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Fürsorgeerziehung der 1950er und 1960er Jahre - AFET

Fürsorgeerziehung der 1950er und 1960er Jahre - AFET

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eantragen, um, wie es im Kommentar heißt, „die eventuell erfor<strong>der</strong>liche sofortige<br />

Vollstreckungsmöglichkeit <strong>der</strong> FE herbeiführen zu können“.<br />

Entgegen den schon Anfang <strong>der</strong> fünfziger <strong>Jahre</strong> erhobenen For<strong>der</strong>ungen, bei einer<br />

Reform des Jugendhilferechts die Vorläufige FE abzuschaffen, wurde sie im JWG<br />

1961 nicht nur beibehalten, son<strong>der</strong>n in Teilen auch noch verschärft (Anhebung <strong>der</strong><br />

Altersgrenze von 19 auf 20 <strong>Jahre</strong>), <strong>und</strong> sie wurde das Mittel bei „Unzuverlässigkeit<br />

<strong>der</strong> Personensorgeberechtigten“, die seit 1961 gesetzlich geregelte Freiwillige<br />

Erziehungshilfe in <strong>Fürsorgeerziehung</strong> umzuwandeln <strong>und</strong> zwar ohne eine<br />

„Glaubhaftmachung“ <strong>der</strong> „Unzuverlässigkeit“, da die Entscheidung im Ermessen <strong>der</strong><br />

Erziehungsbehörde lag. Praxis war auch, dass die Jugendämter Anträge auf<br />

Freiwillige Erziehungshilfe ablehnten <strong>und</strong> Vorläufige FE beantragten mit <strong>der</strong><br />

Behauptung, die Eltern hätten den FEH-Antrag nur gestellt, um nach Genehmigung<br />

ihr Kind gleich wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Heimerziehung zu entziehen.<br />

Noch in seinem Kommentar von 1972 sieht sich Potrykus genötigt, einen sorgfältigen<br />

Umgang mit dem „unbestimmten Rechtsbegriff Gefahr im Verzuge“ anzumahnen:<br />

„Vermutungen genügen nicht, auch reicht die bloße Möglichkeit nicht aus.“ Das<br />

Jugendamt müsse in einem sorgfältigen Bericht mit ins Einzelne gehenden<br />

tatsächlichen Angaben <strong>und</strong> Beweisangeboten eine überzeugende<br />

Glaubhaftmachung für „Gefahr im Verzuge“ vorlegen. „Ein Jugendamts-Bericht, <strong>der</strong><br />

nur Werturteile <strong>und</strong> allgemeine Redensarten enthält“, müsse vom<br />

Vorm<strong>und</strong>schaftsgericht durch eigene Ermittlungen des Sachverhalts überprüft<br />

werden. Die damit verb<strong>und</strong>enen Verzögerungen müssten „bei <strong>der</strong> Bedeutung <strong>und</strong> im<br />

Hinblick auf die Schwere des Eingriffs <strong>der</strong> Vorläufigen <strong>Fürsorgeerziehung</strong> in das<br />

Leben des Min<strong>der</strong>jährigen in Kauf genommen werden.“<br />

Das JWG von 1961 verbesserte auch nicht die Rechtsstellung des Jugendlichen im<br />

Verfahren <strong>der</strong> Anordnung <strong>der</strong> Vorläufigen FE. Ein Recht auf Anhörung wurde ihm<br />

nicht zugebilligt. Dazu schreibt Potrykus:<br />

„Lassen sich die im Gerichtsbezirk wohnenden Eltern <strong>und</strong> <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>jährige jedoch<br />

ohne großen Zeitverlust <strong>und</strong> ohne die Gefahr <strong>der</strong> Entweichung des Min<strong>der</strong>jährigen<br />

anhören, so ist kein Gr<strong>und</strong> ersichtlich, weshalb bei <strong>der</strong> Bedeutung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schwere<br />

des Eingriffs <strong>der</strong> Vorläufigen FE die Anhörung nicht trotzdem durchgeführt werden<br />

solle.“<br />

Eine wichtige Verbesserung hatte <strong>der</strong> Gesetzgeber bei <strong>der</strong> Verabschiedung des<br />

JWG 1961 allerdings eingeführt: Wenn nach Anordnung <strong>der</strong> Vorläufigen FE die<br />

Endgültige FE nicht spätestens nach sechs Monaten angeordnet wurde, musste die<br />

Vorläufige FE aufgehoben werden.<br />

Trotz dieser Einschränkung wurde das Instrument <strong>der</strong> „Vorläufigen FE“ von den<br />

Jugendämtern weiter genutzt, um Jugendliche umstandslos in die <strong>Fürsorgeerziehung</strong><br />

zu bringen. Die vielgepriesene Freiwillige Erziehungshilfe funktionierte nur so lange,<br />

wie die Eltern den Erwartungen <strong>der</strong> Jugendämter <strong>und</strong> Landesjugendämter<br />

entsprachen.<br />

Man könnte jetzt die Antragspraxis <strong>der</strong> Jugendämter <strong>und</strong> die Spruchpraxis <strong>der</strong><br />

Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichte in aufwendigen Forschungen untersuchen. Ich halte das für<br />

überflüssig, weil wir getrost einem so vorsichtigen <strong>und</strong> jugendhilferechtlich eher<br />

konservativen Amtsrichter <strong>und</strong> Kommentator wie Potrykus glauben können. Er hätte<br />

niemals unüberprüfte <strong>und</strong> nicht belegte Jugendamts- <strong>und</strong> Gerichtsschelte in seinen<br />

Standardkommentaren veröffentlicht.<br />

Die hier dargestellte Praxis von Jugendämtern <strong>und</strong> Vorm<strong>und</strong>schaftsgerichten, mit <strong>der</strong><br />

die ohnehin schwache Rechtsstellung von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen im<br />

<strong>Fürsorgeerziehung</strong>s-Verfahren ganz ausgehebelt wurde, liefert auch eine Klärung für<br />

die Mitteilungen vieler Ehemaliger, die in <strong>der</strong> Fürsorge leben mussten, dass sie nie<br />

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