Kienholz: Die Zeichen der Zeit - Artinside
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<strong>Die</strong> Frau, die in Renoirs Gemälden bis<br />
1872 mit Zügen <strong>der</strong> Lise erscheint, deckt ein<br />
denkbar weites Spektrum an Frauenrollen ab.<br />
Darunter auch dasjenige <strong>der</strong> eleganten Pariser<br />
Dame im Tournürenkleid, die in einem<br />
Interieur damit beschäftigt ist, einen männlichen<br />
Papagei zu füttern. Dezent orchestriert<br />
Renoir die erotischen Anspielungen,<br />
empfiehlt sich als Maler zwischen Bohème<br />
und Bourgeoisie. Das Milieu <strong>der</strong> Haute Bourgeoisie<br />
lernte Renoir aus unterschiedlichen<br />
Perspektiven kennen. Über Jules Le Cœur<br />
und dessen Familie als Gönner und massgebliche<br />
För<strong>der</strong>er. Jules’ Bru<strong>der</strong> Charles vermittelte<br />
Renoir nicht nur einen Auftrag für<br />
die Innenausstattung des Stadthauses des<br />
Prinzen Bibesco, son<strong>der</strong>n auch für Porträts.<br />
Das malerische Repertoire des frühen<br />
Renoir umfasst neben Porträts und Figurenbil<strong>der</strong>n<br />
Stillleben und Landschaften. In<br />
den Landschaftsdarstellungen, die eine umfängliche<br />
Gruppe in <strong>der</strong> Ausstellung bilden,<br />
<strong>Artinside</strong> <strong>Artinside</strong><br />
Auguste Renoir, Frau mit Sonnenschirm im Garten, 1875<br />
zeigt sich exemplarisch die Spannweite von<br />
Renoirs erstem Schaffensjahrzehnt. Zentrale<br />
Orientierungsfigur war für Renoir in den<br />
frühen 1860er-Jahren auch hier <strong>der</strong> bereits<br />
erwähnte Courbet. Mit seiner Art, Farbmaterie<br />
mit dem Palettmesser aufzutragen, experimentierte<br />
Renoir und fand so in seinen<br />
eigenen Worten zur «vraie peinture», zur<br />
wahren Malerei.<br />
Ende <strong>der</strong> 1860er-Jahre brach er zusammen<br />
mit seinem Künstlerfreund Claude Monet<br />
nach La Grenoullière auf, einem beliebten<br />
Ausflugsziel <strong>der</strong> Pariser Gesellschaft. Hier<br />
entdeckte er im zeitgenössischen Freizeitverhalten<br />
in <strong>der</strong> Natur ein Thema, das ihn bis in<br />
die späten 1870er-Jahre beschäftigen sollte.<br />
Dabei griff er auf traditionelle Bildtypen<br />
wie Genre und Idylle zurück und brachte<br />
zum Ausdruck, in welcher Ausrichtung ihn<br />
die «Vie Mo<strong>der</strong>ne» vor dem Hintergrund<br />
von Schrittmachern wie dem wenig älteren<br />
Malerkollegen Edouard Manet in seinen Ge-<br />
mälden interessierte. Er nimmt sie als Beobachten<strong>der</strong><br />
in den Blick, <strong>der</strong> Perspektiven<br />
mo<strong>der</strong>iert und dabei seine Seherfahrungen<br />
und sein im Louvre geschultes Wissen über<br />
Malerei einfliessen lässt.<br />
<strong>Die</strong> sozialen und politischen Konfliktfel<strong>der</strong><br />
einer Gesellschaft im Umbruch vom<br />
Zweiten Kaiserreich über die Revolution <strong>der</strong><br />
Pariser Commune bis hin zur Dritten Republik<br />
macht er nicht direkt zum Thema. Stattdessen<br />
rückt er Themen wie Beziehung und<br />
Begehren ins Blickfeld.<br />
Wochenendgäste und <strong>der</strong> namentlich bekannte<br />
Canotier Laurador sind die Protagonisten<br />
seiner Sicht auf das als Ausflugsziel<br />
beliebte Restaurant La Fournaise in <strong>der</strong> Nähe<br />
von Chatou. Ihrer entspannten Lässigkeit ist<br />
ein Moment <strong>der</strong> Melancholie und <strong>der</strong> «Konstruiertheit<br />
des Glücks» eingeschrieben, das<br />
Michael F. Zimmermann als zentrales Merkmal<br />
<strong>der</strong> Werke des frühen Renoir insgesamt<br />
benennt. Gemälde wie diese präsentierte Re-<br />
noir im Rahmen <strong>der</strong> ersten drei, ab 1874 stattfindenden<br />
Impressionistenausstellungen:<br />
einer Initiative <strong>der</strong> salonkritischen «Société<br />
anonyme des artistes», die von Monet und<br />
ihm mitbegründet worden war.<br />
<strong>Die</strong> Basler Ausstellung zeigt Renoirs Werk<br />
<strong>der</strong> ersten an<strong>der</strong>thalb Jahrzehnte in seinen<br />
Wi<strong>der</strong>sprüchen und malerischen Höchstleistungen.<br />
50 Gemälde, Porträts, Landschaften<br />
und Stillleben – Hauptwerke aus grossen Mu-<br />
seumssammlungen wie dem Musée d’Orsay,<br />
Paris, <strong>der</strong> National Gallery, London, dem Metropolitan<br />
Museum, New York, o<strong>der</strong> dem Art<br />
Institute of Chicago sowie kaum bekannte<br />
Werke aus Privatbesitz vermitteln einen umfangreichen<br />
Einblick in diese künstlerisch<br />
entscheidenden Jahre Renoirs.<br />
*Stefanie Manthey ist als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin an <strong>der</strong> Ausstellung mitbeteiligt.<br />
Renoir. Between Bohemia and Bourgeoisie, The Early Years. Auguste Renoir (1841–1919) was a member of the<br />
group of French painters who laid the foundations of Impressionism. With a bright palette, loose brushstrokes, and motifs<br />
from mo<strong>der</strong>n urban life and leisure in natural settings, Renoir and his fellow Impressionists wrote art history. As a result, the<br />
Impressionist period has largely dominated perceptions of Renoir’s œuvre. In a grand survey exhibition, the Kunstmuseum Basel<br />
now focuses for the first time on the artist’s surprisingly multifaceted early work from the period leading up to his first important<br />
Impressionist paintings of the 1870s. Renoir’s early work reflects the tensions between conflicting conceptions of painting.<br />
His own point of departure was decorative porcelain painting. Subsequent influences include the realism of Gustave Courbet,<br />
the Barbizon school’s plein air paintings, and the experience of all the paintings he studied as a frequent visitor to the Louvre.<br />
Renoir’s most important model during these early years was his lover, Lise Tréhot, with whom he had a relationship that lasted<br />
from 1865 to 1872. Lise posed for a series of major early works. This group constitutes a highlight of the exhibition, illustrating the<br />
range of Renoir’s creativity during this first decade. All genres are included in the selection, with a prepon<strong>der</strong>ance of portraits and<br />
landscapes over the still lifes. Portraits of his friends and fellow artists such as Claude Monet and Frédéric Bazille form another<br />
distinct group.<br />
Auguste Renoir, Frühstück am Flussufer, 1879<br />
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