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Das neue Ausstellungsprojekt von Daniel Glaser und<br />
magdalena Kunz ist eine komplexe verbale Geografie,<br />
die sich vorwärtstastet, mit essentiellen, direkten<br />
Fragen ohne Antworten, die als zufällig gehörte Konversationsfragmente<br />
erscheinen. Aus der Unbe stimmtheit<br />
entsteht allmählich das Themenbild einer radikalen<br />
Infragestellung, welche feste Ansichten ins Wanken<br />
bringt. Jede Klarheit wird von den Künstlern relativiert<br />
und schliesslich ganz ausser Kraft gesetzt.<br />
In der Installation ,Drehbuch’ kauert ein junger mann,<br />
in Decken gehüllt, vor einem Heizkörper am Boden, sich<br />
vor der nächtlichen Kälte schützend. Die Szene ist in<br />
medias res, etwas ist bereits geschehen, die Vorgeschichte<br />
lässt sich bloss erahnen. Wo bin ich? Und wer<br />
bist du? Was soll man tun? Die Radikalität der Fragen,<br />
die sich der Junge stellt und welchen das Publikum ausgesetzt<br />
ist, beschreibt die Atmosphäre eines monologs,<br />
der tastend fortschreitet und einen Ausweg aus einer<br />
Situation der Isolierung und des zwangs sucht.<br />
Die möglichkeiten zu handeln und die Geschehnisse<br />
zu kontrollieren werden in Frage gestellt. Fragmente<br />
und Reste einer schematischen Biografie tauchen<br />
auf. Diese Situation stellt eine für die Jugend typische<br />
Ent deckungs- und Wissenslust dar, die Glaser/Kunz<br />
mit knappen und wirksamen Details aufzeigen. Die<br />
Szenerie ist von einer tiefen melancholie, verstärkt<br />
durch eine nächtliche, dämmrige Stimmung und vom<br />
Gefühl der Flüchtigkeit und Vorläufigkeit, welche den<br />
Protagonisten umhüllt. Eine sehnsuchtsvolle, abenteuerliche<br />
Stimmung, die den Atmosphären von mark<br />
Twains Romanen nahe kommt, dem Gefühl der unvermeidlichen<br />
Verwirrung und dem Schauder der frühen<br />
Jugend, welche alle Streifzüge seiner berühmtesten<br />
‚Drehbuch’, mixed media, Installationsansicht<br />
ca. 200 x 300 x 180 cm, 2007<br />
49<br />
Helden, Tom Sawyer und Huckleberry Finn, im Gegenlicht<br />
durchblicken lassen.<br />
Klar ist, dass für Glaser/Kunz die Hinwendung zum<br />
Fragen als ein philosophisches Projekt verstanden<br />
werden muss, das darauf hinzielt, das Publikum zu verblüffen<br />
und zum Nachdenken zu verführen. Es handelt<br />
sich um einen konzeptuellen Vorgang, welcher der antiken<br />
Dialektik ähnelt, insbesondere der sokratischen<br />
mäeutik wo das scheinbar harmlose Fragen sich als<br />
scharfes konzeptuelles Werkzeug erweist, um das<br />
Selbstverständnis des Befragten zu desavouieren, bis<br />
die totale Leere dessen Überzeugungen als Ergebnis<br />
falscher kollektiver meinungen blossgestellt wird.<br />
Glaser/Kunz erwecken ähnliche zweifel beim Betrachter,<br />
der in ein immer engeres Gewebe von Befragungen<br />
verwickelt wird, welches tief sitzende Sicherheiten und<br />
Einsichten zerstört. Die visuelle Stärke der Installation<br />
verfolgt den zweck, den unerbittlich starken Einfluss<br />
der Fragen weiter zu verstärken und die Hörer in einen<br />
zweikampf zu verwickeln, in welchem das durch die<br />
Beharrlichkeit der Fragen aufgezwungene Unbehagen<br />
unvermeidlich ist.<br />
Wie in der antiken mäeutik das entscheidende ziel die<br />
Suche nach einem echten Bewusstsein war, stellen die<br />
beiden Künstler Fragen um Fragen, die zugleich offen<br />
und detailliert sind und somit die Spezifität der privaten<br />
Existenz eines jeden menschen berühren und anregen.<br />
Doch es werden weder Antworten noch Lösungen geboten,<br />
und genau darin liegt der zündstoff der Kunst<br />
von Daniel Glaser und magdalena Kunz.<br />
LUIGI FASSI (Auszug)