Aus unserem FachFoto: Arcurs/FotoliaChirurgen lieben ihren Beruf: Sie operieren gerne und würden sich zu 77 Prozent wieder dafür entscheiden, Chirurg zu werden. Auf der anderen Seite istihr Privat- und Familienleben aufgrund der beruflichen Auslastung stark eingeschränkt.B efr ag u n gLebensqualität deutscher Chirurginnenund ChirurgenErgebnisse einer Befragung von 3.652 Teilnehmern der Jahreskongresse der chirurgischen <strong>Fachgesellschaften</strong>Chirurgie ist ein „harter Beruf“. Unmittelbarnach dem Zweiten Weltkriegerhielten nur wenige Berufsgruppen vorEinführung der Währungsreformdie doppelteMenge an Essensmarken – unteranderem waren dies Arbeiter im Steinbruchund als ärztliche Berufsgruppe dieder Chirurgen [14]. Auch heute stellt dasBerufsbild ganz besondere Anforderungen:Fingerfertigkeit, Konzentrationsvermögen,Teamfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft.Die Weiterbildung zum Chirurgen istlangwierig: Nach einem sechsjährigenStudium der Medizin schließen sich aktuellmindestens weitere sechs Jahreeiner Weiterbildung im chirurgischenFach an, oft fängt der Chirurg erst im Anschlussdaran an, selbständig zu operieren.Steht er schließlich im Arbeitsleben,so hat er die höchste Arbeitsbelastungaller Klinikärzte [15] und trägt eine großeVerantwortung für seine risikoreicheärztliche Tätigkeit [3].In den letzten Jahren hat sich durch diezunehmende Ökonomisierung der Medizinder Arbeitsalltag von Chirurgen inDeutschland dramatisch und zu derenUngunsten verändert: Zunehmend tretenadministrative und patientenferneTätigkeiten wie die Kodierung von Diagnosenund Eingriffen oder Dokumentationenund Stellungnahmen gegenüberKostenträgern in den Vordergrund. Trotzgesetzlicher Regelungen fallen Überstundensehr häufig an und erschweren eingeregeltes Privat- und Familienleben [8].Hinzu kommt, dass die hohe Arbeitsbelastungund der Verlust an Privatlebenin keinem Verhältnis zur Bezahlung stehen[6]. Diese Schattenseiten des Berufshaben mittlerweile dazu geführt, dassin Deutschland ein sehr ernstes Nachwuchsproblemin der Chirurgie entstandenist [1]: Mag unter Medizinstudentendas Berufsbild noch sehr interessant er280Orthopädie und Unfallchirurgie Mitteilungen und Nachrichten | Juni 2012
Aus unserem Fachscheinen, so ändert sich dies jedoch mitAbschluss des PJ-Tertials in der Chirurgienachhaltig. Von allen befragten Medizinstudentinnenund -studenten geben immerhinrund 25 Prozent die Chirurgie alsWunschfachrichtung an [12]. Dieser Prozentsatzhalbiert sich am Ende des Studiums,wobei als Hauptgründe hohe Arbeitsbelastung,erschwerte Vereinbarkeitvon Beruf und Familie, patientenferneTätigkeiten sowie Mängel in der Weiterbildungangegeben werden [1].Die Frage nach der Lebensqualität istChirurgen durchaus nicht fremd – allerdingsnicht in Bezug auf ihren eigenenBerufsstand, sondern vielmehr in Hinblickauf ihre Patienten: Es waren unterallen medizinischen Fachgruppen geradedeutsche Chirurgen, die bereits vor 30Jahren erstmals systematisch die Lebensqualitätvon Patienten untersucht [11, 20,21] haben. Es existiert heute unveränderteine große Offenheit von Chirurgen fürdieses Thema, nachdem sie auch für Indikationsstellungenund Therapieformenvon grundlegender Bedeutung sein kann[7]. Paradoxerweise haben Chirurgenselbst jedoch bisher jedoch kaum nachihrer eigenen Lebensqualität gefragt. Diebeschriebenen Belastungen der chirurgischenAusbildung und Tätigkeit sowieder aktuelle Nachwuchsmangel lassenvielmehr eine schlechte Lebensqualitätin der Chirurgie vermuten. Diese Studiewidmete sich der Frage, wie die Arbeitsbedingungenund die Lebensqualität vonChirurginnen und Chirurgen in Deutschlandsind, welche UmgebungsvariablenRisikofaktoren für eine schlechte Lebensqualitätdarstellen und welche Konsequenzendaraus resultieren.MethodikStudiendesign und -populationBefragt wurden Teilnehmer an der Jahrestagungder <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> fürChirurgie sowie der neun Jahrestagungender chirurgischen <strong>Fachgesellschaften</strong>. Erhebungszeitraumwar Oktober 2008 bisNovember 2009. Die Kongressbesucherwurden an den unterschiedlichen Kongressortendirekt angesprochen und umStudienteilnahme gebeten. Im gleichenUntersuchungssetting wurden neben denChirurgen als Kontrollgruppen zum einenkonservativ tätige Orthopäden, Gastroenterologenund Pädiater, zum anderenMedizinstudenten mit einem ausgeprägtenInteresse an Chirurgie befragt. Aufeine Internet- oder postalische Befragungwurde aufgrund der erfahrungsgemäßniedrigeren Rücklaufquote verzichtet.FragebogenDer von den Studienteilnehmern auszufüllendeFragebogen umfasste folgendezwei Bausteine:1. PLC-Bogen (Profil der Lebensqualitätchronisch Kranker) [18]2. Spezifizierter Zusatzbogen zu allgemeinendemographischen Variablenund der allgemeinen Lebensqualitätseinschätzung.Der PLC umfasst insgesamt 40 Fragen,die jeweils auf 5-stufigen Likert- Skalen(0=überhaupt nicht, 5=sehr stark/ sehrgut) zu beantworten sind. Er ermöglichtdie Bildung folgender 6 Scores:Leistungsvermögen, Genuss- und Entspannungsfähigkeit,positive Stimmung,negative Stimmung, Kontaktvermögen,Zugehörigkeitsgefühl. Der PLC ist einsehr gut bezüglich der psychometrischenEigenschaften geprüftes Messinstrumentzur Erfassung der Lebensqualität(Reliabilität, Validität, Sensitivität) [10].Außerdem liegen PLC-Referenzwerte einerrepräsentativer deutscher Bevölkerungsstichprobenund verschiedener Patientenstichprobenmit unterschiedlichausgeprägten Einschränkungen der Lebensqualitätvor [19]. Anhand des eigensvon uns entwickelten und ebenfalls validiertenZusatzbogens (27 Items) erfolgtKo n s e q u e n z f ü r Klinik und Pr a x i sZusätzlich zur Mitgestaltung der genannten Systemänderungen kann jeder Chirurg imtäglichen Handeln Maßnahmen zur berufsbezogenen Lebensqualität ergreifen:■■Bewahrung der ärztlichen Haltung vorden Zwängen der Ökonomie,■■Übernahme von Verantwortung für dieSchaffung eines guten Arbeitsklimasund einer guten Ausbildung des Nachwuchses,■■Berücksichtigung dieser Faktoren beiVerhandlungen mit anderen Entscheidungsträgern,und schließlich auch■■Übernahme der Verantwortung für dieAufrechterhaltung der eigenen Lebensqualitätund die der Mitarbeiter.die Erhebung allgemeiner Daten wie z. B.Geschlecht, Alter, Familienstand, Ausbildungsstatus,berufliche Position, chirurgischeFachrichtung, Facharztausbildung,durchschnittliche Wochenarbeitszeit(22 Items) und allgemeine Fragen zurLebensqualität als Chirurgin/Chirurg(4 Items, wie z. B.: eigene Lebensqualitätim Vergleich zur Normalbevölkerung),entsprechend der 5-stufigen Likert-Skalendes PLC-Bogens sowie eine abschließendeoffene Frage nach der Motivationzur Berufswahl, die stichpunktartig beantwortetwerden kann.PilotstudieWir haben im Vorfeld verschiedene Fragebogeninstrumentefür die Studie inBetracht gezogen (SF-36, FACT, EORTC,PLC) und an einer Gruppe von n = 61 Chirurgeneine Vortestung durchgeführt. 97Prozent der Chirurgen antworteten, dassdie Fragen des studienspezifischen Begleitbogensdie Arbeitsbedingungen vonChirurgen sehr gut erfassen. Außerdemverglichen die Chirurgen den Nutzen desPLC relativ zum SF-36: Nach Komplettierungbeider Bögen gaben 63 Prozentder Teilnehmer an, dass die Lebensqualitätsaspektedes PLC für Chirurgen wichtigerund relevanter seien, als die Inhaltedes SF-36.Datenaufbereitung undstatistische AnalyseAls Basisanalysen werden deskriptiveStatistiken einschließlich Durchschnitts-,Mittel- (Standardabweichungen) undMediane bestimmt. Die Lebensqualitätsscoreswerden in Entsprechung zudem PLC Manual berechnet [18]. Unterschiedein den LQ-Scores zwischen denStichproben und den Kontrollgruppen(nicht-chirurgisch tätige Ärzte und Studenten)werden mit der Oneway Analysesof Variance berechnet (ANOVA). Es kommenaußerdem multiple Regressionsanalysenzum Einsatz, die den Einflussdemographischer und berufsspezifischerVariablen bestimmen. Grundlegende Voraussetzungenfür die Anwendung vonANOVA und Regressionsanalyse wie Normalverteilungund Linearität der Zusammenhängewurden mittels graphischerVerfahren überprüft und waren gegeben.Die statistischen Analysen wurden mitder Software PASW 18.0 durchgeführt.Orthopädie und Unfallchirurgie Mitteilungen und Nachrichten | Juni 2012281