zds#13
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lockland<br />
16.07 Uhr<br />
Oberblockland,<br />
„Landhaus Kuhsiel“<br />
Ein winziger schwarzer Hund tollt<br />
durchs Gras, schnuppert an Gänseblümchen,<br />
hüpft über Schuhe, Taschen<br />
und Gartenstuhlstreben wie ein mutiges<br />
Springpferdchen, angetrieben<br />
von einer unbändigen Freude und Neugierde,<br />
bis in die Schwanzspitze<br />
zitternd.<br />
17.25 Uhr<br />
Oberblockland,<br />
Nähe Gartelmanns Hofladen<br />
Eine junge Familie schiebt einen<br />
Kinderwagen vor sich her, ein kleiner<br />
Junge brüllt, weil er nicht mehr laufen<br />
will. Als sein Vater ihn auf seine<br />
Schultern hebt, fängt die kleine<br />
Schwester an zu schreien.<br />
w o<br />
mooRfrösche<br />
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prosa<br />
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wohnen<br />
und, wie es schien, an ihrem Schmerz teilnahm. Maria fing seinen melancholischen<br />
Blick auf und ein leichtes Nicken, das offenbar ihrer<br />
Mutter galt. Die kleine, schwarze Gruppe versammelte sich schweigend<br />
unter einer rauschenden Weide. Als der Sarg in den Schacht<br />
hinabgelassen wurde, trat Viktoria vor, eine Freundin, legte Marias<br />
Mutter sanft eine Hand auf den Rücken und küsste ihren Nacken. Ein<br />
Arm umschlang Marias Taille, ihr Bruder räusperte sich und lockerte<br />
seine Krawatte. Schweiß rann ihm in den Kragen. Marias Tante stand<br />
bebend zwischen ihren hochgewachsenen Söhnen. Hermann lehnte<br />
an einem Baumstamm und wischte sich die Stirn mit einem Stofftaschentuch.<br />
Die Kinder stellten einen Engel auf den Grabstein. Anne<br />
klagte über die Hitze. Marias Mutter, aufrecht und kämpferisch, übernahm<br />
die Führung wie eine strenge Gouvernante.<br />
Über dem Deich sirrte die Luft: Radfahrer und Skater, Jogger,<br />
Hunde, Kinderwagen und Spaziergänger – wie einn Pulk schwarzer<br />
Krähen mischten sie sich unter diesen bunten Schwarm.<br />
Wie oft hatten sie in dem Gasthof an der Wümme gesessen,<br />
die auch heute Paddler mit Helmen und neonfarbenen T-Shirts vorbeitrieb.<br />
Weit dahinter fiel der Himmel auf Pappelreihen, Kuhweiden<br />
und Pferdekoppeln. Die barock gebauschten Daunenwolken trösteten<br />
Maria. Sie gab sich der kindlichen Fantasie hin, ihre Großmutter<br />
schaue wohlwollend auf sie herab.<br />
Sie hatte die Kindheitssommer auf ihrem Hof geliebt. Die<br />
Hühner und Schweine, die sie versorgen durfte. Das Stroh. Brombeeren<br />
sammeln. Baden im Fluss. Reiten. Radfahren. Marmelade kochen.<br />
Abends zog ihre Großmutter die Stalltüren zu und kehrte<br />
den Hof mit einem Reisigbesen. Die Blecheimer schepperten über das<br />
Kopfsteinpflaster, mit ihren Gummistiefeln quietschte sie ins Haus.<br />
Und Maria setzte sich auf den kleinen Hocker mit dem rot gepunkteten<br />
Plastikbezug und sah ihr dabei zu, wie sie ihre braune Lockenflut<br />
aus dem Kopftuch befreite, zu einem langen Zopf flocht und über dem<br />
Hinterkopf zusammensteckte. Wie sie ihr Gesicht und den Nacken<br />
mit einem Waschlappen abrieb. Wie sie ihr im Spiegel zuzwinkerte<br />
und Bonbons in ihre Tasche schob. Und freute sich auf den langen<br />
Abendspaziergang. Wenn ihre Großmutter ihr Bombenlöcher zeigte,<br />
die sich in Teiche verwandelt hatten und jetzt von Moorfröschen<br />
bewohnt wurden. Wenn sie gemeinsam die schwarzgrün schimmernden<br />
Kiebitze, die Uferschnepfen und die Brachvögel mit den lustigen<br />
langen Schnäbeln beobachteten. Wenn sie sich ans Wasser setzten<br />
und Käsebrote aßen und Maria ihren Kopf an Omas geblümten Arm<br />
lehnte, der nach Kuh und Lavendelseife roch.<br />
Sie hatten ihr eines dieser geblümten Kleider angezogen,<br />
hatten ihre weichen Locken auf einem bestickten Kopfkissen ausgebreitet<br />
und ihre kräftigen Hände über einer weißen Decke gefaltet.<br />
Maria hatte einen Stuhl herangezogen und ihr Profil betrachtet: die<br />
hohe Stirn, die gebräunte Haut, die gebogene Nase, das entschlossene<br />
Kinn. Als sie ihre Haare berührte und ihre eiskalten Hände umfasste,<br />
hatte sie darüber nachgedacht, wie hart, arbeitsreich und mühsam<br />
das Leben ihrer Großmutter gewesen war und dass sie sich, obwohl<br />
sie eine unglückliche Ehe mit einem cholerischen Despoten führte,<br />
nie beklagt hatte. Sie hatte lange an ihrem Sarg gesessen und sich ihr<br />
Gesicht einzuprägen versucht, weil es sich gleich, nach dem Schließen<br />
der Tür, davonstehlen und in einem inneren Nachbild verlieren würde.<br />
Marias Mutter hatte sich ihrer schwarzen Strumpfhose entledigt<br />
und scherzte mit ihrer Freundin Viktoria, während sie rauchte<br />
und einen Sanften Engel trank. Marias Bruder maßregelte die Kinder,<br />
die in ihren leuchtend weißen Hemden zum Wasser liefen. Hüpfend<br />
gaben sie sich der Aufeinanderfolge der Ereignisse hin. Wie sie<br />
eben dem Sarg ihrer Urgroßmutter gefolgt waren, liefen sie jetzt den<br />
Kanus hinterher und freuten sich über den gelben Hund, der sich losgerissen<br />
hatte und in die Wümme gesprungen war.<br />
Auf dem Weg zur Toilette stutzte Maria an der Tür. Im Schatten<br />
eines Sonnenschirms saß der kleine Mann. Neben seiner Kaffeetasse<br />
lag ein rotes Notizbuch und seine Brille. Sie schauten sich kurz<br />
an. Seine Brauen wuchsen über seine Augen wie winzige Reetdächer.<br />
Er tupfte seinen Schnauzbart mit seinem grünen Einstecktüchlein. Dabei<br />
wirkte er auf eine fragile Art vornehm und distinguiert. Er hätte<br />
einen Zylinder tragen und eben einer Kutsche entstiegen sein können.<br />
„Kennst du diesen kleinen Mann, der zu Omas Beerdigung<br />
gekommen ist?“, fragte Maria ihre Mutter, bevor sie aufbrachen. Die<br />
nickte, sog genüsslich an ihrer Zigarette, lächelte. „Friedrich. Sie<br />
haben sich 35 Jahre lang heimlich getroffen. Er war ihre große Liebe.“