Bologna - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
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Ein boxendes Känguru,<br />
ein Stück Kaugummi<br />
Joséphine Baker zum 100. Geburtstag<br />
Von Sylvia Staude<br />
Die großen Pariser Revuen der zwanziger Jahre waren so üppig<br />
wie statisch: Reihen von Tänzerinnen schritten Showtreppen hinab,<br />
fächerten sich auf, machten eine möglichst gute Figur, wippten<br />
mit ihren Federbüschen, stiegen wieder hinauf. Kollegen<br />
schoben ihre langen Schleppen so zurecht, dass keiner drüber<br />
fiel. Die Ausstattung war gigantisch, der Tanz bescheiden.<br />
Kein Wunder, dass eine 19-jährige Amerikanerin, die sich<br />
bewegte wie Quecksilber, zur Sensation wurde: Joséphine Baker.<br />
Ein paar rare alte Filmaufnahmen zeigen, wie sie Arme und<br />
Beine schlenkert, so flink und scheinbar knochenlos wie eine<br />
Comicfigur, dazu schneidet sie die wüstesten Grimassen, rollt<br />
die Augen, blinzelt ihrem Publikum zu, lächelt ein kaum vorstellbares<br />
Lächeln. Es ist, als habe das Leben plötzlich Einzug gehalten<br />
in eine Welt der Künstlichkeit.<br />
Das Leben kam aus St. Louis, Missouri und war die uneheliche<br />
Tochter einer schwarzen Wäscherin und eines weißen Vaters.<br />
Den Joséphine Baker mal zum Spanier machte, mal zum<br />
jüdischen fahrenden Händler, mal zum Musiker (es war wohl der<br />
Schlagzeuger Eddie Carson). Mit Herkunft und Alter fangen die<br />
Probleme also schon an, denn das Jahr 1906, inzwischen als<br />
Geburtsjahr der Baker akzeptiert, so dass man sie in diesem<br />
Jahr, am 3. Juni, zu ihrem 100. würdigt, ist nicht zweifelsfrei<br />
verbürgt. Die Urkunde ihrer Heirat mit William Baker im Jahr<br />
1921 gibt Joséphines Alter mit 19 an – entweder war sie tatsächlich<br />
so alt oder machte sich älter. Sie war nie eine besonders<br />
zuverlässige Berichterstatterin ihres Lebens.<br />
Das Tanzen scheint sie gelernt zu haben, als sie in einem<br />
Jazzclub kellnerte. Ihre Begabung, Bewegungen aufzunehmen<br />
und in einen sehr persönlichen Stil zu überführen, muss immens<br />
gewesen sein, denn von einer professionellen Ausbildung ist<br />
nichts überliefert. Bald reicht ihr Können, um sich als Chorus Girl<br />
durchzuschlagen in diversen Clubs und Theatern, auch am<br />
Broadway.<br />
Für den großen Erfolg aber musste Joséphine Baker die USA<br />
verlassen, wo ihre Hautfarbe ein Handicap war, und nach Paris<br />
kommen, in die Stadt, in der sich in den zwanziger Jahren tout<br />
le monde traf und niemand einen neuen Trend verpassen wollte,<br />
schon gar keine Revue Nègre im Théâtre des Champs-Elysées.<br />
Alle Kritiker waren da bei der Premiere am 2. Oktober 1925,<br />
nicht alle mochten, was sie sahen, aber die meisten spürten,<br />
dass etwas Außergewöhnliches passiert war. Einer beschrieb<br />
die Tänzerin wenig charmant, aber durchaus treffend als »Kreuzung<br />
zwischen einem boxenden Känguru, einem Stück Kaugummi<br />
und einem Radrennfahrer». Auch heute noch modern wirken<br />
die Schnelligkeit ihres Tanzes und der Stilmix, der aus überschießender<br />
Energie zu entstehen scheint. Joséphine Baker beginnt<br />
etwa mit Charleston-Bewegungen, stakst giraffenhaft, schüttelt<br />
den Po wie eine Rassel, lässt sich auf selbigen fallen, hoppelt auf<br />
ihm über die Bühne … mindestens genauso viel bildet sich indessen<br />
auf ihrem beweglichen Gesicht ab. Und: Sie lässt ihr Publikum<br />
nicht aus den Augen. Nie.<br />
Natürlich muss hier das so herrlich wippende Bananenröckchen<br />
erwähnt werden, an das sie später gar nicht mehr gern erinnert<br />
wurde, wie überhaupt an ihre weitgehend textilfreien Auftritte<br />
als »schwarze Venus». Aber Joséphine Baker wäre trotz all<br />
ihres Könnens nicht so berühmt geworden, hätte sie nicht auch<br />
die sexuellen Sehnsüchte einer Zeit bedient, die in den Kolonien<br />
eben auch das exotische (Liebes-)Abenteuer suchte. Sie war auf<br />
eine selbstverständliche Weise sexy, die an die andere große<br />
Jubilarin der gleichen Woche erinnert, an Marilyn Monroe. Beide<br />
waren mit Sicherheit klüger, als man ihnen zugestand.<br />
Eigentlich gelang es Joséphine Baker bereits nach einigen<br />
Jahren, das Bananenröckchen im Schrank zu lassen, aber die –<br />
vor allem gezeichneten – Bilder von ihr mit wulstigen Lippen,<br />
riesigen runden Augen, heraus gestrecktem, umkränztem Po, bestimmen<br />
bis heute die »Baker-Story». In Frankreich erinnert man<br />
sich vielleicht auch noch an die sehr passable Chansonsängerin,<br />
die in der Résistance Engagierte und mit Orden Ausgezeichnete,<br />
die Gründerin des ersten internationalen »Kinderdorfs».<br />
Aber außerhalb des Landes, das zu ihrer eigentlichen Heimat<br />
wurde, ist diese doch viel näher liegende Zeit – immerhin stand<br />
Joséphine Baker bis zu ihrem Tod im Jahr 1975 regelmäßig auf<br />
der Bühne – seltsam verblasst.<br />
Verdeckt werden vom Bananenrock-Image auch die Widersprüche,<br />
die sie in sich vereinte (zu denen sie zum Teil auch gezwungen<br />
war). So ist einerseits überliefert, dass sie gern kapriziös<br />
auftrat, andererseits während des Krieges äußerst diszipliniert<br />
und vor allem mutig Informationen sammelte und weiterleitete an<br />
den französischen Widerstand. Sie holte Kinder aus der Armut,<br />
indem sie sie adoptierte, sammelte sie andererseits ein bisschen<br />
wie Briefmarken: Jede Hautfarbe und jede Religion sollten in ihrer<br />
»Regenbogensippe« vertreten sein. Vor allem anderen aber<br />
2 Ballett Intern 4/2006