Mystik spüren Die beiden Söhne Felix und Linus (v. l. n. r.) von Thomas Brunner und Mirjam Halter wurden nicht getauft. Vater Brunner findet es wichtig, dass seine Buben Verständnis für die verschiedenen Religionen entwickeln, jedoch mit einer kritischen Haltung.
Schwerpunkt >>> antwortete Unterricht habe ein anderes Ziel als der kirchliche, nämlich «religionskundliche Kompetenzen», erklärt Frank. «Es geht darum, Texte und Praktiken der religiösen Gemeinschaften und Individuen in einen Zusammenhang zu bringen und zu erforschen.» Im Gegensatz zum kirchlichen Religionsunterricht ist die schulische Religionskunde nicht an ein Bekenntnis gebunden. Die Unterrichtspersonen von «Religion und Kultur» nähmen Rücksicht darauf, dass Schüler verschiedenen Glaubens oder auch ohne Religion im Unterricht seien, sagt Frank. Somit kann sich der kirchliche Unterricht wieder verstärkt auf seine ursprüngliche Aufgabe konzentrieren: die Kinder mit den wichtigen Ritualen wie Abendmahl oder Taufe vertraut machen und ein Weihnachtsspiel einüben. In einer Zeit, in der Religionen wie Angebote auf einem Basar erscheinen, mögen manche Eltern denken, die Kinder sollten selbst die Wahl haben. Pfarrer Müller sagt: «Was die Kinder nicht kennenlernen, dafür können sie sich auch nicht entscheiden. Mit der Tradition werden sie nur vertraut, wenn sie im ‹Unti› dabei sind und ab und zu einen Gottesdienst miterleben.» Müller sagt, nur durchs eigene Mitmachen könne ein junger Mensch beurteilen, ob ihm dies entspreche oder nicht. Dies könne keine Religionskunde leisten. Das pädagogische Programm der Landeskirche verstehe sich heute auch als Entlastung der Eltern, die sich DER KIRCHLICHE RELIGIONSUNTER- RICHT SOLL DIE KINDER MIT DEN WICHTIGEN RITUALEN VERTRAUT MACHEN bezüglich ihres Wissens oder ihrer Überzeugungen unsicher fühlten. Der katholische Vikar Dettling dagegen möchte die Eltern nicht entlastet sehen. «Auch die Eltern sind gefordert, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen.» Der Glaube dürfe nicht als Konsum artikel missverstanden werden. Dettling wünscht sich, dass Eltern an der religiösen Entwicklung ihrer >>> EHER AUF DISTANZ ZUR KIRCHE FOTO: STEPHAN RAPPO/13PHOTO Thomas Brunners (35) konfessionelle Erziehung endete mit der Erstkommunion, bei welcher der damals Neunjährige seine erste Oblate empfing und erbrechen musste. «Man könnte das auch symbolisch deuten», sagt er heute augenzwinkernd. Den Religionsunterricht am Gymnasium besuchte er nicht, und er liess sich nicht firmen. Der Jungwacht, die von der katholischen Kirche getragen wird, blieb er länger treu. Der Grund war ein Pfarrer, der seine Kirche für Neues öffnete und aus seinen Differenzen zum Bischof kein Hehl machte. Das beeindruckt Brunner heute umso mehr, als er um den engen Spielraum der katholischen Würdenträger weiss. Er wurde Jungwachtleiter und war zuletzt an einer Schnittstelle zwischen Pfarrei und Jungwacht sowie Blauring tätig. Trotz seiner guten Erfahrungen ist er heute ambivalent und pflegt keinen Kontakt mit der Kirche. Er müsse sich wohl als von der Kirche «eher distanziert» bezeichnen, sagt er. Auch seine Lebenspartnerin Mirjam Halter (35) hat Taufe und Erstkommunion, aber nicht die Firmung vollzogen. Sie ist Mitglied der katholischen Landeskirche. Die beiden Buben des Paars, Linus (6) und Felix (4), sind nicht getauft. Den kirchlichen Religionsunterricht werden sie voraussichtlich nicht besuchen. «Dafür stehe ich zu wenig hinter der Kirche», sagt Brunner. Den Kindern ein solides Wissen über Religion mitzugeben, hält er aber für wichtig. Er ist überzeugt, dass die Kinder schon bei den Gesprächen am Familientisch einiges mitbekommen. Thomas Brunner interessiert sich für Religionen, etwa die der Kelten mit den natürlichen Symbolen. Seinen Kindern wünscht Brunner, dass sie Sympathie und Verständnis für den Glauben und für die Religionen entwickeln, aber mit einer kritischen Haltung. Für einen wichtigen Wert hält Brunner die Dankbarkeit für alles, was den Menschen gegeben ist. «Damit meine ich nicht den Überfluss unserer westlichen Wohlstandszone, der auf der skrupellosen Ausbeutung von Menschen in Drittweltländern aufgebaut ist», legt er nach. Feiert die vierköpfige Familie Weihnachten? «Ja, leider», sagt Brunner. Die Lust sei ihm vergangen. Von Konsum und Kapitalismus durchdrungen sei es. Es widerstrebe ihm immer mehr mitzumachen – obwohl er die Adventszeit als etwas Schönes empfinde. Der Rummel komme viel zu früh. «Im November möchte ich mit den Kindern den Herbst geniessen. Jenseits der alltäglichen Routine im Nebel, im düsteren Wald, in der Weite der Natur herumstreifen und so ein bisschen Mystik spüren. Auch das kann Religion sein.» Fritz+Fränzi DEZEMBER <strong>2014</strong> 17