MEDIAkompakt 19: I have a Dream
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Bild: Ansgar Wiesenfarth<br />
24 KULTUR & GESELLSCHAFT<br />
mediakompakt<br />
Going Under<br />
Zuerst ist da Kälte – als Frösteln auf der Haut und als Stechen im Gesicht. Ich ermahne mich, ruhig<br />
zu atmen während ich abtauche. Der Moment geht vorüber, mein Körper gewöhnt sich an die Temperatur<br />
und findet die richtige Haltung. Ich tauche seit 12 Jahren, habe den Blindsee in Österreich<br />
öfter besucht als manch nahen Verwandten. Trotzdem muss ich jedes Mal neu ankommen.<br />
VON VIVIEN HENTSCHEL<br />
Der Blindsee langweilt mich auch bei<br />
diesem Besuch nicht. Es ist wie nach<br />
Hause kommen. Ich habe noch immer<br />
Sorge, auf dem steilen Abstieg zum See<br />
auf Wurzeln und Kies auszurutschen.<br />
Der Einstieg über die Steine ist wackelig.<br />
Wendet man sich unter Wasser nach rechts,<br />
sieht man das Resultat eines Erdrutsches. Baumstämme<br />
stapeln sich als überdimensionales Mikadospiel.<br />
Unter diesem Konstrukt hindurch zu<br />
schwimmen, lässt einen ehrfürchtig werden.<br />
Stellen weise erreicht Licht den Grund. Da vergisst<br />
man das Frieren schon mal. An guten Tagen stehen<br />
Zander zwischen den Hölzern. Die Tiere sind<br />
die Taucher gewöhnt und richten höchstens einmal<br />
die Rückenflosse auf, wenn man ihnen zu<br />
nahe kommt. Der Anblick besitzt eine eigene<br />
Schönheit. Unter wie über Wasser.<br />
„Du tauchst auf und siehst das Bergpanorama.<br />
Das ist immer wieder bombastisch.“ Für den brevetierten<br />
Rescue-Diver Dominik Gebhardt hat der<br />
Besuch am Blindsee Tradition. Die Gemeinschaft<br />
steht im Vordergrund, man kennt sich. „Es ist fast<br />
wie ein Stammtisch.“<br />
Für mich birgt dieses Gewässer Erinnerungen.<br />
Hier habe ich meine ersten Freiwassertauchgänge<br />
absolviert und mich auf den Plattformen durch<br />
Übungen gearbeitet. Meine Scheine habe ich so erreicht.<br />
Und meine Grenzen dabei ab und zu gleich<br />
mit. Bei simulierten Keine-Luft-Situationen gegen<br />
den Atemreflex zu kämpfen oder einen bewusstlosen<br />
Taucher zu bergen flößt einem Respekt vor der<br />
Materie ein.<br />
Dass wir heute tauchen können, wie wir es<br />
tun, haben wir einigen Pionieren zu verdanken,<br />
die sich in eine Welt wagten, für die man eigentlich<br />
Flossen und Kiemen braucht. Taucher wie Eike<br />
Burk fasziniert nicht nur, was es dort alles zu sehen<br />
gibt, sondern, dass man dieses fremde<br />
Element überhaupt so verhältnismäßig einfach<br />
betreten kann. „Mich fasziniert die technische<br />
Seite mehr als die visuelle.“<br />
Von biologischen Gesichtspunkten aus ist der<br />
Mensch für ein Dasein im Wasser nicht gemacht.<br />
Wenn uns die Luft ausgeht, ertrinken wir und unter<br />
zu starken Druckveränderungen werden unsere<br />
Organe in tödliche Mitleidenschaft gezogen.<br />
Ich habe mich anfangs schwer getan mit der Vorstellung,<br />
mein Leben von ein paar Schläuchen<br />
und Pressluft aus der Flasche abhängig zu machen.<br />
Wie bei jeder neuen Bekanntschaft muss<br />
man Vertrauen erst aufbauen. Ursula Halbeisen<br />
arbeitet als Tauchlehrerin und betont die Wichtigkeit<br />
von gut gewartetem Equipment. „Am einfachsten<br />
ist es, mit eigenem Equipment zu tauchen,<br />
da man das am besten kennt.“<br />
Unsere Welt ist bequem geworden. In<br />
seltensten Fällen kommt man an seine physischen<br />
Grenzen. Wenn ich tauche, teste ich ein Stück<br />
weit aus, was mein Körper ertragen kann. Meine<br />
Ausrüstung wiegt etwas über 20 Kilogramm. Das<br />
Gewicht spüre ich noch Tage später. Meine Vorliebe<br />
für kaltes Wasser kollidiert mit der Tatsache,<br />
dass ich bei weniger als 10 °C anfange zu frieren.<br />
Schlotternd aus dem Wasser zu steigen gehört<br />
dazu. Danach weiß man die kleinen Dinge wieder<br />
zu schätzen. Trockene Kleidung, eine Tasse Tee.<br />
Und man legt Geld für einen Trockentauchanzug<br />
zur Seite. Für Daniel Thiele haben Kaltwassertauchgänge<br />
dennoch einen ganz eigenen Reiz –<br />
wenn die Ausrüstung stimmt. Vermeintliche<br />
Hemmnisse wie Kälte seien dabei nebensächlich.<br />
Oft werde man durch klare Sicht und geniale<br />
Lichtspiele entschädigt.<br />
Unter Wasser ist man ganz bei sich. Atmen, tarieren,<br />
schwimmen, schauen. Man konzentriert<br />
sich auf sich und seinen Buddy. Für Wolfgang Rotschek<br />
ist Tauchen eine Möglichkeit abzuschalten.<br />
„Dafür braucht es kein tropisches Meer. Es geht<br />
dabei einfach nur um das Gefühl.“ Es ist eine kleine,<br />
ganz persönliche Alltagsflucht. „Sobald ich<br />
mit dem Kopf unter Wasser bin, vergesse ich die<br />
Welt über mir. Dann bin ich ganz bei mir“, so Stefanie<br />
Neef.<br />
Ich gehe nie allein ins Wasser. Und nicht mit<br />
jedem. Im Zweifelsfall muss man sich nicht nur<br />
auf sich selbst verlassen können. Ich denke mit<br />
Schaudern an ein Erlebnis, bei dem mir die Tiefe<br />
in Kombination mit niedrigen Temperaturen gewaltig<br />
zugesetzt hat. An den Großteil des Tauchgangs<br />
kann ich mich kaum erinnern. Mein Buddy<br />
hat mich zurück zur Oberfläche bugsiert. Das Erlebnis<br />
hat mir zwar keine Angst gemacht. Aber es<br />
hat mich gelehrt auf mich zu hören und Probleme<br />
nicht kleinzureden.<br />
Dominik hat in dieser Hinsicht ganz eigene Erfahrungen.<br />
Ihm ist aufgrund mangelnder Absprache<br />
ein Buddy aus einem 3er-Team abhandengekommen.<br />
„Einer von uns kam nicht runter. Der<br />
Dritte der Gruppe hat das wohl nicht bemerkt und<br />
ist weiter abgetaucht. Ich hatte keine Chance<br />
mehr, mich bei ihm bemerkbar zu machen und<br />
verlor ihn aus der Sicht.“ Betreffender Buddy erlitt<br />
daraufhin selbst einen Notfall. Dass jemand in der<br />
Nähe war, um zu helfen, war Glück, weiter nichts.<br />
„Es ist wichtig, keine Angst zu haben.“, findet<br />
Ursula Halbeisen. „Aber man darf nie den Respekt<br />
verlieren!“ Auch regelmäßiges Üben sei essentiell,<br />
um auf Notfälle richtig zu reagieren. „Taucher in<br />
Panik machen in der Regel alles falsch.“<br />
Noch ein Grund, weiter in heimische „Tümpel“<br />
zu springen. Man kommt nicht so leicht aus<br />
dem Tritt. Bei einem Training im Schwimmbad<br />
begegnete mir zum ersten Mal seit 5 Jahren ein<br />
lange nicht mehr gesehener Mittaucher. Er hatte<br />
bereits erste Gehversuche in seinem alten Lieblingssport<br />
hinter sich. „Es war wie der allererste<br />
Tauchgang zum allerersten Schein.“ Für mich persönlich<br />
eher eine unschöne Aussicht. Ich habe mir<br />
meine Fertigkeiten mit einem gewissen Einsatz<br />
von Zeit und Kraft erarbeitet. Das gebe ich nur ungern<br />
wieder her. Bei 24 °C kann außerdem jeder.<br />
Und frieren war noch nie so schön.