Fürsorgeerziehung der 1950er und 1960er Jahre - AFET
Fürsorgeerziehung der 1950er und 1960er Jahre - AFET
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Regelwidrigkeit von pathologischer Erscheinungsform darstellt“, müsse als<br />
„medizinisch unerziehbar“ eingestuft werden. Mit diesen psychiatrischen psychopathologischen<br />
Beurteilungskriterien, zusammengefasst in dem Begriff <strong>der</strong><br />
„medizinischen Unerziehbarkeit“ <strong>und</strong> des „praktisch unerziehbaren Fürsorgezöglings“<br />
wurde eine folgenschwere Anschluss-Stelle zwischen <strong>Fürsorgeerziehung</strong> <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>-<br />
<strong>und</strong> Jugendpsychiatrie geschaffen, die eine Ausweitung des „Verschiebebahnhofs“<br />
bedeutete <strong>und</strong> für viele Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche unsägliches Leid mit sich brachte.<br />
Der <strong>AFET</strong> befasste sich schon 1951 auf einer Tagung mit dem Thema „Die<br />
Unerziehbarkeit Min<strong>der</strong>jähriger“ <strong>und</strong> veranlasste „Einzeluntersuchungen über den<br />
Lebenslauf unerziehbarer Min<strong>der</strong>jähriger“. 1958 veröffentlichte <strong>der</strong> <strong>AFET</strong> das<br />
Ergebnis einer umfassenden Untersuchung von Min<strong>der</strong>jährigen unter dem Titel<br />
„Grenzen <strong>der</strong> Sozialpädagogik – Ergebnisse einer Untersuchung praktisch<br />
unerziehbarer Fürsorgezöglinge“ von dem oben schon erwähnten Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />
Jugendpsychiater Hermann Stutte von <strong>der</strong> Universität Marburg. In dieser<br />
Untersuchung, die für die kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong> jugendpsychiatrische Diagnostik in den<br />
Verfahren zur Heimunterbringung von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen bis weit in die<br />
siebziger <strong>Jahre</strong> maßgebend wurde, werden ungebrochen die Kriterien <strong>der</strong> NS-<br />
Psychiatrie verwendet, die auf erbbiologischen <strong>und</strong> rassehygienischen<br />
Gesichtspunkten beruhten.<br />
Die Wirkungen dieser Verbindungen von Heimerziehung <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>- <strong>und</strong><br />
Jugendpsychiatrie müssen meines Erachtens einen Schwerpunkt <strong>der</strong> Forschung zur<br />
Geschichte <strong>der</strong> Heimerziehung bilden <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Arbeit des R<strong>und</strong>en Tisches<br />
berücksichtigt werden.<br />
Ich werde mich in einer weiteren Studie im Herbst dieses <strong>Jahre</strong>s mit diesem Thema<br />
befassen.<br />
Auch den von mir vorgeschlagenen dritten Schwerpunkt <strong>der</strong> „Wege ins Heim“, die<br />
sogenannte „Zuführung“ <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen in die Heime <strong>und</strong> ihr Empfang<br />
dort, kann ich im Rahmen dieses Vortrags nicht mehr ausführen. Viele ehemalige<br />
Heimkin<strong>der</strong> haben mündlich <strong>und</strong> schriftlich über die brutalen Methoden <strong>der</strong><br />
Einlieferung <strong>und</strong> über die Festnahme <strong>und</strong> Wie<strong>der</strong>einlieferung nach Fluchtversuchen<br />
berichtet. Eine zusammenfassende <strong>und</strong> bewertende Untersuchung <strong>der</strong><br />
Einweisungspraxis, beson<strong>der</strong>s auch im Hinblick auf die Funktion <strong>der</strong> sogenannten<br />
Aufnahmegruppen, ist aus meiner Sicht erfor<strong>der</strong>lich, um die „Wege ins Heim“ bis zum<br />
letzten Punkt aufzuklären.<br />
Nachtrag: Zu den „Vergessenen Heimkin<strong>der</strong>n“ des Jugendamts <strong>der</strong> Stadt Münster<br />
habe ich bei Archivarbeiten – als <strong>der</strong> Text schon fertig war – eine ausführliche<br />
Berichterstattung im „Forum Jugendhilfe“ <strong>der</strong> AGJ (Heft 2/1976) gef<strong>und</strong>en, aus <strong>der</strong><br />
ich Teile hier dokumentiere:<br />
„Gründe für die Heimeinweisung von Kin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Jugendlichen im Bereich des<br />
Jugendamts <strong>der</strong> Stadt Münster<br />
Bericht des Ministers für Arbeit, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziales vor dem NRW-<br />
Landtagsausschuss für Jugend, Familie <strong>und</strong> politische Bildung, 8. Sitzung,<br />
13.1.1976<br />
Ministerialdirigent Rudolf Stenzel (MinAG u. S):<br />
Die Behandlung dieses Tagesordnungspunktes ist darauf zurückzuführen, dass<br />
sich das Jugendamt <strong>der</strong> Stadt Münster Anfang des <strong>Jahre</strong>s 1974 veranlasst sah,<br />
aus eigener Initiative eine Untersuchung über die in Heimen untergebrachten<br />
Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen aus seinem Bereich durchzuführen. In die Untersuchung<br />
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