DIE BRIEFFORM IM 18. JAHRHUNDERT - DEA - Debreceni Egyetem
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Er empfindet sehr wohl, dass der Empfänger das eigenhändig Geschriebene hoch<br />
bewertet. So greift er am Schluss der Briefe häufig zur Feder.<br />
Für Christiane ist das Schreiben ein Alptraum. Das beginnt damit, dass sie sich<br />
zum Tisch setzen muss, wenn sie sich zum Schreiben entschlieβt. Es fällt ihr aber<br />
schwer, sie ist ja ein beweglicher und fleiβiger Mensch, der für den geliebten Mann<br />
noch diese unerwünschte Tätigkeit auch tut. Das ist für sie kein Problem, was sie in den<br />
Briefen mitteilen soll. Die Tinte und Feder verursachen für sie schwere Minuten, sie<br />
wollen nie das und so schreiben, was Christiane möchte. Damals mussten die Feder<br />
geschnitten werden, um schreiben zu können. Für Christiane macht es Schwierigkeiten,<br />
die Feder schreibfähig zu tun. Als sie mit diesen fertig ist, kann das Briefschreiben nur<br />
kommen. 32<br />
Die Ausdrucksfähigkeit, die Überzeugungskraft, die die Briefe ausstrahlen, sind<br />
unkonventionell, anschaulich und warmherzig. Christiane kümmert sich nicht um die<br />
gesellschaftliche Norm, sie schreibt, wie sie spricht. Ihre Briefe sind in Schreibweise<br />
und Natürlichkeit mit den Briefen von Frau Rat Goethe zu vergleichen. Es ist also nicht<br />
zufällig, dass sie nach ihrer Bekanntschaft miteinander ein gutes Verhältnis pflegen.<br />
Goethes Mutter empfindet für Christiane so, als ob sie ihre Tochter wäre.<br />
Christiane stammt aus einem gebildeten, aber verarmten bürgerlichen Haus.<br />
Zeitweise geht sie in die Schule, obwohl sie für ihre Geschwister und den Haushalt<br />
sorgen muss. Die Weimarer Schulordnung schreibt zu dieser Zeit vor, dass alle Kinder<br />
vom 6. bis 12. Jahr in die Schule gehen müssen. Dort wird das Lesen erlernt und geübt,<br />
damit die Menschen unmittelbar Zugang zum Wort Gottes finden. Der<br />
Religionsunterricht steht im Mittelpunkt. Christianes Hauptlektüre ist also in ihren<br />
Mädchenjahren die Bibel. So lässt sich folgern, dass Christiane einen Teil ihrer<br />
Orthographie dieser Lektüre verdankt. In Christianes Briefen kommt die Weimarer<br />
Mundart noch reichlich zu Wort. Auch die Briefe der Frau Rat Goethe sind nicht frei<br />
von mundartlicher Färbung.<br />
Für Goethe ist der Frankfurter Dialekt die Muttersprache. Christianes Briefe in<br />
der Weimarer Mundart erschweren ihm anfangs das Lesen. Wenn Goethe sich die Sätze<br />
aber laut vorliest, hört er seine Christiane sprechen und versteht jedes Wort. Christiane<br />
verfügt über eine Allgemeinbildung. Es ist auch kein Zufall, sie hat ja einen<br />
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32 Gräf, Hans Gerhard: Goethes Ehe in Briefen. Insel Verlag 1956. S. XVIII-XIX.<br />
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