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22<br />

Über-setzen<br />

Gedanke – Wort – Schrift<br />

| Astrid Bruns, 3. Trimester<br />

„Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig“<br />

-2. Korinther, 3<br />

Wir machen uns in der Regel nicht bewusst, was für<br />

ein phantastischer Vorgang dem Lesen zugrunde<br />

liegt. – Wenige Striche und Bögen können ein ganzes<br />

Universum bedeuten, still wartend, dass jemand<br />

kommt und den Inhalt herausliest.<br />

Was geht da vor sich?<br />

Zunächst ist da der Autor, der einen Gedanken hat,<br />

den er teilen, mitteilen möchte. Vielleicht weiß er<br />

schon genau, was er ausdrücken möchte, die Gedanken<br />

sind fertig in seinem Innern, und doch lassen<br />

sie sich nicht so ohne weiteres in Sprache übersetzen.<br />

Wenn wir genau beobachten, sind unsere<br />

Gedanken in den seltensten Fällen Wortgedanken.<br />

Viele Gedanken sind als Ganzes da, unmittelbar und<br />

müssen dann mühsam in Worte gefasst werden,<br />

wenn wir sie ausdrücken wollen. Manchmal sind sie<br />

wie hörbar, erlauschbar, aber eher musikalisch als<br />

sprachlich, wie feine Schwingungen, die bestimmte<br />

Muster bilden, fast sphärisch. Und dann gibt es<br />

Bildgedanken, die plastisch und beweglich farb- und<br />

formfroh in uns leben. Immer geht mit diesem Übersetzungsvorgang<br />

ein gewisses Ohnmachtsgefühl<br />

einher. Wir spüren, dass die Sprache dem, was wir in<br />

uns tragen, nicht gerecht wird. Wir können nur hindeuten<br />

auf das, was wir sagen wollen, nie können<br />

wir wirklich zufrieden sein.<br />

Gedanken die bereits Worte sind – gibt es die? Bei<br />

Wortgedanken liegt immer der Verdacht nahe, dass<br />

es sich um leere Phrasen oder Worthülsen handelt.<br />

Diese muss ich zunächst mit Inhalt füllen und beleben,<br />

bevor ich sie mit gutem Gewissen verwenden<br />

kann. Habe ich ein direktes Gegenüber, mit dem ich<br />

spreche, vollzieht sich der Übersetzungsvorgang von<br />

Gedanken in Sprache sehr schnell, indem wir uns<br />

unbewusst aufeinander einstimmen, einschwingen.<br />

Dabei fällt es umso leichter, je besser ich mein<br />

Gegenüber kenne. Aber auch bei einem Fremden<br />

kann ich ein Gespür dafür entwickeln, ob meine<br />

Worte bei ihm ankommen, und ich kann mich zur<br />

Not immer wieder anders auszudrücken versuchen.<br />

Die Modulation der Stimme ist dabei eine große<br />

Hilfe, denn nicht nur was, sondern auch wie ich<br />

etwas sage, hat Aussagekraft. Selbst bei einer größeren<br />

Zuhörerschaft ist es möglich, ein Stimmungsbild<br />

wahrzunehmen und auf Rückfragen direkt einzugehen,<br />

so dass Missverständnisse ausgeräumt werden<br />

können.<br />

Beim Schreiben eines Artikels für eine zum großen<br />

Teil unbekannte Leserschaft fällt dieser ganze Vorgang<br />

weg. Jedes Wort, das ich benutze, muss ich<br />

gründlich abwägen und immer wieder neu abspüren,<br />

ob man das Geschriebene so verstehen kann, wie es<br />

von mir gemeint ist.<br />

Der Leser hat am Ende nur schwarze Striche und<br />

Bögen auf dem Papier und muss sich diese in<br />

Sprache zurückübersetzen. Dabei muss er sich auf<br />

den Autor einlassen, in dessen Gedankengänge einsteigen.<br />

Er hat keine Unterstützung durch die Stimme<br />

und die Art, wie etwas gesagt wird. Und doch ist<br />

es möglich, sich auf den Autor einzuschwingen, in<br />

Resonanz zu treten und das Gewebe des Textes in<br />

ein Gedankengebäude zurück zu übersetzen. Es ist<br />

möglich, Texte gänzlich fremder Autoren zu verste-

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