zds#13
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lockland<br />
×<br />
Fr, 19.40 Uhr<br />
Timmersloher Landstraße<br />
Eine Frau mittleren Alters verkauft<br />
nicht nur Eintrittskarten, sondern<br />
bietet für den Notfall auch Regenschirme<br />
an. Um die Lampe über ihr<br />
tanzen wild die Motten.<br />
19.45 Uhr<br />
Timmersloher Landstraße<br />
Es ist dunkel, still und trocken. Vor<br />
der beleuchteten Bar stehen Menschen,<br />
wetterfest eingepackt samt<br />
Gummistiefeln und Regen-schirmen.<br />
Gespanntes Warten.<br />
20.05 Uhr<br />
Eine Frau sitzt vor einem alten<br />
Baum, erzählt erregt und rhythmusbetont<br />
über die Beziehung zu ihrer<br />
Mutter. Wie an einem Fließband<br />
werden ihr von der linken Seite<br />
kleine Dynamo-Taschenlampen gereicht,<br />
die sie im gleichen Tempo<br />
aufdreht und einer Kollegin rechts<br />
neben ihr in die Hand drückt, welche<br />
die Lampen wiederum in einen<br />
Eimer wirft, aus dem sie ein Schauspieler<br />
herausnimmt und im Publikum<br />
verteilt.<br />
Theater auf<br />
der feuchten<br />
wiese<br />
wichtig. „Wenn wir in der Natur sind,<br />
sind wir näher an uns selbst dran.“<br />
Für einige der Nachbarn hier draußen ist<br />
das Theater nicht leicht zu verstehen.<br />
Diese Türen da auf dem Feld. Dieses<br />
Künstlerische. Die Themen, die die Regisseurin,<br />
Schauspielerin und Theaterleiterin<br />
umtreiben. „Schöngeist“ nennen sie<br />
Verena Reisemann. Eine, deren Themen<br />
ihnen „zu hoch“ sind. Sie finden keinen<br />
rechten Zugang dazu. „Verena“, hat mal<br />
ein Bauer zu ihr gesagt, „du solltest Theater<br />
für alle machen.“<br />
Theater ist vielleicht zu hoch gegriffen.<br />
Nüchterne Betrachter würden es so beschreiben:<br />
ein Garten ganz am Rande<br />
Bremens, 2.000 Quadratmeter groß,<br />
mächtige, alte Bäume, manchmal gehört<br />
auch noch der benachbarte Acker dazu.<br />
Keine Bühne, maximal ein paar Elemente,<br />
wie diese Türen, die Verena Reisemann<br />
im Garten verstreute und bei den Aufführungen<br />
mit Lichtinstallationen erhellt. Es<br />
ist schon zur Regel geworden, dass sie ihrem<br />
Publikum rät, in Gummistiefeln zu<br />
kommen. Die Felder sind matschig hier in<br />
der Wümmeniederung.<br />
Kein Geld für<br />
Ballett<br />
Verena Reisemann ist Profi. Schauspielerin,<br />
Tänzerin und Sängerin, Studium<br />
an der Folkwang Universität der Künste<br />
in Essen, eine der renommiertesten in<br />
Deutschland. 2008 gründet sie, zweifache<br />
Mutter inzwischen, in Timmersloh, einem<br />
kleinen Dorf, das heute zu Borgfeld gehört,<br />
ihr eigenes Theater. „Damit bin ich<br />
angekommen auf dem Weg, den ich gehen<br />
will“, sagt sie.<br />
Es war kein einfacher Weg bis hierher.<br />
Verena Reisemann, geboren 1969 in Heidelberg,<br />
wächst als Nachzüglerin von vier<br />
Kindern in bürgerlichen Verhältnissen auf.<br />
Als sie mit sechs bei der Ballettstunde ihrer<br />
Freundin zugucken darf, ist sie begeistert.<br />
Doch ihre Eltern haben kein Geld<br />
für Unterricht; erst mit acht schenkt ihr<br />
der Großvater ihre ersten Stunden. Ihre<br />
Ballettlehrerin erkennt ihr Talent, bald<br />
14<br />
darf sie kommen, wann immer sie möchte,<br />
um zu trainieren. Mit zwölf fängt sie<br />
im Heidelberger „Haus der Jugend“ mit<br />
Jazztanz an. Ihre Lehrerin dort erkennt<br />
ihr großes Bedürfnis, sich auszudrücken,<br />
wird zu ihrer Mentorin. „Sie hat mich<br />
durch die Pubertät gebracht“, sagt Verena<br />
Reisemann im Rückblick. „Wenn ich das<br />
Tanzen und sie nicht gehabt hätte, ich<br />
weiß nicht …“ Auch in die Theater-AG<br />
geht sie. Nebenbei assistiert sie ihrer<br />
Jazztanzlehrerin, regelt organisatorische<br />
Dinge für sie. Die revanchiert sich, lässt<br />
sie schließlich selbst unterrichten. „Das<br />
hat mir viel Vertrauen gegeben, mich getragen“,<br />
sagt Verena Reisemann.<br />
Anfangs war<br />
sie überzeugt,<br />
dass in<br />
Hollywood<br />
der „Oscar“<br />
auf<br />
sie wartet<br />
Der Wechsel an die Uni nach Essen, 1989,<br />
ist ein Schock für sie. Bis dahin war sie<br />
überzeugt, dass in Hollywood der „Oscar“<br />
auf sie warte. Auf einmal aber ist da<br />
Konkurrenz, und die ist hart. „Es war ein<br />
ganzer Haufen, der besser war als ich<br />
oder genauso gut.“ In Heidelberg war sie<br />
unterstützt worden von allen Seiten. An<br />
der Folkwang-Uni gerät sie in eine machtpolitische<br />
Auseinandersetzung innerhalb<br />
der Lehrerschaft. Ein Dekan behauptet,<br />
ihre Stimme sei kaputt. Sie wird in die Klinik<br />
zur Untersuchung geschickt – alles in<br />
Ordnung. Trotzdem fällt sie in Gesang<br />
durchs Vordiplom. „Das war eine sehr<br />
harte Zeit“, bilanziert sie. Tanzunterricht<br />
hat sie in der Abteilung von Pina Bausch,<br />
die als eine der bedeutendsten deutschen<br />
ChoreografInnen der Gegenwart gilt. Eine<br />
der LehrerInnen, die sie dort unterrichtet,<br />
sei „extrem ausdrucksstark“ in<br />
ihrer ganzen Persönlichkeit gewesen,<br />
umschreibt Verena Reisemann – eine psychische<br />
Macht, an der sie fast zerbricht.<br />
„Die unpädagogische Art, wie sie mit uns<br />
gearbeitet hat, wie sie versucht hat, uns<br />
zu brechen, das hat mich fertiggemacht.“<br />
Das war nicht gesund. „Vielleicht“, vermutet<br />
sie, „war ich ihr zu ähnlich.“<br />
Wieder hat sie Leute, die an sie glauben,<br />
zwei, drei bloß, aber das reicht ihr. Sie<br />
zieht ihr Studium durch, macht ihren Abschluss,<br />
geht schließlich nach Hamburg,<br />
24 ist sie da. Und bleibt der Bühne sieben<br />
Jahre fern. „Ich musste das erst einmal<br />
verarbeiten, diese Situation, in einem<br />
Bereich zu arbeiten, in dem man grundsätzlich<br />
nicht davon ausgehen kann, dass<br />
man gut behandelt wird.“ Gleich an ein<br />
großes Theater zu gehen – „dem wäre ich<br />
nicht gewachsen gewesen“. Nähe zum<br />
Theater sucht sie dennoch. Arbeitet mal<br />
als Ankleiderin, mal als Sprechcoach, mal<br />
als Regisseurin. Hat Glück, wird weiterempfohlen,<br />
kommt von einer zur nächsten<br />
Produktion. „Ich bin immer an die<br />
richtigen Leute geraten, die den Weg vorbereitet<br />
haben, damit ich dann auch selber<br />
wieder auf der Bühne lande“, sagt sie.<br />
Im Timmersloher Garten hängt die Frau<br />
im beigen Kleid nun Tücher mit aufgedruckten<br />
Kinderporträts auf, sie singt<br />
dazu. Fünf Produktionen hat Reisemann<br />
mit „wildwechsel“ schon inszeniert, eine<br />
pro Jahr. Die letzte kam so gut an, dass<br />
sie im September wieder aufgenommen<br />
wird. Zeitgleich laufen bereits die Vorbereitungen<br />
für 2013, der Titel: „Schichten“.<br />
Verena Reisemann konzipiert die Stücke,<br />
ist künstlerische Leiterin und Regisseurin.<br />
Sie sucht sich Profis, die bereit sind, mit<br />
ihr ungewöhnliches Theater in der freien<br />
Natur zu machen. Zwischen 20 und 80<br />
ZuschauerInnen lockt jede Aufführung,<br />
Reisemann hält künftig auch Gastspiele<br />
auf Festivals für denkbar.<br />
Theater<br />
miteinander<br />
Es ist Jens Weisser, Regisseur und<br />
Schauspieler am Hamburger Lichthof<br />
Theater, der sie 2001 zurück auf die Büh-<br />
Porträt<br />
Man kann Verena Reisemanns Stücke nicht mit traditionellem<br />
Theater vergleichen. Eher mit Performances, Inszenierungen<br />
zwischen Kunst, Musik, Schauspiel und Tanz<br />
ne bringt. Er fragt sie, die zuerst Öffentlichkeitsarbeit<br />
für ihn machte, ob sie die<br />
Hauptrolle in seinem nächsten Stück<br />
übernehmen wolle. „Er war begeistert<br />
von mir“, erzählt sie. Ihre siebenjährige<br />
Auszeit bedauert sie nicht. „Die Pause<br />
brauchte ich, um später zu bestehen“, ist<br />
sie überzeugt.<br />
Sie sagt der Rolle zu, der Wiedereinstieg<br />
glückt. Sie spielt in Hamburg, Dortmund,<br />
Bonn. Als ihr zweites Kind unterwegs ist,<br />
überlegt sie, wie sie Beruf und Familie unter<br />
einen Hut kriegt. Klar ist: Als fest angestellte<br />
Schauspielerin wäre sie zu oft<br />
weg von zu Hause, könnte zu wenig Mutter<br />
sein. Aber sie möchte auch Theater<br />
machen, und das in der Natur. Sie will mit<br />
Menschen zusammenarbeiten, die sie mag,<br />
nicht nur mit SchauspielerInnen, sondern<br />
auch mit bildenden KünstlerInnen, FotografInnen<br />
und FilmemacherInnen. Mit<br />
Menschen, die Lust auf Kommunikation<br />
und Miteinander haben. Das ist so ziemlich<br />
das Gegenteil von dem, was sich nach<br />
ihrer Erfahrung im Theater-Business abspielt.<br />
„Ich bin fest davon überzeugt, dass,<br />
15<br />
wenn die Stimmung stimmt, immer etwas<br />
Gutes dabei rauskommt“, sagt sie. Und<br />
beschließt, ihre eigene Theaterkompanie<br />
ins Leben zu rufen.<br />
Das ist nicht<br />
wie „Romeo<br />
und Julia“.<br />
Wir arbeiten<br />
assoziativ<br />
Sie hat einen Lieblingsplatz hier, der<br />
grenzt direkt an ihren Garten und an das<br />
Feld, das sie regelmäßig bespielt. Die großen<br />
Bäume im Rücken kann man weit blicken<br />
von hier, nichts versperrt die Sicht.<br />
Verena Reisemann hat eine Bank dort hingestellt,<br />
die Abendsonne wärmt sie. Wie<br />
meist ist sie auch heute barfuß unterwegs,<br />
Schminke legt sie, wenn überhaupt, nur<br />
beruflich auf. Sie wirkt freundlich, offen,<br />
ungezwungen. Ihre Haare hat sie zu einem<br />
Zopf geflochten. Sie redet deutlich,<br />
wie eine Schauspielerin eben, und sowohl<br />
Hände wie Augen reden mit. Man kann<br />
ein Blitzen in Letzteren sehen. Den Kindern<br />
hat sie gerade eben noch eine Schale<br />
Erdbeeren geschnitten.<br />
Man kann Reisemanns Stücke nicht mit<br />
denen des traditionellen Theaters vergleichen,<br />
eher mit Performances, Inszenierungen<br />
zwischen Kunst, Schauspiel, Musik<br />
und Tanz. „Das ist nicht wie ‚Romeo<br />
und Julia‘. Wir arbeiten assoziativ, ganz<br />
viel über Bilder“, erklärt sie. Sie weiß,<br />
dass nicht jeder ihre Aufführungen versteht.<br />
Es ist auch nicht ihr Ziel. „Ich möchte<br />
es schaffen, dass die Leute im Dorf sagen:<br />
‚Das ist zwar total schräg, aber ich<br />
finde es spannend und gucke mir das<br />
an.‘“ Im Idealfall gehe jeder Zuschauer mit<br />
einem anderen Stück nach Hause. „Unser<br />
Theater muss man nicht verstehen“, unterstreicht<br />
sie. „Eigentlich muss man den Verstand<br />
an der Kasse abgeben. Wenn man<br />
versucht, intellektuell zu verstehen, ist das<br />
der pure Stress.“