aus Instinkt jegliche Solidaritäten, die sich ihr entziehen, zermalmt, bisnur noch die Staatsbürgerschaft bleibt, die reine, eingebildete Zugehörigkeitzur Republik. <strong>Der</strong> Franzose ist mehr als alle andern der Enteignete,der Elende. Sein Hass auf die Ausländer mischt sich unter seinenHass auf sich als Fremden. Seine Eifersucht, gemischt mit dem Entsetzenüber die »Banlieues«, drückt nur sein Ressentiment aus, über all das,was er verloren hat. Er kann es sich nicht verkneifen, diese sogenanntenStadtteile der »Verbannung« zu beneiden. Stadtteile, in denen noch einbißchen gemeinschaftliches Leben besteht, etwas Verbundenheit zwischenden Menschen, ein paar nichtstaatliche Solidaritäten, eine informelleÖkonomie, eine Organisation, die noch nicht von denen getrenntist, die sie organisieren. Wir sind an einem Punkt des Verlusts angelangt,an dem die einzige Art und Weise, sich als Franzose zu fühlen, ist,Immigranten zu beschimpfen, diejenigen, die sichtbarer Fremde sind alsich. Die Immigranten haben in diesem Land eine seltsame Position derSouveränität: Wären sie nicht da, würden die Franzosen vielleicht nichtmehr existieren.<strong>Frank</strong>reich ist ein Produkt seiner Schule, und nicht umgekehrt. Wirleben in einem übermäßig verschulten Land, wo man sich an das Bestehendes Abiturs als einen prägenden Moment des Lebens erinnert.Wo Rentner vierzig Jahre später noch von ihrem Durchfallen in dieseroder jener Prüfung erzählen und davon, wie dies ihre ganze Karriere,und ihr ganzes Leben belastet hat. Seit eineinhalb Jahrhunderten hatdie Schule der Republik eine Art verstaatlichter Subjektivitäten gebildet,die unter allen anderen erkennbar sind. Leute, welche die Selektionund den Wettbewerb unter der Bedingung akzeptieren, dass dieChancen gleich verteilt sind. Die vom Leben erwarten, dass jeder wiein einem Wettbewerb belohnt wird, nach seinem Verdienst. Die immerum Erlaubnis fragen, bevor sie etwas nehmen. Die ganz still die Kultur,die Regeln und die Klassenbesten respektieren. Selbst ihre Verbundenheitmit ihren großen kritischen Intellektuellen und ihre Ablehnung desKapitalismus sind von dieser Liebe zur Schule geprägt. Diese staatlicheKonstruktion der Subjektivitäten ist es, welche unter der Last der Dekadenzder schulischen Institution Tag für Tag mehr zusammenbricht.Das Wiederauftauchen der Schule in den letzten 20 Jahren sowie derStraßenkultur in Konkurrenz zur Schule der Republik und ihrer Pappkulturist das tiefste Trauma, das der französische Universalismus aktuellerleidet. An diesem Punkt versöhnt sich die extremste Rechte imVoraus mit der giftigsten Linken. Allein schon der Name Jules Ferry,Minister von Thiers während der Zerschlagung der Pariser Kommune20 - Zweiter Kreis
und Theoretiker der Kolonisierung 9 , sollte doch reichen, um uns dieseInstitution suspekt zu machen.Was uns angeht, wenn wir hören, wie Lehrer aus irgendeinem „Bürgerkomiteefür Sicherheit und Sauberkeit“ in den Abendnachrichtenheulen, dass ihnen ihre Schule abgefackelt wurde, dann erinnern wiruns daran, wie oft wir als Kinder genau davon geträumt haben. Wennwir einen linken Intellektuellen hören, wie er sich über die Barbarei derBanden von Jugendlichen auskotzt, welche Passanten auf der Strasseanquatschen, im Supermarkt klauen, Autos anzünden und mit derCRS 10 Katz und Maus spielen, dann erinnern wir uns daran, was 1960über die »Blouson Noirs« 11 , oder besser noch, was über die Apachenwährend der »Belle Époque« erzählt wurde: »Seit einigen Jahren ist esMode geworden«, schrieb im Jahr 1907 ein Richter am Gericht »la Seine«,»unter dem Gattungsnamen Apachen alle gefährliche Individuenzu bezeichnen; Sammelbecken der Wiederholungstäter, Feinde derGesellschaft, nicht Vaterland noch Familie, Deserteure aller Pflichten,bereit zu wagemutigsten Handgreiflichkeiten, zu jedem Attentat auf Lebenoder Eigentum«. Diese Banden, die der Arbeit entfliehen, sich nachihrem Stadtteil benennen und gegen die Polizei kämpfen, sind der Albtraumdes guten Bürgers, individualisiert à la française: Sie verkörpernall das, worauf er verzichtet hat, all die mögliche Freude, die zu erreichenihm nie möglich sein wird. Es ist eine Frechheit, in einem Land zuexistieren, wo ein Kind, das singt, wie ihm der Sinn steht, unvermeidlichbeschimpft wird »Hör auf, es wird noch anfangen zu regnen!«, wo dieschulische Kastration am laufenden Band Generationen von poliziertenAngestellten ausstößt. Die fortbestehende Aura von Mesrine 12 hat wenigermit seiner Geradlinigkeit und seiner Unverfrorenheit zu tun als mitseinem Unterfangen, sich daran zu rächen, woran wir uns alle rächensollten. Oder vielmehr, woran wir uns direkt rächen sollten, statt auszuweichen,statt es hinauszuschieben. Denn es gibt keinen Zweifel, dassder Franzose sich rächt, ständig und an allem, mit tausenden von unauffälligenNiederträchtigkeiten, mit allen Arten von Verleumdungen, miteiner kleinen, eisigen Boshaftigkeit und einer giftigen Freundlichkeiträcht er sich für das Zertretenwerden, dem er sich ergeben hat. Es war9 Knapp zehn Jahre nach Zerschlagung der Pariser Kommune setzte Ferry 1880 in abgeschwächterForm eine zentrale Forderung der KommunardInnen um: den unentgeltlichenund verpflichtenden Grundschulbesuch.10 »Compagnies républicaines de sécurité«, Einheit der Polizei11 In Lederjacken gekleidete Halbstarke und Rocker12 Jaques Mesrine, französischer Bankräuber und bewusster Verbrecher. Er kritisierteden Knast als System und wurde 1979 von der Polizei ermordet.<strong>Der</strong> <strong>kommende</strong> <strong>Aufstand</strong> - 21
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