit in den vergangenen Jahren<br />

recht herzlich zu danken. H. Burkarth<br />

Buchbesprechung<br />

Bilderatlas zur Geschichte<br />

Die Besprechung des »Bilderatlas zur Badisch-Pfälzischen<br />

Geschichte« muß mit einem »leider« beginnen: leider<br />

gibt es so etwas (noch?) nicht für die Hohenzolleri-<br />

HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />

hrsggbn. vom Hohenz. Geschichtsverein.<br />

Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />

ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie<br />

will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />

und der angrenzenden Landesteile<br />

mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut<br />

machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />

auch populär gehaltene Beiträge.<br />

Bezugspreis: 6,00 DM jährlich.<br />

Konten der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />

802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />

123 63-707 Postscheckamt Stuttgart<br />

Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />

KG, 7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />

64<br />

Die Autoren dieser Nummer:<br />

Casimir Bumiller<br />

7455 Jungingen<br />

Dr. med. Herbert Burkarth<br />

Eichertstraße 6, 7487 Gammertingen<br />

Walther Frick, Journalist<br />

Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />

Dr. Wilhelm Haase, Vizepräsident a. D.<br />

Kärntner Straße 32, 7450 Hechingen<br />

Pfr. ]. A. Kraus, Erzb. Archivar i. R.<br />

Badstraße 8, 7800 Freiburg<br />

Hans Peter Müller<br />

Weiherplatz 7, 7241 Empfingen<br />

sche Geschichte; und genau das ist es, was uns fehlt. Das<br />

Buch ist ein »Reprint«, eine unveränderte Nachdrucksausgabe<br />

des gleichnamigen Werkes von Professor Dr.<br />

Karl Wild aus dem Jahre 1904. Diese Besprechung verdient<br />

aber dennoch hier einen Platz, auch wenn badischpfälzische<br />

Geschichte für Hohenzollern, von einigen dynastischen<br />

Verbindungen abgesehen, in einiger Ferne<br />

liegt, und zwar aus zwei Gründen.<br />

Der eine ist, daß Beschäftigung mit der Heimatgeschichte<br />

ja nie direkt an den Grenzen Halt macht, sondern es<br />

liefen ja in den <strong>hohenzollerische</strong>n Fürstentümern und<br />

späteren Landen viele Fäden von überall her ein, wurden<br />

verknüpft, gingen wieder hinaus und mündeten in die<br />

allgemeine südwestdeutsche Geschichte - und das ist<br />

nicht nur politisch gemeint - ein. Geschichte, wie dieser<br />

Bilderatlas sie vermittelt, beginnt mit der Steinzeit und<br />

endet mit dem Bild des letzten Großherzogspaars von<br />

Baden. Und aus diesem weiten Rahmen leitet sich der<br />

zweite Grund her. Die 329 Abbildungen, Wiedergaben<br />

von Zeichnungen, Kostümmodellen, Landkarten, Holzschnitten,<br />

Kupferstichen und Fotografien geben, über die<br />

Landesgrenzen Badens und der Pfalz hinaus, südwestdeutsche<br />

Geschichte wieder. Insofern ersetzen sie auf<br />

eine weite Strecke und über viele Gebiete hin unser »leider«<br />

in der ersten Zeile. Walther Frick<br />

Nachweis: »Bilderatlas zur Badisch-Pfälzischen Geschichte«,<br />

Verlag Mohnkopf Reprints Wolfgang Weidlich,<br />

Savignystraße 61, 6000 Frankfurt. DM 85.-.<br />

Nachdruck des Hechinger<br />

Wochenblattes 1829(1 .Jg.)erschienen<br />

Von der Druckerei Glückler in Hechingen wurde ein unveränderter<br />

photomechanischer Nachdruck des 1. Jahrganges<br />

(Oktober bis Dezember 1829) des »Wochenblatt<br />

für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen« (52 Seiten)<br />

hergestellt. In diesem Zusammenhang sei auf die<br />

Arbeit über die älteste Hechinger Zeitung, die am 3. Oktober<br />

vor 150 Jahren erschienen ist, hingewiesen (s. Hohenz.<br />

Heimat Nr. 3/1979). Der Nachdruck kann zum<br />

Stückpreis von 10 DM bei K. W. Steim, Dürerstraße 5,<br />

7481 Bingen, bestellt werden.<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. med. Herbert Burkarth,<br />

7487 Gammertingen (Telefon 07574/2329)<br />

Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />

die persönliche Meinung der Verfasser<br />

wieder; diese zeichnen für den Inhalt der<br />

Beiträge verantwortlich. Mitteilungen der<br />

Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />

Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />

werden an die Adresse des Schriftleiters<br />

oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />

Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />

Heimat« weiter zu empfehlen.

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