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Drucken Layout 1 - Priesterseminar-Stuttgart

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hen, aus den völlig abstrakten Zeichen auf dem<br />

Papier lebendige Gedanken herauszulesen.<br />

Und seltsamer Weise gelingt uns dies bei verschiedenen<br />

Autoren ganz unterschiedlich gut. Manche Texte<br />

erschließen sich mir unmittelbar, andere muss ich<br />

mehrmals lesen und entdecke immer neue Ansätze,<br />

wieder andere bleiben mir verschlossen, ich kann<br />

oder mag dem Autor nicht folgen.<br />

Woran liegt das?<br />

Hat es etwas damit zu tun, was „zwischen den<br />

Zeilen“ steht? Diesen Ausdruck kennt jeder Leser,<br />

obwohl er mit Verstandeslogik kaum zu begründen<br />

ist. Was steht denn da, zwischen den Zeilen? Ist es<br />

die Haltung des Autors, die Intention, mit der er seinen<br />

Text geschrieben hat? Und die meinen wir, herauslesen<br />

zu können?<br />

Wie können wir so etwas?<br />

Ich behaupte, wir können es, indem wir nicht nur mit<br />

dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen lesen.<br />

In unseren Herzen haben wir ein untrügliches Organ,<br />

das uns befähigt, in Resonanz mit anderen Wesen,<br />

Bildern, Gedanken u.ä. zu treten. Wir spüren, ob die<br />

entstehenden Schwingungen harmonisch sind, sich<br />

wohlklingend ineinander fügen, oder ob es zu<br />

Dissonanzen und Schwebungen kommt, zu heraus-<br />

© siehe Impressum<br />

fallenden Schwingungen, die darüber schweben<br />

bleiben und Missstimmung erzeugen.<br />

Es ist etwas anderes festzustellen, ob die Thesen<br />

eines Textes logisch haltbar sind oder nicht, oder<br />

hinzuspüren, ob sie uns zu Herzen sprechen. Heutzutage<br />

kommt es viel weniger darauf an, was jemand<br />

sagt, als darauf, wer etwas sagt. Denn der gleiche<br />

Inhalt ist bei verschiedenen Autoren lange noch<br />

nicht derselbe. Auf diesen Umstand hat Rudolf<br />

Steiner öfter hingewiesen: In Zukunft werde es<br />

immer mehr darauf ankommen, dieses Gespür des<br />

„zwischen den Zeilen Lesens“ und „hinter die Worte<br />

Hörens“ zu entwickeln.<br />

1918 sagt Rudolf Steiner in einem Vortrag<br />

sinngemäß:<br />

Worte sind letztlich nur Gebärden, und man muss<br />

den Menschen kennen, der diese Gebärde macht. Es<br />

ist ein Unterschied, ob im persönlichen Ich erkämpft<br />

wird Satz für Satz, oder aber ob es von unten oder<br />

von oben oder von seitwärts her in irgendeiner<br />

Weise zum Beispiel eingegeben ist.<br />

Wir müssen auf den ganzen menschlich-geistigen<br />

Zusammenhang desjenigen sehen, der da spricht.<br />

Es kommt nicht allein darauf an, was da für Worte<br />

stehen, sondern vor allem, aus welchem Geiste heraus<br />

sie sind.<br />

Doch um dies zu bemerken, braucht es Zeit und<br />

Aufmerksamkeit. Das flüchtige Drüberlesen was wir<br />

uns oft, besonders beim Lesen digitaler Texte, angeeignet<br />

haben, lässt ein tieferes Hineinspüren in den<br />

Text meist kaum mehr zu.<br />

Ich selbst erlebe es für mich als hilfreich und gesund,<br />

lieber weniger und dafür gründlicher und mit voller<br />

Aufmerksamkeit zu lesen. Es tun sich mir dann<br />

Facetten auf, die mir sonst verschlossen bleiben.<br />

Aber das mag jeder für sich selbst überprüfen.<br />

Steiner, Rudolf: Der Tod als Lebenswandlung<br />

(GA 182), Vortrag vom 16.10.1918.<br />

Über-setzen<br />

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