Burschenschaftliche Blätter 2014 - 1 & 2
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Schwerpunkt<br />
Festrede anläßlich der Verbandstagung<br />
<strong>Burschenschaftliche</strong><br />
<strong>Blätter</strong><br />
Von Gordon Engler<br />
Vor der Festrede richtete das Kommers -<br />
präsidium folgendes Vorwort an die Teilnehmer:<br />
„Fährt Frankreich mit seiner jetzigen Miß -<br />
wirtschaft fort, so könne es trotz seiner<br />
Macht in Verfall geraten und von seinen<br />
Nachbarstaaten verachtet werden.“ Wer<br />
könnte diesen Satz gesagt haben? Ein wortgewaltiger<br />
Publizist, ein wütender AfD-Politiker,<br />
ein alkoholisierter Burschen schafter?<br />
Nein, es war Friedrich der Große in seinem<br />
politischen Testament von 1752 in weiser<br />
Voraussicht auf umwälzenden Ereignisse<br />
ab 1789. Der einzige Unterschied besteht<br />
beim Wort „Nachbarstaaten“, welche im<br />
Original als „Nebenbuhler“ betitelt wurden.<br />
Man fühlt sich wie nach der Aufdeckung<br />
einer optischen Täuschung und<br />
dabei noch von einer geschichtlichen<br />
Epoche in die nächste katapultiert. Schon<br />
denken wir an all die Rettungspakete, die<br />
Target-II-Salden, die fatale Lage der süd -<br />
europäischen Wirtschaften und ja . . . auch<br />
Frankreich befindet sich in einer äußerst<br />
gefährlichen Entwicklung, während ein gesundes<br />
Land außerhalb der EU aus fadenscheinigen<br />
Gründen sanktioniert werden<br />
soll. Zusätzlich sollen wir noch am Besten<br />
nach der gescheiterten EU-Harakiri-Politik<br />
in der Ukraine ein weiteres vollkommen<br />
bankrottes Land alimentieren?<br />
Und genau in jener Zeit der offensicht lichen<br />
Mißwirtschaft gibt es nach Jahren der gesellschaftlichen<br />
Fehlentwicklung eine aggressive<br />
Kampagne nach der anderen gegen<br />
unseren Verband, wohl nach dem<br />
Motto: „Wir können uns erst vollständig abschaffen,<br />
wenn ihr euch abgeschafft habt.“<br />
Wie sollen wir als Burschenschafter, als<br />
deutsche Burschenschafter vor dem Hintergrund<br />
der euro päischen Entwicklungen<br />
darauf reagieren? Dieser Frage widmet sich<br />
bei der heutigen Festrede mein lb. Bbr.<br />
Gordon Engler, der Sprecher der Deutschen<br />
Bur schenschaft im Geschäftsjahr<br />
<strong>2014</strong>. Lieber Gordon, ich erteile dir hiermit<br />
das Wort:<br />
Burschenschaft, Deutschland<br />
und Europa im 21. Jahrhundert<br />
Liebe Gäste! Liebe Farbenschwestern!<br />
Verehrte Herren Waffen- und Farbenbrüder!<br />
Sehr geehrte Herren Burschenschafter!<br />
Wir Burschenschafter beziehen uns hinsichtlich<br />
der Fragen, Wo wir herkommen,<br />
wer wir sind und wo wir hinwollen auf die<br />
Urburschenschaft. Viel ist über die Urburschenschaft<br />
bereits gesagt und geschrieben<br />
und hoffentlich auch in den Fuxen -<br />
stunden gelehrt worden, weshalb ich davon<br />
ausgehe, daß wir einen gemeinsamen Wissensstand<br />
besitzen. Ich will nun im Fol -<br />
genden dennoch in wenigen Zügen unseren<br />
Ursprung und dessen Entwicklung bis<br />
heute umreißen, um Ihnen die Aufgabe<br />
der burschenschaftlichen Bewegung in<br />
Deutschland und Europa im 21. Jahrhundert<br />
darzulegen:<br />
Die Urburschenschaft und jene aus ihr hervorgekommene<br />
Bewegung war ihrem innersten<br />
Wesen nach von Anbeginn auf Erneuerung<br />
ausgelegt. Und somit eine Herausforderung<br />
in den Augen des Bestehenden,<br />
des Beharrenden und im wahrsten<br />
Sinne des Wortes politisch unbequem. Von<br />
den Befreiungskriegen bis hin zur 1848er<br />
Revolution kämpften Burschenschafter für<br />
die Einheit, Freiheit und Verfassungsstaatlichkeit<br />
unseres deutschen Volkes. Sie lie -<br />
ßen sich nicht beirren. Weder durch Verbot,<br />
noch durch Verfolgung.<br />
Neben ihrer politisch unbequemen Charakteristik<br />
muß die burschenschaftliche Bewegung<br />
aber auch als ein heterogenes Phänomen<br />
gesehen werden. In ihr fanden sich<br />
gemäßigt nationale bis nationalistische,<br />
völkische bis antisemitische, monarchische<br />
wie auch republikanische Strömungen wieder.<br />
Einig waren sich die Urburschenschafter<br />
im Dienst am Vaterland, in Form des<br />
Strebens nach nationaler Einheit und Freiheit<br />
des deutschen Volkes.<br />
Auch im Hinblick auf die Durchsetzung von<br />
Presse- und Meinungsfreiheit und sonstiger<br />
Grundrechte wie auch rechtsstaatlicher<br />
und konstitutioneller Prinzipien kann eine<br />
weitgehende Übereinstimmung festgestellt<br />
werden. Nur wie diese Ideen und Ideale<br />
zu verwirklichen seien, darüber herrschte<br />
Uneinigkeit.<br />
So verwundert es nicht, daß die Spannweite,<br />
burschenschaftliches Gedankengut<br />
in politische Realität zu verwandeln ebenso<br />
vielfältig wie gegensätzlich war. Es reichte<br />
vom aktiven Handeln bis hin zu indirekter<br />
Beeinflussung des politischen Systems; von<br />
radikalen, umstürzlerischen, republikanischen<br />
Bestrebungen bis zur Unterstützung<br />
evolutionärer Veränderungen hin zu konstitutionellen<br />
Monarchien und nationaler Einheit,<br />
im Sinne des (späteren) bürgerlichen<br />
Konservativismus und gemäßigten Liberalismus.<br />
Sich auf die Urburschenschaft zu<br />
berufen, muß heißen, die Vielfalt der<br />
burschenschaftlichen Strömungen als historisches<br />
Erbe anzuerkennen und zu pflegen.<br />
Jedoch wurden zu verschiedenen Zeiten<br />
bestimmte Aspekte der Urburschenschaft<br />
in den Vordergrund gestellt, um die jeweiligen<br />
Ansichten zu legitimieren.<br />
Das konnte beispielsweise soweit gehen,<br />
daß – sich der völkisch-antisemitischen<br />
Strö mungen bedienend – in den 20er und<br />
30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts<br />
der Nationalsozialismus teilweise als urburschenschaftliches<br />
Ziel und Erfüllung interpretiert<br />
wurde. Entsprechende Burschentags-Beschlüsse<br />
waren die Folge! Und<br />
der Burschenschaftshistoriker Georg Heer<br />
stellte bedenklicherweise sogar 1939 in<br />
einem „Ausblick“ fest: „Das Ziel der Deutschen<br />
Burschenschaft ist jetzt erreicht; ihre<br />
Aufgabe hat der Nationalsozialistische<br />
Deutsche Studentenbund übernommen.“ 1<br />
Damals hatte sich die burschenschaftliche<br />
Bewegung vom Nationalsozialismus überrollen<br />
lassen, was letztlich in ihre Auflösung<br />
mündete.<br />
Doch durch die Kürze der nationalsozialistischen<br />
Herrschaft und das teilweise Fortleben<br />
der burschenschaftlichen Bewegung<br />
in oder trotz den Kameradschaften des<br />
NSDStB war die Geschichte der Burschenschaften<br />
nicht beendet. Ihre Wiederbegrün -<br />
dung nach dem Zweiten Weltkrieg geschah<br />
einerseits im Zeichen der Revitalisierung<br />
der Tradition vor dem Nationalsozialismus<br />
und andererseits in einer Neuorientierung<br />
bei erklärter bzw. behaupteter Rückbe -<br />
sinnung auf die Urburschenschaft. Daraus,<br />
und durch die Integration der sogenannten<br />
Reformburschenschaften, die sich bekanntermaßen<br />
bereits in den 1880er Jahren<br />
wegen der Mensurfrage von der DB, die<br />
damals noch Allgemeiner Deputierten-<br />
Convent hieß, abspalteten, entsprang der<br />
Konflikt zwischen den sogenannten „konservativen“<br />
und „liberalen“ Kräften unseres<br />
Verbandes. Die grundsätzliche Richtungsauseinandersetzung<br />
zwischen diesen beiden<br />
Gruppierungen prägte die gesamte<br />
Entwicklung der burschenschaft lichen Bewegung<br />
seit der Nachkriegszeit bis heute<br />
und lähmte gerade dadurch auch eine<br />
ernstzunehmende politische Arbeit nach<br />
außen.<br />
Während die in der Urburschenschaft genauso<br />
vorhandenen weltbürgerlichen, aufklärerischen,<br />
völkerverständigen, aber vor<br />
allem liberalen bis radikalliberalen Positionen<br />
in den 20er und 30er Jahren vornehmlich<br />
ignoriert wurden, lebte dieses Erbe<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg in stärkerem<br />
Maße in den jungen Aktiven fort und erreichte<br />
um 1970 mit ihrer eigenwilligen<br />
Interpretation der Urburschenschaft einen<br />
neuerlichen Höhepunkt an Streitigkeiten<br />
innerhalb der burschenschaftlichen Bewegung.<br />
Der sogenannte Historische Kompromiß,<br />
der aus diesem Konflikt resultierte,<br />
konnte den selbigen nur oberflächlich beilegen.<br />
Die Folgen von damals, sie wirken<br />
bis heute!<br />
In einer burschenschaftlichen Publikation<br />
aus dem Jahre 1969 fand ich einen denkwürdigen<br />
Artikel eines jungen Burschenschafters<br />
unter dem Titel „Warum bin ich<br />
heute Burschenschafter?“ Er beantwortete