Kienholz: Die Zeichen der Zeit - Artinside
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Das Tableau Eleventh Hour Final beschäftigt sich wie<br />
Portable Art Memorial mit dem Vietnam-Krieg und ist<br />
ebenso im Jahre 1968 entstanden. Waren dort noch Soldaten<br />
in vollem Einsatz zu sehen, und war dort noch eine<br />
Öffentlichkeit erahnbar, die auf das Geschehen reagieren<br />
konnte, so hat sich in Eleventh Hour Final das Grauen<br />
in die Stuben <strong>der</strong> Amerikaner geschlichen. Zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong><br />
Spätnachrichten wird auf einem Bildschirm, hinter dem<br />
ein abgeschnittener plastischer Kopf liegt, die wöchentliche<br />
Verlustliste von Freund und Feind – <strong>der</strong> sogenannte<br />
«Body Count» – wie<strong>der</strong>gegeben. Amerikaner tot: 217.<br />
Amerikaner verwundet: 563. Feinde tot: 435. Feinde ver-<br />
wundet: 1291. Hinter diesen vermeintlich so objektiven<br />
Zahlen steckt ein wesentlich objektiveres Grauen, stecken<br />
Individuen, denen erkennbar die Sorge des Künstlers<br />
gilt. Das Fernsehgerät hat die Form eines Grabsteins,<br />
die einzige Abweichung, die in dieser von Bürgerlichkeit<br />
getränkten Atmosphäre zugelassen ist. Pontus Hulten<br />
und Ed <strong>Kienholz</strong> stellen 1969 in einem Gespräch fest:<br />
«<strong>Die</strong> Arbeit verurteilt mit scharfer Kritik den Hang <strong>der</strong><br />
Menschheit zur Gewalttätigkeit, und Krieg kommt von<br />
unserer Unfähigkeit, uns zehn o<strong>der</strong> zehntausend Ausfälle<br />
an Toten und Verwundeten vorzustellen, wie sie täglich<br />
in den Medien berichtet werden. [...] Was kann eines<br />
Mannes Tod, so entrückt und weit weg, den meisten Leuten<br />
in <strong>der</strong> vertrauten Sicherheit ihres mittelständischen<br />
Zuhause bedeuten?» <strong>Kienholz</strong> gibt in seinem Tableau mit<br />
<strong>der</strong> Beklemmtheit, die den Betrachter angesichts des Fernsehers<br />
erfasst, eine klare Antwort auf seine Frage.<br />
Claude Nigger Claude (1988) zeigt zwei Abgüsse von Claude<br />
Royster, einem <strong>der</strong> wenigen Afroamerikaner, die in<br />
Hope, Idaho, lebten. Einmal ist <strong>der</strong> Mann in einer dieser<br />
typischen Schwarzen-Rollen zu sehen – als Liftboy – und<br />
das an<strong>der</strong>e Mal als Geschäftsmann, <strong>der</strong> sich von eben diesem<br />
Liftboy nach oben beför<strong>der</strong>n lässt. Kommt <strong>der</strong> eine<br />
allerdings mit Jeans und T-Shirt einfach gekleidet, aber<br />
glaubwürdig daher, so richtet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e vor dem Spiegel<br />
seine Krawatte und blickt in ein dürftig weiss geschminktes<br />
Gesicht. Der Schwarze als schlechte Kopie des Weissen,<br />
<strong>der</strong> mit dieser Demutsgeste seinen Eintritt in die<br />
Geschäftswelt erkaufen möchte. Kann man sich eine präzisere<br />
Beschreibung eines alltäglichen, unausgesprochenen<br />
Rassismus vorstellen?<br />
The Jesus Corner (1982/1983) wie<strong>der</strong>um beschäftigt sich<br />
mit <strong>der</strong> Religion und <strong>der</strong> Kirche – und ist gleichzeitig<br />
ein Relikt, das die Künstler in einem Schaufenster in<br />
einem Abbruchhaus in Spokane vorgefunden haben. Der<br />
dort ansässige Roland Thurman hatte ein Schaufenster<br />
mit christlichen Devotionalien gestaltet – seinen «Jesus<br />
Corner». Ed und Nancy bewahrten das Fenster vor <strong>der</strong> Zerstörung<br />
und bauten es liebevoll und detailgetreu nach, um<br />
es dann dem Spokane Museum zu schenken. Ein fast heimatschützerischer<br />
Akt verbindet sich hier mit einem für<br />
<strong>Kienholz</strong>'sche Verhältnisse sanften Umgang mit religiösen<br />
Symbolen. Damit erwiesen Ed und Nancy Reddin <strong>Kienholz</strong><br />
den Bewohnern dieser heruntergekommenen Gegend in<br />
<strong>der</strong> Stadt Spokane (<strong>der</strong> Heimat von Ed) ihre Reverenz und<br />
stellten ihre Zuneigung zu den Menschen weit über die<br />
Abneigung, die sie gegenüber <strong>der</strong> Kirche und allem Religiösen<br />
verband.<br />
Das Harte, Abschreckende, Berserkermässige, das aus<br />
den Arbeiten von Ed <strong>Kienholz</strong> und Nancy Reddin <strong>Kienholz</strong><br />
zunächst spricht, weicht bei näherer Betrachtung<br />
einer Haltung, die von grossem Respekt gegenüber den<br />
Menschen, von Zuneigung, Verständnis und einem tief<br />
empfundenen Mit-Leiden mit <strong>der</strong> menschlichen Kreatur<br />
zeugt. <strong>Die</strong> zwei Künstler waren auf <strong>der</strong> Suche nach einem<br />
besseren Weg für die Menschen, nach Frieden, nach einem<br />
Ausgleich zwischen den Geschlechtern und den Rassen, in<br />
einem Kampf gegen Heuchelei, Falschheit und Zynismus.<br />
Das macht diese Kunst so schmerzlich zeitgemäss und<br />
zeitgenössisch.<br />
*Andres Pardey ist Vize-Direktor des Museum Tinguely<br />
<strong>Artinside</strong><br />
<strong>Kienholz</strong>: <strong>Die</strong> <strong>Zeichen</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> ist eine Ausstellung <strong>der</strong> Schirn Kunsthalle<br />
Frankfurt in Kooperation mit dem Museum Tinguely Basel.<br />
<strong>Artinside</strong><br />
Edward <strong>Kienholz</strong> & Nancy Reddin <strong>Kienholz</strong>, Claude Nigger Claude, 1988<br />
Edward <strong>Kienholz</strong> & Nancy Reddin <strong>Kienholz</strong>,<br />
The Ozymandias Parade (Detail), 1985<br />
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