Bologna - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
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»Carmina Burana«<br />
in Berlin<br />
Viertes Tanzprojekt mit Royston Maldoom<br />
und den Berliner Philharmonikern<br />
Von Brigitte Macher<br />
Im Gegensatz zu den bisherigen Tanzprojekten mit den Berliner<br />
Philharmonikern (Strawinskys »Frühlingsopfer« 2003, Ravels<br />
»Daphnis und Chloe« 2004, Strawinskys »Feuervogel« 2005)<br />
erzählt »Carmina Burana« keine Geschichte, sondern schildert<br />
das Leben mit seinen Freuden und Leiden, die zufällige Bestimmtheit<br />
des Menschen durch das Schicksal. Glücksgöttin Fortuna<br />
dreht gleichgültig das Schicksalsrad. Weh dem, den das Glück<br />
verlässt, wie den armen König auf einem mittelalterlichen Fresko<br />
einer westfälischen Dorfkirche. Die Krone ist ihm vom Haupt gefallen.<br />
Ihm gegenüber der glückliche König auf der Höhe seiner<br />
Macht. Ein Knabe klammert sich an das Rad, Fortuna anstarrend<br />
und alles von ihr erwartend. Der Tor! Er sollte sich lieber der<br />
Fürsprache der Heiligen anvertrauen, als der gnadenlosen Fortuna<br />
– so die christliche Mahnung.<br />
Das Bild könnte auch jene mittelalterliche Handschrift aus<br />
dem Kloster Benediktbeuren illustrieren, die Carl Orff zu seinem<br />
bekanntesten und berühmtesten Werk inspirierte, und die zu<br />
den populärsten klassischen Musikstücken zählt. Seit seiner Uraufführung<br />
1937 in Frankfurt wurde es sowohl in Deutschland<br />
(Mary Wigman 1943) wie in Europa, speziell aber auch in<br />
den USA von namhaften Choreographen als Ballett gestaltet. Sir<br />
Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, hatte<br />
Orffs Werk <strong>für</strong> das diesjährige Education Project ausgewählt.<br />
Die Choreographie <strong>für</strong> die Aufführungen am 13. und 14. Mai<br />
2006 stammte wiederum von dem bekannten britischen Choreographen<br />
und Tanzpädagogen Royston Maldoom, der seit 30<br />
Jahren weltweit mit Jugendlichen, häufig in sozialen Brennpunkten,<br />
arbeitet. Maldoom griff dabei auf seine früheren Choreographien<br />
der »Carmina Burana« zurück. Er selbst leitete Proben<br />
und Aufführung, unterstützt von den deutschen Tanzpädagogen<br />
Volker Eisenach und Anja Müller. Die Berliner Philharmoniker<br />
spielten unter Sir Simon Rattle, 200 Berliner Schülerinnen und<br />
Schüler tanzten, 170 Schulkinder sangen, unterstützt vom Berliner<br />
Rundfunkchor (Leitung Simon Halsey). An zwei Abenden<br />
! !<br />
W I C H T I G – T E R M I N Ä N D E R U N G<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis 2007<br />
<strong>Deutscher</strong> Tanzpreis »Zukunft« 2007<br />
Mitgliederversammlung des DBfT<br />
Samstag, 27./28. April 2007<br />
feierten je 3000 Zuschauer die Akteure, unter ihnen eine Gruppe<br />
von Senioren und zwei semiprofessionelle Tanzcompagnien.<br />
»Bild und Wort überfielen mich», sagte Carl Orff nach der<br />
ersten Beschäftigung mit dem von Mönchen und Studenten verfassten<br />
lateinischen, altfranzösischen und mittelhochdeutschen<br />
Texten, und er traf dabei eine sorgfältige Auswahl. Klang und<br />
Text überfallen auch heute den Gleichgültigsten, der diese Musik<br />
zum ersten Mal hört und jedes Mal neu von ihr gepackt wird. Da<br />
haben es die Tänzer nicht leicht, die Dominanz der rauschhaften<br />
Klänge, der betörenden Melodien zu durchbrechen. Doch kommt<br />
dem Tanz die besondere Funktion zu, die kaum verständlichen<br />
Texte in lebendige Bilder umzusetzen, die im Gedächtnis haften:<br />
ineinander wogende Massen, die unablässig von den Seiten<br />
nachdrängen, sich Fortuna entgegen werfen, Verzweifelte, Mühselige<br />
und Beladene. Über allen kreist eine blutrote Fahne, das<br />
Rad der Fortuna als Verhängnis? Kreisend in bedrohlichen Ostinati,<br />
hämmernd im Rhythmus jagt und bedrängt die Musik die<br />
Tänzer. »Oh Fortuna! Wie der Mond so veränderlich, wächst du<br />
immer oder schwindest. Rad, du rollendes! Schlimm dein Wesen,<br />
dein Glück nichtig, immer im Zergehen«. Auch die Tänzer kreisen,<br />
formieren sich zum Rad, finden sich im Reigen. Die Mädchen<br />
kokettieren, locken die zunächst schüchternen Jungen aus<br />
der Reserve. »Sie tanzen graziös, wenn es gelungen ist, die Blockaden<br />
zu beseitigen«, sagt der Zauberer Royston Maldoom,<br />
dem dies bei der »Carmina Burana« besonders gut gelingt.<br />
Szenisch passiert viel, spontan, natürlich, unroutiniert. Das<br />
macht den Charme der jungen Tänzer aus. Die besonders intensive<br />
Wirkung der Choreographie erklärt Volker Eisenach aus der<br />
musikalischen Gliederung der Komposition in zahlreiche kleine<br />
Musikstücke. Das Werk besteht aus drei Teilen. Im ersten schildert<br />
der Text das Erwachen der Natur. Der Frühling schenkt neuen<br />
Mut und der Jugend die Verheißung der Liebe. Der zweite Teil »In<br />
Taberna« führt die groben, sinnlichen Freuden vor. Aber wie bewegt<br />
sich ein Betrunkener, wie tanzt ein Mönch? Da kann sich<br />
die Phantasie entfalten. Und der arme kleine Schwan, der von<br />
den Zechern verspeist wird, er mahnt Vergänglichkeit und Flüchtigkeit<br />
der Schönheit an, ein Vanitas-Motiv. Der dritte Teil gilt der<br />
Verherrlichung der Liebe in all ihren Facetten. Schmelzende Melodien,<br />
lyrische Passagen geben Gelegenheit, solistisch hervorragende<br />
Leistung zu zeigen, wie jene von den Mitgliedern der<br />
»Faster-Than-Light-Dance-Company«.<br />
Umrahmt werden die drei »magischen Bilder« von resignativer<br />
Anklage. »Wie den Wackeren das Schicksal hinstreckt, alle<br />
klagt mit mir», skandieren die Chöre zu Beginn und am Ende.<br />
Doch dem setzt der Choreograph Royston Maldoom sein pädagogisches<br />
Credo entgegen: »Trefft selbst die Entscheidung, ob<br />
das Schicksal euch bestimmen soll, oder ob ihr nicht lieber das<br />
Schicksal, euer ganz persönliches Schicksal, bewusst in die<br />
Hand nehmen wollt». Auch Carl Orff glaubte an das schöpferische<br />
Potenzial des Menschen und wollte ihm helfen, es musika-<br />
20 Ballett Intern 4/2006