10/2014
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Psychologie & Gesellschaft<br />
Laut dem kanadischen<br />
Entwicklungspsychologen<br />
Gordon Neufeld ist es<br />
ein grosses Problem, dass<br />
sich Jugendliche nicht mehr<br />
an ihren Eltern, sondern<br />
an Gleichaltrigen orientieren.<br />
Hier erläutert er warum<br />
INTERVIEW: BIANCA FRITZ<br />
FOTO: F12PR<br />
Gordon Neufeld sieht die Trennung der Kinder von ihren<br />
Eltern als Hauptproblem der westlichen Gesellschaft<br />
«Gleichaltrige dürfen nicht<br />
wichtiger werden als die Eltern»<br />
Woher kommen unsere Gefühle?<br />
Das Getrenntsein von den<br />
GORDON NEUFELD: Gefühle kommen von innen. Sie Eltern ist also ein zentrales Problem?<br />
entstehen im limbischen System; das ist das Herz unseres Ja, wir leben in einer Gesellschaft, die darauf angelegt ist,<br />
Gehirns – und wird am besten beschützt. Sogar wenn dass wir Trennungserfahrungen herbeiführen, anstatt sie<br />
Tumore entstehen, wird dieser Part oft ausgespart. zu verhindern. Kinder werden früh von den Eltern<br />
Ihrer Meinung nach sind viele Kinder heute nicht mehr getrennt, noch bevor sie sich richtig an diese gebunden<br />
fähig, alle grundlegenden Emotionen wahrzunehmen – haben, geschweige denn, bevor sie eine Beziehung zu ihrer<br />
zum Beispiel empfinden sie Sehnsucht als Langeweile … Betreuungsperson aufgebaut haben. Auch unsere Disziplinarmethoden<br />
beziehen sich auf die Trennungserfah-<br />
To bore – Englisch für langweilen – kommt von «boring<br />
a hole» – ein Loch graben. Wer sich langweilt, hat also ein rung. Wenn ein Kind verhaltensauffällig ist, wird es zur<br />
Loch in sich. Diese Leere ist eine Beziehungsleere. Die Beobachtung in eine Kinderklinik geschickt – weg von zu<br />
Kinder sollten eigentlich erkennen: Ich vermisse Mami Hause. Das führt zu Problemen, die zuvor nicht da waren.<br />
oder Papi. Das ist die Ursprungserfahrung: Eine Trennung Aber die meisten Eltern müssen nun einmal<br />
von den Eltern führt zu Sehnsucht. Aber wenn man zugibt, das Haus verlassen und arbeiten gehen …<br />
dass man vermisst, ist man sehr verletzlich. Stellen Sie sich Die Herausforderung ist herauszufinden, wie sich das<br />
einen Achtjährigen vor, der zur Schule geht und sagt: «Ich Kind den Eltern nahe fühlen kann, auch wenn sie nicht<br />
vermisse meine Mama.» Er würde ausgelacht werden. Also physisch anwesend sind. Ein Foto oder den Schlafanzug<br />
versteckt er dieses Gefühl lieber, und es stirbt ab oder wird der Eltern mitgeben – es gibt viele Mittel und Wege. Verliebte<br />
machen uns das seit Jahrhunderten vor. nicht mehr als Sehnsucht wahrgenommen. >>><br />
Fritz+Fränzi DEZEMBER <strong>2014</strong> 29