zds#13
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lockland<br />
×<br />
15.04 Uhr<br />
Niederblockland, Höhe<br />
Alte Wettern<br />
Ein Pärchen sitzt auf einer Bank,<br />
genießt den malerischen Blick<br />
ins Grüne und auf die pittoresken<br />
Brückchen über den Siel.<br />
Warum das hier unter Schutz steht?<br />
„Damit das so bleibt.“<br />
15.47 Uhr<br />
Blocklander Hemmstraße,<br />
südlich der Brücke<br />
über Klein Wümme<br />
Ein breiter, brauner Streifen zieht<br />
sich quer durchs Blockland Richtung<br />
Wümme: Eine mit Herbiziden<br />
totgespritzte Wiese, auf der künftig<br />
Hochleistungsgras wachsen soll.<br />
mit fluchtstreifen<br />
und<br />
eiergeld<br />
38<br />
reportage<br />
39<br />
Je später und je seltener die Wiesen gemäht werden und je<br />
weniger Dünger auf ihnen landet, desto besser für die Vögel<br />
eine „Hollerstadt“, „Hollerland-Trasse“,<br />
Gewerbe- und Wohngebiete bedrohten<br />
die Feuchtwiesen. Drei Jahrzehnte dauert<br />
der Kampf, bis die Bürgerschaft 1985 zumindest<br />
den größten Teil des Hollerlands –<br />
den Ostteil des Blocklands – unter Naturschutz<br />
stellt. Die Diskussionen um eine<br />
Bebauung bringt das nur wenige Jahre<br />
zum Erliegen. Dann schimpfen Politiker-<br />
Innen das Naturschutzgebiet „ein paar<br />
saure Wiesen mit Kühen drauf“. Von einer<br />
„Online-City“ jenseits der A 27 ist<br />
die Rede. Rollten nicht bald die Planierraupen,<br />
sei die Selbstständigkeit<br />
Bremens in Gefahr, heißt es; die Naturschutzfront<br />
wackelt. „Wenn jemand eine<br />
Milliarde investieren will, fällt die ganze<br />
SPD in der Hollerland-Frage um“, prophezeit<br />
Bürgermeister Henning Scherf.<br />
Zwar taucht nie ein Investor auf. Scherf<br />
jedoch empfiehlt schon im Vorgriff den<br />
Einsatz von Hechten, die die seltenen<br />
Fische in den Blocklander Gräben fressen<br />
sollen – damit der Naturschutz endlich<br />
seine Grundlage verliert. 2003 stimmt<br />
seine Partei im Koalitionsvertrag mit der<br />
CDU einer Teilbebauung des Naturschutzgebietes<br />
mehr oder minder zu.<br />
Die letzten<br />
echten Bauern:<br />
Ohne sie geht<br />
hier nichts<br />
Schoppenhorst, seit den 1980ern in der<br />
„Bürgerinitiative für den Erhalt des<br />
Hollerlands“ engagiert, hat all das noch<br />
in Erinnerung. Auch den großen Sieg: als<br />
sich der rot-schwarze Senat schließlich<br />
dem EU-Recht beugt und große Teile<br />
des Blocklands als europäische Naturschutzgebiete<br />
anmeldet. „Höchsten<br />
Schutz status“ genössen die wertvollen<br />
Feuchtwiesen und Gräben dort nun, sagt<br />
Schoppenhorst zufrieden. Aber reicht<br />
das, aus Sicht der Natur? Es reicht<br />
offensichtlich nicht. Das zeigt schon ein<br />
Blick in die Gräben links und rechts des<br />
Weges. Ein dichter, violetter Teppich<br />
bedeckt die Wasseroberfläche. „Azolla“,<br />
sagt der Ökologe. Ein Übermaß an<br />
Nährstoffen lässt die Algenfarne sprießen.<br />
„Alles erstickt“, kommentiert Schoppenhorst.<br />
Mehr Gras, mehr Kühe, mehr<br />
Milch: Das geht nur mit mehr Dünger,<br />
mehr Gülle, mehr Mähgängen. Links drängeln<br />
sich die Rindviecher neugierig ans<br />
Gatter, das Weidegras hinter ihnen steht<br />
saftig und grün. Aber statt 40, 50, manchmal<br />
sogar 90 verschiedener Arten, wie<br />
sie auf nährstoffärmeren Wiesen wachsen,<br />
findet man hier nur ein gutes Dutzend.<br />
Und Düngen kann man Bauern<br />
nicht einfach verbieten.<br />
„Man muss wissen, was man überhaupt<br />
will“, sagt Schoppenhorst deswegen,<br />
während er wieder in die Pedale tritt und<br />
sein Rad weg vom Schotterweg an ein<br />
paar Bäumen vorbei auf den kleinen<br />
Deich lenkt, der sich neben der Semkenfahrt<br />
nach Norden streckt. Auch aus<br />
Naturschutzsicht kann man nicht alles<br />
zugleich haben. „Hier sind das Ziel die<br />
Wiesenvögel.“ Das bedeutet: Lieber eine<br />
etwas artenärmere Wiese als eine ohne<br />
dichtes Gras. Denn das brauchen die Kiebitze<br />
und Rotschenkel, Großen Brachvögel,<br />
Uferschnepfen, Bekassinen, Schafstelzen,<br />
Wiesenpieper, Feldlerchen und<br />
Braunkehlchen, Rebhühner und Wachteln,<br />
Rohrdommeln, Schilfrohrsänger, Blauund<br />
Schwarzkehlchen und wie sie alle<br />
heißen. Sie brauchen es zum Brüten und<br />
um sich zu verstecken.<br />
Das Blockland: ein von Natur aus nährstoffarmes<br />
Niedermoorgebiet, einst<br />
undurchdringliches Marschland, Erlenbruchwald,<br />
der zweimal täglich unter<br />
Wasser stand. Im 12. Jahrhundert kam der<br />
Mensch und legte Gräben an. Sie führen<br />
das Wasser ab, machen das Land urbar –<br />
eine der ältesten Kulturlandschaften der<br />
Region. Im Blockland wirtschaften die<br />
letzten echten Bauern Bremens. Ohne sie<br />
geht hier nichts. Das muss man klar<br />
haben, wenn man einen Job wie Arno<br />
Schoppenhorst hat. „Schutzgebietsmanager“<br />
lautet die offizielle Bezeichnung,<br />
die er seit vier Jahren trägt; die EU und<br />
Bremen geben Geld dafür, dass die Vögel<br />
möglichst viel vom EU-Vogelschutzgebiet<br />
haben, dass es Moorfröschen und Libellen,<br />
Steinbeißern und Schlammpeitzgern,<br />
Woll- und Sauergräsern sowie all den anderen<br />
wertvollen Tier- und Pflanzen arten<br />
gut geht. Schoppenhorst selbst nennt sich<br />
lieber „Kümmerer“: Er hat nicht das Sagen<br />
hier. Er ist nur ein nebenberuflicher<br />
BUND-Mitarbeiter, der dafür sorgen<br />
muss, dass alle gut miteinander auskommen,<br />
Vögel und Bauern, Mensch und Natur.<br />
Denn sonst klappt das nicht.<br />
Vogelschutz vom<br />
Trecker aus<br />
Der Weg ist holperig jetzt, die Fahrspur<br />
in der dichten Grasnarbe schon<br />
nicht mehr zu erkennen. Trotzdem lotsen<br />
manche Navis noch hierher. Das ärgert<br />
den Bauern vorne, denn der Weg führt<br />
über seinen Hof und überhaupt gilt hier,<br />
wie überall im Blockland jenseits der wenigen<br />
geteerten Straßen, „Durchfahrt<br />
verboten“. Selbst Schoppenhorst muss jedes<br />
Mal noch fragen. Angefangen hat seine<br />
Arbeit hier ganz klein. Er wollte Kiebitze<br />
schützen, verhandelte mit den Bauern,<br />
ob er die Gelege auf den Wiesen mit<br />
Bambusstöckchen markieren dürfe. Er<br />
musste viel erklären. Am Ende hat es allzu<br />
oft dann doch nichts genützt. Zwar<br />
schlüpften die Küken unversehrt. Dann<br />
aber gerieten sie bei der Nahrungssuche<br />
in die Mähwerke oder fielen auf den ratzekahl<br />
gemähten Wiesen Raubvögeln zum<br />
Opfer. Arno Schoppenhorst, der im<br />
Hauptberuf Gutachten schreibt und landschaftsökologische<br />
Begleitpläne für Bauvorhaben<br />
entwirft, verhandelte also weiter.<br />
Über Fluchtstreifen am Wiesenrand,<br />
über Deckungskulturen, vogelschonende<br />
Mähtechniken, zeitversetztes Mähen und<br />
vogelkundige BeifahrerInnen auf dem<br />
Trecker. „Ein Gelegeschutz ohne ein Kükenschutzprogramm<br />
macht keinen Sinn“,<br />
sagt er. In der Kombination jedoch ist der<br />
Erfolg enorm. Vier von fünf Brutpaaren<br />
im Blockland kriegen inzwischen Gelege<br />
und Küken durch.<br />
Der Naturschutz, ärgert sich Hinrich<br />
Bavendamm, Präsident der Bremer Bauern<br />
und selbst Blocklander, beschneide<br />
die unternehmerische Freiheit: Auflagen,<br />
Verbote, und überhaupt: „Man kann ständig<br />
unangemeldet kontrolliert werden.“<br />
Anfangs hatte Arno Schoppenhorst Mühe,<br />
einen einzigen Landwirt zu finden, der<br />
sich auf seine Vogelschutzspierenzchen<br />
einlassen wollte. Inzwischen gibt es keinen<br />
einzigen Betrieb mehr, der nicht auf<br />
die eine oder andere Art mitmacht.<br />
Spätestens seit die EU das Blockland unter<br />
Schutz stellte, ist klar: Gelingt es<br />
nicht, beide Interessen zufriedenzustellen,<br />
riskiert die Landwirtschaft, den Kürzeren<br />
zu ziehen.<br />
„Viele Betriebe haben sich auf den Naturschutz<br />
eingestellt“, sagt Bavendamm.<br />
Zumal ja auch der Geld bringt: Bis zu<br />
400 Euro für jeden Hektar Wiese, der<br />
nicht mehr gedüngt sowie seltener und<br />
später im Jahr gemäht wird. Und 25 Euro<br />
für jedes Nest, um das der Trecker einen<br />
Bogen fährt – sofern der Nachwuchs<br />
durchkommt. Rund 12.000 Euro „Eiergeld“<br />
zahlt Schoppenhorst jedes Jahr an<br />
die Bauern aus, bar auf die Hand. Nicht<br />
selten wird er danach noch auf einen<br />
Schnaps eingeladen. Der Landschaftsund<br />
Tierökologe, lobt Bavendamm, sei<br />
„ein guter Puffer zwischen Bauern und Behörde“.<br />
Vor allem aber „stellt er sich ganz<br />
geschickt auf unsere Mentalität ein“. Acht<br />
VogelschützerInnen stehen bereit, zum<br />
Mähen mit auf den Trecker zu steigen.<br />
„Stopp!“ rufen sie, wenn sie was haben<br />
flattern sehen vorne in den Halmen.<br />
12.000 Euro<br />
„Eiergeld“<br />
zahlt er jedes<br />
Jahr aus, bar<br />
auf die Hand<br />
Sie springen runter, laufen die fünf Meter<br />
vor. Ein Blick klärt schnell: Der Vogel saß<br />
hier nicht zum Spaß, er hat gebrütet. Der<br />
Trecker macht einen kleinen Bogen um<br />
die Stelle, der Vogelnachwuchs überlebt. Es<br />
gab Bauern, seit Jahrzehnten auf den Wiesen<br />
hier zugange, die nach einer solchen<br />
Fahrt erzählten, sie hätten zuvor noch nie<br />
ein Kiebitznest gesehen.<br />
Ein Strom führender Draht versperrt den<br />
Weg. Mit einer Plastikflasche hält ihn<br />
Schoppenhorst beim Passieren auf Abstand.<br />
Er nimmt Freiwillige mit zum Nestermarkieren,<br />
führt Kinder über die Wiesen<br />
zum Kükenstreicheln. Naturerlebnis<br />
ist der erste Schritt zum Naturschutz.<br />
Im Blockland ist das manchmal schwer,<br />
schon, weil man – vom Schlittschuhlaufen<br />
auf der Semkenfahrt mal abgesehen – im<br />
Prinzip nur vom Rand gucken kann. Ein<br />
Naturerlebnispfad, eine Aussichtsplattform,<br />
vielleicht auch ’ne gut gemachte<br />
Infotafel – das sei, sagt Schoppenhorst,<br />
alles noch „auf der Ideenebene“. Kostet<br />
schließlich Geld. Und geht nur, wenn die<br />
Bauern mitziehen. Vorerst bietet er<br />
Touren an für den BUND, beinahe jede<br />
Woche, mal mit dem Paddelboot, mal mit<br />
dem Fahrrad, mal zu Fuß über die Wiesen.<br />
Es geht um den Spaß in der Natur,<br />
und darum, ihre Schönheit und ökologische<br />
Bedeutung zu vermitteln. Einige<br />
Hundert Interessierte schleust er so jedes<br />
Jahr durch, dazu kommen Vorträge<br />
und Fortbildungen. Es ist ein präventiver<br />
Schutz gegen die Betonlobby. Nur manchmal,<br />
an Tagen wie heute, da kommt einfach<br />
niemand.