Sina Candrian im «Kafi für Dich». Hier trifft sich die 26-Jährige gerne mit Freunden, wenn sie in Zürich ist Auf dem Snowboard stand Sina Candrian schon mit fünf – als eine der ersten ihres Heimatortes. Auch 20 Jahre später war sie Pionierin – als erste Frau beim Freestyle.ch. Die Snowboarderin über Leidenschaft, den nötigen Biss und allzu motivierende Eltern INTERVIEW: EVELIN HARTMANN FOTOS: DÉSIRÉE GOOD «MAN BRAUCHT FREUNDE, DIE EBENSO BRENNEN»
Tischgespräch Mit fünf Jahren haben Sie zum ersten Mal auf einem Board gestanden. Damals, Anfang der 90er-Jahre, war Snowboarden noch eine Randsportart in der Schweiz. SINA CANDRIAN: Bei uns in Flims war unsere Familie eine der ersten, die damit angefangen hat. Meine Mutter hat es mit mir zusammen gelernt, das war lustig. Sie hatte damals grosse Mühe, ein Kinderboard für mich zu organisieren. Und dann musste ich mit Skischuhen in die Bindung, eine schrecklich steife Angelegenheit. Trotzdem wollte ich schon bald nichts anderes mehr machen (lacht). Und dann, fast 20 Jahre später, waren Sie wieder Pionierin, weil Sie als eine der ersten Frauen beim Snowboard-Wettbewerb freestyle.ch 2012 in Zürich starten durften. Warum war Snowboarden bis dahin solch eine Männerdomäne? Bisher war der Veranstalter der Meinung, Frauen trauen sich nicht, diese hohen Kicker, also Sprungschanzen, zu fahren. Das traf früher auch zu. Aber mittlerweile gibt es weiblichen Nachwuchs, der dieses Profi-Niveau erreicht hat. 2012 hat der Veranstalter dann einen guten Weg gefunden, uns Freestylerinnen zu integrieren. Wir sind, zusammen mit den Männern, am Samstag an einer Art Show-Event gestartet. Den eigentlichen Wettkampf haben die Männer am Sonntag untereinander ausgetragen. Wollen Sie nicht auch am Wettkampf teilnehmen? Für mich ist es so in Ordnung. Männer sind im Sport aufgrund ihrer Physis leistungsstärker als Frauen. Sogar in von Frauen dominierten Sportarten wie Ballett sind es die männlichen Tänzer, die die bessere Sprungkraft haben. So ist es eben. Ich habe das akzeptiert und versuche immer, das für mich beste Ergebnis zu erzielen. Diskriminiert haben Sie sich also nie gefühlt? Nein. Mit meinen männlichen Team-Kollegen habe ich mich immer gut verstanden und auch von ihnen profitiert. Für mich ist es doch nur von Vorteil, wenn sie vorfahren und ich sehen kann, wie viel Anlauf es für die Schanze braucht. Beim Snowboarden steht die Gemeinschaft im Vordergrund, der Spass. Das hört sich sehr entspannt an. Aber spätestens im Rahmen von Olympia geht’s doch ums Gewinnen. Sie wurden jedenfalls im Vorfeld von Sotschi im Februar <strong>2014</strong> als die Schweizer Medaillen-Hoffnung in den Medien gefeiert. Und hätten dann beinahe aufgrund eines Bandscheibenvorfalls nicht starten können … Ich hatte schon während der ganzen Vorbereitungszeit schreckliche Rückenschmerzen und kurz vor Weihnachten dann die Diagnose. Ich musste wochenlang im Bett liegen. Das war hart, zumal ich wusste, dass die anderen bereits längst intensiv trainieren. Es gab Momente, da wollte ich einfach nur weglaufen vor der Welt. Was hat Ihnen in dieser Zeit geholfen? Sich mit anderen Dingen zu beschäftigen als mit Snowboarden. Als die Schmerzen nachgelassen haben, konnte ich meine Kamera auspacken und bin raus in die Natur fotografieren gegangen. Ausserdem habe ich bewusst den Kontakt zu Freunden gesucht, die nichts mit dem Sport zu tun haben. Das ist ganz wichtig: zu akzeptieren, dass es in eine Richtung gerade nicht weitergeht, und sich Dingen zuzuwenden, die einem in dieser Situation guttun. Letztendlich konnten Sie doch teilnehmen, mit einem beachtlichen Ergebnis. Die Bronzemedaille haben Sie nur knapp verpasst. Was würden Sie Mädchen heute raten, die ebenso für eine Sache brennen wie Sie als Teenager? Am besten sucht mach sich Kollegen, die genauso wie man selbst jede freie Minute ihr Hobby ausüben wollen. Man muss sich ein Umfeld schaffen, in dem man sich wohlfühlt und gefördert wird. Wichtig ist auch, dass sich die Eltern mit dem Hobby auseinandersetzen, um verstehen zu können, was ihr Kind antreibt. Heute pushen Eltern ihre Kinder oft sehr, um das vermeintlich Beste für sie zu erreichen. Das war früher nicht anders. Ich erinnere mich an Mütter in Flims, die miteinander konkurriert haben, wessen Sohn das grössere Skinachwuchstalent ist. Ich fand das lächerlich. Manche Eltern sind so übermotivierend, dass nur noch der Sport zählt, dabei gibt es doch noch tausend andere Dinge im Leben. Zudem herrscht heute ein grosses Freizeitüberangebot. Die Kinder springen von einem Hobby zum nächsten, ohne einmal längere Zeit bei einer Sache zu bleiben. Es ist normal, dass im Sport auf die anfänglichen Erfolge eine Phase der Stagnation folgt. Die gilt es zu überwinden, und da hilft nur üben, üben, üben. Das sollten Eltern ihren Kindern vermitteln. Wie haben Ihre Eltern Sie unterstützt? Sie haben sich immer für mein Hobby interessiert, mir den Start und das Training ermöglicht. Wie gesagt, meine Mutter hat mit mir gemeinsam das Snowboarden gelernt. Später haben sie mir immer beratend zur Seite gestanden, ohne für mich zu entscheiden. Was verstehen Sie unter Durchsetzungsvermögen? Die Fähigkeit, sich durch die eigene Stagnation durchzubeissen. Sich in Momenten, in denen man ans Aufgeben denkt, sagen zu können: «Das war mein Ziel, und das verfolge ich, auch wenn mir gerade nicht danach ist.» Eines meiner Ziele ist, bis zu meinem letzten Tag Snowboarden zu können – mal sehen, ob ich das schaffe (lacht). SINA CANDRIAN ist am 21. November 1988 in Flims geboren. Dort lernte sie im Alter von fünf Jahren Snowboarden, ein Hobby, das sie im Teenager alter zum Beruf ausbaute. So nennt die 26-Jährige schon einige Junioren-Weltmeistertitel ihr Eigen. 2013 holte sie in Kanada den Vizeweltmeister-Titel im Slopestyle (ein Hindernisparcours-Stil). Bei den Olympischen Spielen <strong>2014</strong> in Sotschi belegte sie in dieser Disziplin den 4. Rang. Vor vier Jahren begann die Bündnerin eine Ausbildung zur Lehrerin, die sie zugunsten ihrer Snowboard-Profikarriere unterbrechen musste. ar Sie wollen Sina Candrian snowboarden sehen? Kein Problem: einfach die Fritz+Fränzi-App laden, diese Seite scannen und Video starten Fritz+Fränzi DEZEMBER <strong>2014</strong> 55