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zds#13

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lockland<br />

×<br />

15.00 Uhr<br />

Carl-Krohne-Straße, ganz<br />

am Ende<br />

Brauner Rost zieht sich die<br />

türkisfarbene, schwere Eingangspforte<br />

der Jugendvollzugsanstalt<br />

hinab.<br />

Im Fenster nebenan hängt ein Zettel,<br />

der mit Bleistift informiert:<br />

„Der Jugend- und Frauenvollzug<br />

ist geschlossen“.<br />

15.30 Uhr<br />

Links neben der Gefängnismauer<br />

aus rotem Backstein liegt ein<br />

Tümpel, versteckt unter einer<br />

Algenschicht.<br />

15.45 Uhr<br />

Carl-Krohne-Straße<br />

Hinter dem Zaun eines Wohnhauses<br />

erschrecken, auf den Hinterbeinen<br />

stehend, zwei laut bellende Bernhardiner<br />

die wenigen Leute, die sich<br />

hierher verirren.<br />

26<br />

monate<br />

34<br />

interview<br />

35<br />

mir gesagt, er habe ’nen Deal mit dem Staatsanwalt,<br />

und ich bin dann guter Dinge reingegangen.<br />

Als dann die Verurteilung kam, war das<br />

zuerst schon bitter. Ich kann mich noch erinnern,<br />

was der Richter vor seiner Urteilsverkündung<br />

sagte: „Ihnen ist ja wohl klar, dass wir Sie aufgrund<br />

der Tat einsperren müssen. Hätten Sie<br />

sich einen Kiosk gesucht, oder einen ‚Schlecker‘,<br />

hätten wir drüber reden können. Aber zu einer<br />

Bank zu gehen, wo man das meiste holen kann,<br />

dafür gibt es keine Bewährung.“<br />

zds Die meisten Menschen kennen das Leben<br />

im Gefängnis nur aus dem Fernsehen. Da hängen<br />

die Häftlinge den ganzen Tag an den Eisengittern<br />

und es tropft von der Decke. Ist die Realität denn<br />

ganz anders?<br />

FAbian Es ist trocken in den Zellen, aber gemütlich<br />

wird es deshalb noch lange nicht. Ich<br />

habe mich zumindest in der ganzen Zeit nicht<br />

heimisch gefühlt. Manche versuchen das ja. Ich<br />

habe Zellen gesehen, die sahen aus wie das<br />

Jugendzimmer zu Hause – mit Postern an der<br />

Wand und Teppich auf dem Boden und toller<br />

Bettwäsche von Mama. Ich habe alles sehr schlicht<br />

gehalten: Schrank, Bett, Tisch, Stuhl, Regal,<br />

Waschbecken und Toilette. Und das auf acht<br />

Quadratmetern.<br />

zds Wie war die Stimmung?.<br />

fabian Es gab viel Langeweile und Tristesse.<br />

Es passiert ja nie was Neues. Jeder Tag ist wie<br />

der andere. Ich hatte wenigstens die Schule als<br />

Beschäftigung. Da habe ich meinen erweiterten<br />

Hauptschulabschluss nachgeholt und dafür gelernt<br />

oder was gelesen. Und ich habe bei der<br />

Knastzeitung mitgemacht. Sonst habe ich so viel<br />

geschlafen wie in meinem ganzen Leben nicht.<br />

zds Und außerhalb der Zelle wimmelte es von<br />

bösen Jungs?<br />

fabian Es gibt eine große Ansammlung krimineller<br />

Energie. Zum Beispiel hatte ich mit einem<br />

zu tun, der hatte seinen besten Freund kaltgemacht.<br />

Mit bloßen Händen. Im Jugendvollzug<br />

war es wie auf der Straße: Jeder wollte der<br />

Größte sein und sich profilieren. Da musste man<br />

sehen, dass man sich aus manchen Dingen raushält<br />

und sich gleichzeitig nicht unterbuttern lässt.<br />

Als ich für die letzten zwölf Monate in den<br />

Erwachsenenvollzug nach Oslebshausen kam,<br />

wurde es entspannter. Solange man keine<br />

Geschäfte einging und sich an die Vertragsregeln<br />

hielt, war alles gut.<br />

zds Geschäfte? Vertragsregeln?<br />

fabian Na wenn man zum Beispiel eine Telefonkarte<br />

reinschmuggeln lies, musste man<br />

natürlich auch rechtzeitig zahlen. Und man<br />

sollte nicht jeden blöd von der Seite anquatschen,<br />

sonst traf man den plötzlich in einer dunklen<br />

Ecke wieder …<br />

zds Klingt nicht so wirklich entspannt.<br />

fabian Es war auch oft sehr humorig, selbst<br />

an diesem Ort. Jeder hatte seine individuelle Lebensgeschichte,<br />

die einen auch schon mal zum<br />

Lachen brachte.<br />

zds Alles in allem, findest du, war es im<br />

Erwachsenenvollzug besser als im Jugendvollzug?<br />

fabian Ja, mir hat es besser gefallen. Im Jugendvollzug<br />

gab es diesen pädagogischen Schwerpunkt,<br />

mit dem ich nicht klar kam. Die wollten einem<br />

ständig erzählen, wie man ein besserer Mensch<br />

wird. Außerdem durfte man im Erwachsenenvollzug<br />

auch ’ne Playstation haben und im Jugendvollzug<br />

nicht. Da gab’s nur Fernseher und Radio.<br />

zds Wer ist der beste Kumpel im Knast?<br />

fabian Echte Freundschaften gibt es unter<br />

Häftlingen nicht. Das ist mehr eine Zweckgemeinschaft,<br />

wie bei der Bundeswehr. Ein zusammengewürfelter<br />

Haufen und man muss sich damit<br />

arrangieren. Klar versteht man sich mal mit<br />

jemandem gut und redet auch mal etwas<br />

privater, aber ein Großteil ist Geplänkel.<br />

zds Wer hat draußen auf dich gewartet?<br />

fabian Anfangs meine Frau. Ich war zu dem<br />

Zeitpunkt noch verheiratet und mein einziges<br />

Ziel war es, die Monate abzusitzen, um wieder<br />

bei ihr zu sein. Die Haft war schwierig für uns<br />

beide – sie draußen und ich auf der anderen<br />

Seite der Mauer. Man sagt immer: „Die beste<br />

Beziehung im Knast ist, keine zu haben.“<br />

zds Durfte deine Frau dich besuchen?<br />

fabian Ja, aber erst nach sechs Monaten. Sie<br />

saß auf meinen Schoß, wir haben uns angestarrt<br />

und geschwiegen. Einfach nur im Arm gehalten<br />

und das war’s. Kurz darauf bekam ich das erste<br />

Mal Freigang und konnte ein Wochenende zu ihr.<br />

Als sie mich dann später verlassen hat, habe ich<br />

meine Fenster zugehängt und bin 14 Tage nicht<br />

aus meiner Zelle gekommen.<br />

z ds Hast du mit einem Mithäftling darüber<br />

reden können?<br />

fabian Emotionen sind belastend und das weiß<br />

auch jeder. Man spricht im Knast nicht über<br />

seine Gefühle, sondern zieht seinen Tag durch<br />

und dann kommt auch schon der nächste. Wenn<br />

sich alle da ständig auslassen würden, würde man<br />

verrückt werden. Die Probleme der anderen<br />

erinnern einen nur an die eigenen.<br />

zds Wird man im Knast so härter im Nehmen?<br />

fabian Nee. Ich glaube, diese Härte, die von<br />

Häftlingen widergespiegelt wird, ist ganz oft<br />

aufgesetzt. Die sind äußerlich hart: Haare bis<br />

zum Arsch, tätowiert, immer einen coolen Spruch<br />

auf Lager. Das können sie ja alle. Aber wenn man<br />

mit denen mal tiefer ins Gespräch kommt, merkt<br />

man, da ist noch mehr.<br />

zds Was?<br />

fabian Viele von denen haben Frau und Kinder<br />

und wären lieber der Familienpapa, als sich im<br />

Knast gefrustet die Köpfe einzuschlagen.<br />

zds Wie ist das, wenn man Freigang bekommt<br />

und plötzlich wieder raus darf für kurze Zeit?<br />

fabian Wirklich seltsam. Ich saß dann bei<br />

alten Bekannten, die so alt waren wie ich, hatte<br />

aber keinen Plan mehr von ihrem Leben. Habe<br />

mir dann meistens einen gelötet, richtig gesoffen.<br />

Und dann wieder zurück zum Knast. Naja,<br />

manchmal ging das gut, manchmal nicht. In<br />

der Zeit im Blockland bin ich einige Male einfach<br />

nicht zurückgegangen bzw. erst einen Tag später<br />

und habe noch eine Nacht mit meiner Frau<br />

oder später halt in der Kneipe verbracht.<br />

zds Warum bist du nicht ganz ausgerissen?<br />

fabian Ohne Papiere? Ohne Geld? Noch mal<br />

eine Bank auszurauben, hätte ein paar Jahre mehr<br />

Knast bedeutet.<br />

zds Welche Konsequenzen hatte es, wenn du<br />

zu spät zurückkamst?<br />

fabian Ich hatte dann die nächsten drei bis<br />

sechs Monate keinen Freigang mehr. Und hätte<br />

ich mich am Riemen gerissen, hätte ich schon<br />

nach 18 Monaten auf Bewährung rauskommen<br />

können. So aber haben sie mich erst nach<br />

22 Monaten rausgelassen.<br />

zds Die Freilassung …<br />

fabian Ich bin mit meinem Köfferchen da raus<br />

und wusste: „Das war’s – hier komme ich nicht<br />

wieder her.“ Umgedreht habe ich mich nicht mehr.<br />

Einfach raus!<br />

zds Und dann?<br />

fabian Ich hatte mir ein Taxi bestellt, habe<br />

meine Klamotten zu meinen Eltern gebracht,<br />

geduscht und bin zum Friseur gegangen. Drei<br />

Jahre später kam dann der Brief vom Richter:<br />

Strafmakel ist getilgt. Das heißt, dass der Eintrag<br />

aus dem Führungszeugnis entfernt wurde.<br />

zds Ist damit auch für dich alles gegessen oder<br />

ist da noch Reue?<br />

fabian Die Tat an sich bereue ich gar nicht.<br />

Hätte es geklappt, würde ich mich ja auch nicht<br />

beschweren, sondern mit der Kohle irgendwo in<br />

der Sonne sitzen. Aber man denkt manchmal so:<br />

„Oh, hättest du die Frau nicht kennengelernt,<br />

hättest du den einen Job damals einfach weitergemacht<br />

– dann hättest du vielleicht andere<br />

Lösungswege für deine Probleme gefunden, als<br />

eine Bank zu überfallen.“<br />

zds Hat es dir nie leid getan, der Überfall?<br />

fabian Soll ich jeden Tag vor dem Einschlafen<br />

denken: „Oh, der arme Bankangestellte!“? Er hat<br />

seinen Job gemacht, ich meinen. Und ich saß<br />

dafür im Knast. Meine Sozialarbeiterin wollte,<br />

dass ich einen Täter-Opfer-Ausgleich mache und<br />

einen Blumenstrauß zur Bank schicke. Ich fragte<br />

sie, ob sie bescheuert ist: „Ich habe andere<br />

Sorgen, außerdem sitze ich hier schon dafür. Da<br />

schicke ich nicht noch Blumen!“<br />

zds Bist du jetzt ein anderer als vor dem Knast?<br />

fabian Zuerst dachte ich: nein. Was war schon<br />

passiert? Im Knast konnte ich nicht rausgehen<br />

und mich nicht treffen, mit wem ich wollte, aber<br />

ich hatte ein Dach über dem Kopf und was zu<br />

essen. Dann kam ich raus und hatte keinen Plan,<br />

was ich mit meinem Leben anfangen sollte und<br />

mit meiner Freiheit. Und plötzlich war es so<br />

ähnlich wie im Knast: Ich hatte Essen und eine<br />

Wohnung, aber ich fühlte mich trotzdem eingesperrt<br />

und von der Gesellschaft entfernt. Ich<br />

habe schwere Zeiten in Einsamkeit draußen<br />

erlebt. Da haben auch Schnaps und Drogen nicht<br />

mehr geholfen, den Kummer wegzustecken. Das<br />

war wirklich hart.<br />

zds Wann ist es besser geworden?<br />

fabian Das hat gedauert. Ich habe vier, fünf<br />

Jahre gar nichts gemacht. Ich hatte das Gefühl,<br />

ich müsste die zwei Jahre auf Teufel komm raus<br />

nachholen und alles, was ich mir da verkneifen<br />

musste: Disco, Partymachen, Frauen. Aber es<br />

ging nicht. Man kann die Zeit nicht einholen.<br />

zds Und wie ist es jetzt?<br />

fabian Ich arbeite im Projekt „Knastgewächse“.<br />

Wir möbeln die alte Gärtnerei des Blockland-Knasts<br />

wieder auf. Morgens um sechs<br />

klingelt der Wecker, dann geh ich zur Arbeit, und<br />

wenn ich nachmittags zu Hause bin, völlig<br />

erledigt, schaue ich noch ’ne Runde Fernsehen.<br />

Drogen und Alkohol habe ich seit anderthalb<br />

Jahren nicht angefasst. Ich bin eigentlich gerade<br />

da, wovor ich die ganzen letzten Jahre weggelaufen<br />

bin – ich habe ein ganz stinknormales<br />

Leben und irgendwie erfüllt es mich auch. So wie<br />

es ist, könnte es weitergehen. Nur ob ich immer<br />

gärtnern muss, das weiß ich noch nicht.

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