135. Generalversammlung in Münster - Unitas
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KLUG UND WELTZUGEWANDT: WAS JETZT VON JEDEM GEFRAGT IST<br />
Aspekte aus der Podiumsdiskussion zum GV-Thema<br />
VON BBR.<br />
DR. CHRISTOF BECKMANN<br />
Wer jemals <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schulzeit etwas<br />
von der „Katholischen Soziallehre“<br />
oder der „Christlichen Gesellschaftslehre“<br />
gehört hat, darf sich wahrsche<strong>in</strong>lich<br />
getrost zu den Exoten auf<br />
dem Planeten zählen. Und zugleich<br />
davon ausgehen, dass es dann auch<br />
für den Rest se<strong>in</strong>es Lebens reichen<br />
muss. Nur wenig sche<strong>in</strong>t aus e<strong>in</strong>em<br />
schalldichten wissenschaftlichen<br />
Elfenbe<strong>in</strong>turm <strong>in</strong> die Welt der Techniker,<br />
der Natur- und Ingenieurwissenschaften,<br />
der Betriebswirte, Juristen<br />
oder Mediz<strong>in</strong>er zu dr<strong>in</strong>gen. …<br />
Doch bei der UNITAS von der Katholischen<br />
Soziallehre zu sprechen, das hieße<br />
eigentlich Eulen nach Athen tragen – das<br />
gilt mit Blick auf die „Gründerväter“ der<br />
Diszipl<strong>in</strong> und ihre Exponenten von heute<br />
allemal. Worum es geht, kann aber nun<br />
nicht jeder wissen – zu verdenken wäre es<br />
ke<strong>in</strong>em, der als munterer Studiosus an die<br />
Quellen der Wissenschaft trabt, dabei mehr<br />
oder weniger zufällig <strong>in</strong> unitarische Kreise<br />
gerät. Und sich und andere dann zum ersten<br />
Mal fragt: Worum geht’s da eigentlich?<br />
Dies und die Frage nach der praktischen<br />
Anwendung standen im Mittelpunkt der<br />
Podiumsdikussion, die dem Grundthema<br />
der <strong>135.</strong> <strong>Generalversammlung</strong> gewidmet<br />
war. Unter der Leitung von Bbr. Hendrik<br />
Koors von der UNITAS W<strong>in</strong>frida nahmen<br />
drei Bundesbrüder diese Fragen auf und lieferten<br />
Aspekte, über die sich nachzudenken<br />
lohnt.<br />
Unmittelbare Auswirkungen<br />
Bbr. Dr. Jürgen Aretz, unter anderem als<br />
ehemaliger Staatsekretär im Freistaat<br />
Thür<strong>in</strong>gen mit der politischen Praxis vertraut,<br />
stimmte dem ebenso „grundsätzlichen<br />
wie e<strong>in</strong>gehenden“ Impulsvortrag von<br />
Bbr. Prof. Lothar Roos zu: „Widerspruch wäre<br />
anregend, aber unredlich, denn ich teile<br />
se<strong>in</strong>e Position“, so der gelernte Historiker<br />
und er<strong>in</strong>nerte mit Blick auf die Geschichte<br />
der Bundesrepublik an die bis heute spürbaren<br />
Konsequenzen der Katholischen Soziallehre.<br />
Sie sei die geistige Grundlage vieler<br />
Verantwortlicher gewesen: „Mittelbar und<br />
unmittelbar hat sie <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten<br />
praktische Auswirkungen aufunser<br />
180<br />
unitas 3/2012<br />
Podiumsdiskussion bei der GV <strong>in</strong> <strong>Münster</strong>: (von l<strong>in</strong>ks) BbrBbr. Christian Poplutz, Dr. Jürgen Aretz und<br />
Hendrik Koors<br />
Sozialleben gehabt“, betonte Aretz, der sich<br />
mit verschiedenen Arbeiten zur Katholischen<br />
Sozialbewegung e<strong>in</strong>en Namen machte.<br />
Die großen Sozialreformen der 50er Jahre<br />
– e<strong>in</strong>em „der <strong>in</strong>novativsten Jahrzehnte des<br />
letzten Jahrhunderts überhaupt“ – seien<br />
ohne sie nicht denkbar, erklärte er und<br />
nannte mit dem K<strong>in</strong>dergeld, der Mitbestimmung<br />
und der dynamischen Rente nur<br />
drei Beispiele für ganz konkrete Politik, an<br />
der verantwortliche Christen maßgeblich<br />
beteiligt waren – ebenso die durch den<br />
katholischen Glauben geprägten Sozialverbände,<br />
die im Nationalsozialismus ihre<br />
führenden Köpfe verloren hatten und etwas<br />
grundsätzlich Neues aufbauen wollten.<br />
„Diebstahl an<br />
unseren Enkeln!“<br />
Damit g<strong>in</strong>g Aretz schnell kritisch <strong>in</strong> die<br />
Offensive: Auch wenn es heute Christen <strong>in</strong><br />
allen Parteien – selbst bei der L<strong>in</strong>ken – gebe,<br />
fehle ihnen e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>deutiges Bekenntnis zu<br />
Jesus Christus. Auch die Kirche selbst<br />
nehme ihre Orientierungspflicht <strong>in</strong> der politischen<br />
Diskussion kaum wahr, wandte sich<br />
der ehemalige Brüsseler Generalbevollmächtigte<br />
der Thür<strong>in</strong>ger Aufbaubank an<br />
die Bischöfe, mahnte e<strong>in</strong>e deutliche Position<br />
zur F<strong>in</strong>anzkrise und Bankenspekulation<br />
an. Zwar könnten sie wie die Katholische<br />
Soziallehre kaum e<strong>in</strong>e fachliche Antwort<br />
geben. „Aber die grundsätzliche Positionierung<br />
und Orientierung muss se<strong>in</strong>“, so<br />
Aretz – auch etwa zum Thema „Zwangsverschuldung“:<br />
„Wo ist der wahrnehmbare<br />
Protest von Laien, Priestern und Bischöfen?<br />
Jede Verschuldung, die die öffentliche Hand<br />
aufnimmt, ist Diebstahl an unseren<br />
K<strong>in</strong>dern und Enkeln!“<br />
Als Deutschland <strong>in</strong> Folge des NS-<br />
Wahns<strong>in</strong>ns vollkommen zerstört war, sei<br />
das gigantische Werk des Wiederaufbaus<br />
ohne Staatsverschuldung geglückt. Es wurden<br />
sogar erhebliche Rücklagen gebildet,<br />
er<strong>in</strong>nert Aretz an den berühmten „Juliusturm“<br />
– und das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em damals bettelarmen<br />
Deutschland. „Heute ist alles Maß verloren<br />
gegangen“, holte Aretz zu massiver<br />
Kritik aus: „Für alles muss heute der Staat<br />
aufkommen, Fehlanzeige bei Eigen<strong>in</strong>itiative<br />
und Selbstverantwortung – das ist<br />
durch die Katholische Soziallehre e<strong>in</strong>deutig<br />
nicht gedeckt!“<br />
Sie biete unendlich viel Orientierung<br />
zur E<strong>in</strong>ordnung der gesellschaftlichen, politischen<br />
und wirtschaftlichen Probleme –<br />
„jedenfalls für den neugierigen Menschen.“<br />
Er selbst kenne ke<strong>in</strong>e bessere Grundlage für<br />
die praktische Lebensgestaltung:„Vielleicht<br />
sollten wir über ihre Möglichkeiten, die<br />
dar<strong>in</strong> steckende christliche und die <strong>in</strong>tellektuelle<br />
Herausforderung auch <strong>in</strong> unseren<br />
Vere<strong>in</strong>en konkreter nachdenken! Und danach<br />
auch programmatisch handeln!<br />
Insofern könnte diese <strong>Generalversammlung</strong><br />
e<strong>in</strong> neuer Anfang dafür se<strong>in</strong>!“<br />
„Im Mittelpunkt:<br />
der Mensch!“<br />
E<strong>in</strong>e Hoffnung, die auch Christian<br />
Poplutz, Jurist und Vorsitzender des gesellschaftspolitischen<br />
Beirats des Verbandes,<br />
aussprach. Mit Blick auf die christliche