Demgegenüber ist zu betonen, wie dieses Lied das Bild einer Gottesbeziehung aus dem Geist desAlten Testaments uns vor Augen stellt und sich damit einreiht in die Geschichten von der „Machtder Ohnmächtigen“, in die besondere Reihe der Lieder von Frauen der Bibel wie Hagar, Mirjam oderHanna, der Mutter Samuels (1. Sam 2,1–10).In dieser Linie wird Maria zur „Mutter“ eines Glaubens, der überzeugt und überzeugend daraufvertraut: „Es muss nicht alles so bleiben, wie es ist.“ Letztendlich erledigen sich Sätze und Einstellungenwie: „Da kann man doch nichts machen.“ In dieser Linie lebt ihr Lied <strong>im</strong>mer wieder neu aufin der Geschichte der kleinen Leute, denn die Botschaft ist klar: Kaum zu glauben, aber: Gott ist aufunserer Seite, Gott ist auf der Seite der Armen, auf der Seite der Frauen, der Kinder, auf der Seite derMenschen: Jesus, der Knecht Israels, das Gotteskind, steht dafür ein. Jenseits einer konfessionellso unterschiedlich gestalteten Vergöttlichung oder Vermenschlichung der Maria weist das biblischelementare Lied der Mutter Jesu Menschen <strong>im</strong>mer wieder darauf hin: Gott wird Mensch, lässt sich aufuns Menschen ein, das birgt Trost in sich von Anfang an. Das schenkt unter allen Umständen Kraft,sich nicht mit der Macht des Faktischen, mit dem lokalen und globalen Elend abzufinden, sonderngegen alle die Grundlagen des Lebens zerstörenden Verhältnisse zu protestieren und einzutreten – inden Spuren des Sohnes der Maria von Nazareth. Das Lied hilft uns, sich „um Gottes willen“ gegenseitigzu bestärken, „damit ihr Hoffnung habt“ (Leitwort des 2. ÖKT München 2010). Gut, wenn ich michin diese Vertrautheit einbeziehen lasse. Das Lied geht mit. Gott Lob, Maria singt, und ich st<strong>im</strong>me ein:Magnificat an<strong>im</strong>a mea Dominum.Günter RuddatBEREITjener letzte Ernstselbst wenn er heute nochmein abgewandtes Z<strong>im</strong>mer beträtewortlosund hieße mich gehenlass fahren dahinunverwandt folgte ichgleich einem Kinddem Ruf der Mutterins abendliche HausOkko Herlyn18
2.1.5 Kurzandacht zum Motto des Kirchentages„Die Tageszeitung“ oder: „Damit die Hoffnung blühen kann!“Lesen Sie eigentlich eine Tageszeitung? Freuen Sie sich jeden Morgen auf das gewohnte Knistern derSeiten? Oder gehören Sie zu denjenigen, die sich diese geballte Ladung von Schreckensnachrichtennicht mehr antun wollen.„Ich habe die Tageszeitung abbestellt“ sagte kürzlich jemand auf einer Geburtstagsparty, „ich tu mirdas nicht mehr an. Das n<strong>im</strong>mt mir alle Hoffnung.“ Andere nickten. „Auch die Tagesschau drückt michnur runter“ fuhr eine Frau fort. „Höchstens einmal die Woche halte ich die noch aus. Diese geballteLadung von Bildern über Krieg und Terror, die Sonntagsreden der Politiker, die Arroganz vieler Wirtschaftsbosse…! Ich kann es nicht mehr sehen, ich will es nicht mehr hören.“Ich konnte die beiden verstehen.Die Nachrichten aus dem Nahen Osten, aus Israel und Palästina zum Beispiel, sie sind wirklich geeignetum alle Hoffnung zu verlieren. Alle Hoffnung darauf, dass wenigstens kleine Schritte in Richtungauf weniger Gewalt möglich sind.Aber auch so manche Nachricht aus dem Inland, z.B. über den Stress, über Skandale und Verantwortungslosigkeitin der Wirtschaft, über die vielen Menschen, die keine Arbeit mehr finden, machenärgerlich und hilflos.Wird das alles nie besser? fragt man sich. Soll man die Hoffnung auf eine Veränderung zum Gutennicht gleich aufgeben? Dann wird man wenigstens nicht enttäuscht.Und doch … was ist die Alternative?Wegschauen, weg hören? Nur noch Sport, Volksmusik, Liebesfilme, Quizsendungen?Welcher Star sich in wen verliebt hat? Welche Ablösesumme dieser oder jene Verein geboten hat?Ob Prinz William oder Prinz Charles der nächste König von England wird?Vor kurzem fuhr ich mit der Straßenbahn. Es war Abend, die Bahn übervoll. Viele vom Einkaufen müdeGesichter, ein paar Jugendliche, die sich in den Haaren lagen, ein Obdachloser, der sich mit seinenSiebensachen noch eben in die Bahn gezwängt hatte. Neben mir stand ein Kinderwagen, darin lag einkleines Baby, ein paar Monate alt. Der Schnuller war ihm aus dem Mund gefallen. Es schlummerte <strong>im</strong>wahrsten Sinn des Wortes … seelenruhig. Ein völlig entspanntes Gesicht, fast so, als sei es noch nichtganz von dieser Welt. In diesem Augenblick wusste ich, warum ich die Augen nicht zumachen kannund will. Diese Kinder, die nächsten Generationen, sie haben ein Recht darauf, dass wir ihnen die Weltso hinterlassen, dass sie hoffen können, in ihr glücklich zu werden.Ich lebe nicht nur für mich. Ich lebe auch für sie.Ich brauche mich nicht kleiner zu machen, als Gott mich geschaffen hat. Die ganze Welt verändernkann ich nicht. Aber er hat mir Augen und Ohren gegeben, zwei Hände, ein Herz. Ein Mund, den ichauftun oder schließen kann. Er hat mich hineingestellt in die Reihe der Generationen:19