pflücken und im Fernsehen das Echo der Welt belauern – wir sind dieeinzigen, die eine Umwelt haben. Wir sind die einzigen, die unserer eigenenVernichtung zusehen, als ginge es um einen simplen Stimmungswechsel.Die sich über die letzten Fortschritte des Desasters empörenund mit Geduld seine Enzyklopädie zusammenstellen.Was sich als Umwelt herauskristallisiert, ist ein Verhältnis zur Welt, dasauf Verwaltung, also auf Fremdheit aufbaut. Ein Verhältnis zur Welt,in dem wir nicht mehr ebenso gut aus dem Rascheln der Bäume, demFritiergeruch der Gebäude, dem Rieseln des Wassers, dem Getöse desSchulunterrichts oder der Schwüle der Sommerabende bestehen, einVerhältnis zur Welt, in dem es mich und meine Umwelt gibt, die michumgibt, ohne mich jemals auszumachen. Wir sind zu Nachbarn in einerplanetaren Wohnungseigentümerversammlung geworden. Mankann sich kaum eine wahrhaftigere Hölle vorstellen. Kein materiellesMilieu hat jemals den Namen »Umwelt« verdient, heute vielleicht mitAusnahme der Metropole. Die digitalisierte Stimme des Ansagers, dasKreischen der Straßenbahn des 21. Jahrhunderts, das bläuliche Lichtder Straßenlaternen in der Form riesiger Streichhölzer, Fußgänger inVerkleidung gescheiterter Models, stiller Schwenk einer Videoüberwachungskamera,klares Klappern der Schranken in der Metro-Station, Supermarktkassen,Stechuhren, elektronische Internetcafé-Stimmung, derÜberfluss an Plasmabildschirmen, Schnellstraßen und Latex. Niemalswar ein Bühnenbild ohne die es durchquerenden Seelen ausgekommen.Kein Milieu war je automatischer. Kein Kontext war je gleichgültiger undverlangte dafür, um darin zu überleben, eine gleichmäßige Gleichgültigkeitzurück. Die Umwelt ist schließlich nichts anderes als das: daseigenartige Verhältnis zur Welt, das sich auf alles projeziert, was ihrentgleitet.Die Situation ist folgende: man hat sich unserer Eltern bedient, um dieseWelt zu zerstören, nun möchte man uns an ihrem Wiederaufbauarbeiten lassen, und der soll noch dazu profitabel sein. Die morbide Erregung,die Journalisten und Werbemanager bei jedem neuen Beweisfür die Klimaerwärmung erfasst, enthüllt das eiserne Lächeln des neuengrünen Kapitalismus, jenes, der sich seit den 1970ern ankündigte, aufden man wartete und der nicht kam. Et bien, le voilá! Die Ökologie,das ist er! Die alternativen Lösungen, das ist er! Das Heil des Planeten,das ist er immer noch! Kein Zweifel: grün liegt in der Luft; die Umweltwird das Drehmoment der politischen Ökonomie des 21. Jahrhunderts48 - Sechster Kreis
sein. Auf jeden Schub Katastrophismus folgt eine Salve »industriellerLösungen«.<strong>Der</strong> Erfinder der Wasserstoffbombe, Edward Teller, schlägt vor, MillionenTonnen Metallstaub in die Stratosphäre zu zerstreuen, um die Klimaerwärmungzu stoppen. Die Nasa, frustriert, weil sie ihre großsartigeIdee eines Antiraketenabwehrschildes im Museum der Fantasien desKalten Krieges verstauen musste, verspricht die Errichtung eines riesigenSpiegels jenseits der Mondumlaufbahn, der uns vor den tödlichenSonnenstrahlen schützen soll. Eine andere Zukunftsvision: eine motorisierteMenschheit, die von Sao Paulo nach Stockholm mit Bioethanolfährt; ein Traum der Getreidehersteller aus der Beauce 28 , welcher alles inallem nichts anderes als die Umwandlung sämtlichen Ackerlandes desPlaneten in Soja- und Zuckerrübenfelder voraussetzt. Beim Durchblätternder Seiten der Hochglanzmagazine koexistieren ökologische Autos,saubere Energie, Environmental Counsulting ohne Schwierigkeit mitder neusten Chanel-Werbung.Es heißt, dass die Umwelt das unvergleichliche Verdienst hat, das ersteglobale Problem zu sein, das sich der Menschheit stellt. Ein globalesProblem, also ein Problem, wofür nur diejenigen die Lösung habenkönnen, die global organisiert sind. Und diese, die kennen wir. Es sinddies die Gruppen, die seit fast einem Jahrhundert die Avantgarde desDesasters sind und fest entschlossen dies zu bleiben, zum minimalenPreis eines Logo-Wechsels. Dass EDF 29 die Unverschämtheit hat, uns ihrAtomprogramm als neue Lösung für die weltweite Energiekrise wiederaufzutischen, sagt genug darüber, wie sehr die neuen Lösungen denalten Problemen ähneln.Von den Büros der Staatssekretäre zu den Hinterzimmern der alternativenCafés wird die Besorgnis in den gleichen Worten geäußert, dieeigentlich die selben wie immer sind. Es geht darum zu mobilisieren.Nicht für den Wiederaufbau wie nach dem Krieg, nicht für die Äthiopierwie in den 1980er Jahren, nicht für den Arbeitsplatz wie in den1990ern. Nein, diesmal ist es für die Umwelt. Sie dankt es euch so sehr.Al Gore, die Ökologie à la Hulot 30 und die Wachstumsrücknahme stellensich an die Seite der ewigen großen Seelen der Republik, um ihre28 Die Beauce ist eine Region südlich von Paris, in der einige Großbauern riesige landwirtschaftlicheProduktionsflächen bewirtschaften.29 Staatliche Energiewerke <strong>Frank</strong>reichs30 Nicolas Hulot war lange Fernseh-Moderator für ein Umweltprogramm namens»Ushuaia« - eine bedrohte Insel irgendwo – später trat er in eine der grünen Partei <strong>Frank</strong>reichsein. Ushuaia tauchte etwas später als Name einer bekannten Körperpflegeseriewieder auf.<strong>Der</strong> <strong>kommende</strong> <strong>Aufstand</strong> - 49
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