Fürsorgeerziehung der 1950er und 1960er Jahre - AFET
Fürsorgeerziehung der 1950er und 1960er Jahre - AFET
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den Kreis <strong>der</strong> Antragsberechtigten ausweiten, zum Beispiel auf Schul- <strong>und</strong><br />
Kirchenbehörden, Vereinigungen für Jugendhilfe, Ges<strong>und</strong>heitsämter,<br />
Staatsanwaltschaften, Vormün<strong>der</strong> <strong>und</strong> auch Eltern. Im § 65 RJWG heißt es:<br />
„Das Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht muss vor <strong>der</strong> Beschlussfassung das Jugendamt, es soll,<br />
soweit dies ohne erhebliche Schwierigkeiten geschehen kann, den Min<strong>der</strong>jährigen,<br />
seine Eltern <strong>und</strong> seinen gesetzlichen Vertreter hören; weitere Anhörungen kann die<br />
Landesgesetzgebung vorschreiben.<br />
Der Beschluss ist mit Gründen zu versehen <strong>und</strong> muss, wenn er auf Anordnung <strong>der</strong><br />
<strong>Fürsorgeerziehung</strong> lautet, den Eintritt <strong>der</strong> gesetzlichen Voraussetzungen unter<br />
Bezeichnung <strong>der</strong> für erwiesen erachteten Tatsachen feststellen.“<br />
Im Kommentar dazu heißt es:<br />
„Der Antrag auf FE muss dem Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht ein vollständiges Bild von <strong>der</strong><br />
Lage des Min<strong>der</strong>jährigen in Bezug auf seine Erziehung geben, so dass weitere<br />
Ermittlungen des Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts nach Möglichkeit nicht erfor<strong>der</strong>lich werden;<br />
dabei muss angegeben werden, wie die tatsächlichen Verhältnisse, auf die das<br />
Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht seine Beurteilung stützen soll, ermittelt worden sind.<br />
Vordrucke für den FE-Antrag sind in soweit praktisch, als sie die Vollständigkeit aller<br />
erfor<strong>der</strong>lichen Einzelangaben sicherstellen, für die Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> persönlichen<br />
Seite, <strong>der</strong> erziehlichen Lage, <strong>der</strong> früher ergriffenen Erziehungsmaßnahmen usw. ist<br />
die freie Darstellung vorzuziehen.“<br />
Die Soll-Vorschrift <strong>der</strong> Anhörung des Min<strong>der</strong>jährigen durch den<br />
Vorm<strong>und</strong>schaftsrichter/die Vorm<strong>und</strong>schaftsrichterin (<strong>und</strong> nicht etwa, wie häufig<br />
praktiziert, durch Angestellte o<strong>der</strong> Beamte <strong>der</strong> Urk<strong>und</strong>enstelle des Amtsgerichts) wird<br />
im Kommentar sehr ernst genommen. Die „erheblichen Schwierigkeiten“, die eine<br />
Unterlassung <strong>der</strong> Anhörung rechtfertigten, waren eng begrenzt: unbekannter<br />
Aufenthalt, Aufenthalt im Ausland, Vernehmungsunfähigkeit. „Weite Entfernung<br />
braucht keine erhebliche Schwierigkeit zu bedeuten, da Anhörung durch ersuchtes<br />
Gericht möglich ist; abzuschätzen ist, ob die dadurch entstehende Hinauszögerung<br />
<strong>der</strong> Entscheidung dem Min<strong>der</strong>jährigen gegenüber verantwortet werden kann. Die<br />
Nichtanhörung <strong>der</strong> im Gesetz Genannten muss Ausnahme sein; die Gründe werden<br />
zweckmäßigerweise aktenk<strong>und</strong>ig gemacht“ (Hervorhebung M.K.) Bei <strong>der</strong><br />
Begründung <strong>der</strong> Anordnung von FE müsse das Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht die Wirkung<br />
auf den Min<strong>der</strong>jährigen beachten: „Der FE-Beschluss setzt keine Strafe gegen den<br />
Min<strong>der</strong>jährigen fest, son<strong>der</strong>n ordnet eine Erziehungsmaßnahme für ihn an; diesem<br />
Umstand muss die Ausdrucksweise des FE-Beschlusses entsprechen.“<br />
Gegen den Beschluss des Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts stand dem Min<strong>der</strong>jährigen selbst<br />
(sofern er das vierzehnte Lebensjahr vollendet hatte), dem gesetzlichen Vertreter<br />
<strong>und</strong> den Eltern die „Sofortige Beschwerde mit aufschieben<strong>der</strong> Wirkung“ zu (§ 65<br />
RJWG). Der Beschluss sollte auch dem Jugendlichen selbst zugestellt werden,<br />
„insoweit sein Inhalt nach dem Ermessen des Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts ihm ohne<br />
erziehliche Nachteile mitgeteilt werden kann“. Die Beschwerdeinstanz, das<br />
Landgericht, musste die ganze Entscheidung des Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts einer<br />
Nachprüfung unterziehen <strong>und</strong> erfor<strong>der</strong>lichenfalls den Sachverhalt weiter aufklären.<br />
Es konnte die Entscheidung des Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichts aufheben, bestätigen o<strong>der</strong><br />
sie abän<strong>der</strong>n (z.B. statt <strong>Fürsorgeerziehung</strong> eine Erziehungsbeistandsschaft<br />
anordnen). Gegen die Entscheidung des Landgerichts konnte sofortige weitere<br />
Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt werden. Das wurde vorwiegend von<br />
den die <strong>Fürsorgeerziehung</strong> beantragenden Jugendämtern/Landesjugendämtern<br />
genutzt, um den Antrag doch noch durchzukriegen, wie in dem oben zitierten<br />
Gerichtsbeschluss. Eine weitere Beschwerdeinstanz gab es nicht. Allerdings konnte<br />
das Oberlandesgericht bei konkurrierenden Rechtsauffassungen mit einem an<strong>der</strong>en<br />
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