MEDIAkompakt 19: I have a Dream
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1/2016 KULTUR & GESELLSCHAFT<br />
21<br />
Bee like you!<br />
Zucker eröffnet seit Jahrzehnten das Tor zu einer Welt aus<br />
Träumen, Wünschen und Verlangen. Dem Wunsch nach<br />
der süßen Verführung sind auch Deutschlands Imker verfallen.<br />
Mit ihren Bienenhäuschen und -stöcken versüßen sie das<br />
Leben der Republik mit der entzückenden Ware. Ein Traum<br />
aus süßem Gold.<br />
VON OLIVER STEINHÄUSER<br />
Pulsierendes Summen dröhnt in seinen<br />
Ohren, denn es ist Blütezeit im rheinland-pfälzischen<br />
Dienethal. Mit geschlossenen<br />
Augen steht der 85-jährige<br />
Felix Thannheiser in seinem Bienenschlag<br />
und atmet die sein Häuschen umgebende,<br />
von goldener Süße erfüllte Luft auf. Seinen ganz<br />
persönlichen Traum hat Felix sich mit seinem<br />
kleinen Holzhaus erfüllt, als er vor dreißig Jahren<br />
die ersten Bretter lasiert und somit den Grundstein<br />
seiner Hütte gelegt hat.<br />
Seither unterliegt das Waldstück einem<br />
geschäftigen Treiben, denn seine Sammlerbienen<br />
arbeiten an warmen Sommertagen unter Zeitdruck.<br />
Sie müssen bis zum Ende des Herbstes ihren<br />
Nahrungsvorrat eingeflogen und in den Waben<br />
ihrer Insektenkästen eingelagert haben, um im<br />
kalten Winter davon zehren zu können. Die frühere<br />
Angst vor schmerzenden Stichen ist seit Jahrzenten<br />
seiner Leidenschaft für Süße und Natur gewichen.<br />
Behutsam betritt er seinen Tempel aus<br />
goldenem Schein und waberndem Duft.<br />
„Im Gegensatz zu Charles Darwins Theorie<br />
vom Kampf ums Dasein, geben die Bienen eines<br />
Bienenstaats ihr Recht auf Fortpflanzung auf, um<br />
im kollektiven Altruismus ausschließlich der Königin<br />
dieses Heiligtum zu überlassen“, berichtet<br />
der erfahrende Imker. „Und um ihr zu dienen.“<br />
Denn nur sie darf Eier legen und somit den Grundstock<br />
ihres Volkes herstellen. Jedes Insekt hat in<br />
Bild: Pixabay<br />
seinem Volk eine klar zugeordnete Aufgabe der<br />
es sich annehmen muss: Honig sammeln,<br />
Brutpflege, Stockpflege, Begattung. Um dieses<br />
totalitäre Machtgefüge hocheffizient zu halten,<br />
sind Abweichungen von der Norm nicht tragbar.<br />
Missbildungen werden getötet, individuelle Fähigkeiten<br />
missachtet und unterdrückt. Selbst -<br />
verwirklichung sucht man in einem Bienenstaat<br />
vergebens. Repressalien dominieren die Tages -<br />
ordnung.<br />
In Deutschland sorgen ungefähr 110.000<br />
Imker mit insgesamt über 750.000 Bienenvölkern<br />
für das süße Vergnügen. Die deutschen Bienen gehören<br />
zu den effektivsten auf der Welt, denn jedes<br />
Volk produziert eine durchschnittliche Honigmenge<br />
von 25 – 30 kg pro Jahr. Gesamt ergibt das<br />
in Deutschland eine jährliche Summe von<br />
15.000 – 25.000 t. 20 Prozent des gesamtdeutschen<br />
Verbrauchs decken die deutschen Imker damit<br />
ab. Der Rest wird importiert.<br />
Das Leben mit den Bienen basiert auf einer<br />
Symbiose, in der die Imker die Unterkunft, die<br />
ärztliche Versorgung sowie die Verpflegung in<br />
Notzeiten stellen. Und die Bienen den Honig. Um<br />
diesen erfolgreich aufzuspüren hilft ein besonders<br />
ausgeprägter Geruchssinn.<br />
Bienen riechen 1.000-Mal besser als Hunde<br />
und registrieren jeden noch so schwachen, aber<br />
vielversprechenden Duft. Die genaue Flugrichtung<br />
und die Entfernung zur Futterkrippe<br />
kommunizieren sie mit Hilfe des sogenannten<br />
Schwänzeltanzes an ihre Sammlerkolleginnen. So<br />
reicht eine einzelne Kundschafterin aus, um eine<br />
neu erschlossene Nahrungsquelle dem gesamten<br />
Volk zu offerieren. Das Sammelgebiet eines<br />
Bienen staates liegt bis zu 15 Kilometer vom Standort<br />
entfernt. Im knapp fünfwöchigen Leben einer<br />
Sammlerbiene häuft sie gerade einmal die Menge<br />
Honig, die einem Teelöffel entspricht, an.<br />
Nachdem der Imker Felix Thannheiser im<br />
späten Herbst die letzte Ernte aus den Waben<br />
schleudert, endet die Honigsaison. Zuckerwasser<br />
füllt er als Honigersatz in den Bienenstock und sichert<br />
somit die lebenswichtige Verpflegung der<br />
Bienen in den kalten Wintermonaten. „Jedes meiner<br />
Bienenvölker formatiert sich beim Kälte -<br />
einbruch zu einer sogenannten Wintertraube, in<br />
dessen geschütztem Inneren sich die Königin eines<br />
jeden Volkes befindet.“ Durch pulsierende<br />
Bewegungen produzieren die am äußersten Rand<br />
der kugelähnlichen Bienenformation sitzenden<br />
Bienen Wärme, die das Innere der Wintertraube<br />
bei konstanten 25 °C hält. Geschützt von ihren<br />
Untertanen, überwintert die Königin in wohliger<br />
Wärme. Zu dieser Zeit sitzt der Imker bereits vor<br />
seinem knisternden Kamin und träumt vom kommenden<br />
Frühling. Bis dahin möchte er seiner Enkelin<br />
die Theorie im Umgang mit Bienen vermitteln,<br />
denn sie wird eines Tages seinen Traum<br />
weiterleben. Auch für sie sind die Bienen ein Teil<br />
ihrer Familie. Ein Teil ihrer Geschichte.<br />
Am Ende seines Besuches steht die rituelle Honigverkostung<br />
an. Felix Thannheiser öffnet einen<br />
Wabenkasten, kehrt die darauf arbeitenden Bienen<br />
ab und bricht sich ein Stück der Wabe heraus.<br />
Den Honig, den er aus den hexagonalen Wabenkammern<br />
saugt, ist unglaublich. Der Geschmack<br />
der Süße aus einer Vielfalt von Blüten. Eine feine<br />
Note aus Tannen rundet das Erlebnis ab. Es ist dieser<br />
Moment, der das Bewusstsein schärft, warum<br />
Honig zu Recht als flüssiges Gold bezeichnet wird.<br />
Nicht nur seine schimmernde Farbe, sondern<br />
auch der erhebliche Aufwand und die Geduld, die<br />
es braucht, um einen guten Bienenhonig zu erlangen,<br />
spielen eine wichtige Rolle.<br />
„Hoffentlich klappt das Anlernen meiner Enkelin<br />
gut“, hofft Felix Thannheiser. Die Weitergabe<br />
seiner Kenntnisse liegt ihm besonders am Herzen,<br />
denn „das Fortgeben meiner Völker an<br />
Fremde gliche einer Adoption, bei der beide Seiten<br />
in Mitleidenschaft gezogen würden“.<br />
Fakten<br />
Das Sammelgebiet eines Bienenvolkes erstreckt<br />
sich auf annähernd 50 m². Das entspricht<br />
circa dem Innenstadtgebiet von Köln.<br />
Für 500 g Honig müssen Sammlerbienen rund<br />
40.000-Mal ausfliegen und dabei eine Flugstrecke<br />
von rund 120.000 km zurücklegen.<br />
1 bis 20 Völker: 80 % der Imker<br />
21 bis 50 Völker: 18 % der Imker<br />
über 50 Völker: 2 % der Imker<br />
Der Preis pro Volk ist in den letzten Jahren<br />
um mehr als das Dreifache gestiegen.<br />
Quelle: Deutscher Imkerbund e. V. – Stand: 2014